Gruppentherapie: SATYRICON - "The Age Of Nero"
09.11.2008 | 14:03Roh, düster und traditionell: Satyr, Anhänger Norwegens selbsternannter Black-Metal-Elite, und sein pfeilschnelles Drumtier Frost wollen die Welt mit ihrem siebten Studioalbum verdüstern. SATYRICONs "The Age Of Nero" - von Redaktionstraditionalisten ebenso wie Blast- und Gefrickelanhängern unter die Lupe genommen.
Dieser Frost ist schon ein komischer Typ - zählt weltweit zu den schnellsten Schlagzeugern, ballert bei den teils recht technisch angelegten 1349 aus allen Rohren und gibt dem Publikum vor jedem Auftritt zwecks Aufwärmen immer schon eine halbstündige Kostprobe seines Könnens. Aber kaum hängt er wieder mit seinem alten Kumpel Satyr ab, da verkündet er lauthals, "technische Spielereien, komplexe Rhythmen und sinnlos schnelle Drums" hätten im Black Metal nichts verloren. Dementsprechend lässt er auf dem neuen SATYRICON-Album auch lediglich in 'Die By My Hand' sowie phasenweise 'Commando' und 'Black Crow On A Tombstone' sein wahres Können aufblitzen. Ansonsten frönen die beiden Partner in Crime lieber wieder dem zuletzt lieb gewonnenen Black 'n' Roll im Midtempo-Format. Das klingt zwar mitnichten schlecht - 'The Wolfpack' etwa atmet deutlich den Geist der frühen Neunziger und lädt zum Mitwippen der Nackenmuskelatur ein. Währenddessen besitzen 'My Skin Is Cold' und 'The Sign Of The Trident' sogar leichten Hitcharakter. Old-School-Black-Metal-Fans werden angesichts der kühlen Riffs frohjauchzen, und bisweilen werden sogar mal ein kurzer Männerchor oder unterschwellige Keyboards eingeblendet, um dem Ganzen einen leicht hymnischen Anstrich zu geben. Aber insgesamt haut mich das Ganze nicht wirklich vom Hocker, zumindest nicht bei den ersten Durchläufen. Auch wenn einige Melodien direkt ins Ohr gehen, sind viele Songs doch zu sehr in die Länge gezogen, ohne wirklich Abwechslung zu bieten. Nach und nach kann dann aber zumindest ein Teil des Materials deutlich im Ohr wachsen.
Natürlich darf man von der selbsternannten Szene-Elite SATYRICON nichts Innovatives erwarten, aber einen echten Genremeilenstein haben sie mit "The Age Of Nero" unterm Strich auch nicht wirklich geschaffen. Dafür verharrt Frost mir viel zu sehr im gleichförmig schleppenden Spiel, anstatt öfter mal den sprichwörtlichen Knüppel aus dem Sack zu holen. Da kann Roadrunner Records auf seinem Infozettel noch so oft behaupten, die Songs würden "zu den härtesten im ganzen Heavy Metal" gehören.
[Carsten Praeg]
SATYRICON haben sich mit ihren schwarzmetallischen Frühwerken - insbesondere "Nemesis Divina" aus dem Jahr 1996 - ebenso ein Denkmal gesetzt wie mit der denkwürdigen Veröffentlichung "Rebel Extravaganza", mit der die Protagonisten Satyr und Frost die Grenzen des Black Metal neu definierten und das Genre um eine einzigartige Veröffentlichung bereicherten. Auf dem letzten Studioalbum "Now, Diabolical" präsentierten sich SATYRICON teilweise von einer rockigeren Seite. Das neue Werk "The Age Of Nero" beschreitet im Großen und Ganzen den Pfad des Vorgängerwerkes, wobei der Grundtenor des Albums ein wenig düsterer ist. Wuchtiger klingen sie, die Arrangements des Trios, was sich in nachdrücklicher fräsenden Gitarrenwänden und einer etwas roheren Produktion äußert. Auch das Schlagzeug von Frost rummst wieder wuchtiger als auf der Vorgängerscheibe. Drei der Tracks knacken die Sieben-Minuten-Marke, wobei 'Sign Of The Trident' mich nicht wirklich begeistern kann und erst im letzten Drittel in Fahrt kommt. Richtig stark hingegen klingt der schroffe Longtrack 'Die By My Hand', bei dem die Zügel in Sachen Tempo oft angezogen werden - hymnenhaft klingt es, dieses mächtige Stück, und gelegentlich erklingen sogar dezente Chöre. 'Last Man Standing' bietet tonnenschweres Riffing mit hypnotischem Drive. 'Den Siste' offenbart sich als pechschwarze Walze mit teils fast doomigem Flair, wobei das Stück gegen Ende einer Straffung bedurft hätte. Der Hit des Albums ist für mich 'Black Crow On A Tombstone', denn hier haben Satyr und Frost einen derart coolen Drive und ein unwiderstehliches Riff eingebaut, das sich binnen kürzester Zeit in der Hirnrinde festsetzt. Dagegen wirkt das rockige 'The Wolfpack' geradezu blass und fast ein wenig uninspiriert.
