Totale Therapie, Die
- Regie:
- Christian Frosch
- Jahr:
- 1996
- Genre:
- Komödie
- Land:
- Österreich
1 Review(s)
14.06.2005 | 08:02Bereits 1996 wurde der Film "Die totale Therapie" gedreht, ins Kino kam er aber erst im Jahre 2000. Manchmal mahlen die Mühlen eben ein wenig langsamer. Vielleicht waren den Verleihern aber auch das Thema des Films und dessen Aufarbeitung zu heikel. Es geht um Psychotherapien und Therapiewahn, Sekten und allgemein den Wunsch nach Erlösung und das Streben nach Glück. Und das Ganze präsentiert uns der Regisseur Christian Frosch in einer überdreht-grotesken Inszenierung.
Der Diplom-Psychologe Roman Romero (Blixa Bargeld, Sänger der EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN) leitet das Therapie-Zentrum Shirvia, wo mit ungewöhnlichen Therapieansätzen jenseits der Schulmedizin gearbeitet ist. Situiert ist das Zentrum in einer entlegenen ländlichen Region, so dass die Patienten losgelöst von der heutigen hektischen Alltagswelt therapiert werden können. Und Interessenten für die Therapienform Romeros gibt es viele: Da ist ein Pärchen, in dessen Ehe es schon lange kriselt, ein anderes, das sich von der Therapie Hilfe beim beruflichen Erfolg verspricht, Gabi, eine junge Frau mit einer ganzen Ladung an Phobien, die von ihrer Schwester zur Therapie genötigt wurde, ein Manager im Ruhestand, der das Leben jenseits der Arbeit nicht ertragen kann, eine Holländerin mit Bindungsproblemen und schließlich auch ein Survival-Fetischist, der einfach einmal seine Grenzen ausloten möchte. Eine illustre Schar also, die das Therapiezentrum Romeros entert und sich den Therapiekünsten von diesem und seinen Angestellten preisgibt.
Und dann geht sie los, die Suche nach den wahren Problemen, die in den Patienten schlummern: Meditation, der Kontakt mit der Natur beim Tree-Hugging und der obligatorische mentale Trip zurück in die Kindheit sollen dabei helfen. Während dieser Therapie nehmen dann schließlich die Konflikte innerhalb der ungleichen Gruppe mehr oder weniger forciert zu, was schließlich in der Ermordung Romeros gipfelt, die die Therapie dann doch etwas aus dem Gleichgewicht zu bringen droht.
Zu einem bitterbösen Rundumschlag gegen Psycho-Sekten und die popularisierte Esoterik-Szene holt Chrisian Frosch mit dem Film aus. Schon der Anfang, bei dem eines von Romeros Werbefilmchen, in denen er selbst als heilsverkündender Guru-Verschnitt auftritt und Psycho-Floskeln von der Freilegung des wahren kindlichen Charakters von sich gibt, ist in der Hinsicht verheißungsvoll. Dann werden uns nach und nach die Patienten präsentiert, die die ganze Bandbreite der seelischen Mode-Erkrankungen unserer Wohlstandsgesellschaft repräsentieren, von Bindungsproblemen und Sozialphobien bis hin zu Gewinnstreben und übersteigertem Selbstbewusstsein. Dabei wirkt der Großteil dieser Patienten auf den Zuschauer eigentlich recht normal, was wohl nicht überrascht, wenn man bedenkt, dass viele dieser Wehwehchen mittlerweile zum Standard-Repertoire des modernen Menschen gehören.
Einen amüsanten Gegensatz dazu bilden die ganz selten auftretenden Bewohner des nahe gelegenen Dorfes. Diese nehmen zwar an keiner Therapie teil, wirken aber eigentlich noch durchgeknallter als die Shirvia-Jünger.
Richtig amüsant wird es dann aber, wenn die Therapie endlich losgeht. Dank beweglicher und teils unscharfer Kameraaufnahmen erhält diese eine fast schon dokumentarische Wirkung, was deren grotesken Effekt auf die Zuschauer noch bekräftigt. Geboten wird eigentlich alles, was man sich an abstrusen Therapie-Methoden so einfallen lassen kann. Solche Dinge wie das Umarmen eines Baumes sind da schon Klischee-Standards, die aber immer noch eine komische Wirkung vorweisen können. Und wenn die Patienten bei der Projektion in ihr kindliches Ich und die Konfrontation mit ihrer Vaterfigur dann gänzlich austicken, dann wirken plötzlich auch die normalsten unter ihnen wie die gemeingefährlichsten Irren. Die Beantwortung der Frage allerdings, ob diese destruktiven Kräfte den Menschen schon innewohnen und durch die Therapie bewusst gemacht werden oder aber ob diese erst durch die Therapie entstehen, wird dabei dem Zuschauer überlassen, der zu diesem Zeitpunkt schon in das Geschehen der Therapie hineingezogen wurde.
