PAATOS - Silence Of Another Kind
Mehr über Paatos
- Genre:
- Melancholic Postrock
- Label:
- InsideOut Music / SPV
- Release:
- 19.05.2006
- Shame
- Your Misery
- Falling
- Still Standing
- Is That All?
- Procession Of Fools
- There Will Be No Miracles
- Not A Sound
- Silence Of Another Kind
Die Stockholmer Musiker von PAATOS (Petronella Nettermalm: Gesang, Cell; Ricard Huxflux Nettermalm: Schlagzeug, Percussion; Stefan Dimle: Bass; Johan Wallén: Tasteninstrumente; Peter Nylander: Gitarre) haben mit Timeloss" (2002) und "Kallocain" (2004) bereits zwei progressive Werke atmosphärisch angelegter Musik veröffentlicht. Nun folgt mit "Silence Of Another Kind" das dritte Album. Ein neues Kapitel wird aufgeschlagen. Man schreibt trotzdem weiter an einer unendlichen Geschichte namens Post Rock; wo die alten Konventionen des Rock, auch des progressiven, kaum noch Bestand haben; wo Elemente aus Ambient Music, TripHop und Jazz gleichberechtigt neben sinfonischen Elementen jenseits der Klassik und tiefsinniges Songwriting gleichberechtigt neben filigraner Komposition stehen, wo man sich vor Popmusik nicht mehr scheut, ohne deshalb gleich Popularität suchen zu müssen.
PAATOS ist mit "Silence of another kind" Großes gelungen: Die Fortsetzung eines eigenen Stils (irrlichternd, verwittert und frisch zugleich), das Anknüpfen an den bestechenden Vorläufer "Kallocain"; das Aufgreifen und Weiterschreiben von dessen Grundstimmung; das Überführen seiner oftmals bewusst zerfahrenen, verstrickten, doch zumeist auch unaufdringlichen Innerlichkeit in eine andere Qualität; die Entwicklung einer neuen Klangfarbe: "Silence Of Another Kind" klingt gleichförmiger, ausgestrichener, gedämpfter, zugleich aber auch auf hintergründigere Art beunruhigender, lauernder, verstörender. Was sich zunächst als harmloser Ambientteppich übers Gehör legt, erweist sich bei genauerem Hinhören nämlich als emotionale Schneedecke aus scharf geschnittenen Eiskristallen. Stellenweise haben sich neben die für PAATOS typischen, eindrücklichen Cellopassagen nämlich auch rauere Gitarrentöne gesellt, freilich stets songdienlich eingebettet in den Gesamtklang. Gitarrist Peter Nylander führt dies auf das Tourerlebnis des Jahres 2004 zurück, wo PAATOS mit THE GATHERING unterwegs waren; die Promoagentur legt eine geschmackliche Schnittmenge der Hörerschaft mit GREEN CARNATION nahe.
Für mich liegt der Vergleich mit PORTISHEAD nahe, wobei "Silence Of Another Kind" deutlich weniger beat-orientiert daherkommt, sich mit seiner Melancholie eher zur Hintertür reinschleicht, warmer und weicher ausgestaltet wurde sowie allgemein organischer klingt, was Keyboarder Johan Wallèn auf den Aufnahmeprozess zurückführt; denn die Band komponierte die zuvor geschriebenen Stücke oft in mehrstündigen Sessions unter Einbeziehung von Improvisationen zu Ende und nahm dann Schlagzeug, Bass und Keyboard in einer weiteren Session auf. Die Band produzierte das Album selbst, und für die Abmischung wurde auf analoges Gerät zurückgegriffen.
"Silence Of Another Kind" verbreitet ein nächtliches Flair voller Melancholie, mit allem, was daran hängen mag: Wehmut und Beruhigung. Baldrian und Wermuth. Würfelzucker und Arsen. Abendstimmung, nachtdurchwachter Gedankenstrom. Und morgens: Grauen. Schlaflosigkeit im Dämmerzustand. Eine andere Art der Stille.
