ALARMSIGNAL: Interview mit der Band
31.07.2014 | 12:01Deutsch-Punk steht bei POWERMETAL.de ja nicht unbedingt auf dem täglichen Menüplan. Etwas Abwechslung hat jedoch noch nie geschadet - also für heute mal die übliche fette Metal-Currywurst von der Tageskarte gestrichen und das saftige Deutsch-Punk-Tofu-Schnitzel ALARMSIGNAL an Sommersalat mit Himbeer-Balsamico-Dressing draufgepackt. Wer sich schon einmal mit den kulinarischen Spezialitäten der einheimischen Punk-Rock-Speisekarte beschäftigt hat, der weiß, dass die vier grundehrlichen, nicht immer allzu ernsten Niedersachsen schon seit Jahren von selbiger nicht mehr wegzudenken sind. Wie der Dauerbrenner "Schnitzel mit Pommes" auf keiner bundesdeutschen Speisekarte fehlen darf, so findet sich auch mittlerweile das ALARMSIGNAL-Logo auf unzähligen Konzertflyern in heimischen Gefilden. Und wer die Jungs schließlich und endlich schon einmal live gesehen hat, dem ist schnell klar: Das locker-flockige Tofu-Schnitzel aus Celle ist nicht aufzuhalten, weiß kulinarisch/musikalisch extrem gut zu unterhalten und macht in jeglicher Hinsicht satt!
Das ist wohl auch dem (militant carnivoren) niedersächsischen Verfassungsschutzes zu Ohren gekommen, der ALARMSIGNAL vor einiger Zeit näher in Augenschein nahm. Hat man es als Punkband geschafft, wenn einem diese zweifelhafte Ehre zuteil wird oder denkt man sich "Oh Scheiße, muss das sein?"
Steff: Weder, noch! Als Punkband ins Auge von Verfassungsschutz oder Bundesprüfstelle zu gelangen, ist ja heutzutage keine Besonderheit, weshalb wir das Thema auch nicht bis zur Erschöpfung ausgeschlachtet haben. Mir ist es eigentlich egal, weil die Vögel vom Verfassungsschutz doch eh niemand mehr ernst nimmt.
Kühn: Mir ist das auch voll egal. Aber ich finde, der VS sollte sich mit wichtigeren Dingen beschäftigen. Was ist denn z.B. mit SPORTFREUNDE STILLER und ihrem ewigen '1914, '39...'. Das is ja wohl viel schlimmer.
Borsti: Wir haben es geschafft, aber oh Scheiße, muss das sein?
Viele unserer Leser wissen mit Sicherheit nicht, warum es so weit gekommen ist und wie hat sich dies auf euer Bandleben bzw. evtl. sogar auf euer Privatleben ausgewirkt hat.
Kühn: Als Band hat es uns erheitert. Persönlich hab ich das nicht zu spüren bekommen. Wie es dazu kam, ist nicht in 2-3 Sätzen zu erklären.
Steff: Stimmt, in 2-3 Sätzen ist das schwer zu erklären, aber in 7-8 Sätzen kriegen wir es vielleicht in Kurzform hin. Seinen Anfang nahm alles mit dem Cover unseres ersten Albums "Fahneneid". Dieses zeigt drei Personen (es wird vermutet, dass wir es waren ;-)), die auf die deutsche Fahne urinieren. Eines Tages surfte irgendein Hilfssheriff durchs weltweite Netz, stolperte über das Cover und fühlte sich scheinbar derart in seinem Stolz verletzt, dass er uns anzeigte. Unter dem Vorwurf "Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole" wurde schließlich ein Verfahren in Gang gebracht, das letztendlich aber eingestellt werden musste. Danach wurde es dann ein Verfassungsschutzselbstläufer. Unsere Texte wurden unter die Lupe genommen und es folgte die Aufnahme in den niedersächsischen Verfassungsschutzbericht. Auf unser Band- oder Privatleben hat das aber keine besonderen Einflüsse genommen. Wir machen weiter wie bisher.
