Metal - Von der Rebellion zur Fachtagung

27.05.2010 | 09:37

Dass der Metal Anfang Juni 2010 an der Braunschweiger Hochschule für Bildende Künste zum Forschungsgegenstand einer wissenschaftlichen Tagung werden wird, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. POWERMETAL.de hat über dieses ungewöhnliche Ereignis bereits berichtet. Die Gelegenheit, den beiden führenden Wissenschaftlern auf den Zahn zu fühlen, um herauszufinden, warum Metal für Professoren interessant sein könnte, hat interessante und durchaus humorvolle Erkenntnisse zutage befördert.

Erika Becker:
Wie ist die Idee entstanden, eine Fachtagung zum Thema Heavy Metal durchzuführen?

Rolf F. Nohr:
Wir sind beide als Kultur- und Medienwissenschaftler sehr an Populärkulturen interessiert. Und uns ist beiden aufgefallen, dass die Populärkulturforschung sich bestimmten Subkulturen immer wieder annimmt: Sei es Punk, seien es Star-Trek-Fans, seien es Gamer. Aber wir haben beide den Eindruck, dass Metal und seine Fans bis heute eher selten zum Gegenstand von wissenschaftlichen Tagungen geworden sind.

Herbert Schwaab:
Gerade weil Metal in der Alltagskultur so präsent ist, glaubt man, diese Kultur zu verstehen und hält sie für banal. Tatsächlich gehört Metal genau aus diesen Gründen zu den Phänomenen, die nicht wirklich verstanden werden. Diese Kultur ist tatsächlich komplexer als sie auf den ersten Blick erscheinen mag, was eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihr geradezu fordert.  

Erika Becker:
Warum könnte der Metal mit seinen Spielarten für Wissenschaftler interessant sein?

Rolf F. Nohr:
Heavy Metal ist eine wahnsinnig langlebige Kultur, die inzwischen eine Fan-Basis hat, die sich über zwei oder drei Generationen erstreckt. Metal ist eine wahnsinnig ausdifferenzierte Musikrichtung, die aus einem fast unüberschaubaren Feld an Subgenres besteht. Metal ist ökonomisch gesehen ein gut funktionierendes Wirtschaftsimperium – und ist immer noch eine Sache,  mit denen Fans sich prima identifizieren können. Metal wirkt auf der einen Seite wahnsinnig ernst und böse – und ist auf der anderen Seite sehr, sehr ironisch und komisch. All das (und noch viel mehr) macht Metal zu einem hervorragenden und spannenden  "Untersuchungsobjekt".    

Herbert Schwaab:
Gerade dieses Zusammenspiel zwischen dem Ernsten und dem Komischen, dem Künstlichen und Echten unterscheidet Metal elementar von anderen populärkulturellen Erscheinungen. Hip Hop ist beispielsweise immer schon viel eindeutiger von Ironie geprägt gewesen. Aber dieses Gegensätzliche bei Metal bedeutet auch, dass sich die Medien- und Kulturwissenschaft, die sich mit Populärkultur beschäftigt, hier auf einem unsicheren Terrain befindet und herausgefordert wird.   

Erika Becker:
Gibt es Rückmeldungen oder besonderes Interesse von professionellen  Metalmusikern?

Rolf F. Nohr:
Von Musikern selbst (noch) nicht – aber von sehr vielen Fans und Wissenschaftlern bekommen wir schon im Vorhinein sehr schöne Rückmeldungen im Sinne von „gut, dass es das mal gibt“. Aber wer weiß? Vielleicht bekommt Lemmy ja noch Wind von unserem Projekt und hält uns einen Festvortrag?

Erika Becker:
Dr. Herbert Schwaab, der die Tagung mit vorbereitet hat, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Regensburg, an der in den Neunzigerjahren Bettina Roccor eine volkskundliche Dissertation über Heavy Metal geschrieben hat. Hat die Uni Regensburg eine Art Vorreiterrolle bezüglich einer Wissenschaftsperspektive auf Heavy Metal?

Herbert Schwaab:
Die Volkskunde in Regensburg, die sich mittlerweile in Kulturwissenschaft umbenannt hat, hat sich tatsächlich schon länger mit Heavy Metal beschäftigt und die Dissertation von Bettina Roccor hat in der Tat Pionierarbeit auf diesem Feld geleistet. Ich bin erst seit kurzem bei den Medienwissenschaftlern in Regensburg und mir war, zugegebenermaßen, diese Rolle von Regensburg nicht bewusst. Aber ich war hoch erfreut, bei der Vorbereitung zu der Tagung zu entdecken, dass Manuel Trummer, der auch auf der Tagung einen Vortrag halten wird, bei den Kulturwissenschaftlern gerade ein Seminar zu Heavy Metal anbot. Ich erhoffe mir gerade durch eine Zusammenarbeit von Medien- und Kulturwissenschaft von dieser Forschungstradition in Regensburg zu profitieren.

