Gruppentherapie: ATTACKER - "The God Particle"

27.04.2024 | 00:23

Lob dem Sänger oder hau den Lucas?

Hand aufs Herz, wer hatte auf dem Schirm, dass die US-Band ATTACKER schon seit 1984 aktiv ist? Wir haben es hier also mit wahren Underground-Veteranen zu tun. Doch dem Namen Bobby Lucas (Gesang) könnte man schon mal begegnet sein, und um diesen geht es hier auch in einigen Gruppentherapie-Beiträgen. Hat die Scheibe den April-Soundcheck mit größtenteils guten Noten auf einem soliden Mittelfeldplatz abgeschlossen, begegnet sie hier ein paar Therapeuten, die von "The God Particle" nicht so begeistert sind wie unser Maik im Hauptreview. Und da rückt vor allem Herr Lucas in den Fokus. Es geht allerdings erstmal ganz harmlos los...




Herzlichen Glückwunsch zum Vierzigsten! Das achte Album nach acht Jahren und wieder gibt es aus dem Hause ATTACKER mal thrashige, mal kraftvolle, aber immer mit diesem glanzvollen US-Stahl ummantelte Metal-Kost in bester HELSTAR-, ANNIHILATOR- und VICIOUS RUMORS-Manier. Die Riffs galoppieren, das Tempo wird beinahe durch die Bank weg hochgehalten und in stellenweise sogar schöner IRON MAIDEN-Manier brennen sich Songs wie der famose 'Knights Of Terror'-Opener oder 'River Of Souls' mit der Kraft der NWoBHM tief im Herzen fest.

Nicht nur konzeptionell wird die Bestie also von der Leine gelassen und wenn dann auch Obersirene Bobby Lucas zeigt, was in ihm steckt, dann weiß jeder ATTACKER-Liebhaber, dass der REVEREND-Shouter ein toller Nachfolger Bob Mitchells ist [und das schon seit über einem Jahrzehnt, es sollte sich also rumgesprochen haben - Anm. d. Red.]. Richtig, der verleiht den neuen Götterpartikeln noch etwas mehr Glanz, Ausstrahlung und... stellt euch bitte die Stimme von Tim Taylor vor: mehr Power! Obwohl ATTACKER gerne mit dem Tempo etwas hätte variieren können, zünden Knaller wie 'Kingdom Of Iron' oder 'The Mighty Has Fallen' gleich von Anfang an. Einfach herrlich, was auf "The God Particle" abgeht.

Note: 8,0/10
[Marcel Rapp]

Anscheinend hat unser Chefredakteur vor dem Schreiben seines Reviews in den selben Ohrenschrank wie meine Wenigkeit gegriffen, denn offensichtlich haben wir mit exakt derselben Marke Lauschlöffel das Album gehört. Nun ist es bei den hoffentlich auch bei unseren Lesern beliebten Gruppentherapien selbstverständlich auch ein wenig Sinn und Zweck, in Form von gesunder Reibung eine Art von Dissens zu erzeugen, die verschiedenen subjektiven Hörergebnisse gegeneinander zu stellen und im besten Fall argumentativ zu untermauern.

Hier allerdings muss ich dem Kollegen Rapp in fast allen Punkten absolut recht geben, so dass es mir nicht ganz leicht fällt, hier noch Schlaues und ertragreich Neues beizutragen. Gut, die Vergleiche sowohl mit frühen als auch späten ANNIHLATOR erschließen sich mir dann doch nur mit sehr viel Fantasie, aber ansonsten kann ich dem Geschriebenen des Kollegen Rapp nur beipflichten. Die Band, bei der mittlerweile ja nur noch Schlagzeuger Mike Sabatini einziges verbliebenes Originalmitglied ist, bietet auf der neuen Platte US-Power-Metal auf allerhöchstem spieltechnischen und kompositorischen Niveau.