Bereits diese Darstellung der Therapie als eine Mischung als Psycho-Terror und Heilungsprozess ist auf eine bitterböse schwarzhumorige Weise in Szene gesetzt. Auf die Spitze getrieben wird das Ganze allerdings nach der Ermordung Romeros, die von dessen Mit-Therapeuten einfach in den Therapieprozess mit eingegliedert wird. Erst mal meditieren, dann sehen wir weiter. Die totale Therapie muss weitergehen – bis zum bitteren Ende. Und das lässt nicht lange auf sich warten. In einer konfusen und durchgedrehten letzten halbe Stunde zeigt der Film nämlich, was passiert, wenn man Menschen, deren Nerven blank liegen und die von ihrer üblichen Alltags-Hemmung losgelöst sind, ohne zusammenhaltenden Pol aufeinander loslässt: Nämlich ein kunterbuntes Gemetzel, in dem die Grenzen zwischen Gut und Böse nicht nur verwischen, sondern sich gänzlich auflösen. In dieser aus den Angeln geratenen Welt obliegt es schließlich dem Zuschauer, seine eigene Ordnung wieder herzustellen und für sich persönlich Stellung zu beziehen.
Filmisch gibt es an "Die totale Therapie" wenig zu bemängeln. Zwar wirkt der Film oftmals etwas konfus und planlos, aber das passt im Endeffekt auch irgendwie wieder zum Gezeigten. Dafür gibt es dann auch eine Vielzahl herrlich schräger Regie-Ideen, die zu gefallen wissen und an der ein oder anderen Stelle für einen Lacher gut sind.
Was die Charaktere angeht, so wirken diese anfangs etwas überzeichnet – was aber durchaus Absicht sein könnte – und hölzern. Spätestens bei der Therapie zeigen die Darsteller aber ihr Können und verleihen ihren Figuren das nötige Profil, so dass sie für den Zuschauer interessant wirken. Besonders gut gelungen finde ich die Mischung der verschiedenen Typen, die in ihrer Zusammenstellung für die Aussage des Films durchaus eine Rolle spielen. So unterstreicht zum Beispiel das ewig vordergründig grinsende Yuppie-Pärchen, das bereits zum zweiten Mal an der Therapie teilnimmt, den Sekten-Charakter der Therapiegruppe. Die charismatische Art des Psychologen Romero dagegen sorgt dafür, sich doch ein wenig mit ihm zu identifizieren wie mit einer Vaterfigur, was den Zuschauer dann in die Therapie mit einbezieht. Den interessantesten Charakter hat aber allerdings Gabi, die fast immer abwesend wirkt und kaum einen Ton von sich gibt, zum Ende hin aber zu einer Art Racheengel mutiert, die zwar eine finale tödliche Kettenreaktion auslöst, sich selbst aber nicht zu wahllosem Töten hinreißen lässt.
Alles in allem ist "Die totale Therapie" eine gelungene, schwarzhumorige Farce auf die Therapiewut in unserer Gesellschaft und deren Ausnutzung. Der Film wirkt dabei selbst stellenweise wie eine abstruse Therapie, die den Zuschauer zur Auseinandersetzung mit sich und seiner Umwelt anregt, dabei aber auf einfache Antworten – oder überhaupt auf Antworten – verzichtet, sondern diese vielmehr noch persifliert. Das abschließende Gemetzel, das sicher nicht jedermanns Sache sein dürfte, sorgt dabei für eine gesellschaftliche Untergangsstimmung, die selbst die meisten modernen Horrorfilme missen lassen. Es ist allerdings schwer, den Film in ein Genre-Raster einzuordnen, weshalb meine abschließende Empfehlung ist: Jeder aufgeschlossene Filmfan, der sich für Filme und Filmkonzepte jenseits der ausgetretenen Pfade interessiert, sollte einen Blick riskieren. Eine Teilnahme an der Therapie erfolgt allerdings auf eigene Gefahr.
Bei Epix Media ist die DVD mit deutschem Stereo-Ton und anamorphem Widescreen-Bild erschienen. Als Extras gibt es einen aufschlussreichen Audiokommentar des Regisseurs, ein kurzes Making-of und einige geschnittene Szenen. Warum man allerdings die letzten beiden Features nicht bildschirmfüllend, sondern nur in einem kleinen Ausschnitt zu sehen bekommt, ist mir ein Rätsel, denn so verkümmert die Freude über diese Extras wieder ein wenig.
- Redakteur:
- Andreas Fecher