Erika Becker:
Wie ist die Zusammenarbeit mit der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig entstanden?

Rolf F. Nohr:
Zum Einen weil ich hier den Lehrstuhl für Medienästhetik/Medienkultur besetze und weil die HBK nicht nur eine Kunsthochschule ist, sondern man hier auch Medienwissenschaften oder Design studieren kann. Aber eine Kunsthochschule ist auch ein guter Ort für ein solches Projekt. Es geht hier ja nicht nur darum, Künstler zu werden und zu lernen, wie man ein Bild malt. Wir wollen hier in allen Studiengängen Menschen dazu ausbilden, unsere Gesellschaft zu verstehen und sie gestalten zu können. Und dazu muss man sich meines Erachtens eben nicht nur mit Beuys und Kant auseinander setzen (was auch hilft!), sondern eben auch mit Computerspielen, Tarzanfilmen und Comics – aber eben auch mit SLAYER, growlen und Band-T-Shirts. Ein Kollege aus der Klangkunst wird als Moderator mitmachen, ein Kollege aus dem Grafikdesign wird (zusammen mit einem Filmwissenschaftler) über die Schrifttypografie im Metal nachdenken – wenn man mal nachbohrt findet man auch im eigenen Hause ein paar Metalheadz.  

Erika Becker:
Wer sind Ihre Referenten auf der kommenden Fachtagung und wie haben Sie diese gefunden?

Rolf F. Nohr:
Wir haben ein sogenanntes "Call for Papers" über die üblichen Kanäle verbreitet, also ein Papier, in dem man den Inhalt der Tagung kurz beschreibt und um Vorschläge für Vorträge bittet. Im Normalfall bekommt man bei so einem Vorgehen 20 bis 30 Vorschläge und kann dann die meisten auch einladen. Wir haben aber fast 60 Vorschläge aus Deutschland, der Schweiz und Österreich bekommen. Das hatten wir so nun gar nicht erwartet. Und fast jeder Vorschlag war so gut, dass wir ihn gerne berücksichtigt hätten – dann hätte die Tagung aber eine Woche dauern müssen. Wir haben uns dann inhaltliche Schwerpunkte überlegt, die wir auf alle Fälle in der Tagung haben wollen, und haben dann schweren Herzens aussortiert: Welches ist denn nun der beste von sechs eingereichten (!) Beiträgen zu Pagan/Viking? Dazu haben wir fast ein ganzes Wochenende gebraucht .   

Herbert Schwaab:
Das hat uns in der Tat sehr leid getan. Denn uns war nicht bewusst, wie viele gute Wissenschaftler sich ernsthaft und kundig mit dem Phänomen beschäftigen. Mich hat auch überrascht, dass die Beiträge zwar theoretisch fundiert sind, sich aber nicht über die Kultur erheben, sondern alle mit einem gewissen Maß an Sympathie und Interesse über ihren Gegenstand sprechen, was gerade die Tagung sehr interessant machen wird.

Erika Becker:
Welche Rolle spielt der Austausch mit den Studenten bei der Entwicklung der Tagung? Offensichtlich besteht das Organisationsteam der Tagung auf Seiten der Studenten aus einer Reihe von Fans, die selbst seit Jahren Metal hören und Musik machen.

Rolf F. Nohr:
Ich habe ein Projektseminar ausgeschrieben, in dem sich Studierende um die Organisation von Rahmenprogramm, Pressearbeit, Sponsoring und so weiter kümmern. Auch hier war es so wie bei den Referenten – ganz viele Studierende haben mir gesagt, dass sie ihre ganze Studienzeit darauf gewartet haben, mal was zu Metal machen zu dürfen. Ich bekomme auch Mails von ehemaligen Studenten, die sich beschweren, warum ich sowas nicht zu ihrer Studentenzeit gemacht hätte…

Herbert Schwaab:
Aus der Ferne in Regensburg bin ich äußerst dankbar dafür, dass mein Kollege in Braunschweig auf diese sehr hilfreiche Ressource zurückgreifen kann. Gerade der von den Studierenden gestaltete Rahmen mit Konzertveranstaltungen oder der Plakatgestaltung gibt der Tagung die für sie so wichtige Anbindung an die Heavy-Metal-Kultur.  

