Musikladen Frankfurt – Die Geschichte einer Insolvenz

07.11.2010 | 12:50

Der Musikladen Frankfurt ist eine Institution. 33 Jahre lang hat sich Rockfan Thomas Glück zunächst als Mitarbeiter, später als Eigentümer dem kleinen Fachhandel für Rock- und Metalscheiben mit voller Kraft gewidmet. Seine Fähigkeiten, die skurrilsten Scheiben und Vinylraritäten aufzutreiben, sind bei den Kunden auch über die Grenzen der Mainmetropole hinaus geschätzt. Am 06. Oktober 2010 musste der Musikladen - für die Kunden völlig überraschend -  schließen. Im Rückblick auf elf Jahre als Geschäftseigentümer offenbart Thomas Glück die schwierige Geschichte des Musikladens, die letztlich in die Insolvenz geführt hat.

Vor mir liegt "Sitra Ahra" die aktuelle CD von THERION. Ein denkwürdiges Album. Es ist die letzte Scheibe, die ich im September 2010 im Musikladen Frankfurt gekauft habe. Irgendwann Ende der 1990er Jahre habe ich den Musikladen in Frankfurt in einer Nebenstraße der Zeil, der Haupteinkaufsmeile der Mainmetropole entdeckt und seit dem habe ich es unbedingt vermieden, meine Metal-Scheiben woanders als im Musikladen von Thomas Glück zu kaufen.
Seit dem 06. Oktober 2010 ist der Laden geschlossen. Thomas Glück hat ein handgeschriebenes Schild in die Tür gehängt und für mehr Infos auf die Musikladen- Homepage www.musikladen-frankfurt.de verwiesen.
Ich bin sprachlos. Wie konnte es dazu kommen?



Wie alles begann

Die Geschichte von Thomas Glück und dem Musikladen beginnt 1978. Nach dem Abitur schreibt sich der begeisterte Rockfan an der Universität für die Studienfächer Amerikanistik und Betriebswirtschaftslehre ein. Nebenbei jobbt er im Musikladen, der seinerzeit noch Plattenladen heißt.
Die Beschäftigung mit der Musik interessiert Thomas Glück viel mehr als das dröge Studium, so dass er den Uni-Besuch 1981 an den Nagel hängt und sich vollends seiner Tätigkeit im Musikladen widmet.
Heute erinnert sich Thomas an ein gutes Team und eine freundschaftliche Arbeitsatmosphäre im Laden. Er bringt sich zunehmend ein und wird im Laufe der Jahre geschäftsführend tätig.
Die Kunden assoziieren ihn mit dem Musikladen und glauben schon damals, dass Thomas der Besitzer des Musikladens sei.
Das wird er allerdings erst 1998, als die Vorbesitzerin ihr Geschäft verkaufen will. Was läge näher, als dass Thomas Glück, der langjährige Mitarbeiter und Geschäftsführer den Laden übernimmt.
So startet Thomas im Januar 1999, von einem Frankfurter Kreditinstitut beraten und mit einem Existenzgründerdarlehen ausgestattet, das sich später als unkluge Finanzierungsform erweist, ein gut gehendes Geschäft.
Leider ist die Miete für das Ladengeschäft in erstklassiger Frankfurter Lage verdammt hoch. Dazu macht sich in diesem ersten Geschäftsjahr bereits bemerkbar, dass die Musikbranche in Veränderung begriffen ist.
Die Preispolitik der großen Elektronikwarenhäuser mit ihren anonymen und nicht gerade spezialisierten Tonträgerabteilungen beginnt, dem Fachhandel den Rang abzulaufen. Der Internetversand fängt an,  sich zu entwickeln und auch die viel beklagte Downloadpraxis und Netzsaugerei lässt nicht mehr lange auf sich warten.
So hat Thomas Glück bereits nach dem ersten Geschäftsjahr als selbstständiger Händler einen spürbaren Umsatzrückgang zu verzeichnen.
Rückblickend macht er für den Niedergang des Musikladens aber mehrere Faktoren verantwortlich. Neben den Veränderungen in der Branche sieht er heute auch sein unternehmerisches Handeln in jenen Jahren als problematisch.
"Eigentlich hätte ich schon 1999 Personal entlassen und die Mietkosten für die Geschäftsräume reduzieren müssen", reflektiert er heute.
Der Anspruch, als Arbeitgeber solide sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Mitarbeiter anzubieten, mit denen eine freundschaftliche Verbundenheit besteht, statt sich auf kostengünstigere Aushilfen zu beschränken, verhindert unternehmerisch notwendige Schritte.



