AMORPHIS: Listening Session zu "Halo"

22.12.2021 | 13:22

Für viele Menschen ist ein neues AMORPHIS-Album immer wieder ein Termin im Kalender, welcher sofort ein Gefühl der Vorfreude schürt und die Spannung unerträglich werden lässt. Und wenn ich mich so in meinem Freundeskreis umhöre und mit offenen Augen durch die sozialen Medien surfe, dann spürt man im Moment genau diese Art der positiven Erwartungshaltung im Hinblick auf den 11. Februar 2022, an dem die Jungs ihren neusten Output "Halo" über Atomic Fire veröffentlichen werden. Doch lohnt sich denn diese Anspannung überhaupt oder sollte man sein Glück lieber auf andere Platten in 2022 setzen?

Um dieser Frage nachzugehen, durfte ich mich Anfang November im Rahmen einer offiziellen Pressekonferenz und Online Listening Session einloggen und erfahren, wohin uns die Reise auf dem Nachfolger des 2018er Knallers "Queen Of Time" führen würde. Mit einer Resonanz von weit über 40 Teilnehmern bestätigte dieser Termin auch meine Einschätzung, dass das Interesse unserer Szene extrem sein würde. Und auch die Band (insbesondere Esa Holopainen und Tomi Joutsen) zeigte sich sehr gesprächig und gab zusammen mit Produzent Jens Borgen zuerst einmal einen Einblick in die Arbeit und mit welcher Vision sie starteten, um das folgende Ergebnis zu erzielen. Laut den Beteiligten klingt das neue Album nicht nur heavier als seine Vorgänger, sondern auch direkter und mit weniger Ballast beladen. Ja, die Erwartungshaltung vor den ersten Tönen steigt ins Unermessliche und wir sind froh, dass nach einer knappen halben Stunde endlich das Geheimnis gelüftet wird und jeder für sich in die finalen 11 Tracks von "Halo" reinhören darf.

Band Cover

 

01) Northwards

Und schon die ersten Sekunden dürften etwas Dampf vom Kessel nehmen. AMORPHIS klingt eindeutig und zu 100% nach AMORPHIS. Starker Piano-Einstieg mit der typischen Gitarrenarbeit, welche diese Band seit Jahren auszeichnet. Das Riffing hat mal wieder leicht orientalische Vibes und der cleane Refrain passt wie die Faust aufs Auge. In der Mitte fährt die Band dann etwas zurück und übergibt die Bühne an 1970er Hammond-Orgelklänge, welche eine sehr chillige Atmosphäre heraufbeschwören. Auf einem folkigen Teppich lässt Tomi dann ein paar sehr weiche Vocals vom Stapel, welche schon beim ersten Mal fantastisch klingen. Zum Schluss noch etwas Chor und der Song dreht nochmal auf. Ein richtig starker Beginn, der ein optimales Bindeglied zwischen "Halo" und "Queen Of Time" darstellen wird.

02) On The Dark Waters

Tatsächlich etwas entschlackter präsentieren sich die dunkleren Wasser, dringen mit ihren Sitar-Klängen aber sogar in den Bereich der World-Music noch etwas weiter vor. Die Growls in den Strophen sind wieder einmal Referenzklasse und zumindest ich muss schon leicht an 'Death Of A King' denken. In Summe ein echt fieser epischer Ohrwurm, der zusammen mit der melodischen Gitarrenarbeit schon bei der Premiere zum Mitsingen auffordert.

03) The Moon

Das bereits als Single bekannte 'The Moon' dürfte als Appetizer mittlerweile schon ein alter Hut sein und ist die logische erste Auskopplung. Die leicht poppigen Vibes schaffen es in Zusammenarbeit mit dem Piano erneut diese wunderbare melancholische Epik zu erzeugen, welche einfach nur aus Finnland kommen kann. Steht in der Tradition der letzten Hits.

04) Windmane

Etwas verhaltener, ruhiger und folkiger beginnt dann 'Windmane'. Nur um dann direkt mit sehr aggressiven Growls zu punkten. Hier scheint mir die Instrumentierung trotz Zurückhaltung doch sehr vertrackt zu sein und das macht aus dem Lied eine sperrige Nummer, welche ich jetzt im ersten Hörlauf noch nicht richtig greifen kann. Aber insbesondere das klasse Keyboard-Solo und die geschmackvolle Tempoverschärfung können jetzt auch schon überzeugen.

05) A New Land

Weiter geht es mit dem kürzesten Lied des Albums, welches sich wieder etwas eingängiger in den Vordergrund spielt. Wieder gibt es Melodien aus den östlichen Gefilden und auch das Percussion darf in dieser Nummer mal etwas nachhaltiger Eindruck schinden. Highlight ist sicherlich, dass Tomi in den Strophen weibliche Unterstützung in der Zweitstimme von Noa Gruman (SCAR DUST) erhält. Macht die Nummer direkt mal zu einem möglichen zweiten Single-Anwärter.