Borsti: Ganz einfach, wir haben gesungen und zwar: "Gegen den Staat, gegen den Staat hilft nur die Tat!". So easy ist das. Also wenn du auch mal beim VS erwähnt werden willst, lass dir irgendeinen simplen Text einfallen wo das Wort "gegen" und "Staat" vorkommt, verknüpf die irgendwie miteinander und du wirst bei der nächsten Ausgabe bestimmt auch berücksichtigt. Also was das Privatleben betrifft muss ich sagen, ich lauf nur noch mit dem Rücken zur Wand, weil "just because you're paranoid, it don't means they are not after you"! Nee, mal im Ernst, das ist doch lächerlich. Wir haben uns nix vorzuwerfen und deswegen wird das Leben auch seinen gewohnten Gang gehen.
Bulli: "Staat gegen"!
Wir haben uns ja erst vor einiger Zeit über den Sound eurer letzten beiden Alben unterhalten. Sicher, es geht immer besser, aber ich finde man erkennt sofort, wenn man eure Scheiben hört, mit wem man es zu tun hat. Was glaubt ihr, wie würde ALARMSIGNAL klingen, wenn ihr für eure kommende Scheibe grenzenlos Zeit und unbegrenzte finanzielle Mittel hättet? Wo würdet ihr aufnehmen und was würdet ihr anders machen als bisher?
Borsti: Hehe, mein alter Herr ist ganz deiner Meinung. Der sagte mal zu mir: "Junge, ist ja gar nicht schlecht was ihr da macht, aber kennste eins, kennste alle!" Wie ALARMSIGNAL klingen würde, wenn wir mehr Zeit und mehr Geld hätten? Wie METALLICA oder GUNS'N'ROSES oder so. Nee, wahrscheinlich genauso wie jetzt, nur besser produziert. Unsere musikalischen Fähigkeiten sind ja nun auch begrenzt.
Kühn: Ich glaube, wir würden länger an den Songs basteln im Studio, wenn wir könnten und die Kohle hätten. Aber so wie es ist, find ich es gut. Es gibt nichts Schlimmeres als am Ende der Bioprüfung nochmal alles zu überlesen und zu korrigieren, da baut man dann immer Fehler ein...
Bulli: Mir persönlich macht die Studioarbeit echt Spaß. Klar ist es super anstrengend, aber ich würde es mir schon wünschen mehr Zeit zu haben. Es ist immer der finanzielle Aspekt, der einen zu Kompromissen drängt. Du machst dann halt z.B. beim Gesang nur 3-5 Takes und einer davon MUSS es dann sein, obwohl du eigentlich nicht so 100% überzeugt bist. Im Studio ist Zeit leider Geld...
Wo wir schon beim Thema sind. Ihr feiert 2015 euer 15-jähriges Bandjubiläum. Hierfür ist eine neue Scheibe geplant. Was könnt ihr uns bis dato zu der Jubiläumsscheibe verraten? Sind spezielle Aktionen zum Release geplant?
Kühn: Ja, wir haben Flashmob-Werbeaktionen bei Media Markt geplant und werden euch zu gegebener Zeit darüber informieren.
Bulli: Es wird ordentlich gefeiert werden. Mit den Songs im Proberaum bin ich persönlich bisher ganz zufrieden. So langsam kommt der Zeitdruck hinzu, wir müssen noch ein paar Songs schreiben, denn das Studio steht bald an, aber eigentlich läuft alles ganz gut. Mehr wird in ein paar Monaten verraten, aber wir sind schon am Planen. ;-)
Borsti: Was wir verraten können ist mit Sicherheit schon mal, dass die Scheibe der Knaller wird. ;-) Ach ja und wir wollen einen ALARMSIGNAL-Banner auf dem Mond hissen, den man von überall auf der Erde sehen kann. Aber mehr verrat ich jetzt nicht.
"Idealismus geht vor Erfolg" - diese Aussage findet man in eurer Bandinfo. Was sind typische ALARMSIGNAL-Ideale und wie lebt die Band dieses Statement? Sind Ideale für euch unumstößlich oder gibt es gewisse Erfahrungen, die man mit der Zeit macht, welche Ideale evtl. überdenken lassen? Ich rede hier nicht von Opportunismus, aber je älter man wird, desto reflektierter betrachtet man gewisse Dinge.