Durchweg alle Songs sind überdurchschnittlich gut. Es gibt zwar keinen absoluten TOP TOP TOP (Pep Guardiola lässt grüßen)-Song, aber eben auch keinerlei Stinker zu verzeichnen. Wer Tonträger von HELSTAR oder den leider verblichenen AMULANCE im Schrank stehen hat und diese auch nach wie vor zu schätzen weiß, kann hier eigentlich total bedenkenlos zugreifen. In den (in meinen Augen oft zu Unrecht verunglimpften) 90ern haben sich gerade im Underground noch viele Bands exakt dieser Musik verschrieben. Dieser Tage hört man diese Art von tightem, progressiv angehauchtem US Metal leider nur noch viel zu selten, sieht man einmal von den üblichen Flaggschiffen ab, die es aus den 80ern noch in die Neuzeit geschafft haben. Möge die Zukunft hier alsbald Abhilfe schaffen.

Note: 8,0/10
[Stephan Lenze]

Nachdem mir Bobby Lucas auf dem letzten OVERLORDE-Album fehlte, darf ich ihn jetzt bei ATTACKER hören. "The God Particle" ist das erste Studioalbum seit stolzen acht Jahren, und es ist etwas balleriger und US-metallischer als beispielsweise "Giants Of Canaan". Da durfte man ja auch schon Lucas hören, aber gerade die Gitarren waren damals ziemlich stark von IRON MAIDEN beeinflusst.

Das fehlt mir hier etwas, aber das Niveau von "Sins Of The World" wird klar gehalten. Starker US Metal mit moderner, aber nie zu klinischer Produktion, der mich sofort mitreißt und mich fragen lässt: Wann sehen wir das mal wieder live auf einem der einschlägigen Festivals? Gutes Teil!

P.S.: Meinetwegen hätte die Scheibe aber natürlich schon noch zehn Minuten länger sein dürfen.

Note: 8,5/10
[Jonathan Walzer]

Traditioneller US-Metal und dann gibt unser Kollege Holger auch "nur" durchschnittliche 6,5 Punkte. So schlimm wie befürchtet ist diese Attacke dann doch nicht ausgefallen und das liegt sicherlich nicht an der mickrigen Spielzeit. Eher finde ich diese Länge der Scheibe angebracht, da die Story nach dem finalen Titeltrack ein sinnvolles Ende findet (Chancen für ein Sequel gibt’s ja immer) und auch musikalisch alles auserzählt wurde, was scheinbar möglich war.

Apropos zur Story. Diese weirde SciFi-Okkultismus-Handlung macht wirklich Laune und hebt zusammen mit der ungewöhnlichen Farbgebung des Artworks das Ganze schon über den Durchschnitt. Da fällt es dann nicht so schwer ins Gewicht, dass eigentlich nur bekannte Zutaten verwendet werden und ich mich am nächsten Tag an keinen Song mehr nachhaltig erinnern kann.

Während des Hörens macht die Band aber kaum etwas falsch und das ist so viel mehr als viele andere Bands aus diesem Genre für sich behaupten dürfen. Selbst die Stimme ist doch noch einwandfrei goutierbar und passt wunderbar zur Musik. Da muss Holger mir nochmal separat erklären, warum Bobby Lucas jetzt besonders anstrengend sein soll?

Note: 7,0/10
[Stefan Rosenthal]

Lieber Stefan, das kann ich gern versuchen. Es gab eine Zeit, da habe ich Bobby "Leatherlungs" wirklich gern angehört. Wenn ich an MORBID SIN oder OVERLORDE denke, dann steht mein Wohnzelt in Flammen, höre ich seine spitzen Schreie nur im Geiste.

Heute sehe ich ihn vor meinem geistigen Ohr, wie er mit krebsrotem Kopf völlig verkrampft versucht an alte Glanzzeiten heranzureichen. Dabei entstehen krächzende Laute, manchmal sogar schiefe Töne, die in den Ohren schmerzen. Nun werden andere Kollegen sicherlich denken, wieso gerade ich als jemand, der auf schräge Stimmen steht, hier ein Problem hat. Nun, es gibt einen Unterschied zwischen schrägen Stimmen, die in meinen Ohren originell klingen und Stimmen, die sich einfach überschätzen. Hier wird die ganze Zeit nur geschrien. Emotionen entstehen nicht, Melodiebögen suche ich ebenfalls vergeblich.

