Gruppentherapie: MARDUK - "Memento Mori"

10.09.2023 | 22:16

Wenn Bosheit die Redaktion beherrscht...

Schon zum dritten Mal in diesem Jahr kommt eine Black-Metal-Band auf den Thron des Soundchecks. Im Februar war es ENSLAVED (zum Februar-Soundcheck), im Mai dann IMMORTAL (zum Mai-Soundcheck), und jetzt MARDUK. Es wird also immer finsterer hier. Warum aber nicht nur Hauptrezensent Jhonny (zu seinem Review von "Memento Mori") und die bekannten Redaktions-Blackies, sondern auch Weicheier wie meinereiner und Intellektuelle wie Professor Thunderlaan ein solches Geschrote mögen, erklären wir Euch hier.

Abrissbirne! Eigentlich ist der Haupt-Rezension unseres lieben Jhonnys nicht mehr viel hinzuzufügen, zerlegen die MARDUK-Mannen mein heimisches Wohnzimmer doch auf brachialste Art und Weise. Und wer dem wüsten und brutalen Black Metal nach unzähligen Alben noch solch eine Duftnote verpassen kann, ohne dabei auch nur ansatzweise von der eigenen Marschroute abzuweichen, der gehört ganz nach oben.

Noch nie hat sich das schwedische Zertrümmerungskommando so viel Zeit gelassen, doch getreu dem Motto "gut Ding will Weile haben", entpuppt sich "Memento Mori" als geschmackvoller, erbarmungsloser und konsequenter Brecher vor dem Herrn. Mortuus Stimme ist eine Urgewalt, Morgan zersägt die Wände reihenweise und mit welch präzisem und ganz eigenem Drumming der neue Mann hinter der Schießbude auf die Trommelfelle schlägt, ist schon erstaunlich. Richtig, Jungspund Simon schubst die beiden MARDUK-Maschinen in den Jungbrunnen und verhilft "Memento Mori" zu erstaunlicher Stärke. Potzblitz, welch Machtdemonstration, die selbst den sonnigsten Sommer bitterböse verdunkelt und für heftige Blitzattacken sorgt. Von vorne bis hinten macht "Memento Mori" Bock auf Teufel komm' raus. Noch Fragen?

Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]

MARDUK ist Black Metal in Perfektion - sage ich jetzt mal frech und unverhohlen als jemand, der privat so gut wie nie Black Metal hört. Sollte Euch aber nicht irritieren, weil ja auch die Experten offenbar auf derselben Linie sind. Ich möchte nur kurz mitteilen, warum MARDUK auch auf einen eher intellektuell als emotional interessierten Musik-Liebhaber schweren Eindruck macht. Man hört auch auf "Memento Mori" wieder diese unbedingte Leidenschaft und Intensität, diese unheilige Kompromisslosigkeit, die mich immer wieder zutiefst beeindruckt. Eigentlich unnötig zu erwähnen, dass hier zudem auch großartige Musiker am Werk sind, die genau wissen, was sie wollen, und über die Fähigkeiten verfügen genau das auch zu erreichen. "Memento Mori" ist eine wunderbare Klang gewordene Apokalypse, in der man besinnungslos versinken kann und die einen mit Haut und Haaren verschlingt, wenn man es denn zulässt. Das ist dann wohl eben dieser originäre Black Metal in Perfektion - meilenweit entfernt von brechreizerregenden Pseudo-Kunstwerken aus diesem Genre, die wir unbedarfte Musik-Kritiker auch immer mal wieder erleiden müssen. Jetzt kommt noch meine unqualifizierte und kenntnisfreie Detailkritik: In meinen Ohren lässt "Memento Mori" in der Mitte etwas nach. Da schleichen sich diverse Midtempo-Belanglosigkeiten ein, die wohl kaum einer braucht. Mut zum 30-Minuten-Album, sage ich da nur. War bei "Reign In Blood" auch kein Problem. Ist aber auch völlig egal, Black-Metal-Maniacs mögen dieses großartige Album bitte nach allen Regeln der Kunst abfeiern; ich ziehe einfach erfüllt von größtem Respekt und höchster Anerkennung meinen imaginären Hut.

Note: 8,0/10
[Martin van der Laan]



Die unheilige Truppe aus Schweden bringt dieser Tage schon das 15. Studioalbum im 34. Jahr des Bestehens hervor und der Vergleich zu Scheiben der 90er sind glücklicherweise auch in unserem Kollegenkreis ausgeblieben, denn an die Großtaten wird man wohl nicht mehr herankommen, so sehr sich das auch manche Fans immer wieder herbeisehnen. Als Referenz reichen für mich da die beiden Vorgänger: "Memento Mori" ist etwas schwächer als noch das geniale "Frontschwein" und viel besser als die relativ schwache "Viktoria". Gut ist die tongewordene Erinnerung an den Tod allemal; das bestreite ich hier auch gar nicht, doch so manche Momente, in denen man qualitativ nachlässt, gibt es auf der Scheibe trotzdem. So hat sich mir der Rausschmeißer nicht wirklich erschlossen. Neben dem gut gelungenen 'Shovel Beats Sceptre'-Midtempo-Stampfer, funktioniert 'As We Are' nicht wirklich. Hätte man den Totentanz mit dem hyperschnellen 'Red Tree Of Blood', das übrigens mit ziemlich bedrohlich inszenierten Bläsereinsätzen ausgestattet ist, beendet, wäre die Sache noch ein Stück runder.

