Von Sibirien nach Japan
- Regie:
- Klaus Scherer
- Jahr:
- 2007
- Genre:
- Dokumentarfilm
- Land:
- Deutschland
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10.07.2007 | 11:32Klaus Scherer arbeitete lange Jahre als Asien-Berichterstatter für die ARD und steuerte zahlreiche Dokumentationen und Reportagen über den östlichen Kontinent zum Programm des öffentlich-rechtlichen Senders bei. Künftig wird er als Korrespondent in Washington tätig sein und von dort aus eher in die politische Ebene übersiedeln, was jedoch angesichts toller zeithistorischer Dokumente wie der noch zu Ostern ausgestrahlten, zweiteiligen Reihe “Von Sibirien nach Japan“ sehr, sehr schade ist. Was er hier gemeinsam mit dem Team des NDR und anschließend mit dem Studio Hamburg erstellt hat, kann man wohl getrost als einen der bildgewaltigsten, ursprünglichsten und faszinierendsten Berichte bezeichnen, die in den letzten Monaten über die Mattscheibe geflimmert sind. Kein Wunder also, dass die ARD das Ganze noch einmal für die Nachwelt auf einer DVD festgehalten hat.
Scherer startet seine mehr als 4000 Kilometer weite Reise auf der sibirischen Halbinsel Kamtschatka inmitten eines verlassenen Fischerdorfes, welches gleichzeitig auch die Station mit den widersprüchlichsten Kontrasten darstellt. Der Regisseur trifft auf verarmte, aber dennoch lebensmutige Arbeiter, die in einer abgeschiedenen 250-Seelen-Gemeinde ums nackte Überleben kämpfen und ihr Geld aus illegalem Lachshandel mit der Mafia und ausschließlich mit dem Verkauf des Fisches verdienen. Letzterer ist neben Wodka auch gleich das Hauptnahrungsmittel – doch dies erlebt Scherer nicht nur zum Auftakt seiner Reise durch Ostasien. Dennoch sind die Bilder des Dorfes, das die Nachwirkungen des Stalinismus widerspiegelt, teilweise erschreckend, vor allem vor dem Hintergrund der durch Tanz und Frohsinn überspielten Armut, der als prägender Eindruck zurückbleibt.
Der Treck zieht mit dem Hubschrauber weiter auf die Mitte der Insel, vorbei an der gewaltigsten Vulkanlandschaft der Region hin zu einem Volk Rentiernomaden, die bereits seit Generationen ihr Leben als Wanderhirten bestreiten. Auch hier scheint Scherer überrascht vom großen Humor der Nomaden, die sich mit ihrem bescheidenen Leben zwar nicht immer zufrieden geben, es aber einem Leben in der Stadt deutlich vorziehen – ohne es je kennen gelernt zu haben. Über den Mittelpunkt der Insel, der Hauptstadt von Kamtschatka führt der Weg zu einer Gruppe von Rangern, die meist monatelang ihre Familien zurücklassen und als Naturschützer im Kurilensee den regulären Lauf der Natur beschützen. Man erblickt jagende Bären, die hier Zaun an Zaun mit den Rangern leben und das einsame Leben in vollen Zügen genießen, wobei das abendliche Glas Wodka nicht fehlen darf. Nirgends auf der Insel ist das russische Nationalgetränk nicht vorhanden; selbst die ärmsten Völker und Bewohner genehmigen sich ihren regelmäßigen Schluck, der ihnen über den meisten Frust hinweghilft.
Viel depressiver ist indes die Stimmung auf dem zweiten Teil der Reise, der Scherer über einen U-Boot-Hafen langsam, aber sicher auf die japanische Halbinsel führt. Der Reporter entdeckt letzte Spuren des Zweiten Weltkriegs, verlassenes Kriegsgeschirr, aber auch einen Mord an einem Fischer, der die Stimmung im Hafen des japanischen Nordens mächtig trübt. Ein Schiffsfriedhof ziert das Bild der Trauer und ergänzt die vielen skeptischen Berichte der Einwohner. Das Debakel wird sogar noch verheerender, als der Trupp in einen gefährlichen Taifun gerät, der das Team nahe den nebelverhangenen Kurilen überrascht und Scherer und Co. kurz vor Ende der Reise noch einmal mächtig aufwühlt. Dennoch dürfte dem Mann die Heimreise schwer gefallen sein. Die Erlebnisse haben sich eingeprägt, die Menschen hat man in sein Herz geschlossen, die beklemmende Atmosphäre der Inseln indes eingeatmet - mit dem Ergebnis, von den Eindrücken und Bildern in überwältigendes Staunen versetzt worden zu sein.
Scherer hat es geschafft, nicht nur Land und Leute, Natur und Menschen sowie Kultur und Konflikte aufzudecken, er hat auch die verschiedensten Wesensarten der Kurilen sowie den anhaltenden Streit um den Besitz der mittlerweile von Japan unfreiwillig abgetretenen Inseln von beiden Seiten dokumentiert und dabei ein Bild gezeichnet, dass nicht authentischer sein könnte. Man fühlt mit den armen Fischern im Norden Kamtschatkas, trauert mit der Witwe des erschossenen Seemanns, fühlt mit den skeptischen Bewohnern der südlichen Inseln, beneidet die Ranger um das urtümliche Leben in der Wildnis und lauscht begeistert den Worten des letzten verbliebenen Häuptlings der japanischen Ureinwohner.
Nach knapp zwei Stunden wurde nicht nur umfassendes Wissen vermittelt, sondern auch eine Vorstellung von einem Landstrich und dem darauf befindlichen Leben kreiert, von dem hierzulande kaum etwas bekannt ist. “Von Sibirien nach Japan“ ist eine fesselnde Dokumentation über die natürliche Urigkeit eines vergessenen Paradieses, berichtet aus nächster Nähe und von Volkes Stimme. Ich hätte mir vorab nie vorstellen können, dass eine TV-Dokumentation alleine wegen der bildgewaltigen Aufnahmen den Willen auslöst, sie direkt noch einmal anzuschauen – nun scheint mir das beinahe selbstverständlich. Toll, was dieses Team hier festgehalten hat, toll, dass die ARD es auch in digitaler Form festgehalten hat.
Mehr Infos unter http://www.vonsibiriennachjapan.de
- Redakteur:
- Björn Backes