Gruppentherapie: ATTIC - "Return Of The Witchfinder"

06.04.2024 | 21:17

Extreme Gesangsakrobatik oder Falsett-Eskalation?

Am Gesang scheiden sich die Geister. Ob King Diamond, Hansi Kürsch oder John Arch, wenn der Sänger sehr prägend für eine Band ist, spaltet sich die Gemeinde oft. Es besteht der Bedarf zu therapieren. Das gilt auch für die Ruhrpottler ATTIC, die beispielsweise unseren Holg sehr begeistern (zu seinem Review von "Return Of The Witchfinder"), im März-Soundcheck (immerhin Platz 8) aber gemischte Noten einheimsen. Doch liegt das wirklich nur am Gesang?

Come, Come To The Sabbath! Sieben lange Jahre hat es gedauert, doch nun sind die deutschen Erben des Diamantenkönigs mit ihrem dritten Hexenverfolgungslangeisen zurück und lehren uns mit dieser herrlich schaurigen Atmosphäre das Fürchten. Natürlich träumen wir alle von einem großen Anwesen, meterhohen Decken und vereinzelten Leuchten, die so unheilvoll wie beschaulich die Korridore miteinander verknüpfen. Dazu eine große Standuhr, die zu jeder vollen Stunde die gesamte Villa erbeben lässt. Dazu prasselnder Regen und Bodennebel, wenn wir einen Blick aus den Bullaugenfenstern werfen.

Große Töne aus Dänemark haben uns schon immer dabei geholfen, sich in ein passendes Szenario der Heavy-Metal-Gruselhörspiele zu denken - und hiervon profitiert einmal mehr ATTIC, und im neuesten Fall das superbe "Return Of The Witchfinder"-Kabinett: Die Riffs so melodisch durchschneidend und gefährlich, die Aura so dicht, okkult und umhüllend, und dazu noch Cagliostros Stimme, so schnittig, einprägsam und Tribut zollend, ohne dabei das Hauptaugenmerk auf den bandeigenen Stärken auch nur ansatzweise ad acta zu legen.

Und so sind es vor allem der 'Darkest Rites'/'Hailstorm And Tempest'-Doppelpack, das nahezu perfekte Titelstück sowie das hitverdächtige 'Azrael', die den Braten im vorliegenden Hexenzirkel richtig fett und saftig erscheinen lassen. Leute, "Return Of The Witchfinder" hat viel zu lange auf sich warten lassen. Gebt für Album Nummer drei bitte etwas mehr Gas, die Meute lechzt danach.

Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]

Nach langer Wartezeit und von vielen herbeigesehnt, dürfen wir uns über das dritte Full-length-Album von ATTIC freuen. Bisher kann ich noch keine Veränderungen in der Stilistik gegenüber "Sanctimonious" heraushören. Auch ohne Textbeileger wird deutlich, dass das Storytelling wieder vom Feinsten ist. Die wunderbare Melodik von 'Darkest Rites' nimmt mich sofort wieder für die Band ein. Der Song ist als Opener nach dem Intro perfekt ausgewählt. Auch die Raserei in 'Halestorm And Tempest' ist absolut mitreißend.

Nach mehrmaligem Hören hat sich dann noch 'Offerings To Baalberith' als weiterer kompositorischer Höhepunkt herauskristallisiert. Bei einem Konzeptalbum einzelne Stücke hervorzuheben ist immer problematisch, aber ich merke, dass ich diese Titel auch gerne mal einzeln anspiele. Das kommt nicht von ungefähr. "Return Of The Witchfinder" ist ein nahezu rundum gelungenes Album.

Ich habe nur einen Punkt kritisch anzumerken. Ich bin mir sicher, dass die Songs von ATTIC dadurch gewinnen könnten, wenn Meister Cagliostro seine Ausflüge in das hohe Gesangsregister nicht ganz so lange ausdehnen würde, sondern wie in 'The Thief's Candle' auch mal variieren könnte. Kann ich jeden einzelnen Track vollauf genießen, stellt sich am Ende eines vollständigen Spins ein klein wenig Übersättigung ein. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau.

