TURBONEGRO: Interview mit Hank von Helvete

17.08.2008 | 14:36

Was die aktuelle Rock'n'Roll-Landschaft angeht, stellen TURBONEGRO ein Unikum dar. Warum? Nun, neben dem Image und den dahinterstehenden Pseudonymen, ist es allen voran die Turbojugend, für die die Norweger bekannt sind und von vielen Rock-Kapellen auch irgendwo beneidet werden.

Auf der MARILYN MANSON-Tour konnte die Truppe den Supportslot ergattern und kann mit dem Hinweis "Special Guest" Abend für Abend eine knappe Dreiviertelstunde lang der Goth-Meute Saures bieten. Nachdem ich über etwas längere Umwege mit dem Tourmanager in Kontakt trete, dauert es noch eine gewisse Zeit bis Frontmann Hank von Helvete sich zu mir bequemt. Noch ist er ungeschminkt und im Vorfeld des Interviews wurde mir angeraten, keine privaten Fragen zu seiner Person zu stellen.

Dementsprechend unspektakulär schlurft Hank an, um mich zur Garderobe zu führen, wo wir einigermaßen ungestört das Interview führen können. Zeitgleich absolviert Mr. Manson seinen Soundcheck, was wir bis zur noch menschenleeren Garderobe vernehmen können. Draußen warten knapp zwei Stunden vor dem Einlass etliche MANSON-Jünger darauf, dass ihnen endlich Einlass gewährt hat. Ohne große Umschweife lege ich schon mit der ersten Frage los:

Tolga:
Wie läuft die aktuelle Tour und wie kam es dazu, dass Mr. Manson gerade euch als Opener engagiert hat?

Hank:
Wir sind uns zufälligerweise ein paar Mal auf Festivals begegnet. In der Regel war's dabei immer so, dass wir vor dem MANSON-Auftritt auf die Bühne gegangen sind. Dabei hat das MANSON-Team festgestellt, dass die Kombination von TURBONEGRO und MARILYN MANSON gut zusammenpasst und ein cooles Publikum anlockt. Mit der Zeit knüpften wir Freundschaften mit den Jungs und sie fragten uns, ob wir mit ihnen touren möchten. Zu Beginn waren wir ein bisschen skeptisch, da's sich um komplett andere Musik handelt. Nachdem wir eine gewisse Zeit darüber nachgedacht haben, befand die MANSON-Crew, dass wir eine spezielle und coole Zielgruppe damit anlocken können. Die Kombination hat schon etwas Magisches.

Tolga:
Weißt du ob er sich TURBONEGRO-Scheiben angehört hat?

Hank:
Ich weiß, dass sie sich die Tourmusik reinziehen.

Tolga:
Und, haben sie's gemocht?

Hank:
Yeah, yeah!

Tolga:
Denkst du, dass ihr während dieser Tour neue Fans gewinnen könnt?

Hank:
Die Sache mit der Industrial-Goth-Szene ist die, dass in erster Linie ein junges Publikum angesprochen wird. Und diese Kids sind neuer Musik gegenüber sehr aufgeschlossen, was wir jeden Abend beobachten können. Was dieses Publikum angeht, so können wir jeden Abend neue Fans hinzugewinnen. Was die älteren Leute angeht, die schon seit zehn bis fünfzehn Jahren in der Szene involviert sind, so sehen diese das Ganze ein bisschen skeptischer und sind, was ihren Musikgeschmack angeht, schon gefestigt. Mit 35 Jahren ist es um einiges schwerer sich für eine Punk-Rock-Band zu begeistern. Wir sehen im Publikum einige ältere Goth-Fans, die Ähnlichkeit mit Nosferatu aufweisen und keinen Zentimeter abgehen. Alle jungen Goth-Kinder hingegen gehen steil durch die Decke, was auf eine gewisse Art und Weise lustig ist.

