Gruppentherapie: WRETCH (Indianapolis) - "Wretch"

10.09.2016 | 21:11

Fummel-Bässe, Klang-Ornamente und ein bisschen Maryland.

Vier Doom-Köpfe finden sich in der Redaktion um einem Trio mit Bärten zu huldigen.

Trocken und staubig, knarzig und losgelöst von jedem Zeitgeist, so mag ich meinen Doom. Natürlich trauere ich THE GATES OF SLUMBER nach, denn einige meiner liebsten Doom-Scheiben gehen auf deren Konto, aber WRETCH stößt bei mir auf ähnliche Begeisterung, obwohl die Band eigentlich völlig anders gelagert ist. Statt des epischen GoS-Dooms kommen wir eher klassisch auf unsere Kosten, und wirklich langsam ist es auch selten. Das ist Doom-Rock, riff-getrieben, mit Garagenklang, von dem ich niemals auf die Verbindung zu der ehemaligen Band Karl Simons schließen würde. Sogar zwei Instrumentals haben sich eingeschlichen, von denen eines gut rockt, nämlich 'Bloodfinger', und eines eher als Zwischenspiel taugt, nämlich 'Grey Cast Mourning', und zum Schluss gibt es noch eine Verneigung gen ganz frühe BLACK SABBATH in Form von 'Drown'. Doch der Höhepunkt der Platte ist 'Icebound', bei dem ich eine unterschwellige Epik heraushöre, und da ist sie dann doch wieder, die Wehmut nach GATES OF SLUMBER. Ich kann WRETCH einfach nicht ganz unabhängig betrachten. Aber das Debüt der Band ist in jedem Fall ein starkes Doom-Album, dem es allerdings ein wenig an Länge fehlt. Sieben Lieder mit etwa dreiunddreißig Minuten ist recht wenig, zumal da auch noch 'Grey Cast Mourning' aus der Rolle fällt. Andererseits: lieber sechs gute Songs als noch vier Füller dazu, oder?

Note: 7,5/10
[Frank Jaeger]

Kollege Päbst legte Wert auf diese Veröffentlichung (zu seinem Review). Und ich nun auch. Ein Trio mit Bart und Retro. So der erste visuelle Eindruck. Vor Wochen das erste Mal behört. Dann liegen lassen. Abhängen lassen sozusagen. Und nun, im tropischen mitteldeutschen Sommer noch einmal. Intensiver. Und zack! - bin ich wieder drin im Album, in der Musik. Kein Schnörkel, kein Brimborium, keine weit greifenden Experimente. Doom wie ein Friedhofstor. Hier und da ein Ornament, rostig, wo die Zeit gefressen hat, aber fest und klar geschmiedet. Man streicht darüber, bemerkt die Endlichkeit, weil der Lack abblättert und findet es gerade deswegen so schön. Die Stücke strahlend und doch morbide. Strahlend auch, weil es da viele atmosphärische Sound-Elemente gibt, die der Psychedelia huldigen. 'Bloodfinger’, gleich und sofort mein Liebling. Da sind sie, die Ornamente, wirbelig, schmachtende Riffs, die mit viel Whoooosch! daher brummen, ein Bässlein, das da hinten hin und her tanzt und WRETCH auch als Instrumentalband beweist. Also hier nun nur vom nächsten Retro-Doom zu sprechen, wäre ungerecht und verkürzt. Die drei Herren verdichten gekonnt zu in sich geschlossenem, eindeutigem Rock der Kategorie "besonders gehaltvoll". Auch der 'Winter' erhält seinen Odengesang, sachte rieselt die Stimme, kaltfingerig grüffelt der Bass. Ich muss sagen: Ein Album, dass mich fasziniert, irgendwo zwischen stilsicherer Selbstgenügsamkeit und wogender Weite.

