DARK SUNS, KRIS KELVIN - Leipzig
01.02.2015 | 11:0610.01.2015, UT Connewitz
DARK SUNS in großer Besetzung im altehrwürdigen UT Connewitz und mit toller Vorband. Ein wunderbares Erlebnis.
DARK SUNS-Auftritte sind rar (zumindest in letzter Zeit). DARK SUNS-Auftritte in kompletter Bandbesetzung sind noch rarer, doch an jenem Samstagabend passt zusammen, was zusammen gehört. Die Leipziger haben sich nach einigem Drehen am Besetzungskarussell für das 2011er Album "Orange" eine stilistische Entwicklung hin zu opulentem Progressive Rock mit Retro-Flair, einem hohen Maß an Eigenständigkeit und einer vielseitigen Instrumentierung verpasst. Dies führte fortan dazu, dass die Band, die bereits vorher immer wieder für Überraschungen gut gewesen ist, in völlig neuer Ausrichtung und mit gleich mehreren weiteren Bandmitgliedern zu bestaunen war. Zusätzlich zu einem neuen Bassisten und Drummer wurden nun auch Orgel (Piano), Trompete und Saxophon nebst zugehöriger Protagonisten im Bandsound untergebracht.
Und nun stehen alle Acht - Niko, Maik, Torsten, Dominique, Jacob, Ekkehard, Evgeny und Govinda - im UT Connewitz in Leipzig auf der Bühne und freuen sich darauf, einen zwei-Stunden-Gig quer durch das eigene musikalische Schaffen runterzureißen. Dass insbesondere die Bläser sich dabei die eine oder andere längere Pause gönnen können, liegt in der Natur der Sache, wenn alle vier Alben Berücksichtigung finden sollen. Für alle, die das musikalische Schaffen von DARK SUNS schon länger begleiten, ist es bei aller Klasse der letzten Scheibe "Orange" aber eine wunderbare Sache, dass die älteren Werke nicht einfach ausgespart werden. Trotzdem hat "Orange" völlig zu Recht den größten Anteil am Set - nur drei Songs von diesem Album sind am Ende nicht gespielt worden.
Doch zunächst gibt es ein interessantes Quartett aus der Hauptstadt zu bewundern. Bei der Vorband haben die dunklen Sonnen, die das Konzert in Eigenregie organisieren, jedenfalls einen sehr guten Griff getan. Eine etwas eigenwillige, aber sehr originelle und bewundernswert stimmig in Szene gesetzte Mischung, für die das Label "Post Rock" deutlich zu kurz greift, bieten die Berliner KRIS KELVIN. Der entrückte, wandelbare und beeindruckende Gesang von Frontfrau Lena ist hier das Aushängeschild. Aber auch musikalisch passiert einiges. Die sanften Harmonien werden von ruppigen bis progressiven Ausbrüchen überlagert, die der Musik stellenweise eine dramatische Note verleihen. Ein toller Mix zwischen fragil, wild und vertrackt. Das klingt nicht immer harmonisch, da hat man auch mal ein Kratzen im Ohr. Aber das ist gewollt und sorgt wiederum für ein hohes Maß an eigener Identität.
Beim Gesang, der zwischen Schreien, Sprechen und Schwelgen pendelt, kommen mir manchmal solch charismatische Sängerinnen wie PJ Harvey oder auch Agnete Kirkevaag von MADDER MORTEM in den Sinn, aber in punkto Ausstrahlung und stimmliche Präsenz braucht es hier eigentlich keinen Vergleich. Ab und an benutzt die Sängerin ein Effektgerät der Marke Eigenbau - einen rosa Telefonhörer, mit dem mehr Hall auf die Stimme gelegt wird. Das abschließende, fast schon elegische 'Ode To The Beast' (schon ein etwas älterer Song) setzt das i-Tüpfelchen auf einen durchweg überzeugenden Auftritt. Der für eine Vorband sehr lange Applaus ist verdient und spricht eine deutliche Sprache.
Nach einer gar nicht so langen Umbaupause stehen dann die acht Männer der DARK SUNS auf der Bühne, die es mal wieder schaffen werden, ihr musikalisch sehr unterschiedliches Repertoire und zwei neue Stücke in völlig natürlich wirkender Weise unter einen Hut zu bringen. Der stilistische Wandel zwischen den vier bisherigen Alben war jeweils beträchtlich. Vielleicht ist das der Grund für die gewählte Reihenfolge der Songs (Setlist siehe unten), um nicht zu wild zwischen den verschiedenen Phasen hin- und herzuspringen, was ich trotzdem ganz witzig gefunden hätte.
