Euroblast-Festival 2019 - Köln

18.10.2019 | 17:05

27.09.2019, Essigfabrik

Das Euroblast-Festival lockt erneut - unter dem passenden Slogan "Festival For Progressive Music" - über drei Tage mit den Headlinern THE HIRSCH EFFEKT, BETWEEN THE BURIED AND ME und CAR BOMB in die Kölner Essigfabrik. Aber natürlich ist das nur die Spitze des Eisbergs...

Mit CONTROVERSIAL kehrt relativ generischer Deathcore auf die Nebenbühne ein. Der düstere Sound ist zwar ganz eindrucksvoll, vor allem die gekeiften Vocals sind definitiv gekonnt. Nach dem ersten 08/15-Breakdown ist mein Interesse jedoch schnell gesunken.

 

All hail to THRAILKILL! Was die Amis um Saitenhexer Wes Thrailkill hier abziehen, lässt die Kinnlade offen stehen! Ihr Cocktail aus Prog-Metal, Fusion und Jazz ist so atemberaubend wie überfordernd. Mit einer scheinbaren Leichtigkeit und Grinsen im Gesicht werden irrste Instrumental-Abfahrten, fette Riffs und schräge Akkordabfolgen kredenzt, dass hier mindestens alle Musiker im Raum Angst bekommen sollten. Wer ANIMALS AS LEADERS gerne hört, ist hier nicht verkehrt!

 

Die Norweger FROSTBITT bringen ein massives Djent-Brett mit, das hier natürlich auf Zuspruch trifft. Was diese Truppe darüber hinaus auszeichnet, ist der charismatische Sänger, der nicht nur etwas wie ein jüngerer Jonathan Davis aussieht, sondern teils auch wie einer klingt. Mit 'Dragons' haben sie sogar einen kleinen Hit an Bord. Die Band sollte man definitiv auf dem Zeiger haben!

[Jakob Ehmke]

 

THE HAARP MACHINE. Ich versuch's mal so objektiv wie möglich: Als ich THE HAARP MACHINE 2013 hier in Köln gesehen habe, war Chris Barretto (MONUMENTS) der Sänger der Band und ich habe THE HAARP MACHINE ausdrücklichst positiv in Erinnerung behalten, mir auch die fantastische Platte "Disclosure" danach noch etliche Male gegeben - nun endlich der erste Euroblast-Auftritt! Überfällig, möchte ich sagen! Das sehen verdammt viele Leute so, denn die Halle ist schon vor dem ersten Ton richtig gut gefühlt. Der Konzertbeginn ist dann etwas holprig; die Band marschiert ohne Intro (und Plan?) auf die Bühne,  Abdullah Al Mu’min - Mastermind der Band - nimmt sich irgendwann das Mikro und lässt die Anwesenden kurzerhand wissen, dass er keine Lust mehr auf Gitarre hat und nun singen wird. Runzelnde Stirnen und fragende Gesichter im Publikum - aber nun gut, dann lass mal kommen! Nachdem das Intro dann an die sieben Mal angespielt und wieder abgebrochen wurde (Grund nicht ersichtlich), geht es mit einer richtig ordentlichen Verspätung und einer nach wie vor desorientiert wirkenden Band endlich los. Oder auch nicht. Denn alles, was jetzt folgt, unterbietet diesen Fehlstart noch einmal um mindestens einen richtigen Sänger. Ich halte mich normalerweise fein zurück, wenn es darum geht, eine Darbietung als objektiv schlecht zu bezeichnen, aber so ein Unfall ist mir lang nicht mehr untergekommen. Vor allem bei gutem Songmaterial! Was ist hier los? Die drei Musiker (kein Bassist, im Übrigen) zocken ihr Ding professionell und soweit beurteilbar auch ohne Fehler herunter, aber davon kommt mal gar nichts in der Essigfabrik an. Was hingegen ankommt, ist eine Gesangsperformance, die dem guten Al Mu'min den restlichen Festivaltag (und vermutlich noch lange, lange Zeit danach) um die Ohren fliegen sollte. Seine "Ooooohh"s und "Aaaaaaahh"s sind schief, uninspiriert und soweit von der Albumvorlage entfernt, dass in der Halle eine selbst für mich als wirklich sehr erfahrenen Konzertgänger nie dargebotene Zuschauerflucht stattfindet. Und ich kann es keinem Einzelnen verdenken. Was für eine Frechheit! THE HAARP MACHINE schafft es, in gut zwanzig Minuten zwei Drittel der Halle leer zu spielen. Ein paar Menschen klatschen aus Höflichkeit, die restlichen Tapferen, die sich das Ganze bis zum Ende geben (und das sind nicht viele), wissen nicht wohin mit sich. Selbst Veranstalter John steht mit geöffnetem Mund und leerem Ausdruck fassungslos an der Seite des Bühnengrabens. Was dieser Katastrophe von einem Konzert die Krone aufsetzt, ist die Tatsache, dass sich der Schiefsänger von Kölle selbst scheinbar auch noch ziemlich geil findet und recht selbstgefällig über die Bühne stolziert. Sollte ich ihn bei der Vorstellung seiner Mitmusiker richtig verstanden haben, hat er die Leute teilweise gerade mal vor einer Woche rekrutiert und wusste zudem nicht einmal, woher sein einer Gitarrist eigentlich stammt? Was bitte? Ich mach's kurz: Für mich in sieben Jahren Euroblast die schlechteste Show, die ich gesehen habe. Und eine der schlechtesten Shows als Konzertbesucher überhaupt. Das war jetzt nicht richtig objektiv, oder? Mir egal.

