Unter Beobachtung (Blu-ray)
- Regie:
- John Crowley
- Jahr:
- 2012
- Genre:
- Thriller
- Land:
- Großbritannien
- Originaltitel:
- Closed circuit
1 Review(s)
06.11.2014 | 18:44Veralteter Möchtegern-Paranoia-Thriller
Bei der Explosion einer Autobombe auf einem Londoner Wochenmarkt werden 120 Menschen getötet. Der vermeintlich Schuldige ist schnell gefunden: Farroukh Erdogan (Denis Moschitto) wird verhaftet und angeklagt, einen terroristischen Akt gegen das britische Volk verübt zu haben. Sechs Monate später wird der Anwalt Martin Rose (Eric Bana) mit der Verteidigung Erdogans beauftragt, nachdem sein Vorgänger Selbstmord begangen hat.
Neben dem öffentlichen Prozess findet allerdings parallel auch eine streng geheime zweite Verhandlung statt, zu der aus Gründen der Staatssicherheit weder Martin noch sein Mandant Zutritt haben. Als Verteidigerin in diesem hochsensiblen Verfahren wird die Juristin Claudia Simmons-Howe (Rebecca Hall) angeheuert, der wiederum jeder Kontakt mit Martin und Erdogan untersagt ist. Doch die beiden Anwälte, die eine gemeinsame Vergangenheit verbindet, vergleichen schließlich trotz aller Verbote ihre Notizen - und dabei kommen sie einer ungeheuren Verschwörung auf die Spur... (Verleihinfo, filmstarts.de)
Filminfos
O-Titel: Closed Circuit (GB 2012)
Dt. Vertrieb: Universal
FSK: ab 12
Länge: ca. 96 Min.
Regisseur: John Crowley
Drehbuch: Steven Knight
Musik: Joby Talbot
Darsteller: Eric Bana (Martin Rose), Rebecca Hall (Claudia Simmons-Howe), Ciarán Hinds (Devlin), Jim Broadbent (Generalstaatsanwalt), Anne-Marie Duff (Melissa Fairbright vom MI-5), Denis Moschitto (Farroukh Erdogan) u.a.
Handlung
120 Menschen kommen in einem Marktgebäude in der Londoner Innenstadt durch einen Bombenanschlag ums Leben. Ein anonymer Anruf führt das Anti-Terroristen-Kommando des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 zur Wohnung von Farroukh Erdogan (Denis Moschitto), der sofort in Sicherheitsverwahrung genommen und als "Rädelsführer" des mehrfachen Mordes angeklagt wird.
Das Verfahren
Da es aber nun um die "nationale Sicherheit" geht, soll der wichtigere, geheime Teil des zweispurigen Justizverfahrens gegen ihn hinter verschlossenen Türen stattfinden, der andere, öffentliche vor Publikum. Merkwürdig, dass sich nach sechs Monaten der Chefverteidiger Erdogans, Simon Fellowes, von einem Dach stürzt - oder wurde er gestoßen?
Wie auch immer: Jetzt soll Martin Rose (Bana) den Job als Verteidiger übernehmen. Für die geheimen Sitzungen sieht die britische Prozessordnung den Posten eines Special Advocate als Verteidiger vor - und diese Dame wird nicht ebenfalls ausgetauscht, obwohl sie es dem Lord Oberrichter nahelegt. Claudia Simmons-Howe (R. Hall) leistet vor dem Richter den Meineid, dass sie den Verteidiger Martin Rose noch nie zuvor privat oder sponstwie verbunden war. Dabei war sie die leidenschaftliche Affäre, die seine Ehe mit Elizabeth zum Scheitern verurteilte. Vielleicht wurde er genau deshalb ausgewählt.
Alles top secret?
Zunächst versuchen sich Martin und Claudia an die rigiden Regeln des Geheimprozesses zu halten. Ein Mann vom Geheimdienst MI-5 übergibt Claudia die Top-Secret-Akten, aber sie weiß nicht, was da alles schon weggelassen worden ist. Außerdem darf sie nur den Dienst-Laptop benutzen. So kann sie leicht überwacht werden - auch per versteckter Videokamera. Dass ihr Handy ebenfalls angezapft worden ist, ahnt sie (noch) nicht. Dass nicht alles koscher ist, ahnt sie jedoch, als der Gefangene vor ihren Augen erbricht, weil er schlechtes Knast-Heroin konsumiert hat. Wer hat es ihm gegeben? Und wer hat das Schloss an ihrer Bürotür ausgewechselt?