06) When The Gods Came

Ich will nicht zuviel vorwegnehmen, aber dieser Song könnte eine große Rolle in meinen Jahrescharts 2022 spielen. Was für ein Überhit. Ein atmosphärisch und melancholisch eingefärbter Killerstart geht über in modernes Riffing um dann mit War-Drums und folkigen Elementen nach vorne gepeitscht zu werden. Das Keyboard darf wunderbare Akzente und Farbtupfer setzen und die Gitarre thront über der ganzen musikalischen Inszenierung, sodass es genau so einen Überrefrain braucht um die Schleife dranzumachen. Sehr cineastisch und trotzdem ein kompakter Hit. Chapeau, AMORPHIS.

07) Seven Roads Come Together

So, jetzt machen die Jungs keine Gefangenen mehr. Auch dieser Song ist Kino für die Ohren. Klassischer AMORPHIS-Stoff, welcher nur durch die Gitarren und das Tempo schon tierisch Laune macht. Den Vogel schießt dann ein fantastischer orchestraler Pre-Chorus ab, welcher einen weiteren schnellen, dynamischen Refrain der Spitzenklasse serviert. Freunde, was waren das für zwei Knaller am Stück.

08) War

Nun wird der Name Programm und der Track startet mit heftigen Riff-Salven und harten Growls, tief aus dem schwedischen Elchtod. Ebenfalls holt Tomi jetzt erstmalig auf "Halo" seine Black-Metal-Vocals aus dem Schrank. Nichtsdestotrotz nimmt sich auch dieser Song eine etwas längere Verschnaufpause und integriert einen cleanen Gesangspart. Im Mittelteil dürfen dann die Gitarren richtig freidrehen und mit einem Chor um die Gunst des Hörers buhlen. Zündet bei mir noch nicht beim ersten Hören und ist in Summe möglicherweise die schwächste Nummer des Albums. Wobei schwächste Nummer auf einem AMORPHIS-Album ja mal garnix bedeutet.

09) Halo

Der Titeltrack beginnt langsam und schreit dann direkt mit seiner prägnanten Gitarrenmelodie so etwas wie Hit oder Single-Auskopplung. Tomi singt hier nicht nur herausragend (das macht er ja fast immer), sondern ungewöhnlich modern und poppig umgesetzt. Das passt aber wie die Faust aufs Auge zu den ebenfalls modernen Grooves und den zweistimmigen weiblichen Ansätzen im Background (erneut Noa Gruman). In diesem Kontext wirken die dezenten Growls fast ein wenig schüchtern und geben somit eine weitere feine Note hinzu. Ein großartiges Melodiefeuerwerk. Für solch einen Hit überraschenderweise erstaunlich weit hinten im Album positioniert.

10) The Wolf

Der vorletzte Song setzt dann nochmal ein richtiges Ausrufezeichen. Mit einem leicht old-schooligen Death 'n' Roll-Einstieg gibt es einen nicht zu erwartenden Flashback in die Vergangenheit. Wie noch nie zuvor verbindet hier ARMORPHIS die eigene Historie mit der möglichen klanglichen Zukunft. Es gibt tatsächlich Beats & Loops auf die Ohren. Gerade der Chor-Part klingt wie eine Mischung aus THERION und MASSIVE ATTACK. Aber alles wunderbar homogen und nie zum Selbstzweck verkommend. Ich kann nachvollziehen, dass insbesondere die Band sehr stolz auf diesen Track ist. Zusammen mit dem Opener bietet 'The Wolf' sicherlich für Musik-Nerds das meiste Futter für intensive Hörabenteuer. Eine echte Überraschungstüte.

11) My Name Is Night

Für den Albumabschluss haben sich die Jungs noch etwas ganz Besonderes ausgedacht. Es gibt atmosphärische Wind-Geräusche und Akustikklänge auf die Ohren. Sehr zeitnah steigt eine Violine mit ein, um dann direkt mit weiblichem Leadgesang von Gastsängerin Emanuele Biani in einen intensiven Chorus zu führen. Tomi übernimmt später das Zepter bzw. singen dann auch beide wieder phasenweise zweistimmig. Der Song ist selbst im AMORPHIS-Kosmos etwas ungewöhnlicher und balladesker als sonst.

Band Bild

 

Fazit

AMORPHIS-Fans können aufatmen. Die Band liefert weiter auf dem bisher bekannten hohen Niveau ihren unverkennbaren Stil ab. Es gibt wieder kleinere Experimente und trotzdem muss sich niemand um eine Kurskorrektur Gedanken machen. Vielmehr wurde der Sound tatsächlich im Vergleich zu "Queen Of Time" wieder entschlackt und klingt wieder stärker nach "Under The Red Cloud". Dieses Album dürfte auch insbesondere aufgrund der orientalischen Einflüsse eine gute Benchmark sein. Hinzu kommen ein paar moderne Klänge, welche aber alle subtil eingearbeitet werden, fantastische Chor-Arrangements von Joost van der Beek und eine orchestrale Inszenierung unter Anleitung von Francesco Ferrini (FLESHGOD APOCALYPSE), welche locker mit den ganz Großen mithalten kann.

"Halo" erscheint mit einer Spielzeit von knapp 55 Minuten am 11. Februar über Atomic Fire.


Redakteur:
Stefan Rosenthal
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