DEICIDE: Wir blicken auf "Screaming Ancient Incantations"

10.11.2023 | 13:11

Nach finsteren Tönen aus Norwegen, kultig-klassisch-schwarzen Momenten aus dem Vereinigten Königreich, deftiger Kost aus Weil am Rhein und mal schleppend, mal tödlich, aber stets schwerem Metall aus den anderen skandinavischen Gebieten, widmen sich die Köpfe hinter Darkness Shall Rise Productions nun einer absoluten Szene-Legende aus Übersee. 1987 als AMON gegründet, gelüstete es Glen Benton schon vor 35 Jahren nach erbarmungslosem Death Metal. Bis heute haben die Mannen um ihn zwölf Alben veröffentlicht – zuletzt erschien 2018 "Overtures Of Blasphemy" – und auch wenn es seitdem etwas stiller um das Abrissunternehmen aus Florida ist, ist allein der Name ein Statement vor dem Herrn. Mit der vorliegenden Box "Screaming Ancient Incantations" widmen wir uns der Frühphase, als der Todesmetall bereits Fahrt aufnahm und diese Band ihren großen Teil dazu beitrug. Ihr Name: DEICIDE.

Wir kennen die Veröffentlichungen aus dem Hause Darkness Shall Rise Productions, schätzen die Idee hinter der Aufbereitung meist der Frühphasen der Bands sehr und erfreuen uns wie kleine Kinder an Heiligabend an ihrer Aufmachung. Und hiervon weicht auch "Screaming Ancient Incantations" keinen Milimeter ab. So sind die ersten drei full-length-Alben und die Demo-Compilation "Amon: Feasting The Beast" untergebracht in einer schweren, luxuriösen, schwarzen Box mit transparenter Beschichtung und diese stimmt im Inneren mit der Aufschrift "Master Satan Box" schon mehr als stimmungsvoll ein. Doch bevor wir tiefer ins Detail gehen, uns die Gimmicks sowie die vier Tapes etwas genauer anschauen, möchte ich ein paar Sätze über die Frühphase DEICIDEs verlieren.

Während die einen unter der strahlenden Sonne Floridas brutzeln, gelüstet es den anderen nach feinstem Death Metal. Anscheinend ist der Sunshine State ein Nährboden für heftig-deftige Kost, wenn man sich Bands wie OBITUARY, MORBID ANGEL, ATHEIST, CANNIBAL CORPSE, MALEVOLENT CREATION, BRUTALITY, NOCTURNUS und natürlich DEATH selbst anschaut. Mitte der 1980er Jahre wächst in einem jungen Musiker der Hass gegen Gott, die Kirche und das Christentum, doch anstatt sich wie ein Jahrzehnt später einige Musiker in Norwegen der Brandstiftung strafbar zu machen, hatte Glen Benton Bock, diese Abneigung in Musik umzusetzen. Letztendlich tat er sich mit Brian und Eric Hoffman an den Klampfen sowie Steve Asheim an der Schießbude zusammen, schnallte sich seinen Tieftöner um und gründete 1987 die Band AMON, mit der er zwei Demons aufnahm. Leider brachten "Feasting The Beast" und "Sacrificial" trotz brachialer Musik nicht den erwünschten Erfolg, sodass sich die Band letztendlich in DEICIDE umbenannte und der Ball schließlich ins Rollen kam.

Und hier setzen wir gleich an, öffnen aber zuvor die Box und picken uns die Rosinen heraus. Und da springt uns direkt ein üppiges, pechschwarzes Hardcover-Buch mit 167 stattlichen Seiten entgegen. Und dieser Geruch des Buches, einfach herrlich. Einmal mehr zeigt sich hier die Liebe zum Detail, mit der die Geschichte DEICIDEs auch optisch zum Leben erweckt wird. Unheimlich umfangreich, mit vielen ungesehenen Bildern der Frühzeit DEICIDEs sowie AMONs und tonnenweise neuen Linernotes und Interviews. Allein die handbemalten Konzertplakate, auf denen sich beispielsweise mit AMON, ATHEIST und NOCTURNUS ein todesmetallisches Dreigestirn der Extraklasse tummelt, sowie auch neuere Fotos machen den Mund wässrig, noch tiefer in der Historie der Amis zu schnuppern. Und wenn Mortiis und Faust (ex-EMPEROR), Mathias von CEMETERY oder VADERs Peterchen zu Wort kommen und von ihren ersten Begegnungen mit DEICIDE berichten oder Alex von ATROCITY die Bedeutung dieser Band für seine eigene Band hervorhebt, dann ist das an Unterhaltungswert und Mehrwert für den Leser kaum zu überbieten. Als Sahnehäubchen auf diesem Eisbecher wurde ein exklusives Interview mit Drummer Steve Asheim speziell für diese Box-Veröffentlichung geführt. Herrlich. Tolle Fotos, tolle Texte, tolles Buch.