Auch Martin hat einen "Betreuer". Devlin (Hinds) tut leutselig, und anfangs vertraut ihm Martin auch. Doch dann lernt Martin die amerikanische Journalistin Joanna Reece (Stiles) kennen, die für die "New York Times" berichtet. Bei ihrem konspirativen Treffen im Park erfährt er, für wen Erdogan wirklich arbeitet und dass er schon 2008 in Deutschland tätig war. Wer hat ihm das Flugticket, den Luxuschlitten - einen Mercedes - und die Wohnung im teuren London besorgt? Am nächsten Tag ist Reece mausetot.
Spätestens jetzt wird Martin klar, dass auch Claudia, die er immer noch liebt, in zunehmender Gefahr schwebt. Sollen sie beiden enden wie einst Simon Fellowes, der vom Dach fiel? Sie sind beide kompromittiert: Der Generalstaatsanwalt weiß von ihrer Beziehung. Sie müssen einander heimlich treffen: im Wembley-Stadion. Dort überwacht sie doch bestimmt keiner, oder? Falsch gedacht. Es wird ein Geheimtreffen mit weitreichenden Folgen...
Mein Eindruck
Der Originaltitel "Closed Circuit" ist eine doppeldeutige Abkürzung für "Closed Circuit TV", was in Großbritannien heutzutage als Synonym für Millionen von Überwachungskameras steht, die an einen "geschlossenen Kreislauf" (daher "closed circuit") angeschlossen sind. Immer wieder werden daher Überwachungsvideos eingeblendet, meist vier oder sechs Bilder auf einem Bildschirm. Nach einer Weile hat sich der Zuschauer an die Vorstellung gewöhnt, dass jedliches öffentliche Leben in der Hauptstadt Großbritanniens der Videoüberwachung unterliegt. Ständig laufen Polizisten mit Maschinenpistolen durchs Bild.
Wortspiel
Die zweite Bedeutung von "closed circuit" hat direkt etwas mit dem Verlauf der Handlung zu tun. Was Martin entdeckt, ist eben so ein "closed circuit" unter den Drahtziehern und Veranstaltern des Geheimprozesses. Da wirkt es auf ihn - und uns - wie blanker Hohn, wenn der britische Generalstaatsanwalt (der wunderbar ironische Jim Broadbent), der ihn rekrutiert, Elogen darüber hält, wie fair und transparent das Verfahren gegen den mutmaßlichen Terroristen sei. Schon während der Abspann läuft, erntet dieser "ehrenwerte Herr" (vgl. Shakespeares "Julius Caesar") für diese Behauptung Spott und Hohngelächter im Unterhaus. Gleich darauf wird sein Rücktritt gefordert - späte Genugtuung für Martin und Claudia.
Beunruhigung
Etwas beunruhigender (aber nicht wirklich überraschend) ist die Entdeckung, dass auch Privatwohnungen derartig überwacht werden. Dazu gehört vor allem das Wohnzimmer in dem "safe house", in dem Erdogans Frau und Sohn untergebracht sind und rund um die Uhr überwacht werden. Auch Claudia ahnt bald, dass nicht nur ihr offizielles Büro dem MI-5 offensteht und sie beobachtet wird. Auch die penibel geordneten Bücher in ihrem Regal sind in Unordnung geraten. "Sollten wir wirklich paranoid werden?" fragt sie Martin empört. Die Antwort lautet offensichtlich "ja", doch sie will sie nicht hören. Ihren stärksten Auftritt hat sie (und somit R. Hall), als sie Melissa vom Geheimdienst vor dem Richter bloßstellt.
Verstörung
Gegen Schluss passiert etwas, das wir bisher noch nicht gesehen haben: einen schwarzen Bildteil, wo eigentlich das Überwachungsvideo Erdogans Zellentür zeigen sollte. Etwas muss schrecklich schiefgegangen sein - und es ist wahrscheinlich nicht die Technik. Denn kurz zuvor hat Claudia die MI-5-Leiterin des Erdogan-Falles mit den peinlichen Erkenntnissen konfrontiert, die sie von Martin im Stadion erhalten hatte. Alles hängt mit allem zusammen, auch wenn die Verschleierungstaktik der Prozessordnung alles unter der Decke halten soll.
