NOVA ROCK 2018 - Nickelsdorf, Österreich

07.07.2018 | 20:37

14.06.2018, Pannonia Fields II

Einhörner sind Metal!

 

 

Trotz erneut feiner Witterungsbedingungen ist am frühen Nachmittag noch verhältnismäßig wenig los auf dem Festival-Gelände. Auffällig ist jedoch, dass neben den unzähligen bekannten "Kostümierungen" (auch wenn es wohl nicht wirklich häufig vorkommt, dass einem beim Essen ein als Elch verkleideter junger Mann auf dem Tisch gegenüber sitzt, genauer gesagt diesen zum Ausruhen verwendet....), deren Besitzer sich liebend gerne ein gesamtes Festival-Wochenende lang in diesen Gewändern zeigen, sich offenbar ein weiterer Trend beim jüngeren Festival-Publikum durchsetzt. So haben nicht wenige – vorwiegend weibliche – Festival-Besucher Plüschtiere (!) mit dabei, die sie gerne auch als "Flaggen" verwenden um sich erkennbar zu machen. Doch auch in ihrer eigentlichen Funktion als Kuscheltier muss so manches – offenbar zum Großteil der Gattung "Einhorn" angehöriges Spielzeug dienen. Die teilweise recht ulkig anmutende Kombination aus Tätowierungen, typischem Metal-Outfit und einem Einhorn in der eben nicht zum Halten eines Getränks der Wahl freien Hand lässt folglich nur einen einzigen Schluss zu: Einhörner sind METAL!

Solche Erkenntnisse sorgen vielleicht nicht überall für Erheiterung, aber wer kann das schon von sich behaupten? Die Jungs von TURBOBIER mit Sicherheit auch nicht. Ihr derber, österreichischer Schmäh inklusive der rüden Punk Rock-Melange wird zwar in manchen Kreisen als überaus originell bezeichnet, braucht aber wohl doch die nötige "Verständnis" von Unterhaltung (oder tatsächlich jede Menge "Promüü"?), um daran Gefallen zu finden.

Weniger polarisierend fällt da schon die Darbietung von THE LAST INTERNATIONALE währenddessen auf der "Red Stage" aus. Die Formation rund um Frontdame Delila Paz (optisch eine Mischung aus der jungen JOAN JETT und SUZI QUATRO) weiß mit einer minimalistisch intonierten, keineswegs aber eindimensionalen Melange aus Alternative Rock und 70-er Garagen-Sounds zu gefallen. Mitunter zwar ein klein wenig melancholisch, und daher nicht zwingend für Euphorie sorgend, legt das Trio einen soliden Gig hin, der den US-Amerikanern mit Sicherheit einige neue Fans beschert.

Da WE BLAME THE EMPIRE zeitgleich auf die Bretter muss, ist bei Ankunft an der "Red Bull Stage" nur noch das Ende des Auftritts der aus Oberösterreich stammenden Metalcore/Modern Metal-Formation mitzuverfolgen. Den Reaktionen der überaus zahlreichen Anwesenden nach zu schließen, scheint hier jemand ein echtes Heimspiel absolviert zu haben. Davon kann bei BARONESS leider nicht die Rede sein, die Anzahl der Interessenten hält sich nämlich zunächst mehr als nur in Grenzen. Die Darbietung selbst wirkt professionell und ambitioniert, zudem weiß die ein schmuckes ANTHRAX-Shirt tragend Gitarristin Gina Gleason mit coolem Spiel und ebensolchen Posen mächtig Eindruck zu schinden. Aber auch der bärtige John Baizley (könnte vom Optischen her durchaus mit GRAND MAGUS-JB verwandt sein) erweist sich als begnadeter Gitarrist und Sänger. Dennoch will der Mix aus Progressive, Post und Doom Metal nicht so wirklich zünden. Eventuell liegt es daran, dass BARONESS hierzulande einfach bei weitem nicht jenen Staus innehat, den die Band aus Georgia andernorts genießt.

Einen richtigen guten Namen hat sich in Österreich dagegen LA BRASSBANDA längst machen können, weshalb die Formation auch Augen- und Ohrenzeugen zur Folge die "Red Stage" förmlich in Flammen aufgehen lässt. Ein solcher Triumph will selbstredend auch danach entsprechend gefeiert werden, zum Leidwesen von VOLBEAT. Die Dänen fühlen sich nämlich durch den Radau der Jungs im Backstage-Bereich vor ihrem Gig gestört und bitten mehrfach darum, sich doch bitte ein wenig in Zaum zu halten.

Wären Sie doch einfach zur "Red Bull Stage" gestapft, um sich eine gehörige Portion Metal und Heavy Rock von BOON abzuholen. Zwar wirkt das Bühnengehabe des Vierers im Vergleich zur spielerischen Eleganz von BARONESS fast schon provinziell, an der Wucht des Grooves von Geschossen wie 'Red Alert' oder 'Rise And Fall' ändert das selbstredend aber nichts. Zwar ist das im breitesten ostösterreichischen Dialekt vorgetragene 'Geh Weida' an sich nicht zwingend wortwörtlich zu verstehen, dennoch nehmen zahlreiche Besucher diesen Hinweis an und versammeln sich erwartungsfreudig vor der "Blue Stage".