Satyr und Frost veröffentlichen mit "The Age Of Nero" ein Album, das qualitativ in seiner Gesamtheit nahezu uneingeschränkt überzeugt und eine leichte Steigerung zu "Now, Diabolical" darstellt. Leider bleiben Überraschungen fast gänzlich aus. Insofern stagnieren SATYRICON aus meiner Sicht mit ihrem neuen Album auf hohem Niveau.
[Martin Loga]
Drei großartige Alben mehr oder weniger dem Black Metal zuzuordnender bekannter Bands hat das Jahr 2008 schon gesehen: KEEP OF KALESSINs "Kolossus", HOLLENTHONs "Opus Magnum" und ENSLAVEDs "Vertebrae". Nun schickt sich also das norwegische Urgestein SATYRICON an, dieses Dreigestirn pazifistisch zu bereichern oder aggressiver vom Thron zu stoßen. Die Wahl der Waffen fällt auf groovenden und rumpelnden Black Metal, tief inspiriert von dunklen und starken Gefühlen, irgendwo zwischen Depression und überbordender Aggression angesiedelt. Geheimnisvoll und erstaunlich subtil agieren Satyr und Frost auf der neuen Scheibe. Kann man sich den Kompositionen öffnen, so erwartet den Hörer eine Fülle aus brennenden Emotionen und mitreißenden Versatzstücken aus der ganzen metallischen Geschichte. Wie zu erwarten bleiben SATYRICON auch bei "The Age Of Nero" nicht bei klassischem Black Metal stehen, sondern bedienen sich einer Fülle andersartiger Stilmittel, nicht ohne jedoch den roten Faden des ganzen Albums zu verlieren. Dieser rote Faden ist wie ein Spaziergang durch die Nacht, führt über eigentümliche Orte, stille und morbide Friedhöfe, durch Räume voller dunkler Schicksale, franst dabei immer wieder aus, nur um sich danach auf das Wichtigste zu verdichten, minimal in seiner Ausprägung, aber dennoch stets vorhanden. Immer wieder lädt dieser Weg zum Verweilen und stellt die Frage nach dem Sinn – eine spannende wie leidvolle Erfahrung. Denn Gute-Laune-Metal sieht anders aus, und das muss er auch. Unheimlich eindrucksvoll ist dieses Album geraten. Das Hören lädt zu einer Beschäftigung mit sich selbst ein. "Das Gesicht des Menschen erkennst du bei Licht, seinen Charakter im Dunkeln" - nun vielleicht meint das Sprichwort ja genau diese Konstellation. Denn dunkel ist "The Age Of Nero". Dunkel und hart.
[Julian Rohrer]
SATYRICON haben mich von ihrem Debüt 1993 an beeindruckt, weil sie schon immer etwas anders gewesen sind als die große graue Masse. Da ich grundsätzlich kein großer Freund von klassischen, fiesen Black-Metal-Klängen bin – von IMMORTAL und EMPEROR vielleicht mal abgesehen –, konnte ich mich mit dem Entwicklungsschritt vom rüden "Rebel Extravaganza" zum differenzierteren, eingängigeren "Volcano" ziemlich gut anfreunden. Rabenschwarze Hits wie 'Repined Bastard Nation' machten mich erst wirklich zum SATYRICON-Fan. Genau diesen Stil pflegen Mastermind Satyr und Trommelgott Frost auch auf "The Age Of Nero". Ich kann schon verstehen, dass manch einer den beiden jetzt Stagnation auf hohem Niveau vorwirft. Das ist aber nur eine mögliche Sichtweise. Vertieft man sich einfach nur völlig unvoreingekommen in diese neuen Songs, am besten über Kopfhörer in einem abgedunkelten Raum, wird man sich nur schwer der dunklen Intensität und hypnotischen Wirkung entziehen können. Im Grunde einfach gestrickter, aber mächtig groovender, unter die Haut gehender Dark Extreme Metal wird hier zelebriert, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Je öfter man "The Age Of Nero" hört, desto mehr wird man in den düsteren Abgrund dieser auf das Maximum reduzierten Kompositionen hinabgezogen. Druckvolle Brecher wie das mächtige 'Commando' oder das rockende 'The Wolfpack' ergänzen sich hervorragend mit majestätisch-hymnischen Tracks wie 'Black Crow On A Tombstone' und böser Doom-Lava der Sorte 'Last Man Standing' oder 'Den Siste'. Satyrs knurriger Gesang und seine unwiderstehlichen Killer-Riffs lassen "The Age Of Nero" manchmal klingen wie HOLLENTHON minus Orchester. Und das ist ein Kompliment! Ich könnte mir das hier zwar nicht täglich geben, aber in der richtigen, sprich nihilistischen Stimmung ist "The Age Of Nero" ein großer Genuss.