 

Überlebenskampf

Die Folge ist, dass der Musikladen von Anbeginn in eine finanzielle Klemme gerät. Die Notwendigkeit, das gewährte Darlehen an das Kreditinstitut zurückzuzahlen, einhergehend mit Personal- und Mietkosten, die nicht mit den Einnahmen des Musikladens zusammen passen, treiben Thomas Glück in eine Schuldenspirale.
2002 legt Thomas seinen Geldgebern ein Verbesserungskonzept vor. Der Musikladen zieht unter seiner Regie erstmals um, mit der Folge, dass sich die beklemmenden Mietkosten um 5000,-€ reduzieren. Man ist ein Stück von der Zeil weggerückt. Das wirkt sich aus.
Aber es reicht nicht. Die Bank verlangt aufgrund der säumigen Darlehensrückzahlungen den Verzicht auf einen Dispositionskredit und eine monatliche Rückzahlung von 2500,-€.
Thomas Glück versucht dennoch, sein Personal zu halten und den Musikladen zu erhalten. Bald schon können die Kunden an der Ladentheke des Geschäftes lesen, dass der Musikladen stille Teilhaber sucht. Auch die Mitarbeiter helfen mit und unterstützen den Musikladen mit Arbeitnehmerdarlehen.
Nichts hilft. Die Spirale dreht sich immer mehr nach unten. 2009 wird erneut ein Umzug zur Reduzierung der Mietkosten erforderlich. Diesmal geht es in die Berliner Straße 6 und damit endgültig weg aus dem Dunstkreis der Frankfurter Zeil. Einer Mietkostenreduzierung um die Hälfte der bisherigen Kosten steht der Wegfall des Laufpublikums entgegen. Thomas Glück ist jetzt nur noch auf sein Stammpublikum angewiesen.  Das sind treue Seelen, die teils seit den frühen 1980er Jahren Kunden im Musikladen sind. Aus den Reaktionen, die Thomas auf seine Schließungsmitteilung erhalten hat, ist zu entnehmen, wie groß die Betroffenheit ist. Da meldet sich per Mail ein Mittdreißiger, der sich an seinen ersten Plattenkauf im Musikladen im Alter von 12 Jahren erinnert.
Ein anderer Musikfan hat Buch geführt und festgestellt, dass er von Dezember 1994 bis Oktober 2010 insgesamt 475 CDs im Musikladen gekauft hat! Eine beeindruckende Zahl, die den Schluss nahelegt, dass das fachliche Konzept des Musikladens durchaus aufgegangen ist.
Thomas hat sich jetzt doch von seinen Festangestellten getrennt und ist allein mit zwei Aushilfen im Musikladen zurück geblieben. Eine Entwicklung, die er nie wollte.
Dennoch kann die Berliner Straße mit ihren Stammkunden das kleine Unternehmen nicht mehr retten.
Der Überlebenskampf all die Jahre und die Unentrinnbarkeit aus den finanziellen Verpflichtungen haben Thomas Glück mit seinem Musikladen die Luft zum Atmen genommen.
Zum Schluss muss er die Kündigung des Darlehens der Bank hinnehmen, in dessen Folge der Vermieter der Geschäftsräume der Berliner Straße sich zur Räumung veranlasst sieht. Einem Räumungsaussetzungsantrag wird durch das Amtsgericht nicht stattgegeben. Exitus.
Das ist das Ende des Musikladens.

 

 

Zukunft

"Sitra Ahra", meine letzte CD aus dem Musikladen. Nie hätte ich gedacht, dass hinter all den Umzügen des Musikladens über Jahre eine derart ernsthafte Existenzbedrohung gelauert hat. Rückblickend ist die Geschichte von Thomas Glück und dem Musikladen von Anbeginn ein Ringen gegen den Atemstillstand gewesen. Entscheidungen der frühen Jahre haben sich zu tonnenschweren Altlasten entwickelt, die letztlich nicht mehr aufzufangen waren.

"Das ist ja wirklich ein Desaster! Wenn man irgendwas tun könnte…," schreibt eine Kundin. Der Wunsch nach einer Neueröffnung verbindet jene, die sich per E-Mail bei Thomas Glück gemeldet haben. Irgendwie erscheint es  mir unredlich, dass sein langjähriges Bemühen ohne Erfolg geblieben ist. Und die Geschichte von Thomas Glück, die so eng mit dem Musikladen verbunden ist, ermutigt nicht gerade, sich den Risiken des Unternehmertums auszusetzen. Ob man es anders hätte machen können? Die Frage muss letztlich offen bleiben. 

Bleibt zu hoffen, dass wenigstens der musikalische Sachverstand von Thomas Glück sich noch einmal entfalten kann. Vielleicht im Bereich Radio oder Journalismus. Das interessiert Thomas.  Er ist bereit für neue Aufgaben und hält die Augen offen, um sein Know-how dennoch weiter in der Musik-Branche einzubringen.

Redakteur:
Erika Becker
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