SOULFLY - "The Soul Remains Insane" auf den Zahn gefühlt

31.08.2022 | 22:28

"The Soul Remains Insane" schaut mit einem sehr edlen Blick auf die Frühphase SOULFLYs zurück und hält auch einige Besonderheiten bereit, die diese Fünfer-Box von anderen Box-Sets zu unterscheiden weiß. Passend zur aktuellen "Totem"-Veröffentlichung reisen wir also mehr als 25 Jahre zurück. Wir blicken gemeinsam auf die damalige Zeit und die Gründe, weshalb "The Soul Remains Insane" eigentlich in jeden gut sortierten CD-Schrank gehören sollte.

Was habe ich den Cavalera, Max auf "Arise" und "Chaos A.D." geliebt, doch tatsächlich lernte ich aufgrund meines Alters und der Verbindung zu meinem Onkel zunächst SOULFLY und später erst SEPULTURA kennen. Es kommt mir wie gestern vor, als ein kleiner Stöpsel zum CD-Regal des Bruders seiner Mutter trottete und von den Cover-Motiven der "Primitive"-, "Prophecy"- und vor allem "3"-Digipack-Ausgaben so dermaßen begeistert war, dass er diese mit den üblichen Verdächtigen – PANTERA, FAITH NO MORE, MACHINE HEAD – tatsächlich mit nach Hause nahm. Meine Güte, was hat mich vor allem "Prophecy" gefesselt! Als ich dann viele Jahre später Max als ehemaligen SEPULTURA-Kopf kennenlernte, schloss sich der Kreis und der Status Herrn Cavaleras nahm weitere Formen an. Auch nach 2004 war der Gute weiterhin recht umtriebig, hat allein mit seiner Stammcombo acht weitere Alben aus dem Boden gestampft und blickt nun mit uns und mit euch und mit "The Soul Remains Insane" auf die SOULFLY-Frühphase zurück.

Nach dem 1996er Katastrophenjahr gründete Max trotzdem – oder gerade deshalb – SOULFLY, um die von SEPULTURA eingeschlagene "Roots"-Route auch ohne seine einstige Stammcombo zu verfolgen. Hardcore und Thrash kommen Schlag auf Schlag, die Groove- und Tribal-Elemente würzen das explosive Gemisch sehr schmackhaft und so erscheinen im schmucken Zwei-Jahres-Rhythmus ab 1998 die ersten vier SOULFLY-Alben, die in dieser Box ihren Platz finden. Speziell in der Vinyl-Ausgabe machen die ohnehin schon sehr geschmackvoll gehaltenen Artworks eine sehr gute Figur. Und bevor wir zum eigentlichen Erwerbsargument auch für diejenigen kommen, die das erste Albumquartett schon ihr Eigen nennen können, lassen wir diese Zeit kurz Revue passieren.

Am 21. April fiel der "Soulfly"-Startschuss, ein Debüt, das hörbar sehr stark vom "Roots"-Angriff beeinflusst war und mit den Angstfabrikanten Burton C. Bell und Dino Cazares – so schließt sich letztendlich der Kreis zur aktuellen "Totem"-Veröffentlichung – Fred Durst und DJ Lethal (beide LIMP BIZKIT) sowie DEFTONES-Fronter Chino auch lukrative Gäste begrüßen durfte. Zur Band selbst gehörten damals Bassist Marcello D. Rapp (weder verwandt noch verschwägert mit dem Verfasser dieser Zeilen), der heutige MINISTRY-Schlagzeuger Roy Mayorga und Jackson Bandeira, der nach der Albumveröffentlichung die Band auch wieder verließ. Bis heute sind der Opener 'Eye For An Eye', 'Tribe' und 'No Hope = No Fear' zu Recht fester Bestandteil jeder SOULFLY-Show. Schließt man die Augen und ignoriert den Bandschriftzug, knüpft "Soulfly" genau dort an, wo SEPULTURA 1996 noch mit Max als Frontmann mächtig Staub aufgewirbelt hat, es geht also nahtlos ineinander über. Tribal-Elemente in Hülle und Fülle, wütende Growls und Schreie eines hörbar lauten Cavaleras, und die Gäste komplettieren das Geschehen mit einem kräftigen Nu-Metal-Einschlag. Es gibt Debüts, die sanfter in der Metal-Szene einschlagen.