Logo, schließlich ist da jemand "In Tha House", den man wahrlich nicht alle Tage zu sehen bekommt. Gefühlt sind gut 25 Jahren vergangen seit BODY COUNT das letzte mal so richtig auf sich aufmerksam machen konnte. Die merklich motivierte Formation ackert sich durch ein ausgewogenes Programm, allen voran Ernie C. und "Juan Of The Dead" (aka Juan Garcia) liefern eine mächtige Basis. Die Riffs klingen unglaublich präzise und messerscharf und verabreichen dem Hip Hop/Rap/Metal-Mix gehörig Druck. Keine Frage, allein diese beiden lassen den Terminus "Metal" hier definitiv gelten. Dass mit Ice-T ein nicht minder begnadeter Frontmann und Publikumsanimateur die Band anführt, lässt auch diesen Auftritt zu einer "öffentlichen Turnstunde" (die bei 'Cop Killer' und 'There Goes The Neighbourhoo'd sowie der Band-Hymne ihre Höhepunkte findet) werden. Zwar werden nicht alle Ansagen des stimmlich überaus fitten Frontmanns auch entsprechend goutiert, als er jedoch davon erzählt, was alles auf dieser Welt eigentlich gar nicht existieren sollte, erntet der Amerikaner reichlich Zuspruch. Ebenso für den mit Stolz präsentierten Sohnemann. Auch wenn sich so mancher Vater im Publikum die Frage stellt, ob es denn wirklich notwendig ist, ein Kleinkind dermaßen zur Schau zu stellen... Applaus gebührt der Truppe aber auf jeden Fall für diesen Auftritt, denn enttäuscht zeigt sich im Nachhinein niemand.

Von den zeitgleich mit BODY COUNT spielenden DAME und ADAM ANGST ist logischerweise nichts mitzubekommen. Zu dicht ist die Menschenmasse im Bereich vor der "Blue Stage", zu hoch der Lärmpegel. Geradezu Unglaubliches spielt sich dann unmittelbar nach dem Ende des BODY COUNT-Sets ab, denn der Andrang um die Plätze im "Pit" bei BULLET FOR MY VALENTINE ist schlicht unfassbar. Im Endeffekt bleibt der Bereich bis zum Ende des Konzerttages voll, offenbar eine optimale Konstellation für die Zuseher. Und als die Jungs mit 'Don’t Need You' und 'Over It' den Gig beginnen, wird schnell klar, weshalb sie eine derart gute Position im Line-Up bekommen haben. Die Waliser werden nach allen Regeln der Kunst gefeiert, scheinen durch die euphorischen Reaktionen weiterhin angestachelt und geben bis zum Ende hin Vollgas. Na ja, nicht ganz, ein spontanes (?) Drum-Solo scheint eher der Erholung der Musiker zu dienen, sonderlich spektakulär klingt die Vorführung nämlich nicht. Den Fans ist das aber egal, jeder einzelne Schlag wird lautstark bejubelt. Selbst Zuseher, die sich nur wenig von den zeitgemäßen Klängen von BULLET FOR MY VALENTINE angezogen fühlen, attestieren den Jungs neidlos Klasse. Und dass die Insulaner den Geschmack einer Generation punktgenau treffen, steht ebenso außer Zweifel.

Darum bemüht sich auch OCEANS ATE ALASKA, der Mix aus Technik, Breakdowns und rabiaten Riff-Konstrukten wirkt aber bei weitem noch nicht "rund" genug, um Maßen anziehen zu können. Einer überschaubaren Meute ist das aber egal, es bewegt sich zu den abstrusen Rhythmen der UK-Rabauken in ähnlicher Manier. Sieht aus sicherer Entfernung sehr interessant aus... Ein wenig entspannter erweist sich die "Wellenbewegung" durch die gesamte Zusehermeute bei LIMP BIZKIT danach vor der "Blue Stage", schwer angesagt ist Fred Durst nebst Gefolge hierzulande nämlich trotz keiner wirklichen Chart-Erfolge in den letzten Jahren immer noch. zudem versteht es der Frontmann offenbar, die Massen den gesamten Gig über bei Laune zu halten, denn die einem gut besuchten Stadion ähnelnde "Welle" sieht bei 'Hot Dog' zu Beginn des Sets gleich aus wie beim Finale 'Take A Look Around'.

