PESSIMIST: Interview mit Michael "TZ" Schweitzer

29.06.2020 | 22:36

"Holdout" - kurz und knackig hauen uns die Thrasher PESSIMIST ihr neustes Werk um die Ohren. Lange hat es gedauert, bis der "Death From Above"-Nachfolger in trockenen Tüchern war, doch das Endergebnis kann sich dafür mehr als hören lassen. Wir sprachen mit Häuptling TZ über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von PESSIMIST. Herausgekommen ist ein hochspannendes Gespräch, welches wir euch natürlich nicht vorenthalten möchten.

TZ, lange nicht mehr gesprochen und doch wiedererkannt. Wie geht es dir und der PESSIMIST-Truppe?

Hallo Marcel, lange ist es her! Mir und der ganzen Truppe geht es sehr gut. Danke für die Nachfrage. Die Covid-19 Krise trübt ein wenig die Stimmung, da wir eigentlich für den 27.06. eine große Release-Party geplant hatten, die aber verständlicherweise abgesagt wurde. Du kannst dir aber bestimmt die Stimmung und die Freude vorstellen, die wir empfinden, nach so langer Zeit endlich neues Material veröffentlichen zu dürfen.

Seit eurem letzten Dreher "Death From Above" sind einige Jahre ins Land gezogen. Magst du uns vielleicht ein kleines Update geben, was in der Zwischenzeit bei euch so passiert ist und wie du eine neue Truppe hinter dir versammeln konntest?

In den letzten sieben Jahren ist einiges passiert. 2015 sind Sevi (Bass) und Richard (Gitarre) aus beruflichen Gründen ausgestiegen. Ersatz war dann zwar schnell gefunden, aber die Leute mussten ja erst eingespielt werden. Als dann Schmidle (Gitarre) wegen verschiedensten Gründen nach kurzer Zeit wieder ausgestiegen ist, mussten wir wieder Ersatz suchen, den wir 2016 in Form von Murphy gefunden hatten. An Songwriting war zu dieser Zeit einfach nicht zu denken. Erst Ende 2017 hatten wir dann begonnen neue Songs zu schreiben, sodass 'Death Awaits' und 'The King Of Slaughter' in ihrer jeweiligen Urform entstanden sind. Als aber dann 2018 auch noch Zufi (Schlagzeug) aus gesundheitlichen Gründen die Band verlassen musste, war der Gedanke die Band endgültig zu beerdigen mehr als einmal da. Glücklicherweise fanden wir kurz danach Jan als neuen Schlagzeuger und wir entschlossen uns, keine neuen Gigs anzunehmen bis wir eine Platte aufgenommen hatten. Seitdem ist die Stimmung in der Band so gut wie seit sieben Jahren nicht mehr!

Ich glaube, im letzten Jahr hast du das fertige Line-up endlich verkünden können. Wie lange habt ihr im Endeffekt an "Holdout" als Team - und du im Vorfeld vielleicht im Alleingang - gearbeitet? Wie verlief der Entstehungsprozess?

Als wir uns entschlossen hatten keine Gigs mehr anzunehmen und uns nur noch auf das Songwriting zu konzentrieren, war Jan kurz zuvor eingestiegen. Das ganze Material war im Herbst 2019 fertig und im darauffolgenden November sind wir ja bei Christoph [Brandes - Anm. d. Red.] im Iguana Studio eingefallen. Ganz wichtig war schon immer bei uns, dass es keine Alleingänge gibt und wir alle Entscheidungen demokratisch bestimmen. Es ist eigentlich immer so, dass unsere Songwriter zu Hause an Ideen arbeiten, sie anschließend mit in die Probe nehmen und solange gejammt wird, bis ein neues Songgerüst steht. Ich schaue anschließend, ob mein Text passt und nach ein paar Feinarbeiten ist ein neuer PESSIMIST-Song fertig. Ich denke, dass sich der Entstehungsprozess nicht von anderen unterscheidet.

Trotz der langen Zeit klingt PESSIMIST noch immer nach PESSIMIST. Wofür steht und stand PESSIMIST deiner Meinung nach?

Das freut mich sehr, dass du das genauso siehst wie ich. Ich denke auch, dass wir immer noch, nach so langer Zeit und vielen Besetzungswechseln, nach uns klingen. Den allergrößten Anteil daran haben Eric, Murphy, Samuel und Jan. Ich bin nur der Schreihals und schreibe keine Songs, sondern nur fast alle Texte.

Wofür steht PESSIMIST? Das ist eine schwierige Frage. Ich denke PESSIMIST steht für abwechslungsreichen, schnellen, harten Thrash Metal und einem großen Spritzer Melodie. Textlich gesehen stehen wir meistens für historische und pessimistische Songs, hehe, die zum Nachdenken und Reflektieren anregen sollen, mit der Aussage, dass bewaffnete Konflikte und Krieg immer und überall schrecklich und furchtbar sind.