Doch zunächst ist da ein abrupter Einstieg mit 'Shame': Ein stolpernder Rhythmus. Eine lammfellweiche Stimme. Sie zieht dir die Wolle über den Kopf, im akustisch sanftmütigen Blutstrom: "Whole nations mutilated, and slaughtered one by one." Die Lämmer schweigen, und Pax Romana ordnet die Welt. Jazzige Adern ziehen sich fein durch die ruhig dahinebbende Musik, dargeboten mit durchweg seelenruhiger Selbstverständlichkeit. Diese wird dem Album selbst noch im schwermütigsten Moment erhalten bleiben. Facettenreich reiht die Band stimmungsvolle Klänge aneinander, nein, verwebt sie miteinander, düsteren Spheric Rock, Mellotron-Symphonic, nordische Folklore (in Andeutungen) und jazzige Tupf-Rhythmen. Streicher, Gitarren und Synthies legen sich filigran und zerbrechlich wie blätternde Eisschichten übereinander und verschmelzen, und darüber schwebt der teils feenhaft dahinschreitende Gesang von Petronella Nettermalm, welcher mich im Stück 'Your Misery' zu einem schwummrig-langsamen Basslauf, bedeckt wolkenverhangenen Gitarrenklängen und lethargischem Schlagzeugspiel auf jazz-poppige Weise an SKYE EDWARDS (ex-MORCHEEBA) erinnert; scheinbar harmlos, staubig-plüschig, stiehlt sich dieser Song für blaue Stunden ins Ohr. Wenn die Sängerin bei bei 'Falling' Impressionen wie "the Sea is full of rage" säuselt, dann klingt dieser Fall mehr nach einem Abgleiten als nach einem urplötzlichen Sturz, und ihr "a place we swore to protect" viel eher nach einem heimlichen Rückzugsort als nach einer waffenstarrenden Bastion, nach einer Nische außerhalb der Zeit, in der dennoch – oder deswegen? – keine echte Behaglichkeit aufkommen mag, dann bleibt selbst in schwelgerischer Melodieseligkeit eine unterschwellige Melancholie präsent. Im Gegensatz zum Vorgänger wabert sich dieses Stück jedoch schon etwas zu gleichmütig und wiederholend durch selbstverlorene fünf Minuten; da braucht es neben der passenden Grundstimmung auch viel Geduld, um den Song nicht so gleichgültig an sich vorbeiziehen zu lassen wie Aufzugmusik. 'Still Standing' dagegen tickert sich sanft rührig ein, lässt einen unterstörmigen, valiumgedämpften Schummerbass Marke PORCUPINE TREE die ungewisse Grundlage bilden, um darüber dann progressiv sein Zelt aus sehnsüchtelndem Gesang, traurigen Streichern und anschwellendem Gitarrenstrom aufzufalten – und wieder zu – und wieder auf – keineswegs mutlos, doch eben in einer leicht bedrohlich wirkenden Ungewissheit schwimmend: ein stilles, fragwürdiges Stück von unscheinbarer Größe.
Mit 'Is That all?' folgt zur Mitte hin, als ein langsamer Fluss, in ruhiger, weiter Biegung, gemächlich und tief, erdrückende Fluten führend, einer der beeindruckendsten Tracks des Albums: Verschlungen und unermesslich, gleichförmig dahinströmend, sich durch dramatische Wendungen wälzend. Einerseits ist das Stück zum Dahinschmelzen schön, sanft, verträumt … Andererseits ein Tauchzug durch luftabdrückende Fragen, noch nicht hysterisch zwar, aber bestimmt schon beunruhigt. Eine gewisse Beklemmung setzt ein, noch ohne dass man so recht wüsste, warum; und dann setzt dieser warme, schwimmende, traurige, drückende Bass ein, und spätestens dann steht fest: Es wird doch wieder ein melancholisches Stück werden; wie dann zart und metallisch die Schlagzeugteller hinzukommen, wie die Gesangstimme einen leicht hysterischen Anflug (bloß angedeutet) erhält, wie sich das Stück langsam weiterbewegt, durch eine vorsichtige Dramatik gleitet, all das macht es flüchtig und ängstlich und schwelgerisch zugleich; ungreifbar, abgründig, mondlichten, silbrig, schwebend, beängstigend filigran. Der unterschwellig dumpf wirbelnde Schlagzeugstrudel im Finale setzt dieser wasserflutengeborenen Musik schließlich die Schaumkrone auf und poliert das Stück zu einer echten Perle auf. Mein unbedingter Anspieltipp! Wem das nicht gefällt, ist für PAATOS verloren.
Nach dem kurzen Zwischenspiel 'Procession Of Fools' setzt 'There Will Be No Miracles' mit einem nunmehr verblüffend handfesten Grundrhythmus ein und entwickelt sich, von bohrenden Vibratogitarren Alternative-rockend untermalt, zu einem ausgefallenen Songwriter-Popstück, wie es auch AIMEE MANN gut zu Gesicht stehen würde. Dass er ständig Gefahr zu laufen scheint, sich gewisse jazzige Splitter unter den Nagel zu ziehen, macht diesen spröden Song in meinen Ohren nur noch interessanter: Fast schon können sich PAATOS mit dem Verlassen ihres sonstigen Stils in meiner Gunst auf die Höhe der sympathisch-schräge PopRock-Miniaturen par excellence kreierenden FURSLIDE spielen. Mit dem unbeschreiblichen Übersiebenminüter 'Not A Sound' folgt ein weiteres Glanzlicht, welches nicht zuletzt auch die dem Album seinen Titel verleihenden Worte "All is quiet. Not a sound. Silence of another time. All is noise." enhält. Der Sängerin Petronella Nettermalm zufolge beschäftigt sich dieser Song mit den Unwägbarkeiten des Lebens: "Ich glaube, wir alle kennen dieses Gefühl, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird, wenn die Welt für eine Sekunde still zu stehen scheint und man nicht weiß, ob ohrenbetäubender Lärm im Schädel tobt oder lähmende Stille herrscht."
Einen solchen Moment fängt auch die Tuschezeichnung auf dem Cover ein; emotional bewegend und doch in Starre verharrend, dramatisch und kühl zugleich – ein bisschen so, wie die sehnsuchtsvoll statischen Gemälde von Edward Hopper; und nicht zuletzt auch wie die Musik von PAATOS. Die Erstauflage von "Silence Of Another Kind" soll in einem aufwändig gestalteten Gimmick-Digipak erscheinen. Wir dürfen gespannt sein.
Anspieltipps: Is That All?, Not A Sound
- Redakteur:
- Eike Schmitz