Note: 8,0/10
[Mathias Freiesleben]

Ganz kurz dachte ich, wir hätten es hier mit einem unerwarteten Lebenszeichen meiner Cleveland-Helden zu tun. Als ich nach kurzer Recherche herausfand, dass es sich bei WRETCH um die neue Band von Karl Simon handelt, war ich nicht minder euphorisiert. Der Kopf der unglaublichen THE GATES OF SLUMBER verarbeitet auf diesem Album seinen Schmerz. Davon trägt er leider genug in sich, denn die letzten Jahre haben ihn schwer gebeutelt: Zuerst stirbt sein langjähriger Weggefährt Jason McCash, dem er den Eröffnungskracher 'Running Out Of Days' widmet, dann stirbt in diesem Jahr auch noch der TGOS-Drummer J.Clyde Paradis, der ursprünglich sogar Mitstreiter bei WRETCH war. Schicksalsschläge, die Narben hinterlassen haben; Narben, die man hören kann. Ich habe den Eindruck, Karl nutzt die Musik als Katalysator, denn gleich die ersten beiden Nummern - das bereits erwähnte 'Running Out Of Days' und das programmatisch betitelte 'Rest In Peace' - verbreiten Melancholie. Wie auch das kurze Akustik-Instrumental 'Grey Cast Mourning'. Drückend-staubiges Riffing, polternd-wuchtige Drumbeats und ein herrlich prominenter Fummel-Bass dominieren in fast allen Songs. Dazu leidet Karl mit seiner unnachahmlichen Stimme, die gleichermaßen unverkennbar, wie auch ergreifend aus den Boxen tönt. Wie die Kollegen schon sehr richtig geschrieben haben, ist die Musik von WRETCH trotz des für die Stilistik recht hohen Tempos ganz eindeutig Doom. Da stört es auch nicht, dass man mit 'Winter' eine olle Kamelle aus der priesterlichen Schublade hervor zaubert und frei nach dem Motto der Originalscheibe hier mal unfröhlich rocka-ed und rolla-rt. Das einzige Manko ist tatsächlich die etwas dürftige Spielzeit, die mich bei der gebotenen Qualität aber wenig stört. Für mich ist diese Veröffentlichung ein Anwärter auf den Doom-Thron des Jahres, denn emotionaler wird es in diesem Genre kaum werden. Ah, Moment ... es kommt ja auch noch etwas Neues von 40 WATT SUN. Abwarten und Kaffee trinken.

Note: 9,0/10
[Holger Andrae]

Ja, Kameraden, scheinbar bietet diese Gruppentherapie recht wenig Raum für Kontroversen, denn im Großen und Ganzen ist das alles richtig, was die Kollegen hier so schreiben. Aber vielleicht hilft es ja der Band und den geneigten Doom-Köpfen unter euch auch, wenn die Band sehr viel einhelliges Lob von musikalisch doch recht unterschiedlich orientierten Rezensenten einstreicht. In diese Phalanx möchte ich mich dann auch einreihen, denn das Debüt der neuen Band von Karl Simon hat es auf jeden Fall in sich. Im Gegensatz zu Frank finde ich hier sogar recht deutlich den roten Faden, der - einmal aufgenommen - dann doch recht direkt zu THE GATES OF SLUMBER führt. Auch wenn, und da hat er Recht, der Frank, das Schaffen von WRETCH erst einmal weniger episch klingt. Doch das liegt meines Erachtens gar nicht so sehr an den Kompositionen, sondern in erster Linie am Sound des Albums, der nicht so sehr nach Indiana, sondern eher ein kleines bisschen nach Maryland klingt. Trotz der staubtrocken in Szene gesetzten Riffs hat das Album nämlich einen gewissen Fuzz im Bass-Sound, der wie etwa auch REVELATION dichte Nebelschwaden aus den Boxen treibt und den Hörer in ein massig waberndes Bad der Emotionen zieht, in dem ihm Karl Simons unverkennbar klagende Stimme einem Irrlicht gleich den Weg weist... noch tiefer hinein in die trotzige Schwermütigkeit, als wolle er sagen: Hier bist du, hier kommst du nicht weg, aber mach gefälligst das Beste daraus! Das WRETCH-Debüt ist eines dieser raren Alben, das dir in all seiner Dunkelheit und Melancholie doch ein irgendwie positives Gefühl geben kann, und damit steht es eben trotz der formellen Modifikationen von der Ausstrahlung her voll in der Tradition der letzten drei Alben der Schlummerpforten, und das ist mir locker neun fette Punkte wert!

Note: 9,0/10
[Rüdiger Stehle]

Redakteur:
Thomas Becker
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