Bevor am 26. September 2000 "Primitive" in den Regalen stehen sollte, wechselte die halbe SOULFLY-Mannschaft. Max – logischerweise – und mein brasilianischer Namenszwilling blieben mit an Bord, mit Mikey Doling an der zweiten Klampfe und Joe Nunez hinter der Schießbude gesellten sich zwei neue Köpfe hinzu. Und trotz des Wechselkarussells groovt "Primitive" als Gegenstück zur schon damals herrschenden Elektronik mit einer mächtigen Hardcore- und Thrash-Note munter drauf los. Wie schon auf dem Debüt kann sich die Gästeliste abermals sehen lassen, veredelt doch niemand Geringeres als SLAYER-Grinsebäckchen Tom Araya den kompromisslosen Song 'Terrorist'. Zudem gibt sich einmal mehr DEFTONES-Chino Max die Ehre, der allerdings auch SLIPKNOT-Obermaske Corey Taylor bei 'Jumpdafuckup' sowie Sean Lennon beim sehr groovigen und poppigen 'Son Song' auf "Primitive" begrüßen darf. In seiner Zeit bei SEPULTURA hat er anscheinend einige Freundschaften schließen können. Mit diesen und seinen eigenen Einflüssen ist die Zweitplatte SOULFLYs mal fies groovend, mal herrlich wütend und bezüglich anderer Musikrichtungen wie Weltmusik und Hip-Hop gewohnt offen. Ein Trend, den Herr Cavalera auch auf den Folgealben stets verfolgen sollte. Auf dem 2000er Album jedenfalls sind es vor allem das eröffnende 'Back To The Primitive', 'Soulfly II' und die angesprochenen Duette mit Araya, Taylor, Moreno und Lennon, die den Braten richtig lecker machen.

Stark, stärker, "3"! Keine zwei Jahre später erscheint das Make-it-or-break-it-Album SOULFLYs, das alle bisherigen Ketten sprengt und sich als vielseitigstes und in sich stimmigstes Album beweisen sollte. 'Seek 'n' Strike', 'Downstroy' sowie 'L.O.T.M.' und 'Four Elements' sind schlicht und ergreifend bockstarke, zwingende Stücke, mit '9-11-01' gibt es inmitten dieses Gerölls eine den Opfern des Terroranschlags Respekt zollende Schweigeminute. Und wenn eine Band mit dem passenden 'One Nation' schon einen meiner liebsten SACRED REICH-Songs covert, dann steigt "3" nochmals in meiner Beliebtheitsskala. Ein wuchtiger Sound, ein mehr als elegantes Artwork des Om-Symbols und dank Sitar und Berimbau bekommt auch "3" einen angenehm exotischen und authentischen Touch. Neben der Stammbelegschaft bestehend aus Max, Marcello und dem wiedergekehrten Schlagzeug-Roy sind mit ILL NINO-Bassist Christian Machado, Max' Stiefsohn Ritchie und Sängerin Asha Rabouin erneut einige Gäste mit von der Partie, und auch heute schallen die knapp 59 Minuten (meist) lautstark durch die Bude. Ein rundum sehr geschmackvolles, abwechslungsreiches Album also, auf dem Max einen mehr als eleganten Spagat aus Hardcore, Thrash und seinem eigenen Mix aus Weltmusik, Tribal-Einflüssen und Rap-Elementen wagt  - und damit gewinnt. "3" macht auch 20 Jahre später noch mächtig Spaß.