Note: 8,5/10
[Jens Wilkens]

Jens hat in zwei Punkten vollkommen Recht. Zum einen ist das Storytelling wirklich wieder erstklassig und ergibt somit am Ende ein Konzeptalbum, was deutlich schlüssiger ist, als zum Beispiel die neue Scheibe von BRUCE DICKINSON. Zum anderen wäre eine Reduktion der Falsetteskalation auch für mich immer gewinnbringend. Das ist auf Albumlänge schon arg anstrengend zu hören und manche Teile sind fast schon eine Form von Realsatire. Dabei sind die Lyrik und das thematische Konzept alles andere als etwas, zu dem eine solche ungewollte, humorvolle Aufarbeitung passt. Hier beißt es sich aus meiner Sicht zu stark und mit diesem Widerspruch habe ich mehr Probleme als mit der reinen Kopfstimme, die einfach nur nicht meinem persönlichen Geschmack entspricht.

Hinzu kommt aber auch der noch gewichtigere Punkt, dass diese Gesangsperformance leider das Hauptargument für eine Kaufentscheidung ist. Würde Herr Cagliostro ausschließlich im Normalbereich agieren, wäre "Return Of The Witchfinder", wie auch seine beiden Vorgänger, eine absolut durchschnittliche Veranstaltung. Somit bleibt für mich auch wenig Greifbares, wenn ich versuche diese Songs ohne Fokus auf die Stimme zu goutieren. Das ist dann eben der Unterschied zu "Abigail" oder "Melissa".

Note: 6,5/10
[Stefan Rosenthal]

Jaja, "Melissa". Eines meiner musikhistorischen Ziele der letzten Jahre war es, das Werk des dänischen Diamantenkönigs in den frühen 80ern aufzuarbeiten und zu verstehen, weswegen "Melissa" und "Don't Break The Oath" etliche Male hier liefen. Während ich mir immer noch nicht sicher bin, ob ich MERCYFUL FATE nun mag oder ob es eher nervt, tue ich mich bei ATTIC einen Tick weniger schwer. Die Band hat bei mir vor allem auf "Sanctimonious" ein paar Hits gelandet, die auch nach Jahren noch im Kleinhirn verankert sind.

So geht mir die etwas simpler gestrickte Highspeed-Variante der Dänenkönig-Musik auch mit dem neuen Album gleich besser ins Ohr als das Original, auch wenn die Parallelen beim Gesang frappierend sind. Es gibt also noch einen zweiten Menschen, der so singen kann. Warum soll er diese Kunst dann verstecken, liebe Kollegen?

Natürlich sollte man diese Musk nur ausgeschlafen und gut erholt hören, denn ja, über volle Länge kann das ansonsten hart werden, da zuzuhören. Das hohe Quieken ist einfach sehr fordernd, soll es auch sein. Noch dazu ist der Gesang im Verhältnis zum Rest der Band viel zu laut abgemischt und erscheint zumindest über Kopfhörer nicht gut in die Musik integriert. Doch anders als Stefan finde ich, dass es in eben jener durchaus etwas zu entdecken gibt. Vor allem die rasend schnellen Black-Metal-Passagen sind es, die ATTIC unterscheidbar machen. Holger bringt es in seinem Hauptreview mit "ekstatischer Raserei" auf den Punkt. Da ist man nicht nur als Schlagzeuger, sondern auch als Hörer "völlig losgelöst im freien Flug".

Das von einigen gelobte 'The Thief's Candle' finde ich hingegen eher langweilig und nicht alle Songs sind auf gleichbleibendem Niveau. Von daher platziere ich mich hier mal zwischen den jubelnden Kollegen Jens, Marcel und Holger und dem eher krittelnden Stefan.

Note: 7,5/10
[Thomas Becker]

Redakteur:
Thomas Becker

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