Borsti: Echt, das steht da so? Ich dachte eher mit Idealismus zum Erfolg! Nee, mal im Ernst, natürlich haben wir als Band Moralitäten und Ideale, die man jederzeit in den Textblättern und Linernotes unserer CDs nachlesen kann. Wie wir diese leben, ist natürlich unterschiedlich, da wir vier eigenständige Personen sind und jedem das ein oder andere wichtiger oder unwichtiger ist. Was man aber mit Gewissheit sagen kann ist, dass du uns nie als Werbeträger für irgendwelche Konzerne oder uns die Bühne mit Grauzonenbands teilen sehen wirst.
Kühn: Also wir sind und waren noch nie so Dogmatiker glaub ich, darum finde ich das Wort Idealismus etwas deplatziert, bzw. mir persönlich ist das etwas zu pathetisch. Aber es steht da jetzt nun mal. Eine gute Idee ist mehr wert und vom Wesen viel flexibler. Und eine gute Idee ist z. B. Solikonzerte zu spielen, sich über die eigene Lebens- und Ernährungsweise, sowie das eigene Sozialverhalten Gedanken zu machen und sich sozial und/oder politisch zu engagieren. Und das tun wir alle, mehr oder weniger, auf die eine oder andere Weise.
Bulli: Damit ist z.B. gemeint, dass wir auch schon einige große Festivals abgesagt bzw. gar nicht erst angenommen haben, weil da für uns nicht korrekte Bands auftreten sollten. Da ist auch egal wie hoch die Gagen sind...
Als Euer Debüt "Fahneneid" 2005 nach anfänglicher Eigenveröffentlichung ins Nix-Gut-Portfolio aufgenommen wurde, wie war da die Stimmung innerhalb der Band? Skepsis, was da auf euch zukommt oder einfach nur Freude?
Steff: Irgendwie beides. Skepsis, weil wir anfangs nicht wussten, welche Fäden wir da aus den Händen geben würden, aber auch Freude, weil ein Label einem eine Menge Arbeit abnimmt. Der Zeitpunkt war für uns natürlich ein sehr günstiger. Wir hatten gerade unser Debüt-Album draußen, Nix-Gut befand sich in dieser Zeit kurz vor seinem Höhepunkt und hat wirklich viel für uns getan.
Borsti: In erste Linie waren wir damals denk ich ziemlich dankbar. Wir waren ein unbeschriebenes Blatt, uns kannte keiner und dann kommt da so ein Label und fragt uns, ob wir nicht Bock haben. Das war schon nett von Nix-Gut.
Kühn: Ich glaub, wir fanden toll, dass wir den ganzen Sch... nicht mehr selber machen mussten (bis auf Buttons, T-Shirts, Aufnäher und so...).
Hatte die Trennung von eurem alten Label Nix-Gut nach "Sklaven der Langeweile" etwas mit bestimmten Idealen zu tun, die ihr nicht bereit wart aufzugeben oder zu verraten?
Borsti: Jo Olli, du triffst den Nagel auf den Kopp. Es gab dann irgendwann auf Grund bestimmter Fragen das Zerwürfnis. Nur haben wir uns im (Nix) Guten getrennt und können im Nachhinein eigentlich bis auf das angesprochene Zerwürfnis auch nix Schlechtes über unser altes Label sagen.
Kühn: Da ging es mehr um's Prinzip, das wir eben nicht mit so Grauzonenbands in einen Topf/Katalog geschmissen werden wollten. Das war lange ein Reibungspunkt und irgendwann kam so ein i-Tüpfelchen und dann hat es uns gereicht und dann war Schluss. Außerdem hatten wir dann ja Bulli und sein Label, so dass unsere nach der "Sklaven..." entstandenen Alben quasi "Hausproduktionen" waren. Aber wir haben uns von Nix-Gut nicht im Bösen getrennt und haben die Nix-Gut-Leute in guter Erinnerung behalten.
Ihr nehmt mir die nächste Frage ja quasi vorweg. Ihr seid mittlerweile beim Label Antikörper-Export gelandet ... wie von Kühn eben erwähnt, ist Bulli der Chef von dem "Laden". Hat die somit unvermeidbare Nähe zum Label nur Vorteile oder manchmal auch Nachteile?
Kühn: Ich denke, für Bulli eher Nachteile, weil wir ihn deswegen jetzt mehr nerven als sowieso schon. Für uns als Band hat es eigentlich nur Vorteile.