Erika Becker:
Welchen Bildungsabschluss hat denn der durchschnittliche Metalfan? Gibt es darüber Erkenntnisse? Wird der Fan von einer wissenschaftlichen Tagung angesprochen?

Rolf F. Nohr:
Ich kenne da keine Statistik – gehe aber mal davon aus, dass der "durchschnittliche" Metalfan ungefähr dem Bildungsdurchschnitt des "durchschnittlichen" Bürgers entspricht: von Hauptschule bis Habilitation. Ich glaube nicht, dass Metal-Mögen irgendetwas mit Bildungshintergrund zu tun hat.
Ob sich ein Fan auf unserer Tagung angesprochen fühlt oder nicht müssen wir mal sehen – wir hoffen es aber und er ist herzlich eingeladen, zu kommen und mitzudiskutieren. Allerdings müssen wir natürlich auch sagen, dass Wissenschaftler bisweilen dazu neigen, etwas kauzig zu sein, manchmal unverständliche Fremdwörter benutzen, und sich nicht berufen fühlen, zu klären, wer denn nun der beste Gitarrist aller Zeiten ist – jedenfalls nicht in ihren Vorträgen. Abends beim Bier wahrscheinlich schon.   

Herbert Schwaab:
Ich glaube schon, dass Wissenschaft und Fansein zusammenkommen können, weil jede Form von Wissen von einem Kunstwerk dessen Erleben bereichern kann. Man muss nur darauf achten, nicht in einen Spezialdiskurs über die Definition unzähliger Spielarten und Varianten von Metal abzugleiten. Das Fanwissen, das diese Tagung anbietet, sollte gerade über die Heavy-Metal-Kultur hinaus gehen und Anbindungen zu anderen Kulturen schaffen.

Erika Becker:
Welche Musik lieben Sie selbst? Sind Sie selbst ein Metalhead?

Rolf F. Nohr:
Ich habe als Pubertierender eine Zeit lang viel Metal gehört: IRON MAIDEN, SAXON, ACCEPT, MOTÖRHEAD. Dann ist meine musikalische Vorliebe extrem in die Breite gegangen, sodass ich heute eigentlich in fast jedem Genre meine Lieblingsband habe. Aber 'Fast As A Shark' oder 'Ace Of Spades' sind immer noch unübertroffene Klassiker und dürfen eigentlich nie fehlen.

Herbert Schwaab:
Ich bin sehr fasziniert von Metal. Meine frühe Jugend war von den Besuchen bei diversen Monsters-Of-Rock-Festivals geprägt. Heute höre ich eher "realistischen", reduzierten, riffbetonten Metal wie von BLACK SABBATH, SLAYER, METALLICA oder gar den MELVINS, aber sonst auch sehr viel andere Musik. Meine liebste Metal-Band ist aber tatsächlich SPINAL TAP, weil sie so wunderbar die Posen und Gesten des Metals offenlegt und dieses Spiel mit dem Künstlichen und Authentischen meisterhaft beherrscht.

Erika Becker:
Ist der Umstand, selbst Metalfan zu sein, für eine Wissenschaftsperspektive eher hinderlich oder hilfreich?

Rolf F. Nohr:
Eigentlich sollte man ja einen gewissen neutralen Abstand zu seinem Untersuchungsobjekt haben. Andererseits ist man als Kulturwissenschaftler ja immer auch selbst sein bester Untersuchungsgegenstand – man kann nicht neben der Kultur stehen um sie zu untersuchen, sondern ist als Untersucher immer Teil von ihr. Aber ich finde es ganz gut, dass ich mich selbst nicht unbedingt als Fan bezeichnen würde, sondern als "dem Projekt wohlwollen zugeneigter" – nicht wie mein Kollege Schwaab, der bekanntermaßen ja den Metal mit der Muttermilch aufgesogen hat und als härtester Metaller der Pfalz gilt….

Herbert Schwaab:
Letzteres ist natürlich nicht ganz ernst gemeint. Aber auch ich finde, dass es äußerst wichtig ist, als Kulturwissenschaftler ein wenig Bezug zu seinem Thema zu haben. Gerade weil wir beide nicht Teil der Heavy Metal Welt sind, aber von ihr fasziniert sind, können wir uns mit ihr in einer wissenschaftlichen Form beschäftigen.  Im Grunde will ich auch verstehen, warum ich bei all der Faszination es niemals geschafft habe, wirklich und vollkommen ein Metal-Fan zu werden (was ja noch passieren kann).

Redakteur:
Erika Becker
1 Mitglied mag diesen Artikel.

Login

Neu registrieren