Zuerst springt mich das enorm gelungene Artwork an. Wer steckt dahinter und wie steht es in Verbindung zu den Songs der neuen Scheibe?

Wir hatten einen Künstler im Internet angefragt, ob er unsere Vorstellungen bezüglich des Covers umsetzen kann und ich muss sagen, er hat unsere Erwartungen auf jeden Fall übertroffen. Uns war es wichtig, dass unser Cover einen Wiedererkennungswert besitzt und die Einsamkeit ausstrahlt, die im Titelsong 'Holdout' zum Tragen kommt.

Ich habe gelesen, dass "Holdout" die Geschichte japanischer Soldaten erzählt. Könntest du dazu etwas mehr berichten? Ist "Holdout" also eine Art Konzeptalbum?

Das Album ist kein Konzeptalbum, sondern nur der Titelsong 'Holdout' bezieht sich auf die japanischen Holdouts. Das waren Soldaten, die meistens durch die amerikanische Taktik des Inselspringens von der restlichen Welt abgeschnitten waren und auf den Pazifikinseln über keine Kommunikationsmittel verfügten. Viele japanische Soldaten haben von der japanischen Kapitulation erstmal nichts mitbekommen und verschanzten sich oder kämpften aus den unterschiedlichsten Gründen noch jahrelang weiter. Der letzte gesicherte Holdout war Nakamura Teruo, der sich erst 1974 auf Morotai, Indonesien, ergab. Das heißt, der Pazifikkrieg bzw. der Zweite Weltkrieg ging für Nakamura Teruo bis 1974. Ich fand das Thema, als ich zum ersten Mal davon las, so spannend und schrecklich zugleich, dass ich unbedingt darüber einen Text schreiben wollte.

Andererseits haben wir "Holdout" als Titel genommen, um mit einem Augenzwinkern zu sagen, dass wir ausgehalten und uns nicht aufgelöst haben.

Eine mehr als interessante Geschichte. Nach der Tradition von 'Trommelfeuer' und 'Feindfahrt' beginnt auch die neuste Scheibe mit einem deutschsprachigen Song. Ist das euer Markenzeichen? Was ist die tiefere Bedeutung von 'Landsknecht'?

Eigentlich war das bisher immer wieder Zufall und auf der nächsten Platte muss nicht zwangsläufig wieder ein Opener mit deutschem Refrain stehen. Vielleicht war das bisher unser Markenzeichen, ich bin aber jedoch auch bereit darauf zu verzichten.

In 'Landsknecht' geht es um den Dreißigjährigen Krieg, als die Landsknechtsheere zum letzten Mal die Schlachtfelder beherrschten. Man stelle sich vor, da sind zwei Generationen nur mit Krieg, Hunger, Krankheiten, Epidemien, Mord, Gewalt, Vergewaltigungen, entvölkerten Landstrichen aufgewachsen und trotz allem haben sich danach wieder eine Gesellschaft und verschiedene Institutionen gebildet. Wenn man von einer Bevölkerung von 16 bis 18 Millionen Menschen im Jahre 1618 im Heiligen Römischen Reich ausgeht und von einem Verlust von vier bis sechs Millionen bis 1648, finde ich das alles unglaublich. Ich wollte auch hier schon immer mal einen kleinen Text über diese Ur-Katastrophe schreiben.

Harter Stoff, da gebe ich dir Recht! Die Geschichte welchen neuen Songs muss deiner Meinung nach definitiv noch erzählt werden?

Der Song 'The Mountain Of Death' war mir eine Herzensangelegenheit. Hierbei geht es um die Schlacht um den Hartmannswillerkopf in den Vogesen im Ersten Weltkrieg. Dabei starben ca. 30.000 französische und deutsche Soldaten und es wurden etwa doppelt so viele verwundet. Dieser Berg zeigt wie kaum ein anderer die Sinnlosigkeit des Krieges. Seit ich ein Jugendlicher war, gehe ich regelmäßig auf den Hartmannswillerkopf und entdecke immer wieder neue Schützengräben, Unterstände, Bunker und Relikte der Zeit, was bei ca. 6000 Stollen/Unterständen und 90km Schützengräben auch kein Wunder ist. Ich habe vor einigen Jahren für viel Geld das Buch von Hans Killian "Totentanz auf dem Hartmannsweilerkopf" gekauft und wollte schon immer über diese Sinnlosigkeit einen Text schreiben.

Großartiger Song! Einer, der auch absolut herausragt, ist der Abschluss mit '7:28'. Wofür steht die Zahl und worauf kann man sich als Zuhörer bei den elf Minuten Spielzeit dieses Brockens einstellen?

Bei diesem Song geht es um die Schlacht an der Somme im Ersten Weltkrieg. '7:28' bezieht sich auf den 1.Juli 1916 um 07:28 Uhr, als britische Pioniere fast gleichzeitig unter den deutschen Stellungen 19 Minen gezündet haben. Scheinbar waren diese Explosionen bis nach London hörbar. Der Song erzählt ein Stück dieser schrecklichen und verlustreichen Schlacht auf allen Seiten. Der Refrain ist dreisprachig gehalten, um an alle Opfer gleichermaßen zu erinnern.