Steff: Als wir vor dem letzten Album quasi "labellos" waren, haben wir natürlich schon ein wenig die Fühler ausgestreckt und uns umgehört. Auch andere Labels haben ihr Interesse bekundet und wenn man als Band wählen kann, ist das schon eine feine Sache. Wir haben uns schließlich für Antikörper-Export entschieden, weil wir dort am dichtesten dran waren. Klar sind die Möglichkeiten eines DIY-Labels wie Antikörper-Export etwas begrenzter als die der größeren und bekannteren Punklabels, aber das ist nicht als Nachteil zu werten. Im Gegenteil, ich hab die Entscheidung nicht einmal bereut. Bulli ist in punkto Labelarbeit sehr engagiert, steckt viel Zeit und Herzblut in seine Veröffentlichungen und hängt sich rein für seine Bands - was will man mehr?
Bulli: Chef klingt irgendwie komisch... (bei Word unter Synonyme wird u.a. auch "Gebieter" vorgeschlagen, hahaha). Als es um die Labelfrage ging, habe ich natürlich ganz klar dargelegt, was ich machen kann und was nicht. Da standen ein paar andere Labels zur Auswahl, die viel mehr Möglichkeiten hatten/haben als ich. Ich und somit auch das Label sind sehr ehrlich. Geld spielt in einem gewissen Sinn keine Rolle - natürlich muss die Produktion gedeckt werden - und ich bereichere mich selber nicht. Die Band weiß immer, wie viel verkauft wurde und ob und wann nachgepresst wird etc. Es gibt mit keiner Band Verträge, alles läuft auf Vertrauensbasis und bisher waren alle mehr als zufrieden. Ich persönlich habe jedenfalls noch nichts anderes gehört, hahaha.
Als euer Video zu 'Gefressen Werden' nach nur 3 Tagen von YouTube genommen wurde, hat euch das gewundert oder habt ihr das erwartet? Für mich war das doch eher seltsam, denn am Inhalt kann es nicht gelegen haben. Ähnliche Videos wie das eurige gibt es ja auf dem Portal genügend (z.B. DEBAUCHERY).
Bulli: Das Video wurde ja zuerst über meinen Labelchannel hochgeladen und es haben Leute gemeldet, woraufhin es ja auch gesperrt wurde. Das Video ist hart - klar - aber das war ja auch Ziel des Ganzen. Das ist die Realität. Einige haben so etwas zum ersten Mal gesehen und waren wohl wirklich geschockt. Allerdings kann ich nicht verstehen, dass sich Leute über solche Bilder beschweren. Das ist nun mal die Realität. Eine andere Sache ist, dass wir die Nutzungsrechte der "Peta" etc. bekommen haben. Die haben die Videos, woraus wir die Ausschnitte genommen haben, ebenfalls auf YouTube stehen. Deren Videos wurden meines Wissens nach aber noch nie gesperrt.
Kühn: Also ich fand die Reaktion schon sehr bedenklich. Wenn du dir anguckst, was sonst so auf YouTube abrufbar ist, ist das Video ja noch harmlos.
Dem Verbot seid ihr ja durch eine findige Aktion eurerseits entgangen. Erzählt doch mal etwas über den Hintergrund und wie die Aktion bisher so läuft.
Steff: Mit der Sperrung eines Videos bei YouTube ist in der Regel auch eine Verwarnung verknüpft. Ab da darf man sich für eine gewisse Zeit bei YouTube nichts mehr zu schulden kommen lassen, aber ansonsten (bis auf die Löschung des Videos) hat das erst mal keine Konsequenzen auf den eigenen Channel. Da wir wussten, dass YouTube das Ding erneut sperren würde, wir das Video aber auch permanent dort präsent haben wollten, haben wir unter unseren Facebook-Freunden mal nachgefragt, wer Bock hat das hochzuladen und als Dank dafür von YouTube verwarnt zu werden. Es hatte ja niemand was zu befürchten, denn nach Verwarnung und Videosperrung war der Dienst der Freiwilligen getan und wir konnten auf die nächste Person zurückgreifen. Da sich wirklich viele Leute zur Verfügung gestellt haben, hätten wir aus dem Vollen schöpfen können. Mussten wir aber irgendwann nicht mehr, da YouTube entweder von sich aus auf die Löschung des Videos verzichtet oder irgendwann nicht mehr folgen konnte. Das Ding ist derzeit, und das schon über einen längeren Zeitraum, jedenfalls wieder frei verfügbar.