[Oliver Paßgang]

 

Nachdem kleinen Gesangdesaster bei THE HAARP MACHINE gibt es mit TIDES FROM NEBULA astreinen Post Rock ohne jegliche Vocals, welche auch nicht nötig sind. Die inzwischen zum Trio zusammengeschrumpfte Band erzeugt selbst am frühen Abend eine unglaubliche Atmosphäre. Ähnlich wie GOD IS AN ASTRONAUT gehören die Polen zur melodischen Post-Rock-Fraktion. Unterstützt von einer minimalen LED Show, die die Musiker selbst nur als dunkle Silhouetten erscheinen lässt, zockt sich TIDES FROM NEBULA durch ein intensives, aber viel zu kurzes 45-Minuten-Set. Diese Musikrichtung braucht definitiv mehr Spielzeit, um ihre Wirkung voll zu entfalten. Und so wird man mitten beim Träumen und davonschweifen viel zu früh in die noch helle Außenwelt entlassen. Nächstes Mal bitte mehr Spielzeit, dann wäre es perfekt.

[Christian Stricker]

 

Die SHREZZERS stoßen vor allem durch ihre Musikvideos auf Aufmerksamkeit, in denen sich, in Anlehnung an "Brazzers", leichtbekleidete Damen räkeln (im Internet kursiert bereits der Begriff "Porncore"). Heute geht es aber "nur um die Musik", wie Sänger Vitalik zu Beginn klarstellt - was äußerst gut funktioniert, denn ihre quirlige, mit etlichen Soli und Licks bespickte Version des Prog, inklusive Saxophon, reicht allemal, um zu überzeugen. Die sehr amerikanisch wirkenden Russen verstehen definitiv ihr Handwerk und beweisen, dass sie auch ohne den Unterbau gut funktionieren, aber Sex sells, das wissen wir alle. Hier unten entsteht auf jeden Fall eine ziemliche fette Party, die die Band ordentlich abfeiert.

[Jakob Ehmke]

 

BETRAYING THE MARTYRS' Frontmann Aaron Matts wäre der effektivste Stand-Up-Comedian der Welt, würde er überall so arbeiten wie auf der Euroblast-Bühne. Denn er nimmt obiges THE HAARP MACHINE-Konzert zum Anlass, die auf dem Festival-Gelände immer wieder zu hörenden "Ooooaaaahhh"-Gesänge nach fast jedem Song in seine Ansagen einzubauen. Und das Publikum, enttäuscht, emotionalisiert oder vielleicht auch einfach simpel, wie es in dieser Sache ist, lacht sich jedes Mal aufs Neue ein zweites Loch in den Hintern. Das kann man jetzt so oder so finden, Fakt ist: Volltreffer der bitterbösen Sorte. Ob sich das unter Musikerkollegen gehört? Diskutabel. Interessanterweise aber auch beim zwölften Mal noch lustig. Völlig außerhalb jeder Zweifel steht hingegen der Auftritt der Pariser selbst, die ich trotz Genreaffinität nie so richtig auf dem Schirm hatte; das sollte sich mit diesem Gig ändern. Das ist Abriss von Profis, die keinen Hammer, sondern eine Abrissbirne mitgebracht haben, diese aber punktgenau und nicht ziellos einsetzen. Rhythmisch sehr sauber und nicht stumpf arbeitend, soundtechnisch top eingestellt, gute Wechsel zwischen Shouts, Growls und Klargesang - das sitzt. Die Soli können sogar so ziemlich alles; von mir aus dürfte es davon sogar noch viel, viel mehr geben. Die Rampensau-Mentalität der Band ist geil, allerdings oftmals hart an der Grenze - wie die "Ooooaaaahhh's"... Aber genau dieser Grenzgang ist bei BETRAYING THE MARTYRS heute das gewisse Etwas, was die Band gerade von anderen Euroblast-Truppen abgehebt. Starker Auftritt, bei dem man sich lediglich fragen musste, ob hinter der Bühne gleich Fäuste fliegen...

