Gruppentherapie: IN VAIN (NOR) - "Solemn"

06.05.2024 | 22:15

Schönwetter-Killer oder eckig-kantige Wundertüte?

Im April-Soundcheck auf dem zehnten Platz eingelaufen, gehen die Meinungen in dieser Gruppentherapie mit Noten zwischen 5,5 und 9,5 (ähnlich ist auch die Spreizung im Soundcheck) ziemlich auseinander. Doch da kann Björn Backes im Einzelreview sogar noch einen draufsetzen und vergibt die volle Punktzahl. IN VAIN (NOR) ist für ihn eine herausragende Band und "Solemn" stellt für ihn zudem noch einen Meilenstein in der Diskografie der Norweger dar. Mit welchen Zuschreibungen und Einschätzungen kommt der Rest vom Schützenfest um die Ecke?

Puh, das ist deftige und fordernde Kost, die uns aus Norwegen ins Haus flattern. Die Düsterprogger IN VAIN (NOR) haben nach sechs Jahren ihr fünftes Album im Gepäck, und wie schon der Vorgänger "Currents" zwingt mich auch das aktuelle Album zur inneren Düsternis. Klar, Black'n'Death ist schon eine Hausnummer und wenn dann auch noch progressive Elemente, Tempo- sowie Shoutwechsel hinzukommen und diese sich munter gegenseitig die Klinke in die Hand drücken, dann kreieren die Skandinavier einmal mehr Musik, für die man sehr viel Zeit und Konzentration aufbringen muss.

Und inmitten des Frühlings - die Temperaturen werden wärmer, die Blumen blühen - will man doch eher ins Freie und locker-flockige Töne hören anstatt mit 'Shadows Flap Their Black Wings' oder 'Season Of Unrest Ar' schwer verdauliche Klänge. Growls, Gekeife und Klargesang im Wechsel, mal melodischer, mal harscher, mal aggressiver, mal zugänglicher, mal rasend, mal im schweren Midtempo - an Abwechslung mangelt es "Solemn" definitiv nicht. Und obwohl IN VAIN (NOR) hierbei auch nie den roten Faden außer Acht lässt, ist ein kompletter Durchgang an einem Stück eine Hausnummer, der ich derzeit nicht gewachsen bin.

Obwohl es zugängliche Lichtblicke wie 'At The Going Down Of The Sun' gibt, instrumental die Jungs vieles auf dem Kasten haben und das Album eine gewisse Atmosphäre versprüht, ist es schlichtweg die falsche Jahreszeit für ein kleines bisschen Horrorshow der düsteren Prog-Sorte.

Note: 6,0/10
[Marcel Rapp]

 

Wenn Flitzefinger Björn zehn Punkte zückt, el Cheffe aber nur 6, dann interessiert mich das. Es sind die rezeptiven Ungereimtheiten, die mich faszinieren. Zumal ich IN VAIN (NOR) gar nicht auf dem Zettel hatte. Ein Blick auf Metal Archives verrät, dass ein Teil der Musiker bei SOLEFALD live aushilft - und das könnte der Schlüssel sein, um sich der Musik der Norweger zu öffnen. Denn ein bisschen Wahnsinn im Wechsel der musikalischen Stile steckt auch in "Solemn" - freilich ohne sich dem totalen Irrwitz von SOLEFALD hinzugeben.

Was mich neben der Freude am Entdecken der vielen Details und Ideen sowie der musikalischen Provokationen (z.B. die bewusst(?) trashigen Keyboard-Bläser im Opener) am meisten fasziniert, ist, dass das Album einen wohligen 90er Charme versprüht. Ich kann nicht genau sagen, woran das liegt, aber man merkt, dass die Musiker Spaß daran haben, sich beim Schreiben der Musik selbst herauszufordern - und man hört aus den verwendeten Elementen mehrere Jahrzehnte Musikhören heraus. Mich erinnert das an musikalische Entwicklungen von Bands wie TIAMAT oder AMORPHIS.

Wer also mit der im weitesten Sinne düsteren Musik Skandinaviens etwas anfangen kann und sich nicht scheut, sich von einer gewissen Unberechenbarkeit provozieren zu lassen, sollte ein Ohr riskieren. Ich ordne mich dann zwischen Marcel und Björn ein. Ich finde die Musik faszinierend, aber nicht immer zu Ende gedacht. Ein tolles Album ist aber allemal herausgekommen.

Note: 8,0/10
[Julian Rohrer]

Ach Marcel. Warum greifst du so schnell zur weißen Fahne? Von jemandem, der auch MALADIE nicht abgeneigt ist, hätte ich eine höhere Frustrationsgrenze erwartet. Gegen ein Album wie "For We Are The Plague" ist doch "Solemn" pures Easy-Listening-Gold. Und das selbst unabhängig vom Wetter.

Wobei ein kurzer Blick aus dem Fenster mir auch suggeriert, dass es veröffentlichungstechnisch eine Punktlandung sein könnte. Der April ist in Bestform. Denn ohne Zweifel entfaltet dieser Düsterprog seine komplette Schönheit erst mit diesen melancholischen Rahmenbedingungen. Und genau in dieser Szenerie ist IN VAIN ein hervorragendes Album gelungen, welches - wie von Marcel gut beschrieben - Konzentration und Zeit vorausgesetzt, kaum Schwächen offenbart.