Warum trotz der drei tollen Alben zuvor "Prophecy" immer einen besonderen Stellenwert bei mir genießt? Nun, mit dem Titeltrack gleich zu Beginn hatte ich meine erste auch audio-visuelle SOULFLY-Erfahrung. Ihr erinnert euch an das schweißtreibende Video in der Wüste, in dem auch ex-MEGADETH-Bassist David Ellefson die Saiten zupft. Generell ist er bei einigen Songs mit von der Partie, die anderen spielt Bobby Burns (ex-PRIMER 55) ein. Bäumchen wechsel dich also wieder bei SOULFLY, zumal auch Max – und dieses Argument muss man ihm zugutehalten – neue Musiker kennenlernen und mit ihnen musizieren, seinen eigenen Horizont erweitern und sich von Album zu Album weiterentwickeln will. Also kommen der damalige ILL NINO-Gitarrist Marc Rizzo und erneut Joe Nunez mit an Bord und prügeln ein so dermaßen brutales, aggressives, aber gleichzeitig ausgeglichenes und hochinteressantes Album ein, das sogar dem Albumtrio zuvor den Rang abläuft. Und trotz Max' Vorhaben hat das Quartett bestehend aus Marc (bis "Ritual"), Joe und Bobby (jeweils bis "Omen") sowie selbstverständlich ihm selbst vorerst viele Jahre Bestand. Ein Zungenschnalzer folgt dem nächsten, tolle Reggae- und Weltmusikeinflüsse, eine superbe Produktion und ein wieder einmal geschmackvolles Cover – diesmal 'In The Meantime' im Original von HELMET – runden den ohnehin tollen Eindruck, den "Prophecy" allein schon optisch macht, tadellos ab. Von daher ist das Viertwerk aus dem Hause SOULFLY auch bis zum heutigen Tage mein liebstes.

Das, meine Damen und Herren, sind die vier Alben, die "The Soul Remains Insane" schmücken. Mit "Soulfire" folgt ein weiterer Rundling mit Singles, B-Seiten, seltenen Aufnahmen und einigen bisher unveröffentlichten Songs. Speziell das ohnehin schon brutale 'Terrorist' prügelt in seinem Total-Destruction-Mix alles in Grund und Boden, die einstigen Bonustracks 'Cangaceiro', 'Ain’t No Feeble Bastard' und 'The Possibility Of Life’s Destruction', beides DISCHARGE-Cover, passen sich ebenso gut an wie das BLACK SABBATH-Cover von 'Under The Sun' und 'I Will Refuse', im Original von PAILHEAD. Dazu hier ein Tribal-Terrorism-Mix, dort ein Zumbi-Dub-Mix, das komplette "Soulfire"-Album wirkt trotz des zusammengewürfelten Gefüges doch recht rund und macht bis zum finalen 'Berimbau Jam' große Freude für SOULFLY-Fanatiker. Ebenfalls in dieser Box ist ein Buch enthalten, das die Geschichte der Alben "Soulfly", "Primitive", "3" und "Prophecy" anhand neuer Interviews mit Mastermind Cavalera himself erzählt und allerlei bis dato unveröffentlichte Fotos bereithält. Die Zeitreise ist also perfekt.

Um diese wirklich tollen Alben vollumfänglich genießen zu können, eignet sich die Vinyl-Ausgabe des "The Soul Remains Insane"-Bollwerks hervorragend, denn allein in Sachen Aufmachung und Artwork haben sich Max und SOULFLY stets gekonnt von anderen Bands abgehoben. Auch die musikalische Entwicklung seiner Band ist anhand der ersten vier Alben nicht von der Hand zu weisen und schon aufgrund der zahlreichen Kollaborationen und musikalisch offenen Augen, mit denen sich Herr Cavalera bis heute durch die Welt rifft, sägt und schreit, gehört die SOULFLY-Frühphase zum guten Ton eines jeden Freundes etwas harscherer Töne. Somit gehen beide Daumen hoch für "The Soul Remains Insane".

Redakteur:
Marcel Rapp

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