[Oliver Paßgang]

 

SPECIAL PROVIDENCE serviert ein weiteres oberleckeres Instrumental-Menü, das keine Scheu vor den großen Namen braucht. Vor der Sidestage ist es rappelvoll, die Leute versuchen zu tanzen, zu moshen oder starren auf das krasse Geschehen vor Ihnen, mit dem Versuch, es zu verstehen. Jedoch ist die Musik trotz aller Eskapaden nicht so verkopft, wie man denken könnte, es macht viel Spaß zuzuhören!

[Jakob Ehmke]

 

Zwischen all dem technischen Gefrickel und musikalischen Chaos bilden die Australier  VOYAGER eine entspannende Alternative zum sonst recht anspruchsvollen Euroblast-Festivalalltag. Ihr eher in ruhigen Gefilden angesiedelter Progressiver Metal kommt super an. Bewaffnet mit einer Keytar nimmt einen das Raumschiff VOYAGER mit auf eine Reise in die 80er Jahre. Es liegt momentan ja sehr im Trend, diesem Jahrzehnt zu huldigen, aber VOYAGER beherrscht diese Zeitreise perfekt. Und so wird ihr Ritt zwischen kitschigen Keyboard Sounds und harten Gitarrensalven zum kompletten Siegeszug. Captain Kirk, beam me up!!!

[Christian Stricker]

 

PEW PEW PEW PEW! Ok, ein paar Worte mehr sollen es zum Abschluss-Headliner CAR BOMB noch sein, auch, wenn das äußerst schwer fällt. Wer 2017 auf dem Euroblast-Festival war, weiß, was ihn ungefähr erwartet: Das ultimative organisierte Chaos! Mit normalen Worten lässt sich CAR BOMBs Musik nicht beschreiben. Man könnte meinen, man hört eine wahnsinnige Variante MESHUGGAHs, was aber nicht richtig hinhaut. So zeigt beispielsweise Sänger Michael Dafferner einen deutlichen NYHC-Einschlag in den Shouts, in den paar Gesangseinschüben hingegen erinnert er eher an FEAR FACTORYs Burton C. Bell. Das einleitende Zitat stammt natürlich aus dem neuen Song 'Dissect Yourself' vom Album "Mordial", das Freitag zuvor frisch VÖ hatte. Mit einem verrückten Effekt lässt einem Gitarrist Greg Kubacki glauben, jemand würde Laserpistole in der Band spielen. Ja, die Musik der New Yorker ist nicht nur total irre, sondern zeugt von einem großen Spielwitz. Vielversprechend klingt auch der neue Track 'Blackened Battery', was, man kann es erahnen, wohlmöglich ein Tribut an METALLICA sein soll, in bester CAR BOMB-Manier natürlich.

Rein objektiv gibt es sicherlich viele Gründe, die Musik abartig zu finden. Es werden scheinbar willkürliche Arrangements zusammengeworfen, es ist manchmal, als ob man vier Songs parallel hört, Anfang und Ende eines Songs ein Zufallsprodukt. Dennoch bringt das Quartett die Konstruktionen wie völlig selbstverständlich auf die Bühne, als sei es das Normalste, kaum einen straighten Beat oder komplettes Riff zu spielen und darüber einen relativ schlüssigen Text zu singen. Insbesondere vor Schlagzeuger Elliot Hoffman ziehe ich meinen Hut, Uhrwerkgenau und doch total filigran spielt er mit jedem der vier Gliedmaßen unabhängig voneinander die unmöglichsten Polyrhythmen und hält dennoch alles zusammen. Ganz klar: CAR BOMB gehört aktuell zu den innovativsten und progressivsten Bands, der Headliner-Slot ist einmal mehr als gerechtfertigt!

 

HIER geht es zur Gallerie mit weiteren Fotos!


Es war das achte Euroblast-Festival, auf dem ich anwesend war. Über acht Jahre habe ich unglaublich viele spannende Bands gesehen, neue Bands entdeckt, tolle Shows von meinen Lieblingsbands gesehen und scheinbar toppt jedes Jahr das vorherige. Was Veranstalter John und Daniel hier auf die Beine gestellt haben, ist absolut einzgartig in der deutschen Festivallandschaft, und man kann ihnen gar nicht genug dafür danken. Ich kenne kein Festival, bei dem Musiker und Besucher derartig passioniert und auch etwas verrückt sind, großartig! Der Termin für's Euroblast-Festival 2020 wurde schon bekannt gegeben: 01.-03.10.2020! Infos wie immer auf www.euroblast.net.

[Jakob Ehmke]

Redakteur:
Jakob Ehmke

Login

Neu registrieren