Bulli: Ich glaube YouTube hat aufgegeben, hahaha. Wobei letztens wurde es doch erst wieder gesperrt, oder? Ich glaube, davor war es aber 6-8 Monate zugänglich. Zudem kann man das Video auch über andere Portale anschauen, da gab es bisher noch keine Probleme.
Ihr habt über die letzten Jahre euren Status in der Szene kontinuierlich ausgebaut. Ist dieser Erfolg bzw. die Bekanntheit eher ein Fluch oder doch ein Segen? Ich bin mir sicher, dass es nicht immer einfach ist, allen Konzertanfragen gerecht zu werden. Habt ihr diesbezüglich schon mal Probleme mit einem potentiellen Veranstalter gehabt, der mit eurer Absage nicht klarkommen konnte/wollte?
Kühn: Erfolg. Bekanntheit. Haben wir das? Ich fühl mich nicht populär durch die Musik und stehe doch genauso vor der Bühne wie die andern Assis auch ... wenn ich nicht gerade auf der Bühne sitz. Es gibt schon Momente, wo mich dann wer erkennt und das kann dann Fluch oder Segen sein. Probleme mit Veranstaltern wegen Absagen gab es meines Wissens bisher nie, aber wir spielen ja auch gern überall und wenn es heute nicht klappt, dann ja vielleicht morgen.
Steff: Also wir spielen überall, wo es korrekt ist und wo wir alle auf einen ungefähren Nenner kommen. Es gab natürlich schon einzelne, wenn auch wenige Fälle, wo Veranstalter uns mit Bands zusammen gebucht haben, auf die wir keinen Bock hatten. Das begründet man denen dann sachlich, zieht sich zurück und fertig. Wir haben aus diesen Gründen, Bulli erwähnte es bereits, auch schon mal größere Festivals abgesagt und ein Festival-Veranstalter fühlte sich tatsächlich mal auf den Schlips getreten, weil wir es wagten, seine Anfrage abzulehnen. Aber um da jetzt näher ins Detail zu gehen, müsste ich zu weit ausholen, also lassen wir das mal so stehen.
Was ist eure Meinung bzgl. der teilweise extremen Sexismus-Auslegung im Punk? Ich ziele da auf die Geschichte mit FEINE SAHNE FISCHFILET ab, die ja erst erhebliche Probleme in Bielefeld hatten, als ein Bandmitglied aufgrund der Hitze im Laden ohne Shirt spielen wollte.
Kühn: Ich finde das Thema wichtig, sehe aber auch, dass es an einigen Punkten/an einigen Orten überzogen behandelt wird. Das ist wie mit Veganismus, wo dann Fleischesser aus dem Laden fliegen. Da gibt es oft zu viele Dogmen. Trotzdem verstehe ich die Reaktion des Ladens auch ein stückweit. Wir leben in einer männlich dominierten Gesellschaft und es ist schwer genug, gendergerechte Räume zu schaffen. Gibt es diese dann endlich mal, sollten sie als solche respektiert werden. Das heißt, da geht "freier Oberkörper" mal nicht. Für alle Geschlechter gilt das dann. Und generell hilft so eine Reaktion dann vielleicht auch, ein Überdenken der eigenen sozialen Machtposition (hetero, männlich, weiß) zu fördern.
Borsti: Oh, das ist aber auch so ein Kneifzangenthema. Ich sag es mal so: Als Hippie hab ich ja für alles Gleichberechtigte und Emanzipatorische ein Herz, aber wenn die Leute in Bielefeld z.B. jetzt den extremen Nazistress hätten, würden solche Probleme in den Hintergrund rücken und es würde wahrscheinlich kein Hahn danach krähen, dass jemand bei einem Konzert sein T-Shirt ausgezogen hat. Ich find's aber auch gut, dass wir den Luxus haben uns wegen sowas die Köppe einzurammen.