Da US Metal nun aber grundsätzlich meine Nische ist, muss ich obendrein noch feststellen, dass auch die musikalische Umsetzung nicht besonders gelungen ist. So richtig zwingend klingt keiner der Songs, was aber eventuell auch am wirklich miesen Klang der Scheibe liegt. Alles klingt matschig, teilweise auch übersteuert und so verpuffen die teils guten Riff-Ideen im Niemandsland. Dass ich doch noch so viele Punkte vergeben habe, liegt daran, dass mir die Grundausrichtung natürlich schon liegt. Wo hier jedoch Vergleiche mit HELSTAR, VICIOUS RUMORS oder ANNIHILATOR herkommen, ist mir aber schlicht unerklärlich. All diese Bands schaffen es nämlich auch auf ihren weniger guten Platten, Hooklines zu erzeugen, die ich hier tatsächlich kaum finden kann.

Note: 6,5/10
[Holger Andrae]

Das ist mein dritter Versuch, nach Kopfhörern jetzt stereo. Es ist unerträglich. Sorry, mehr als zwei Songs schaffe ich nicht. Und das liegt keineswegs am Songwriting oder am unbestreitbaren Können der Musiker. Das Gehörte erinnert mich sogar angenehm an die großartigen AGENT STEEL. Nein, es ist der komische Sound von Bobby Lucas' Stimme. Das kratzt so fies in den Gehörgängen, dass ich mich frage, wer die Produktion bis zum Mastering so zugelassen hat. Ich weiß, dass man mit handwerklichen Urteilen vorsichtig sein muss, aber mein gewisses Produktionswissen ruft hier ganz laut: "Das sollte, nein, das darf nicht sein!"

Die Ursachen können übrigens sehr unterschiedlich sein: zu starke Kompression oder Limiter, falsches De-Essing, schlicht Probleme mit der Aufnahmequalität oder beim Mastering. Ein Blick auf die Reaktionen der geschätzten Kollegen hier und beim Soundcheck lässt mich allerdings etwas irritiert zurück. Da es sie offensichtlich nicht stört, sind es vielleicht nur meine Ohren?

Volle Transparenz: Ich habe das Album als verlustfreien Stream über Apple Music gehört. Vielleicht gibt es das Problem nur dort? Vielleicht. Aber ich empfehle, das Album zu testen, ob es eine ähnliche Allergie auslöst wie bei mir. Ich meine, nicht jeder hat Heuschnupfen... Aus diesen Gründen verzichte ich auf eine klassische Bewertung.

Note: -/10
[Julian Rohrer]

Mein erster Durchgang von "The God Particle" ist noch etwas indifferent. Ich finde ein paar nette MAIDEN-Zitate, aber allzu viel bleibt nicht hängen und so richtig toll ist das auch nicht. Dazu entsteht nach dem Lesen von Holgers Beitrag ein ähnliches Bild im Kopf, das meinen negativen Eindruck noch verstärkt: Ja, da ist ein Sänger, der sich redlich müht, ein paar vernünftige Töne herauszubekommen, was manchmal gelingt, oft aber in kreischgepressten Fehlversuchen endet. Julian erklärt dann, dass dies an der Produktion liegen könnte.

Wie auch immer, etwas stört auch mich an dem Gesang, an der ganzen Musik, die hektisch und fahrig wirkt, manchmal gar unangenehm im Ohr liegt. Dazu kommt, dass man so etwas in der Art so oder so ähnlich schon oft gehört hat. Damit ist ATTACKER sogar noch schlimmer als die letzte OVERLORDE (zur Gruppentherapie von "Awaken The Fury"). Schnell wieder zu FRIENDS OF HELL!

Note: 5,0/10
[Thomas Becker]

Redakteur:
Thomas Becker

Login

Neu registrieren