AVATAR, VEIL OF MAYA und KASSOGTHA - München

24.04.2023 | 14:20

22.03.2023, Theaterfabrik

Aus Neugier hin, mit Gier zurück!

Was führt mich zu einem AVATAR-Konzert? Zu einer Band, von der ich bis wenige Tage vor dem Happening heute noch keinen Ton gehört habe? Nun, ich besitze schon seit Jahren ein AVATAR-T-Shirt, das ich ob seines schicken Designs ganz gerne trage. Das ist aber nie ein Trigger zum Lauschen gewesen. Erst eine Empfehlung aus dem Bekanntenkreis, dass AVATAR eine sehr gute Liveband sein soll, und die allgemein gesteigerte Lust auf Gigs treibt mich in die Hände der Schweden. Nachdem dann die Tage vor dem Gig der smarte Smasher 'The Dirt I'm Buried In' ein paarmal in den Ohren gekitzelt hat, kommt sogar eine leise Vorfreude auf. Und um das Ende vorweg zu nehmen: Wir (unsere Tippgeber, Fotografin Nives und ich) verlassen die Theaterfabrik mit dieser großen wohligen Zufriedenheit, die sich einstellt, wenn man einen denkwürdigen Gig erlebt. Ja, das ist großes Tennis.

Die erste Überraschung ist das Konzert-Venue an sich. Kein Witz, wir dachten erst, wir wären auf dem Weg zu einem METALLICA-Konzert: Der Weg zur Halle ist gesäumt von einer Riesenhorde schwarztragender Langhaariger und auf den Zufahrtsstraßen ist Stau. Nein, die Theaterfabrik ist kein kleiner Laden und AVATAR keine kleine Band! Dennoch gibt es in der Halle dank der geschickten Raumaufteilung kein übermäßiges Gedränge. Wir sind das erste Mal hier und bewundern das opulente Innere, das dem Namen des Venues alle Ehre macht. Es ist eine Mischung aus antikem Theater und moderner Konzerthalle, vor allem die riesigen Kronleuchter, die von der Decke hängen, imponieren.

Leider sind wir wie schon so oft zu spät (Konzertbeginn um 18 Uhr ist für arbeitende Bevölkerung nur selten machbar) für die erste Band KASSOGHTA und bekommen nur noch die letzten anderthalb Lieder beim Bier holen mit. Die klingen aber ziemlich fett. Wir hören modernen progressiven (Death) Metal mit einer wilden Frontdame, die neben imposanten Growls auch über eine überzeugende Singstimme verfügt. Erinnert teilweise an GOJIRA und OCEANS OF SLUMBER und ist definitiv mal einen Check wert.

Veil Of Maya, München, Theaterfabrik 2023Was danach kommt, ist allerdings ganz weit weg für einen wie mich, der sich live in letzter Zeit eher den Geronto-Bands (beispielsweise SAXON, URIAH HEEP und WISHBONE ASH) gewidmet hat. Was soll denn bitteschön VEIL OF MAYA sein? Was ich hier höre, mit elektronischen Samples gespickte, abgehackte Stakkato-Beats, wirr verwuselte Gitarrenriffs, aggressiver Brüllgesang im Wechsel mit seltsamem Gejodel, das alles sorgt erst für enorme Verknotung im Hirn, gefolgt von einem Unwillen, sich länger als 20 Minuten mit dieser (Un-)Musik zu beschäftigen. Irgendwie findet die Band auch keine allzu große Verbindung zum Publikum, insbesondere der wie ein sich verirrter Rapper aussehende Frontmann Lukas Magyar wirkt etwas fehl am Platz. Und so geht mir bald der Gedanke "Ich bin zu alt für diesen Scheiß" durch den Kopf und ich treffe meine Begleitung draußen. "Wir warten auf bessere Musik", heißt es auch dort.