Paranoia
Der Regisseur gibt es in der kurzen Featurette unumwunden zu: Dieser Verschwörungsthriller steht eindeutig in der Tradition der großen Klassiker des amerikanischen Paranoia-Kinos. Er ist Coppolas Abhörkrimi "Das Gespräch" ebenso verbunden wie Lumets "Drei Tagen des Condor". In beiden Filmen spielen Überwachungstechniken eine wichtige Rolle. Sie wirken zwar heute angesichts der NSA-Affäre, in die auch der britische Geheimdienst GCHQ verwickelt war, vorsintflutlich, doch ihre menschliche Seite ist immer noch gültig. Wie stellt man es an, unter dem Gefühl des Gejagt- und Oberserviertwerdens einen klaren Verstand zu behalten und nicht völlig durchzudrehen? Antwort: Der Gejagte muss zum Jäger werden. Martin und Claudia tun das nicht. Das könnte auf manchen Zuschauer, wie mich, enttäuschend wirken.
Umsetzung
Kaum auszudenken, was für einen hammerharten Thriller ein Amerikaner aus diesem brisanten Sujet gemacht hätte! Eric Bana ist ein Robert-Redford-Verschnitt, der seinem Vorbild nicht das Wasser reichen kann. Und die arme Rebecca Hall muss, statt ihm wie einst die fabulöse Faye Dunaway beizustehen, solange ahnungslos in die Augen schauen, bis er kommt, um sie vor den bösen Jungs zu retten, die schon rechts und links lauern. Beide Figuren sind von Klischees umzingelt. Dass "Martin Rose" ein Kanuruderer ist, ist noch das Authentischste an seiner Figur.
Dass es auch noch einen Kronzeugen vor der Liquidierung zu retten gilt, ist nobel, trägt aber nichts zur eigentlichen Handlung bei. Nur dass ein paar Leute, die dem MI-5 verbunden sind, ausgetrickst werden, fand ich nett. Die finale Verfolgungsjagd wirkt nicht ganz glaubhaft, denn es fehlt der ernstzunehmende Gegenspieler.
Die taffe Blondine vom Geheimdienst konnte ich von vornherein nicht ernstnehmen. Vielleicht weil sie eine Frisur trägt, die offenkundig eine bescheuert aussehende Perücke ist (in der Partyszene trägt sie eine viel kürzere Perücke). Deutet dies auf eine unterschwellige Absicht des Regisseurs hin, ihre zentrale Figur der Lächerlichkeit preiszugeben? Diese mögliche Absicht geht nach hinten los. Wenn sich die Gefahr als Papiertiger entpuppt, verpufft nämlich die Paranoia, die geschürt werden soll.
Die Blu-ray
Technische Infos
o Bildseitenformat: 16:9 - 1.78:1
o Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch in DTS-HD 5.1
o Untertitel: Deutsch, Englisch, Französisch, Dänisch, Finnisch, Norwegisch, Schwedisch
Extras der Presse-Disc:
- Featurette
Mein Eindruck: die Blu-ray
Die Qualität von Bild und Ton der Blu-ray ist erwartungsgemäß ausgezeichnet. Das kann man von der deutschen Synchronisation keineswegs behauptet. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass sie die Aussage des Originals unzulässig verfälscht. Wer die deutschen Dialoge mit den Untertiteln vergleicht, wird sich die Augen reiben: Kaum ein Wort stimmt überein. Und dabei zensieren die Untertitel sogar noch das britische Original. Nie hört man "Martin Rose" fluchen, wie er es im Original tut. Fazit: Hat hier der MI-5 zugeschlagen?
Der Sound des Originals ist der deutschen Tonspur weit überlegen. Vor allem die Bässe der Musik sind viel kräftiger. Noch erstaunlicher ist die Entdeckung, dass die Stimmen aller Schauspieler, selbst die der Frauen, mindestens einen Halbton tiefer sind und sie ernster und ernstzunehmender erscheinen lassen. Wie so häufig ist es also bei der Synchronisation durch das Overdubbing zu einer Verfälschung des Tons gekommen. Wer kann, sollte sich also unbedingt den Film mit englischen Untertiteln anschauen. Man sieht - und hört - den Film mit anderen Augen und Ohren.