Im ersten Teil des Abends bewegt man sich kontinuierlich zurück im eigenen musikalischen Schaffen - angefangen mit einer neuen Nummer, drei "Orange"-Songs, einem "Existence"-Doppel und schließlich einem einmaligen Ausflug zum Debütalbum "Swanlike". Nach einem weiteren "Existence"-Stück und zweien von "Grave Human Genuine" (wovon 'Flies In Amber' etwas ganz Besonderes ist, da nach eigener Aussage erst ein-, zweimal live gespielt), kehrt die Band ins aktuelle Jahrzehnt zurück, um noch einmal ausgiebig "Orange" sowie einen weiteren neuen Song zum Besten zu geben.
DARK SUNS ist dabei die Freude über das Heimspiel und die vielen bekannten Gesichter im Publikum deutlich anzumerken. Trotzdem wirken sie bis auf den dauergrinsenden Drummer Dominique recht zurückhaltend und nehmen mit Ausnahme von Sänger Niko z.B. kaum Augenkontakt mit dem Publikum auf. Musiker durch und durch eben, die nicht zum Rumhampeln auf der Bühne hier sind, sondern auch an ein Konzert einen hohen Anspruch in punkto Musik und Klang haben. Der Sound ist kraftvoll und nicht zu leise, obwohl speziell "Orange" ja einige ruhigere Momente zu bieten hat. Die Songs vom letzten Album können jedenfalls auch in der Livesituation bestehen und kommen bei aller Progressivität flüssig und bewegungsanimierend rüber. Von den älteren Stücken stechen für mich vor allem das atmosphärische, vielgesichtige 'Her And The Element' und 'The Chameleon Defect' mit seinem wilden, fast schon vernichtenden Hauptriff hervor.
Gefeiert wird die Band hier beim x-ten Auftritt im recht gut gefüllten, wenn auch bei weitem nicht ausverkauften UT Connewitz, aber nach jedem Song. Nachdem derer schon ein paar gespielt sind, rückt Niko mit der Sprache heraus, dass die Band heute ihr 17-jähriges Bestehen feiere. Unglaublich, wie die... nein, die Floskel erspare ich Euch. Vier Alben in dieser Zeit zeugen davon, dass man nicht die höchste Arbeitsgeschwindigkeit hat. Andererseits ist das eben auch einfach Musik, die reifen muss, die man sich sicherlich nicht nur als Hörer erarbeiten muss und die eben auch von der stilistischen Vielfalt und Veränderung über die Jahre gekennzeichnet ist. Vor allem aber steht ein neuer Rundling bereits vor der Tür, den die Band im Frühjahr aufnehmen wird. Die Stücke sind nach eigener Aussage schon fertig, es handelt sich laut Niko um Songs "mit viel Herz und Eiern dran", wie er vor 'Everchild' verrät. Gejohle und Gelächter im Publikum. Die beiden neuen Songs scheinen musikalisch recht nah an "Orange" zu sein, allerdings ist das live auch nicht so einfach zu beurteilen. Zum Schluss kommen die Anwesenden noch in den Genuss des ausladenden 'Antipole'.
War's das schon? Mitnichten. Wenn man schon mal den Orgelspieler dabei hat, bietet sich Nachfolgendes quasi an. Nach 'Not Enough Fingers' als Beinahe-Intro braust plötzlich mit 'Child In Time' ein ebenso unerwartetes wie großartiges DEEP PURPLE-Cover heran. Dass Niko gesanglich ein Chamäleon ist, merkt man schon den eigenen Kompositionen an. Aber der völlig entrückte, geile Gesang inklusive des eindrücklichen Kreisch-Parts bei dieser Nummer setzt dem Ganzen die Krone auf. Wenn ich überlege, wann mich jemals ein Live-Cover mehr beeindruckt hat, muss ich in der Erinnerung schon sehr weit zurückgehen. Am Ende können alle Anwesenden mehr als zufrieden nach Hause gehen.
Setlist DARK SUNS:
The Only Young Ones Left, Eight Quiet Minutes, Toy, Vespertine, The Euphoric Sense, Her And The Element, The Neverending, The Chameleon Defect, Anemone, Flies In Amber, Ghost, Scaleman, Everchild, Antipole
Zugaben: Not Enough Fingers, Child In Time
- Redakteur:
- Stephan Voigtländer