Bulli: Ich finde, da muss man auch immer unterscheiden zwischen Prolls, die sich schon von Anfang an das Shirt ausziehen, um ihren vollgehackten, aufgepumpten Körper zu präsentieren und Musikern, denen einfach nur höllisch warm ist. Die linke Szene ist eine der spießigsten, die ich kenne und ihre Anhänger sind oft suuuper verklemmt. Wenn man für eine emanzipatorische und vor allem gleichberechtigte Welt eintreten möchte, ist es für mich definitiv kein Grund, Frauen bevorzugt zu behandeln und gleichzeitig die nächsten 800 Jahre den Mann zu unterdrücken, um einen Ausgleich zu schaffen, da die Frau jetzt so lange von der männerdominierten Gesellschaft unterdrückt wurde. Natürlich leben wir in einer männerdominierten Gesellschaft, aber die linke Szene möchte doch Freiräume und eine gewisse subkulturelle Parallelgesellschaft schaffen und da muss es doch ehrlich gleichberechtigt laufen. Da wird oft mit zweierlei Maß gemessen - und gewisse "Regeln" in manchen AZs werden von Menschen mit großen Egoproblemen durchgesetzt, die sich gerne präsentieren. Ich kann mich da, wie man sieht, mittlerweile ziemlich reinsteigern. Also muss m.E. mal ein korrekter Weg zwischen lieber Zwischenmenschlichkeit OHNE nerviges Prollogehabe entstehen, ohne einen Stock im Arsch zu haben.
Steff: Punk ist in vielen Bereichen halt nicht mehr 80er, scheißt nicht mehr auf alles und macht sich viel mehr Gedanken. Und da Mensch beim Thema Sexismus sehr viele unterschiedliche Grenzen zieht, stufe ich Gespräche und Diskussionen darüber auch als wichtig und notwendig ein, natürlich solange sie sachlich und fair geführt werden.
Was muss ein gutes Interview für euch haben? Steff, du bist ja selbst aktiver Schreiberling und hast hier sicher so deine eigene Herangehensweise. Beantwortest du jedes Interview oder nimmst du dir die Freiheit ein Interview abzubrechen, wenn's dir zu dumm wird?
Steff: In die Situation ein Interview abzubrechen sind wir bisher nie gekommen, weil wir natürlich ausschließlich sympathischen Fragensteller/innen und Magazinen Interviews geben. ;-) Ich selber habe in der Position des Fragenstellers allerdings schon mal ein Interview abgebrochen. Ist schon einige Jahre her, da hatte ich ein Interview mit dem Schauspieler Martin Semmelrogge (einige kennen ihn vielleicht). Wir hatten ein kurzes Vorabgespräch, das sehr nett war und da er zu irgendeiner Auszeichnung des Filmes "Das Boot" gerade in Bremen war, lud er mich sogar freundlicherweise ins Hotel ein. Da ich das allerdings spontan nicht umsetzen konnte, verabredeten wir uns eine Woche später zum Telefoninterview. Ich hatte damals auch ein paar untypische und kritische Fragen im Fragenkatalog und es hat nicht lange gedauert, da wurde er unfreundlich. Es entwickelte sich ein Streitgespräch und ich brach das Interview schließlich ab. Kein leichter Typ dieser Semmelrogge, aber vielleicht waren meine Fragen auch einfach scheiße, gehören ja oftmals zwei dazu. ;-)
Man kann sich die Bands mit denen man zusammen spielt ja nicht immer aussuchen. Ihr selbst seid ja eine extrem umgängliche und tiefenentspannte Band. Gibt/gab es Situationen mit anderen Bands, bei denen ALARMSIGNAL schon mal der Kragen platzt bzw. geplatzt ist? Was bringt euch aus der Fassung?
Borsti: Wenn das Backstage-Bier alle ist!
Steff: Oder es nur eine Kiste Bier für drei Bands gibt. ;-) Aber im Ernst, man kann sich die Zusammenstellung zwar nicht immer aussuchen, aber man muss als Band ja auch nur auf den Hochzeiten und mit den Gästen tanzen, auf die man Bock hat. Meistens buchen die Veranstalter schon Bands, die von der Einstellung her zueinander passen, auch wenn Ausnahmen natürlich immer die Regel bestätigen. Es gab sicher schon einige Situationen, in denen uns vielleicht nicht unbedingt der Kragen geplatzt ist, die die Emotionen allerdings hochkochen ließen, aber solange wir halbwegs nüchtern sind, stehen die Zeichen für diplomatische Lösungen auch halbwegs gut.