EXTRAS
1) Featurette (3:44 min)
Dieser kurze Beitrag will dem Zuschauer weismachen, dass es sich bei diesem Film um ein geniales Meisterwerk mit höchst verdienstvoller Aussage handle. Darüber kann nur den Kopf schütteln, denn inzwischen hat sich die Welt doch eine ganze Ecke weitergedreht. Jeder weiß über NSA und GCHQ Bescheid, und selbst die Mini-Serie "Secret State" mit Gabriel Byrne (s. meinen Bericht) war vor zwei Jahren schon weiter in der Aussage. Der Regisseur, die beiden Hauptdarsteller - und natürlich Londons Silhouette sollen dennoch den Wert des Films belegen. Eigentlich handelt es sich um einen aufgeblasenen Trailer.
Auf der Kaufversion kann sich weiteres Material befinden.
Unterm Strich
Vor drei Jahren wäre dieser Möchtegern-Paranoia-Thriller noch ein richtiger Augenöffner gewesen. Die umfassende Überwachung durch den GCHQ und die NSA sind allerdings durch Edward Snowden derart allgemein publik gemacht worden, dass die eine Hälfte des Films nur noch Gähnen statt Verfolgungswahn hervorruft.
Also muss es die andere Häfte der Handlung herausreißen: das Zusammenspiel von beruflichem Agieren und privatem Poussieren. Das Sonderbare an dem weiterhin romantischen Treiben der beiden Anwälte, die eigentlich von Gesetzes wegen jeden Kontakt vermeiden sollten, besteht darin, dass hier die Paranoia, die sie entwickeln, keine Rolle spielt. Das Vertrauen zwischen ihnen besteht weiterhin. Okay, es gibt natürlich Momente des Zweifels, aber die bestehen immer nur auf Claudias Seite, die alles "richtig" machen will, obwohl sie von A bis Z manipuliert wird.
Diese Inkonsequenz ist allerdings nötig, um die positive Kraft des Vertrauens gegen die Schurken im Stück ausspielen zu können. Nur so gelingt es Claudia und Martin, dem Geheimdienst zu entkommen und dem Kronzeugen zur Flucht zu verhelfen. Was die beiden Hauptdarsteller daran hindert, ihre oftmals unter Beweis gestellten Fähigkeiten auszuspielen, ist das harmlose und zahnlose Drehbuch. Sie dürfen einander nicht in die Arme nehmen, geschweige denn küssen. Ganz so, als legten sie einander ihren Gefühlen Ketten an. Haben sie Orwells Big Brother bereits verinnerlicht? Deshalb schauen sie sich selbst im Gerichtsgebäude Old Bailey nicht mehr nach Kameras und Mikrofonen um...
Auch dem Regisseur bzw. Kameramann fielen keine markanten Bilder außer den wohlbekannten Postkartenansichten von London, dem Parlament und dem Wembley-Stadion ein. So bleibt reichlich wenig in Erinnerung außer der Kathedrale der Gerechtigkeit, dem pompösen Old Bailey, das innen wirklich wie eine heilige Halle aussieht. "Die 3 Tage des Condor" habe ich hingegen mindestens ein halbes Dutzend Mal angeschaut. Davon kann "Unter Beobachtung" nur träumen.
Die Blu-ray
Die Blu-ray ist technisch in Ordnung, aber das fast völlig fehlende Bonusmaterial - die Kaufversion kann Trailer usw. enthalten - lässt den Verdacht aufkommen, dass hier ein interessanter Film mit sträflicher Nachlässigkeit auf den Markt geworfen wird. Eine kriminelle Verschwendung für teure und gute Darsteller wie Broadbent, Bana, Hall, Stiles und vor allem Ciaràn Hinds, der es sogar in "Game of Thrones" geschafft hat und der hier unter Wert verkauft wird. (Ein weiterer Game-of-Thrones-Darsteller tritt als Martins Sohn Tom auf. In der Serie tritt er als Bran Stark auf.)
- Redakteur:
- Michael Matzer