Gruppentherapie: HINAYANA - "Shatter And Fall"

28.11.2023 | 14:33

Vom herbstlichen Kampf eines Blattes auf dem Weg gen Erdboden.

Lustig, Hauptrezensent Tobias spricht in seinem Review zu "Shatter And Fall" von einem Hype um diese Band, der Verfasser der Zeilen hört in Vorbereitung auf diese Gruppentherapie von HINAYANA allerdings zum erstem Mal. Ob ihr nun hinterm Mond lebt oder nicht, Fakt ist, dass "Shatter And Fall" relativ kontrovers im November-Soundcheck aufgenommen wurde. Optimaler Patient für eine Gruppentherapie also. Ob es sich hier um ein welkes Blatt oder ein großes Kunstwerk handelt, lest ihr hier!



Es gibt einen Aspekt von Neuveröffentlichungen, der immer mal wieder etwas stiefmütterlich behandelt wird und manche Perle, aufgrund der falschen Wahl des Zeitpunktes des Release, etwas verpuffen lässt. Denn eigentlich wissen wir doch alle, dass manche Sounds unwiderruflich mit der jeweiligen Jahreszeit verknüpft sind, in der sie auf die Hörer losgelassen werden. Beim nächtlichen Heimweg im Schneesturm wirken die BEACH BOYS genauso deplatziert, wie das TRANS-SIBERIAN-ORCHESTRA beim Urlaub auf den Malediven.

In diesem Sinne Chapeau an HINAYANA und Napalm Records. Das Zweitwerk "Shatter And Fall" ist so dermaßen herbsttauglich, dass es ein Affront wäre, es nicht im Oktober/November rauszubringen. Diese Platte ist ein kongenialer Soundtrack für die omnipräsente Dunkelheit, die nasses Kälte, die durch Mark und Bein geht und dem generellen "Sterben" des Indian Summer. Jedes Blatt, welches den Kampf mit den Urkräften verliert, bekommt seine eigene musikalische Begleitung auf dem Weg gen Erdboden. Immer schön gefrustet, aufgrund der drohenden Tristesse und Alternativlosigkeit der kommenden Ereignisse, schafft es HINAYANA, genau die richtigen melodischen Zutaten zu wählen, die richtigen Härtegrade auszuspielen und die passenden Songwriting-Kniffe einzusetzen, um diesen Niedergang zu vertonen.

Kein Bock auf "Winter-Blues"? Dann versucht es mal mit dem Dark-Melodic-Death-Metal der US-Amerikaner. Wäre doch schön wenn so düstere Musik sogar noch einen positiven Nebeneffekt hat.

Note: 8,5/10
[Stefan Rosenthal]

https://www.youtube.com/watch?v=S2blq4pewi8

Das hast du schön geschrieben, Stefan, das kann ich gut nachvollziehen. Aber nur das richtige Gefühl, eine Scheibe, bei der ich versucht bin, sie nur von November bis Februar zu hören, ist vielleicht doch auf Dauer etwas zu wenig. Dabei bieten uns die US-Amerikaner, die sich originellerweise nach einem Sanskrit-Wort benannt haben, eine durchaus originelle Mischung an.

Die Grundlage bildet Death Metal, der aber mit viel doomiger Melancholie abgeschmeckt wurde. Das wäre an sich noch nicht so originell, aber die Keyboardteppiche und akustischen Gitarren, die Black-Metal-Einschübe über Säuselmelodien, die Prog-Gitarren und der Kontrast zwischen traurigen Saiten und fröhlichen Tasten, machen den Sound tatsächlich interessant. Ich wüsste nicht, womit ich das wirklich vergleichen könnte, jedes Instrument scheint in einem anderen Genre zu agieren. Am ehesten fiele mir noch DIMMU BORGIR als Referenzpunkt ein, an die ich mich immer mal wieder erinnert fühle, dazu etwas WHILE HEAVEN WEPT, während man sich an den Gitarren durch die Musikgeschichte dudelt und von PENDRAGON über JUDAS PRIEST und ANATHEMA bis OPETH alles verwurstet, was man den Instrumenten entlocken kann.