Und die kommt auch. Ein Teufelstanz leitet das AVATAR-Konzert ein und schnell wird klar, warum die Band so populär ist, dass sich hier mehr als 1000 Leute versammeln. Das A und O des Erfolgs ist oft ein guter Frontmann, und den hat AVATAR mit Johannes Eckeström definitiv. Der geschminkte Mann mit dem Zylinder wirkt auf mich wie eine Mischung aus Alice Cooper, Dani Filth, King Diamond und Richmond von der "IT Crowd", sofortiger und permanenter Blickfang und ein Entertainer vor dem Herrn. Avatar, München, Theaterfabrik 2023Ich bin echt baff von dem Mann, denn auch gesanglich ist er ein alles könnendes Chamäleon. Selten habe ich so überzeugende Growls gehört, und einen Moment später dann einen so klaren, cleanen und kraftvollen Gesang. Der Mann könnte ohne weiteres auch in einer Death-Metal-, einer 80ies-Metal- (hohe Screams!), Pop-Rock- und Gothic-Rock-Band singen. Dementsprechend abwechslungsreich ist auch das musikalische Programm. Ohne Übertreibung, es wird zu keiner Sekunde langweilig, weil man (als AVATAR-Neuling zumindest) absolut  keine Ahnung hat, was für eine Überraschung als nächstes kommt, sowohl musikalisch als auch auf der Bühne. Ein AVATAR-Konzert ist eine Mischung aus Theater, Kabarett und Musik, vielleicht ein wenig vergleichbar mit LORDI, was Humor, Witz und (Selbst-)Ironie angeht. Eckeström redet viel mit dem Publikum, immer auf deutsch, und sein Akzent macht ihn dabei umso sympathischer. Oft hat er die Lacher auf seiner Seite und er bedankt sich mehr als nur einmal bei den ganzen Freaks, die ihre Zeit dafür aufwenden, "fünf geschminkten Idioten beim Quatsch machen" zuzusehen.

Das alles ist aber nur das i-Tüpfelchen auf eine extrem gute musikalische Performance. AVATARs Version, Metal zu spielen, ist relativ einzigartig, basiert auf einem groovigen, modern-metallischen Fundament (zwischen RAMMSTEIN, SEPULTURA und SLIPKNOT), das aber nach Belieben in alle Richtungen erweitert wird. Dabei haben fast alle Songs ihre eigene, packende Charakteristik, irgendwas, das aufhorchen lässt, und an das man sich positiv erinnern kann. Manche nennen es "Freak-Faktor". Beim Nachhören für den Bericht erinnere ich mich tatsächlich an jeden einzelnen Song. Die größten Hinhörer der Show sind für mich im Nachhinein das emotional dargebotene 'Bloody Angel' mit seinem Wechsel zwischen groovigen Mosh- und zarten Kinderlied-Passagen; die Pianoversion von 'Tower', die die ganze gesangliche Klasse von Eckeström zeigt, und von der Melodie aus einem NENA-Song ('Nur geträumt') eingeleitet wird; das sehr gotisch rockende 'Colossus' mit seinem mächtigen Refrain; und natürlich die Zugaben-Session, in der eingeleitet vom poppig-genialen 'The Dirt I'm Buried In' die bekanntesten AVATAR-Songs dargeboten werden, inklusive der etwas an SOULFLYs 'Back To The Primitive' erinnernden Bandhymne 'Hail The Apocalypse'.

Avatar, München, Theaterfabrik 2023

Showtechnisch groß ist die 'Puppet Show', während der Eckeström die Bühne verlässt und links oben auf der Galerie, direkt über unserer Standposition auftaucht. Er hantiert hier mit Luftballons, aus denen er Ballontiere (wir dachten erst, es wären Penisse) knotet, danach spielt er ein Solo auf der Posaune. Luftballons kommen auch später noch zum Einsatz und ich frage mich, ob das eine Hommage an ALICE COOPER ist, der im legendären Clip zu 'School's Out' (1972!) auch schon rote Luftballons hat fliegen lassen. Checkt das mal aus, AVATARians! Später gibt es noch Konfetti aus der Pistole, unterlegt von Technobeats, während Gitarrist Jonas für 'A Statue Of The King' eine Krone aufgesetzt bekommt. Jawohl, Sänger Eckeströms Mitstreiter sollen hier keinesfalls zu kurz kommen, sind sie doch allesamt Charakterköpfe und Profis, die wissen worauf es bei einer Metalshow ankommt. Insbesondere John Alfredson macht von seinem Drumkit aus viel Alarm und zeigt ein paar wunderbar fotogene Grimassen. Insgesamt eine wirklich sehr saubere Sache, die in den letzten Tagen eine große Gier nach AVATAR-Musik ausgelöst hat.

Setliste: Dance Devil Dance, The Eagle Has Landed, Valley Of Disease, Chimp Mosh Pit, Scream Until You Wake, Bloody Angel, For The Swarm, Puppet Show, When The Snow Lies Red, Do You Feel In Control, Black Waltz, Tower (Pianoversion), Colossus, Let It Burn, A Statue Of The King

Zugaben: The Dirt I'm Buried In, Smells Like A Freakshow, Hail The Apocalypse

Redakteur:
Thomas Becker

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