Dazwischen geht es zur "Red Bull Stage" um sich von der vor wenigen Monaten erst gegründeten "Supergroup" POWERFLO zu überzeugen. Das schafft der Fünfer rund um CYPRESS HILL-Sänger Sen Dog, den früherer FEAR FACTORY-Basser Christian Ole Wolbers und BIOHAZARD-"Gitarrenflummi" Billy Graziadei auch ganz locker. Zwar hat man lediglich ein Programm für 45 Minuten (der Band hätte laut Programm eine gute halbe Stunde mehr zugestanden), die haben es jedoch in sich. Der Mix aus Hardcore der alten Schule, US-Punkrock-Sing-Alongs, Rap und Hip Hop kommt wahrlich mörderisch und lässt sofort an jene 90-er Jahre-Heroen denken, von denen einst ganze Konzerthallen zum Hüpfen gebracht werden konnten. Graziadei ist agil wie in seinen jungen Tagen, während Kollege Wolbers den coolen Gegenpart mimt und lediglich satte Grooves aus dem Viersaiter donnern lässt. Der Mix kommt jedenfalls absolut zwingend aus den Boxen, den Rest an Animation erledigt Sen auf lässig-locker Manier. Unglaublich allerdings, dass diese Premiere nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, denn es finden sich keine hundert Seelen vor dem Finale auf der "Red Bull Stage" ein. Schade für POWERFLO, aus deren Set 'How It Is', die die einstige Hit-Kooperation von CYPRESS HILL und BIOHAZARD, heraussticht.

Der Tages-Headliner steht danach auf den Brettern der "Blue Stage" und auch VOLBEAT gibt von Beginn an erkennen, weshalb dieser Status gerechtfertigt ist. Motiviert bis in die Zehenspitzen gibt der Vierer (nach dem sympathischen 'Born To Raise Hell'-Intro vom Band) vom Opener 'The Devil’s Bleeding Crown' an Vollgas. Michael Poulsen ist nicht nur stimmlich in Topform, er stellt auch einmal mehr unter Beweis, ein grundsympathischer Entertainer zu sein. Auch im Umgang mit seinen Helden hat er nicht mal ansatzweise ein Problem, so weiß er sowohl Elvis PRESLEY und Jonny CASH, aber auch SLAYER entsprechend zu würdigen. Das an die Thrash-Kings angelehnte 'Slaytan' erweist sich einmal mehr als absoluter Live-Brecher der Sonderklasse und auch das bereits für das nächste Album fertig gestellte 'The Everlasting' wirkt vom Riffing her verdammt hart und zu Beginn sogar irgendwie ein wenig ANTHRAX-lastig. Generell lässt sich feststellen, dass die Gitarren im Vergleich zu früheren Gigs der dänisch-amerikanischen Formation knackiger und fetter klingen. Der Einfluss von Rob Caggiano scheint abermals größer geworden zu sein, was der Gesamtwirkung des Sounds guttut.

Von der tobenden und wild tanzenden Meute vor der Bühne wird jedoch jede einzelne Nummer abgefeiert, egal ob es eher entspannt zur Sache wie bei 'Lola Monzez' oder doch gehörig gerockt wird wie zu 'Seal The Deal'. Auffällig ist einmal mehr auch die Tatsache, dass es momentan kaum eine andere Band gibt, die von allen Generationen an Musikliebhabern gleichermaßen geschätzt wird. Die eigentlichen Genre-Vorlieben der Zuseher sind bei einem VOLBEAT-Gig kein Thema, wie die Band anderthalb überaus unterhaltsame Stunden lang unter Beweis stellt. Mitreißendes Rock-Kino für ALLE!

Während sich ein großer Teil der Menschenmasse im Abschluss wahlweise in Richtung Camping-Areal oder in das riesige Party-Zelt auf dem Festival-Gelände begibt, um den Abend entsprechend ausklingen zu lassen, versammelt sich die noch immer konzertwütige, jedoch vergleichsweise überschaubare Meute zum Tagesabschluss vor der "Red Stage", um sich von BILLY IDOL unterhalten zu lassen. Der macht einen durchaus fitten Eindruck und wirkt auch stimmlich bei 'Shock To The System' und 'Eyes Without A Face' gut in Form. Auch seine Begleiter gehen motiviert zur Sache und lassen 'Cradle Of Love' und 'Daytime Drama' ordentlich zur Geltung kommen. Inwiefern es an der Stimme des eigentlichen "Chefs" selbst liegt oder doch eher dem Ego des Gitarristen geschuldet ist, lässt sich zwar nur schwer abschätzen, Tatsache ist jedoch, dass danach die Stimmung merklich abflaut. Steve Stevens nimmt nämlich zusehends das Zepter in die Hand und kredenzt eine von Flamenco bis Heavy Rock beinhaltende Performance an seinem Arbeitsgerät. Diese ist zudem von technischen Feinheiten geprägt und entlockt wohl selbst der "Musikerpolizei" mehr als nur ein zustimmendes Lächeln.

Allerdings hätte man dem guten Mann eventuell im Vorfeld mitteilen sollen, dass eine solche Vorstellung den "Party-Faktor" des Auftritts von BILLY IDOL gegen 01:30 morgens eher gen (genauer gesagt: "gähn") Null tendieren lässt. Dadurch verwundert es kaum, dass sich das Gelände mit Fortdauer der Vorstellung, die zu diesem Zeitpunkt eher unter dem Titel STEVE STEVENS feat. BILLY IDOL hätte geführt werden sollen, merklich leert. Irgendwie schade, da wäre nämlich bestimmt noch viel mehr drinnen gewesen. Sei’s drum, enttäuscht begibt sich nach diesem Festival-Tag dennoch kein einziger Zuseher vom Acker.

Hier geht es zum letzten Tag...

Redakteur:
Walter Scheurer

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