Weiter im Augenschmaus geht es mit einem handnummerierten Zertifikat – schade, bei mir ist es die 444 statt der 666 geworden – sowie einer Replikation einer originalen Roadrunner-Autogrammkarte von DEICIDE-Mastermind Glen. Künftig darf sich auch noch ein schmucker Patch in der Optik des Box-Frontcovers auf meiner Kutte verewigen und zu all den Postern, die ich aus den Darkness Shall Rise-Veröffentlichungen schon hätte aufhängen können, gesellen sich weitere vier Stück, die mal die Band im Gesamten, Glen alleine, die Band beim offiziellen Fotoshooting oder den Mastermind auf der Bühne zeigen. Das wirklich Geile hierbei ist allerdings ein Nachdruck zweier Konzertplakate im Posterformat – einmal in rot, einmal in weiß. Und während das eine die Besetzung aus DEICIDE, CANNIBAL CORPSE und PRIME EVIL zeigt, scheint das weiße mit NOCTURNUS und AMON sogar noch älter zu sein. Hier pocht die Authentizität aber gewaltig mit der Faust an die Tür. Wir lassen sie rein und haben eine helle Freude mit dem Innenleben der Box, deren Herzstücke selbstverständlich die Tapes sind, denen wir uns nun chronologisch widmen.

Als erstes sei die "Amon: Feasting The Beast"-Compilation im ungewöhnlich, aber auffälligen Orange erwähnt. Ursprünglich kam die Wiederveröffentlichung der beiden Demos 1993 via Roadrunner Records ans Tageslicht, bekommt aber nur folgerichtig auch einen Platz in dieser Box. Das knapp halbstündige Bombardement wütender Riffs, Gift und Galle spuckender Vocals und fast schon blinder Raserei-Attacken hat 1989 schon auf "Sacrificial" und zwei Jahre zuvor auf "Feasting The Beast" für Aufsehen gesorgt. Natürlich war der Sound noch keine Wonne und die Songs per se noch etwas unausgereift, hatten aber dennoch schon das gewisse Extra, sodass der Großteil der Demos sogar in ihren späteren Versionen auf dem selbstbetitelten DEICIDE-Debüt landeten. Doch auch in der AMON-Variante sind das unheilvolle 'Crucifixation', 'Sacrificial Suicide' kurz zuvor oder das abschließende 'Oblivious To Nothing' vor brachialer Vehemenz schon eine Wucht. Und welchen Stellenwert diese Songs haben, zeigt sich in der Tatsache, dass Brecher wie 'Dead By Dawn', eben jenes 'Sacrificial Suicide'-Massaker oder auch 'Lunatic Of God's Creation' noch heute gern gesehene Gäste im DEICIDE-Liveprogramm sind. Der Anfang ist jedenfalls schon gemacht.

Umbenannt in DEICIDE kümmerten sich die Herren mit der Überarbeitung ihrer Demo-Songs und den neuen, hasserfüllten Schlachteplatten 'Deicide' und 'Mephistopheles' um ihr selbstbetiteltes Debüt, das inklusive dieses ikonischen Artworks im März 1990 aufgenommen und schon am 25. Juni desselben Jahres auf die Menschheit losgelassen wurde. Es wurde noch brutaler, noch härter, noch kompromissloser, was einige Firmen und sogar Länder wie Schweden veranlassten, "Deicide" bzw. den Lyrics keinen Platz zu schenken. Das kümmerte das DEICIDE-Quartett aber nicht und es präsentiert sich auf dem Debüt beinah schon vor Wut rasend und einfach unfassbar schnell. Scheinbar von Satans Hörnern gestochen wirken die einstigen Demo-Songs noch zielgerichteter und spritziger, Glen noch viel galliger, Riffing und Drums noch mehr on point und fieser und schneller und überhaupt. Vollkommen zurecht gilt das DEICIDE-Debüt heute als absoluter Klassiker des US Death Metals und hat über die lange Distanz von stolzen 33 Jahren nichts an Charme und Ausdrucksstärke verloren. Im Gegenteil, bei 'Oblivious To Evil', 'Carnage In The Temple Of The Damned' oder 'Blaspherereion' dreht der innere Schweinehund immer noch komplett durch, auch wenn sich jeder seine eigene Meinung zu den antichristlichen und recht eindeutigen Lyrics sowie Glens teils bescheuerten Aussagen machen kann. Doch sei's drum.