[Martin van der Laan]
Ein einfacher Rock-'n'-Roll-Rhythmus trifft hintergründig boshafte Gitarrenmelodien und eine Stimme von schneidender Kälte - mit ihrem neuen Album "The Age Of Nero" haben SATYRION ihren Stil der vergangenen Jahre weiter perfektioniert. Die Fans können sich auf einen würdigen Nachfolger von "Volcano" und "Now, Diabolical" freuen. Denn die Norweger präsentieren sich anno 2008 als weiterhin unnachahmliche Musiker, die treibende Rocksongs mit einer so frostigen Atmosphäre kreuzen, dass selbst so ein verrückter Namensgeber wie Nero wohl seine dunkle Freude daran gefunden hätte, gerade in dem Moment, als das alte Rom hinter ihm zu brennen begann.
Natürlich sind die aktuellen SATYRICON nun eine völlig andere Band als jene, die vor Jahren Klassiker wie 'Mother North' komponierte. War der Sound damals noch episch, gibt sich das Klangbild nun bescheidener in der Wahl seiner musischen Farben: Die Band konzentriert sich bei Songs wie 'Wolfpack' oder 'The Sign Of The Trident' auf einzelne Riffs, die aber allesamt so überzeugend klingen, dass sie in ihrer Reihung hypnotisierend wirken. Gerade diese Wirkung macht SATYRICON einzigartig, immer wieder kann sich der Hörer beim Mitwippen ertappen. Dazu hat Frontmann Satyr nach wie vor ein Organ, das den Boden frieren lässt. Wenige Sänger im Black Metal besitzen so eiskalt krächzende Stimmbänder.
So haben sich SATYRICON - auch dank des erdigen Sounds - mit "The Age Of Nero" einmal mehr übertroffen, wenn auch nicht neu erfunden. Gottlob ist bereits eine lange SATYRICON-Tour angekündigt, um die Welt livehaftig zu verteufeln.
[Henri Kramer]
Nachdem die werten Kollegen "The Age Of Nero" nun fast alle gelobt haben, möchte ich hier ein wenig von der Position der Anderen abweichen. Ich weiß sehr wohl, dass ich mir damit keine Freunde machen werde, aber so ist das nun mal mit dem Musikgeschmack, manchmal kollidiert man einfach. Um vorher etwas klarzustellen: Die neue SATYRICON-Langrille ist definitiv kein Totalausfall, aber trotzdem festigt sich bei mir die Meinung, dass die Norweger trotz ihrer durchaus wichtigen Rolle in der Black-Metal-Szene hoffnungslos überbewertet sind.
Musikalisch bewegen sich Satyr und Frost in ähnlichem Revier wie auf dem Vorgängeralbum "Now, Diabolical", also gemächlicher Black Metal im Midtempo-Bereich mit rockigen Einflüssen. Und definitiv: Die Songs sind allesamt Titel, die zum Kopfnicken animieren, aber sie machen "The Age Of Nero" auch eher zu einer Mainstream-Black-Metal-Scheibe. Denn die groovende Heaviness in allen Songs ist durchaus massentauglich und wird sicherlich auch dem einen oder anderen außerhalb des Black-Metal-Reviers gefallen. Bevor nun jemand denkt, ich möchte hier kritisieren, dass SATYRICON immer gesellschaftsfähiger werden, möchte ich aber versichern, dass dies das gute Recht der Band ist und ich diese Aussage nicht als Vorwurf verstanden haben möchte. Aber trotzdem frage ich mich, ob einige der Kollegen hier dieselbe Scheibe gehört haben wie ich. So finde ich die Scheibe in keiner Weise "kalt" oder Ähnliches, dafür ist die Produktion viel zu dumpf, ja, die Scheibe wummert regelrecht vor Bässen. Ebenso finde ich Satyrs Stimme viel sanfter und harmonischer, als sie es vor zehn Jahren war. Was mir ebenso sauer aufstößt, ist die Einfachheit, mit der hier im Songwriting vorgegangen wird. Auf mich wirkt "The Age Of Nero" wie eine Aneinanderreihung von drei Zutaten: ein prägnantes, drückendes Riff mit schwerem Midtempo-Drumming, dasselbe Riff (mit eventuell minimaler Veränderung) mit unterlegtem Doublebass-Drumming und ab und an (aber viel zu selten!) mal ein kurzer Tritt aufs Gaspedal. Das Ergebnis ist, wie oben beschrieben, durchaus rockig und ein Nackenbrecher, aber mehr auch nicht.
Tut mir leid zu sagen, aber "The Age Of Nero" ist mir persönlich einfach zu monoton. Fast alle der Songs sind nach dem gleichen einfachen Schema komponiert. Mir mangelt es zu sehr an Komplexität und Tiefgang. Wie gesagt, die Scheibe ist nicht schlecht, sie geht ins Ohr und lässt den Kopf wackeln. Aber eben auch nicht mehr.
[Hagen Kempf]
- Redakteur:
- Carsten Praeg