Tolga:
Lass uns über die "Boys From Nowhere"-EP sprechen. Wäre es nicht besser gewesen gleich ein "Greatest Hits"-Album auf den Markt zu werfen?

Hank:
Ein "Greatest Hits"-Album steht zurzeit nicht zur Debatte. Wir produzieren immer noch fleißig Alben, weshalb unsere größten Hits noch bevorstehen. Wir werden noch ein oder zwei Alben auf den Markt werfen, bevor eine "Greatest Hits"-Langrille in Angriff genommen wird. Der Grund für diese EP war die, dass wir ein neue Zielgruppe, wie die angesprochenen Industrial-Goth-Kids, ansprechen wollten. Viele Leute heutzutage wissen nicht wofür TURBONEGRO stehen, weshalb wir einen kleinen Querschnitt über unser gesamtes Werk, kleine Beispiele aus unserer Vergangenheit, veröffentlichen wollten. Es sollte ein Statement für die Leute darstellen, die uns noch nicht verfolgt haben. Ich denke es werden noch weitere fünf Jahre ins Land ziehen, bis TURBONEGRO ein "Greatest Hits"-Album veröffentlichen können.

Tolga:
Was hältst du von der Turbojugend? War es eine Idee von den Fans oder habt ihr's in die richtige Richtung gelenkt?

Hank:
Es fing als Witz bzw. Kontaktadresse an. Jürgen Goldschmidt aus Hamburg, der Präsident des deutschen Fanclubs, hat dann angefragt, ob er als Lizenznehmer den Fanclub für uns leiten darf. Seitdem haben wir nichts mehr damit zu tun. Mittlerweile schon seit zwölf Jahren.

Tolga:
Ich hab gestern abend noch ein bisschen gegoogelt, und dabei ist mir aufgefallen, dass jede größere deutsche Stadt ihre eigene Turbojugend hat. Was hältst du davon?

Hank:
Ich find's cool! Vor allem die Deutschen verspüren einen inneren Zwang Uniformen zu tragen. Und es ist besser ,wenn sie Uniformen tragen, die etwas mit Rock'n'Roll zu tun haben, als wenn sie Uniformen bevorzugen, die für andere Sachen stehen.

Tolga:
Kennst du andere Bands die eine ähnliche Fanbasis vorweisen können?

Hank:
Es gibt da die KISS-Army...

Tolga:
Und heutzutage?

Hank:
Es ist eine einmalige Sache. Dabei handelt's sich um den größten und einzigen uniformierten Fanclub auf der Welt mit ca. 30.000 Mitgliedern.

Tolga:
Selbst auf Festivals gibt es ein spezielles Areal nur für Turbojugend-Mitglieder z.B. auf dem Wacken vor zwei Jahren.

Hank:
Oh yeah, aber auf dem Bizarre-Festival gab's das auch schon. Auf vielen Festivals, auf denen wir gespielt haben, hatten die Turbojugend-Mitglieder ihr eigenes Camp.

Tolga:
Lass uns über eure aktuelle CD "Retox" sprechen. Was zur Hölle ist ein 'Chubby Dude'?

Hank:
Du siehst gerade einen an.

Tolga:
Ah, okay! (Da hat's ein bisschen länger gedauert bis der Groschen bei mir gefallen ist) Ihr habt also den Übergewichtigen einen Song auf den Leib geschrieben.

Hank:
Das männliche Ideal für die jungen Mädels war früher ein dünnes und drahtiges zweiundzwanzigjähriges Boygroup-Mitglied. Heutzutage bevorzugen die jungen Mädels einen leicht übergewichtigen Mann, der die Dreißig schon hinter sich gelassen hat. Er kennt sich im Leben aus und ist imstande, den Mädels multiple Orgasmen zu geben. Er sucht ihnen guten Wein und gutes Essen aus. Der perfekte Gentlemen ist der mit Lebenserfahrung.

Tolga:
Welche Merkmale sind signifikant für ein 'Alpha Male'?