Weiter im Text geht es mit "Legion" und hier kommen vor allem Geschwindigkeitsfanatiker vollkommen auf ihre Kosten, scheinen die DEICIDE-Wüteriche das ohnehin schon abartige Tempo ihres Debüts auf Album Nummer zwei übertreffen zu wollen. So rasen 'Dead But Dreaming', 'Trifixion' und 'Holy Deception' – allesamt auch heute noch absolute Live-Garanten – mit einer Affengeschwindigkeit über die Ziellinie. In knapp 29 Minuten zerstören DEICIDE und "Legion" alles, was bei drei nicht auf den Bäumen ist und hinterlassen nichts als zerstörte Erde. Aber – und das muss man Glen und Co. zugute halten – die Songs sind im Gegensatz zu den "Deicide"-Momenten etwas komplexer und durchdachter, was sie aber nicht weniger brutal und kompromisslos erscheinen lässt. Eine musikalische Weiterentwicklung der Band ist also binnen der beiden Jahre nicht von der Hand zu weisen, auch wenn die Texte einen ähnlichen satanischen Charme versprühen. Musikalisch macht "Legion" jedoch dem Begriff "Death Metal" alle Ehre, zelebrierte der Vierer doch 1992 das Todesmetall in reinster Form, knüppelte hektisch auf Teufel komm' raus, schert sich nicht um Melodien oder Schönspielerei, sondern hämmert selbst dann noch gegen die Scheibe, wenn das Glas schon längst zerbrochen ist - abgrundtief böse und erbarmungslos eben.

Und so kommen wir auch schon zum letzten Tape dieser illustren Box, dem Album "Once Upon The Cross", das am 17. April 1995 erschien, das alleine von den Songtiteln schon Glens Hang zum Satanismus und seine Abneigung vor allem gegen das Christentum wie kein anderes DEICIDE-Album zum Ausdruck brachte. Und was gibt es musikalisch? Nun, das Album kann "Legion" auf jeden Fall das Wasser reichen, hat sich DEICIDE nicht nur instrumental, sondern auch gesanglich noch einmal auf das nächste Brutalo-Level setzen können. Songs wie 'Christ Denied', 'They Are The Children Of The Underworld' oder 'Behind The Light Thou Shall Rise' zeigen DEICIDE nicht mehr so komplex, sondern etwas eingängiger als noch zwei Jahre zuvor, doch diese Brücke aus "Deicide" und dem Zweitwerk mit einem noch brutaleren Sound und einer zumindest musikalisch reiferen Leistung ist damals wie heute ein Anwärter auf den Death-Metal-Klassiker-Thron. Die Gitarren flirren und sägen und riffen sich in einen Wahn, die Dynamik vor allem bei 'Kill The Christian' ist der Wahnsinn und obgleich die Aggression nicht mehr ganz so deutlich zum Vorschein kommt, ist das Album trotzdem ein Sinnbild für pure Wut. Und dann haben wir da noch dieses recht eindeutige Artwork, das in dieser Form noch entschärft ist. Die ursprüngliche Version mit den Innereien Jesu war dann doch etwas zu viel für den Musikmarkt.

Und so schließt sich der Kreis, den "Screaming Ancient Incantations" gezogen hat, denn zumindest für mich war DEICIDE mit diesen drei ersten Alben auf dem absoluten Zenit, den das US-amerikanische Massaker in den Folgejahren leider nur noch zum Teil erreichen konnte. Doch wie man auch zu "Deicide", "Legion" und dem nahezu perfekten "Once Upon The Cross" stehen mag, fest steht, dass auch diese Tape-Box wieder alle Fanherzen höher schlagen lässt und nahezu keine Wünsche offenlässt. Der Spagat aus glorreicher und authentischer Vergangenheit und edler, moderner Gegenwart gepaart mit abermals unheimlich viel Liebe zum Detail steht wie schon bei den anderen Veröffentlichungen aus dem Hause Darkness Shall Rise Productions ganz oben auf der Speisekarte und verdammt, das ist richtig lecker!

Fotocredits: Darkness Shall Rise Productions

Redakteur:
Marcel Rapp

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