Als Zuhörer kann man sich auf ein elfminütiges Bad der Gefühle einstellen. Von Raserei, über trotziges Aufstampfen, melancholisches Innehalten und brachiale Wut ist alles dabei.

Trotz aller Brutalität hat auch die Melodie in eurer Musik einen gewissen Stellenwert. Wie wichtig ist für euch dieser Spagat sowie ein gewisses Maß an Abwechslungsreichtum?

Dieser Stellenwert ist uns sehr wichtig. Wir versuchen immer darauf zu achten, dass wir nicht nur auf-die-Fresse-Songs haben, sondern, wie du eben erwähnst, auch die Melodie ihren Platz findet. Ich finde, das macht ein Album und die Musik allgemein, auf die Dauer gesehen, spannender und interessanter. Kommt natürlich auf den Musikgeschmack des Einzelnen an. Ich denke, wir haben da bisher immer einen guten Kompromiss gefunden.

Wenn du der neuen Scheibe "Call To War" und "Death From Above" gegenüberstellst, welchen Stellenwert hat das dritte PESSIMIST-Album für dich und was unterscheidet musikalisch "Holdout" von den anderen beiden Langrillen?

Zunächst bin ich überhaupt froh, dass wir eine neue Platte veröffentlichen! Nach all den Besetzungswechseln und Auflösungsgedanken, die manchmal im Raum standen, ist das keine Selbstverständlichkeit. Ich finde "Holdout" verbindet die Stärken von "Call To War" und "Death From Above" und ist die klare musikalische Weiterentwicklung der beiden Alben. Beim Song 'Kill & Become' sind partiell Death-Metal-Vocals vorhanden. Da fragte ich mich, ob wir das als Thrash-Metal-Band dürfen. Da wir das aber schon auf unserer ersten Demo "Nuclear Holocaust" aus dem Jahr 2007 als Stilelement nutzten, haben wir es einfach gemacht. Somit schlugen wir sogar, zumindest gesanglich, auch eine kleine Brücke bis zu unseren allerersten Demo-Tagen.

TZ, deine Meinung ist gefragt: Was passiert, wenn es früher oder später Bands wie TESTAMENT, SODOM, KREATOR und EXODUS irgendwann nicht mehr gibt? Das Thema SLAYER hat sich ja leider nun auch erledigt...

Ja, die Sache mit SLAYER treibt mir immer noch wehmütige Tränen ins Gesicht. Wenn diese Bands nicht mehr existieren, werden sie zunächst große Lücken hinterlassen, aber ich bin da optimistisch. Wenn etwas geht, kommt immer irgendwas Neues und Anderes, was zumindest die Lücken etwas ausfüllen wird. Ich mache mir aber um den Nachwuchs ehrlich gesagt keine Sorgen. Es wird neue Bands geben und die werden großartig sein. Bestimmt und hoffentlich! Obwohl ich mir das bei OVERKILL im Speziellen kaum vorstellen kann. Wir müssen das Thema wechseln, bin da irgendwie ambivalent.

Dann zu etwas Erfreulichem: Was waren denn in den letzten Jahren Thrash- oder generell Metalplatten, die dich beeindruckt oder in irgendeiner Art und Weise berührt haben?

Das ist schwierig. Ich höre allgemein viel Musik, von 1960er Jahre Rock bis zum Old School Death Metal der 1990er. Aber in letzter Zeit habe ich vermehrt ältere Bands für mich entdeckt, die ich früher nicht mal mit der Beißzange angefasst hätte. Irgendwie hat sich mein musikalischer Geschmack erweitert. Liegt wohl am Alter, hehe.

Die neuesten Veröffentlichungen, die es mir angetan haben, waren auf jeden Fall die von WARBRINGER, PARADISE LOST und BITTERNESS, aber auch aus dem letzten Jahr die der dänischen Band KONVENT. Mit der neuen TESTAMENT-Scheibe kann ich bisher leider nur wenig anfangen. Ich weiß, jetzt werde ich gleich gesteinigt, obwohl ich ja eigentlich ein riesiger TESTAMENT-Fan bin.

TZ, das war ein enorm informatives und gutes Gespräch, schönen Dank dafür. Ich als Thrash-Metal-Liebhaber kann "Holdout" jedem Anhänger speziell der älteren Schule wärmstens ans Herz legen. Was möchtest du unseren Lesern noch mit auf den Weg geben?

Trinkt genügend Bier, kauft Platten und CDs und bleibt vor allem gesund wegen der Covid-19 Krise, geht danach auf Konzerte, egal ob große oder kleine! Unterstützt eure lokalen Bands und ich hoffe, wir sehen uns nach der ganzen Corona-Scheiße!

Ich danke dir Marcel für das Gespräch und dein Interesse!

Redakteur:
Marcel Rapp

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