letzte Nacht der Titanic, Die
- Regie:
- Roy Baker
- Jahr:
- 1958
- Genre:
- Drama
- Land:
- Großbritannien
- Originaltitel:
- A night to remember
1 Review(s)
26.07.2005 | 09:17Katastrophen-Epos der erbaulichen Art
Die "Titanic" kollidiert in der Nacht des 14. April 1912 mit einem Eisberg. Obwohl das Schiff von den Medien für unsinkbar erklärt worden ist, tritt durch einen hundert Meter langen Riss unter der Wasserlinie so viel Wasser ein, dass das Schiff verloren ist. Noch eineinhalb Stunden, bis es endgültig im eisigen Atlantik versinkt. Gibt es Rettung für die 2200 Menschen an Bord?
Filminfos
O-Titel: A night to remember (GB 1958)
Verleih: epix.de; VÖ: 17. März 2005
FSK: ab 16 (!)
Länge: 121 Minuten
Regisseur: Roy Baker
Drehbuch: Eric Ambler, nach dem Buch von Walter Lord (1955)
Musik: William Alwyn
Kamera: Geoffrey Unsworth
Darsteller: Kenneth More (Lightoller), Honor Blackman (Mrs Liz Lucas) u. a.
Handlung
Am Sonntag, dem 14. April 1912, ist die "Titanic" fast mit Höchstgeschwindigkeit auf dem Weg von Irland nach New York City. Diese Höchstgeschwindigkeit ist ziemlich erstaunlich, denn ihr Funker hat mehrere Warnungen vor Treibeis erhalten, ja, der Dampfer "Californian" hat sogar vor einem Packeisfeld gestoppt und die heranstürmende "Titanic" davor gewarnt. Doch durch Schlamperei gerät der wichtige Funkspruch in den Stapel für erledigte Sendungen und wird vergessen. Der Funker ist derart damit in Beschlag genommen, die banalen Sendungen der über 300 hochwohlgeborenen Ersterklassepassagiere abzuschicken, dass er keinen Gedanken daran verschwendet, dass er ja auch selbst einmal Sendungen empfangen könnte, die wichtig sind.
Nachdem die "Californian" sich ihrer Pflicht entledigt hat, geht ihr einziger Funker zu Bett. Nachdem er den Strom für sein Funkgerät abgeschaltet hat. Die "Californian" ist nur etwa zehn Seemeilen (18,52 km) von der "Titanic" entfernt, als diese trotz der Eiswarnungen zu dicht an einen der weit südlich Eisberge gerät. Trotz sofortigen Ausweichmanövers wird ihr Rumpf unter der Wasserlinie auf rund hundert Metern Länge wie eine Konservendose aufgeschlitzt.
Als sich der Konstrukteur des Luxusdampfers den Schaden besieht, muss er dem Kapitän und dem Vertreter der Reederei eine traurige Mitteilung machen: Dieses Schiff wird sinken. Es bleiben noch etwa eineinhalb Stunden, um die Passagiere in Sicherheit zu bringen. Der konsternierte Kapitän lässt seinen Zweiten Offizier Lightoller (Kenneth More) die entsprechenden Maßnahmen in die Wege leiten. Doch es gibt einen Haken: Die Boote reichen laut Vorschrift nur für 1200 der 2200 Passagiere - und wie sich herausstellt, werden die meisten Boote nicht voll besetzt, so dass später nur 705 Menschen überleben.
Während der Versuch, mit der nahen "Californian" zu kommunizieren, zu einem grotesken Fehlschlag nach dem anderen führt - "guck mal, die schießen Raketen ab" -, erreicht der Notruf die "Carpathia". Deren vorbildlicher Kapitän lässt sofort wenden und sämtliche Notfallmaßnahmen einleiten, die notwendig sind, um so viele Menschen zu retten. Der Haken bei dieser Sache: Die "Carpathia" kann erst eintreffen, wenn die "Titanic" schon abgesoffen sein wird. Alle anderen Schiffe sind zu weit entfernt.
Nun liegt es an Lightollers Mannen, so viele Menschen wie möglich zu retten. Der Haken dabei: Passagiere aus dem Zwischendeck gelten offenbar nicht als Menschen. Vielmehr bemühen sich die Stewards nach Kräften, die Gitter, die die Erste und Zweite Klasse vom Zwischendeck abtrennen, so gut wie möglich zu verteidigen und die allmählich in Panik geratende Menge in Schach zu halten, während sich die Herrschaften oben an Deck einschiffen.
Aber auch dort oben geht nicht alles reibungslos vonstatten. Weil nur Frauen und Kinder in die Boote dürfen, gibt es Heulen und Wehklagen, als Familien und Paare auseinandergerissen werden. Schließlich muss Lightoller seine Dienstwaffe abfeuern, um der wachsenden Panik Herr zu werden.