Hank:
Das ist lediglich eine mentale Sache. Du musst extrem intelligent sein, wie z.B. alle TURBONEGRO-Mitglieder.

Tolga:
Und was geschieht nachdem du die "Atombombe abgeworfen hast"?

Hank:
Ich weiß nicht. Vielleicht der atomare Winter?

Tolga:
Nix spezielles?

Hank:
Nein, es wird lediglich der atomare Winter heraufziehen und nur die Kakerlaken überleben.

Tolga:
Stand da eher ein ernster Hintergrund zu dem Text oder war's lediglich als Witz gedacht?

Hank:
Schon ein Witz, wobei man dazu sagen muss, dass es sich um die hippen Städte in Europa dreht, wo Jeder extrem individualistisch agiert, was wiederrum zu einem Massenividiualismus führt. Es ist ähnlich wie bei einer Uniform, wo viele unsichere Menschen denken, dass sie so oder so agieren müssen, um cool zu sein. Ihnen fehlt es dabei jedoch an Substanz (das letzte Wort spricht Hank in akzentfreiem Deutsch aus, Anm. d. Verf.).

Tolga:
Was kannst du mir über euer Image verraten, welches in gewisser Art und Weise einzigartig ist.

Hank:
Es ist einfach nur ein guter Sound und gutes Aussehen. Ich weiß nicht, was ich dir jetzt dazu antworten kann. Es ist eine visuelle Sache, die sehr gut mit der Bandphilosophie harmoniert. Die Band, Musik und die Lyrics stellen dabei die volle Packung dar. Du kannst schreiben, dass wir amerikanische Rock-'n'-Roll-Musik mit Weimarer Kabarettkultur miteinander mischen.

Tolga:
Wie würdest du eure Musik umschreiben? Die meisten sind der Meinung, dass ihr Punk'n'Roll spielt.

Hank:
Wir nennen es Death-Punk.

Tolga:
Und was ist mit Cock-Rock?

Hank:
Das wär dann schon eher der AC/DC-Stil.

Tolga:
Und mehr Achtziger.

Hank:
Die Achtziger sind eher Ass-Rock.

Tolga:
Du hast im Rock-Hard-Fragebogen gesagt, dass du, wenn du mit Britney Spears im Studio wärst, um einen Song aufzunehmen, du nicht dazu imstande wärst, weil du zu sehr damit beschäftigt wärst, sie flachzulegen. Ist das immer noch der aktuelle Stand der Dinge?

Hank:
Ja, klar.

Tolga:
Trotz der ganzen Skandale um ihre Person?

Hank:
Jetzt erst recht. Sie ist cool. Ich mag sie. Es ist schon lustig: Wenn du keinen Babysitter bekommst, rufst du einfach das Jugendamt an, damit du wieder auf die Rolle gehen und Party machen kannst. Das ist die richtige Einstellung einer modernen Frau.
Ich mag das neue BRITNEY-Album. Ich finde es großartig. Es hat 'ne echt fette Produktion.

Tolga:
Gibt es etwas rockuntypisches, was du dir anhörst?

Hank:
Ich war schon immer ein großer Fan der Neuen Deutschen Welle.

Tolga:
Verstehst du auch die deutschen Texte?

Hank:
Ich versteh ein kleines bisschen deutsch. Verstehen tun ich aber nicht alles. "Eisbär" ist z.B. ein schönes Wort.

Tolga:
Hast du irgendwelche abschließenden Worte an unsere Leser?

Hank:
Ich antworte niemals auf diese Frage.

Tolga:
Warum?

Hank:
Die Sache bei einem Interview ist die, dass ich auf Fragen antworte, aber selbst niemals Fragen stelle.

Tolga:
Üblicherweise ist es so, dass die Meisten darauf mit Phrasen antworten á la "kauft unsere neue Scheibe" etc. pp. Ich find's 'ne coole Einstellung. Alles klar! Vielen Dank nochmal.

Redakteur:
Tolga Karabagli

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