Kühn: Mich nerven Rockstars/Bands mit Rockstar-Attitüde. Aber mir platzt nie der Kragen. Ich mag die dann halt nicht und gehe denen aus dem Weg. Das funktioniert bisher bestens.
Bulli: Ja, mir platzt der Kragen, wenn sich manche Bands wie scheiß Rockstars aufführen. So eine Scheiße wie "der Backstageraum ist nur für die Headlinerband, alle anderen Bands bekommen keinen und der Schnaps gehört auch nicht allen..." kommt mir gar nicht in die Tüte. Wenn mir jemand sagt: "Ey, die Pizza ist nur für XYZ, für euch sind die Chips da hinten - wenn du was Warmes essen willst, schieb dir Chips in die Mikrowelle!" oder "für euch haben wir das warme Oettinger, das Jever da im Kühlschrank ist für die andere Band...", dann sei dir sicher, dass ich der Erste bin, der dem Veranstalter mal gehörig die Meinung sagt und das Jever und die Pizza im Publikum verteilt. Das sind natürlich solche Bandluxusprobleme, aber selber eine "Zweiklassengesellschaft" auf Punkkonzerten zu errichten, geht mal gar nicht - weißt du, was ich meine? (Und ob, Bulli, und ob! Nett zu sehen, dass ich exakt diese Antworten von genau jeder einzelnen Person erwartet habe ;-) - Anm. d. Verfassers).
Steff, du hast mir vor einiger Zeit mal erzählt, du hättest in grauer Vergangenheit als Tennislehrer gearbeitet - damit hätte ich nicht unbedingt gerechnet. Hast du heute noch Tennisambitionen, verfolgst du aktiv den Tenniszirkus und gibt es noch andere Hobbies/Aktivitäten, die man von einem PunkRocker wie dir nicht unbedingt erwarten würde, z.B. Weinsammler, Hobbywrestler, Angler oder Pullistricker? Apropos Tennislehrer, was ist an dem Klischee dran, dass alle Tennislehrer Playboys sind? Hattest du Probleme mit Avancen notgeiler Millionärsgattinnen?
Haha, oh je, ja, ich habe tatsächlich früher einigermaßen gut und halbwegs erfolgreich Tennis gespielt und auch Unterricht gegeben. Da ich ausschließlich für die Nachwuchsförderung tätig war, kann ich das Klischee natürlich nicht bestätigen. Den TV-Tenniszirkus habe ich nie wirklich verfolgt, wichtig war für mich nur die Freude am Spiel und natürlich auch daran, den ersten Platz in der Rangliste meines Vereins zu verteidigen. Weil es aufgrund meines Verhaltens außerhalb des Tennisplatzes und meines optischen Auftretens aber ständig Diskussionen gab, hab ich irgendwann keinen Bock mehr auf Tennis gehabt und bereits vor vielen Jahren aufgehört. Tennis als Sportart find ich nach wie vor geil. Die Menschen, die es spielen, allerdings weniger. ;-)
So, ich sage Danke fürs Gespräch, freue mich auf die Platte im nächsten Jahr und wünsche weiterhin viel Glück bei der Eroberung des deutschen Punk-Rock-Throns. Die letzten Worte gehören euch...
Steff: Ambitionen zur Eroberung des Punk-Rock-Throns haben wir Gott sei Dank keine!!!
Bulli: Oh, so einen Thron und noch weniger jemanden der drauf sitzt, braucht niemand. ;-) Making punk a threat again! Bis bald Oli!
Borsti: Ich bedanke mich ebenfalls für das Gespräch. Freue mich auf das Erscheinen des Interviews und beheize schon mal die Rheumadecke für den Thron. Gäähhhn!
Kühn: Fang den Pudding...
Sorry, heute muss ich doch mal das letzte Wort haben. Wollte eigentlich nur noch loswerden, dass es echt erfrischend ist, sich mit Leuten zu unterhalten, die frisch frei von der Leber erzählen, sich auch zu unbequemen Themen ehrlich und direkt äußern und sich nie hinter diplomatischem Gesülze verstecken. Respekt für Bulli, Borsti, Kühn und Steff!
- Redakteur:
- Oliver Kast