Aber es gibt auch Leute, die die Nerven bewahren. Die Zocker beispielsweise spielen noch bis kurz vor dem Ende der Evakuierung, die Schiffskapelle spielt bis zur letzten Minute, unter anderem das ergreifende Kirchenlied "Nearer, my God, to thee" ("Näher, mein Gott, zu Dir"). Der Bäcker hat ebenfalls die Ruhe weg: Er lässt sich mit bestem Whisky vollaufen, um seine Angst zu betäuben, schaffte es sogar bis in eines der Rettungsboote. Und die legendäre "Unsinkbare Molly Brown" (in Camerons Film von Kathy Bates gespielt) legt wahre Yankee-Initiative an den Tag.
Als das große Sterben beginnt, ist die "Carpathia" immer noch ein paar wenige Stunden entfernt. Und die Brückenwache der "Californian" wundert sich, warum auf dem großen Dampfer dort drüben die Lichter ausgegangen sind. Na, so was. Und das Feuerwerk ist auch vorüber. Irgendwie schade.
Mein Eindruck: der Film
Wer heute einen Film über den Untergang der "Titanic" ansieht, vergleicht ihn unweigerlich mit dem Nonplusultra dieser Verfilmungen, das James Cameron 1996 hingelegt hat. In diesem Vergleich schneidet der Film 1958 natürlich nicht gut ab, aber es liegt nicht an den fehlenden Spezialeffekten. Ganz andere Faktoren spielen eine Rolle.
~ Kein Drama, sondern Episoden-Doku ~
In Camerons Film ist das gesamte Drama auf das zentrale Paar zugeschnitten, das von Kate Winslet und Leonardo DiCaprio gespielt wird. In Roy Bakers Film zerstreut sich das Drama nicht in einem Bündel von Strängen, sondern in Episoden, die so spannungslos wie ein ausgeleierter Gummi sind. Nicht einmal unser Held, Offizier Lightoller, hat einen konkreten Widersacher. Er hat lediglich des wachsenden Chaos Herr zu werden.
~ Die Menge als Held ~
Folglich ist die Menge der Held, und das ist in dramaturgischer Hinsicht eine sehr riskante Sache. Denn allein schon der Blick des Zuschauers, der am Geschehen emotional Anteil nehmen soll, setzt voraus, dass die Passagiere so etwas wie eine Schicksalsgemeinschaft bilden, sobald sie sich ihrer prekären Lage bewusst geworden sind.
Leider wird dieses Bewusstsein kaum jemals aus den dargestellten Figuren ersichtlich, sondern nur anhand der ihnen aufprojizierten moralischen Werte. So soll es beispielsweise für jeden moralisch aufrechten Mann eine Selbstverständlichkeit sein, dass er heldenmütig in den Tod geht, damit Frauen und Kinder überleben können. Das trifft vielleicht für ein paar Offiziere und einige Passagiere der Ersten Klasse wie Sir Richard und Mister Guggenheim ("Haltung!") zu, doch beileibe nicht für die armen Leute aus dem Zwischendeck. Offenbar wird von ihnen gar kein moralisch einwandfreies, zivilisiertes Verhalten erwartet. Typisch ist das Verhalten des Bäckers. Nichts liegt ihm ferner, als Verantwortung zu übernehmen: Er besäuft sich, ganz allein in seiner Kabine, und lässt sich anschließend mit dem Pöbel treiben. Nur blanker Dusel verhilft ihm zum Überleben. Wer hingegen die volle Verantwortung übernimmt, sind der Kapitän und der Konstrukteur Andrews. Hut ab!
Relikte zivilisierten Verhaltens sind Gebete, Kirchenlieder und - nach der Rettung - ein Gottesdienst. Nachdem Lightoller gerade gesagt hat, dass für ihn fortan nichts mehr in der Welt sicher sein werde, erscheinen diese Gesten, so ergreifend sie auch sein sollen, lediglich als das Äquivalent zum Pfeifen eines Kindes im Dunkeln.
~ Der Zweck des Films ~
Wozu der Film gemacht wurde, wird erst am ganz am Schluss klar gemacht. Eine Texttafel klärt uns darüber auf, dass dies 1500 Toten nicht umsonst gestorben sind, sondern dass danach Maßnahmen eingeführt wurden, um eine Wiederholung auszuschließen. Das hilft den Toten nicht mehr, denn mindestens 500 von ihnen hätten eine Überlebenschance gehabt, wenn die Reederei ihre Pflicht getan hätte. Für sie hätten die Boote - theoretisch zumindest - gereicht. Aber die ungeschulte Besatzung hätte sie gar nicht alle zu Wasser lassen können - so viel macht der Kommentar im Bonusmaterial deutlich. Wieder einmal fielen der Profitgier (der Schiffahrtslinieneigner) Menschen zum Opfer. Ob der erbauliche Streifen die Briten nach Jahren der Lebensmittelrationierung zum Durchhalten gebracht hat, ist leider nicht überliefert.