Allerdings hat das Ganze auch zwei Punkte, bei denen ich Kritik äußern möchte. Zum einen nutzt sich das Rezept auf Albumlänge etwas ab und verliert an Originalität, da ähnliche Elemente in nahezu allen Liedern eingesetzt werden. Und zum anderen röhrt Sänger Casey Hurd leider recht monoton durch die Rillen und überdeckt mir zu viele der instrumentalen Feinheiten mit immer gleichem Gesang. Oh, was könnte ein Hammer wie 'Tryptich Visions' großartig sein mit, sagen wir, Johnny Hedlund am Mikrophon. Casey kann mich nicht fesseln und ich ertappe mich bei den letzten Liedern, dass ich nachschaue, wie lang die Scheibe noch läuft. Schade, musikalisch ist das mindestens ein Punkt mehr, aber gerade bei den Mikroröchlern bin ich sehr wählerisch. Ja, sogar als Instrumentalscheibe hätte ich das höher bewertet.

Note: 6,5/10
[Frank Jaeger]

Ich sehe es förmlich vor mir, wie Frank sich hier windet, als verantwortungsvoller Soundchecker sprachliche Kompromissbereitschaft bei einer Scheibe zu signalisieren, die ihm eigentlich überhaupt nicht liegt. Doch bevor ich über die Gefühle anderer spekuliere, rede ich lieber über meine eigenen.

Also, diese Scheibe ist die Ausgeburt der Langeweile. Ich hab ja keine Ahnung, wo der Frank hier all die tollen Bands raushört, die er in seinem Beitrag nennt. Mich erinnert das in den langsameren Passagen eher an ältere SWALLOW THE SUN, sonst an INSOMNIUM, beides Bands, die ich schon im Original immer eher mau finde. Noch dazu hat HINAYANA gar keinen cleanen Gesang, sondern nur dieses phasenweise, gar albern wirkende, monotone Geröchel. Und dann diese immer gleichbleibenden flächigen Keyboardsounds über der schwerfälligen Musik, die machen es irgendwie noch schlimmer.

Mir geht es mit der Musik deshalb ein wenig wie Stefans Blättern, ich ertrage die Tristesse der Töne auf dem langen Weg in mein Ohr, allerdings gibt es für selbiges eine sehr schöne Herbst-Alternative. Einfach mal wieder PARADISE LOST hören!

Note: 5,0/10
[Thomas Becker]

https://www.youtube.com/watch?v=70mRmxgBKDo&t=2s

Wenn Atmosphäre groß geschrieben wird...

Wie schon bei anderen Bands des melodisch-tödlichen, aber hochatmosphärischen Stahlsektors, kredenzen auch die Texaner von HINAYANA eine Aura, die mich umhaut. Jedes einzelne Merkmal dieses "Shatter And Fall"-Werkes sorgt für Gänsehaut: Sei es das geschmackvolle Artwork, die dichte, warme Produktion, der süßliche Anflug von Melancholie oder mitreißende Songs der Marke 'The Answer' und 'Tryptich Visions' - viele Mosaiksteinchen sorgen für ein großes Kunstwerk, das Alben von INSOMNIUM, BEFORE THE DAWN aber auch KATATONIA mühelos das Wasser reichen kann.

Doch aus Texas kommt auch eine andere Seite: Denn wenn HINAYANA am Tempo zieht und dem schwarzmetallischen Ungetüm den Vortritt lässt, ist das Hörerlebnis eine Wonne und 'Mind Is A Shadow' oder 'Spirit And Matter' einfach toll. Auch wenn also einerseits das Harsche und Offensive groß geschrieben wird, andererseits aber die Melodienvielfalt für unheimlich viel Tiefgang sorgt, klingt "Shatter And Fall" wie aus einem Guss und ist dieses ach so typische Novemberalbum, nach dem ich mir gerade die Finger lecke. Einfach schön.

Note: 8,5/10
[Marcel Rapp]

Redakteur:
Thomas Becker

Login

Neu registrieren