IN VAIN (NOR) hat nur ein Problem und das ist das Niveau der Konkurrenz in der vermeintlich gleichen Sparte. Ob nun offensichtliche Verdächtige wie BORKNAGAR (einfach mal 'Beyond The Pale' wirken lassen), ENSLAVED oder andere Avantgarde-Künstler wie DISILLUSION oder IHSAHN – da ist noch mehr Magie im Spiel. Aber vielleicht entwickelt sich dieser Zauber ja noch über die nächste Zeit. Stark genug für die Dauer-Rotation ist "Solemn" allemal.

Note: 8,5/10
[Stefan Rosenthal]

 

Völlig unabhängig von irgendwelchen jahreszeitlichen Überlegungen funktioniert die Musik von IN VAIN (NOR) für meine Ohren nicht. Ich gucke beim Musikhören wohl zu selten aus dem Fenster. Natürlich gehöre ich sicher auch nicht zur Zielgruppe dieses progressiven Gebrülls und Geballers, da ich mit den meisten hier schon genannten Bands ebenfalls eher wenig anfangen kann. Dabei frustriert mich "Solemn" allerdings gar nicht. Zumeist pendelt das Pendel zwischen "egal" und "nervig". Dieses ständige und irgendwo auch beliebige Wechseln von Metalgenres innerhalb der Songs verbunden mit entweder kraftlosem Klargesang oder ausdrucksschwachem Gebrüll oder Gekeife lässt mich völlig kalt.

Einige Riffs sind ziemlich cool, allerdings werden sie gerne bis zur Schmerzgrenze kaputtgeballert und verlieren damit jede Wirkung auf mich. Auch so manche Melodie finde ich gelungen, leider scheint IN VAIN (NOR) allerdings die Ausdauer oder Geradlinigkeit zu fehlen, diese Ideen in packende Songs zu verpacken. Stattdessen gibt's dann lieber plötzlich nochmal ein paar Bläser oder modernes Groove-Metal-Allerlei oder am liebsten beides gleichzeitig. Eine ziemliche Effekthascherei, die mich höchstens zum Schulterzucken bewegen kann.

Note: 5,5/10
[Marius Lühring]

Huch, seit wann kann IN VAIN (NOR) so die Gemüter spalten? Wer Freund der melancholischen und düsteren Klänge ist, kann auch bei Sonnenschein und klarem Himmel die Erhabenheit dieses gewaltigen Albums erkennen. Es wird Zeit meinen Ring ins Feuer zu werfen, denn Team Björn braucht mehr Unterstützung! Obwohl ich die Norweger nur von der "Ænigma" kenne, war die Erscheinung der neuen Scheibe der kleine Schubser, um mich jetzt doch sehr intensiv mit der Band zu beschäftigen.

Und was soll man sagen? "Solemn" knallt, und zwar gewaltig! Was bei Kollege Julian als "trashige Keyboard-Bläser" verschrien wird, sind tatsächlich echte Gastmusiker und wer auf Bands wie SEAR BLISS steht, weiß wie unfassbar gut harte Riffs und Posaunen Hand in Hand gehen können. Diese Mischung aus Blechbläsern, knackigen Gitarrensoli und die angenehme Gratwanderung zwischen Klar- und Schreigesang sind ein purer Genuss, der sich eben in Überlänge entfalten muss. Und dieses hohe Level wird konsequent durchgehalten. Für mich ist IN VAIN (NOR) ein direkter Anwärter für den Jahrespoll geworden!

Note: 9,5/10
[Hang Mai Le]


My dear Mister Singing Club - so kontrovers geht es in unseren heiligen Hallen ja selten zu. Bisher war mir IN VAIN (NOR) nur vom Nebenbeihören ein vager Begriff, was sich durch den April-Soundcheck glücklicherweise geändert hat. An den bisherigen Beiträgen konnte man schon unschwer erkennen, dass wir es bei "Solemn" mit einer eckig-kantigen Wundertüte zu tun haben. Tatsächlich verbraten die Norweger gleich im großartigen Opener mehr Ideen und Einflüsse als manch eine 08/15-Heavy-Metal-Band auf einem ganzen Album.

Somit stellen sich drei Fragen: Erstens, ist man willens und in der Lage sich auf so etwas einzulassen? Zweitens, liegt diesem klanglichen Gemischtwarenladen ein stimmiges und tragfähiges ästhetisches Konzept zugrunde? Drittens, kann ich mich persönlich für dieses ästhetische Konzept erwärmen? In meinem Fall kann ich alle drei Fragen nur mit einem glasklaren "JA!" beantworten. Spätestens bei einer ungestörten Nachtsession unter dem Kopfhörer wird klar, mit wie viel Sorgfalt und Liebe zum Detail "Solemn" komponiert und arrangiert ist. Es ist eine Wonne zu erleben, wie sich hier pechschwarze Hasstiraden ganz selbstverständlich in locker-flockige Prog-Rock-Melodien auflösen, wie eindringlich melodische DISILLUSION-Parts (gell, Stefan!) von gnadenloser Doom/Death-Lava zerfressen werden oder wie hypertrophe Black-Metal-Eruptionen ihre ersehnte Erlösung in hymnisch-melodischen und zugleich druck- und kraftvollen Gitarren-Landschaften finden.

"Solemn" ist eine der kreativsten und spannendsten Extreme-Metal-Scheiben, die ich in den letzten Jahren gehört habe. Und je öfter ich hier zuhöre, desto mehr tendiere ich dazu, meine derzeitige Wertung noch aufzustocken.

Note: 8,5/10
[Martin van der Laan]

Redakteur:
Thomas Becker

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