Demgegenüber durchlebt man während des Hörens auch viele starke und gelungene Passagen, wie zum Beispiel die absoluten Highlights und Mitgrölnummern 'Charlatan', 'Marching Bones' und 'Memento Mori'. Daneben gibt es beispielsweise in 'Coffin Carol' einige sehr schöne Melodielinien zum Ende des Songs zu bestaunen, die mir wirklich bei jedem Hören Gänsehaut verschaffen.

"Memento Mori" ist ein ziemlich gutes Album der Schweden geworden, das sich nahtlos in eine Diskographie einreiht, die zwar nicht makellos ist, aber überwiegend mit guten bis brillanten Alben ausgestattet ist. Fans der Band wissen das schon lange und werden wahrscheinlich den aktuellen Langspieler schon ihr Eigen nennen.

Note: 8,0/10
[Kenneth Thiessen]



Puh, ich gebe zu, die Gruppentherapien zum August-Soundcheck gehen mir nicht leicht von der Hand beziehungsweise ins Ohr. CRYPTAs "Shades Of Sorrow" pendelt zwischen "okay" und "nervig"; zu WARMENs krächzendem Gedudel fällt mir nicht viel ein, das ist nicht meins; und zu einer neuen U.D.O.-Scheibe gibt es für mich auch kaum mehr etwas Spannendes zu sagen (und zu hören).

Allerdings kann ich mich dem Gruppenkonsens unseres Soundcheck-Teams, das MARDUKs "Memento Mori" auf Platz 1 gewählt hat, ganz gut anschließen. Zumindest von den zu therapierenden Alben ist dies das interessanteste. Warum, das erklärt Herr Thunderlaan eigentlich ganz gut: Ich bilde mir ein, dass die Musiker auf diesem Album mehr zu sagen haben, loswerden, in die Nacht schreien wollen, als die emotional recht beschaulichen anderen drei August-Patienten. Anders als Martin spricht mich die Mucke aber hier eher auf der Gefühlsebene an. Manchmal bin ich etwas angewidert, dann mal auch irritiert, aber so soll das sein. Was ich damit sagen will, ist, dass die Mucke schon etwas Kriegerisches, Grausames, Bestialisches in sich hat, man höre nur das dissonante 'Blood Of The Funeral'. Und ich empfinde MARDUK heute auch als deutlich fieser als noch auf "Frontschwein". Klingt bizarr, aber ich find das gut. Zudem entdecke ich nach ein paar mehr Spins auch noch Wachstumspotential. Ich habe noch kein MARDUK-Album im Regal. Dies könnte das erste sein.

Note: 8,0/10
[Thomas Becker]

Darf man MARDUK zu einem beinahe göttlichen Album gratulieren? Schwierige Frage - aber dieser infernale Höllensturm ist nahe an der Perfektion und erzeugt genau diese Emotionen bei mir. Ich bin so froh, dass das schwedische Kollektiv sich nach zwei Alben über den zweiten Weltkrieg nicht noch weiter in eine künstlerische, und nach der Trennung von Bassist Joel Lindholm (Hitlergruß beim Incineration Fest 2023) auch ohne Zweifel diskutable Richtung manövriert und stattdessen ein Album geschaffen hat, was endlich wieder einen anderen künstlerischen Schwerpunkt setzt. Hier sind die Brüder im Geiste wieder bei "Rom 5:12" und "Serpent Sermon" und ähnlich wie auf diesen Alben kombiniert MARDUK den kompletten musikalischen Abriss mit kongenialen Melodiebögen, wunderbaren Tempoverschiebungen und einem Gespür für memorable Elemente en masse.

Was anno 2023 noch hinzukommt, ist eine cineastische Atmosphäre, welche einen vom ersten Ton bis zum Abschluss 'As We Are' für mich im Black Metal lange Zeit nicht erreicht wurde. Dass auch lyrisch das Thema erstklassig umgesetzt wurde und bei aller Konzeptlastigkeit trotzdem noch derbe Hooks möglich sind, sind weitere Beispiele für die Großartigkeit dieser Ode an die Sterblichkeit. Und da muss ich Kollege Jhonny somit auch zumindest in einem kleinen Punkt widersprechen. Das Album kann man auch hören, wenn man nicht ganz tief in der Black-Metal-Materie drin ist. Klar, das ist harter Stoff, aber in diesem Genre gibt es Millionen Veröffentlichungen, welche bei mir deutlich mehr Plague erzeugen oder zumindest weniger zünden als diese diabolische Hymnenkollektion. Den Vogel schießt MARDUK dann definitiv mit 'Shovel Beats Sceptre' ab. Was für ein bösartiges, schwarzhumoriges Meisterwerk. Von der Positionierung im Albumkontext über die gänsehauterzeugende Einleitung, den majestätischen Glockenklänge und einem Mortuus, welcher sich direkt in meine "Seele" kreischt – so geht motherfucking Black Metal.

Ich bin kein Freund vom generellen Friedhofskonzept und möchte selbst lieber später einmal in einem Wald beigesetzt werden. Sollte es mich aber doch einmal in eine solche Szenerie verschlagen, dann hoffe ich, es ist die Variante, welche MARDUK auf "Memento Mori" skizziert.

Note: 9,5/10
[Stefan Rosenthal]

Fotocredits: Håkan Sjödin / Century Media Records

Redakteur:
Thomas Becker

Login

Neu registrieren