Schade, dass die Gerichtsverhandlung nicht gezeigt wird (so wie bei der "Meuterei auf der Caine"). Deshalb muss man in das Bonusmaterial schauen und sich dort unter "Chronologie" die Fakten zusammenklauben. Unter anderem wurde 1912 der Kapitän der "Californian", Stanley Lord, wegen unterlassener Hilfeleistung beschuldigt. Ob man ihn verurteilt hat, ist dort allerdings nicht angegeben. Auch nicht, ob er mit dem Buchautor Walter Lord verwandt war.
~ Die Schauspieler ~
Kenneth More ist als Offizier Lightoller natürlich der Held des Streifens. Er steht im Mittelpunkt der dramatischsten Szenen, quasi als Fels in der Brandung, ein Fundament der Zivilisation. Doch von der in den Biografien erwähnten Honor Blackman, die später in "Goldfinger" als "Pussy galore" Furore machte, konnte ich nichts entdecken. Es sei denn, ich unterliege dem Irrtum, ihre Figur der Mrs. Liz Lucas für die "unsinkbare Molly Brown" zu halten, die wohl die mit Abstand stärkste Frauenfigur des Films.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 16:9, 1,66:1
Tonformate: DD 2.0
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D
Extras:
- Animiertes Menü im Zeitungsdesign mit Film-Insert
- US-Trailer
- UK-Trailer
- Biografien von: Kenneth More (1914-82), Honor ("Goldfinger") Blackman, Geoffrey ("2001 - Odyssee im Weltraum") Unsworth.
- Artworks: zwei Filmplakate
- Chronologie (der Ereignisse)
- Technische Daten der "Titanic"
- Trailershow: Themroc; Nói Albinói; Der Tango der Rashevskis; Ausweitung der Kampfzone; Clubland; Die Rebellen vom Liang-Shan Po (1. Staffel); Ich, Claudius; Die Tunderbirds (TV-Serie); U.F.O. (TV-Serie).
Mein Eindruck: die DVD
Der Sound entspricht dem Zweikanal-Klangstandard Dolby Digital 2.0, obwohl er mir oft genug als Mono vorkam. Das Bild zumindest ist einwandfrei und gibt keinen Anlass zu Klagen. Diese Fassung ist angeblich die erste vollständige deutsche Fassung, doch an englischen Passagen war nur eine Szene - die mit dem Glücksschwein - zu entdecken. Es ist ratsam, durchgehend die deutschen Untertitel einzuschalten, den die Diskrepanzen zur deutschen Synchronisation sind beträchtlich und nicht selten in krassem Widerspruch dazu. Das spielt bei einem so penibel recherchierten Film keine untergeordnete Rolle, so etwa dann, wenn es um die Schuldfrage geht.
Als ich das Bonusmaterial durchstöberte, war ich ziemlich schnell ernüchtert. Die mageren Texttafeln mit Biografien, Chronologie und den technischen Daten des Schiffs entsprechen nicht dem Standard, dem auch die DVD mit einem Klassiker wie diesem Film genügen muss. Von dem einstündigen Making-of der britischen Import-DVD findet sich ebenso wenig eine Spur wie von dem Audiokommentar der US-DVD, den immerhin kompetente Titanic-Experten verfasst haben. Wieder einmal wurde die Gelegenheit verpasst, dem deutschen Zuschauer wertvolle Einblicke in a) die Katastrophe und b) die Entstehung des Films zu gewähren. Ausweichen auf die DVD der Cameron-Verfilmung ist also ratsam.
Unterm Strich
Diese Verfilmung der größten Schiffskatastrophe in Friedenszeiten gehört zu den sachlich genauesten. Sie geht ziemlich penibel der Schuldfrage nach, weist eindeutige Unterlassungen nach und zeigt Vorbildliches auf. Darin legt der Film schon fast dokumentarischen Charakter an den Tag. Daher verblüfft es den Kenner, dass das Heck der "Titanic" in dieser Version nicht abbricht - entgegen den Angaben in der Chronologie (siehe Texttafeln). Cameron ist in dieser Hinsicht historisch genauer, so sehr das angesichts seines Schmachtfetzens verblüfft.
Die DVD verschenkt wieder mal eine gute Gelegenheit, den Film ebenso wie die Hintergründe der Katastrophe dem heutigen Zuschauer näher zu bringen. Material dafür gäbe es genug (siehe oben). So aber wird der Käufer mit Alibi-Material sowie jeder Menge Werbung abgespeist. Schade drum! Warum die DVD hierzulande eine Altersfreigabe ab 16 bekommen hat, ist mir völlig schleierhaft. Weder Gewalt noch Erotik sind festzustellen, und ohne Weiteres würde ich den Streifen einem Zwölfjährigen in die Hand drücken. Hat am Ende der besoffene Bäcker durch sein schlechtes Beispiel doch noch Unheil angerichtet?
- Redakteur:
- Michael Matzer