PLACEBO - Leipzig

23.11.2009 | 21:40

21.11.2009, Arena

Die Schlacht um die Sonne hat begonnen. Können PLACEBO den Kampf gewinnen?

Vor knapp einem Jahr hätte ich es noch für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten, mich über den Besuch eines PLACEBO-Konzertes zu freuen. Doch die Zeiten ändern sich. Mit "Battle For The Sun" überraschten sie viele Fans und Kritiker und bewiesen, dass die Band rund um Mastermind Brian Molko noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Mit neuem Drummer, neuem Plattendeal und neuer Attitüde rockten sie sich in mein Herz – klingt komisch, ist aber so.

Nun spielen die Briten vor meiner Haustür in der riesigen Arena zu Leipzig. Noch unter dem Einfluss eines THE DEVIL’S BLOOD-Konzerts vom Vortag schlürfe ich zur Location, nur um von einer riesigen Schlange begrüßt zu werden. Na toll! Also fix den Hintereingang genutzt und rein ins Vergnügen. Es ist gegen 19.30 Uhr und die Arena ist bereits 30 Minuten vor Showbeginn ordentlich gefüllt. Ein Kabuki verhüllt den Großteil der Bühne, was die Sache besonders spannend macht. Da Spannung aber nicht gut für mein Herz ist, geh' ich erstmal eine rauchen.

Gegen 20 Uhr beginnt der Abend dann richtig. EXPATRIATE aus Australien entern die Bühne und schaffen es, die Zeit bis zum Headliner ganz amtlich zu füllen. Zwar kommt der Pop-Rock, der des Öfteren an eben PLACEBO erinnert, nicht wirklich innovativ aus den Boxen, doch den Mädels in den ersten Reihen scheint es zu gefallen. Dabei frag ich mich wiederum, warum man sich so was antut und mindestens zwei Stunden in der ersten steht, nur um dann für zwei Stunden (unter latentem Durst und Harndrang) sich sein Konzert zu versauen. Sei's drum – nach 35 Minuten ist alles vorbei. Keinem hat es geschadet und kaum einer wird 30 Minuten später auch nur einen Gedanken an die Australier verschwenden.

Kurz nach 21 Uhr enden die kleinen Trickfilmchen auf den großen Leinwänden – die Augen werden plötzlich auf die Bühne gelenkt, denn unterlegt mit einem seltsamen Intro wird die schwarze Sonne des Albumcovers auf den großen Kabuki gesetzt. Die Musik stoppt – der Vorhang fällt, die Mädels schreien mir ins Ohr und plötzlich steht er da: Brian Molko und PLACEBO. Mit einem fetten Grinsen im Gesicht wird nicht lang gefackelt, sondern mit 'For What It's Worth' die Bude gerockt. Die ersten Reihen flippen kollektiv aus während die Kameramänner den Graben auf der Suche nach den besten Bildern durchforsten. Das ist auch nötig, denn mittels drei gigantischer Leinwände (links und rechts neben der Bühne sowie eine als Bühnenhintergrund) wird das Konzert in den letzten Winkel der Arena übertragen. Doch Live-Bilder reichen hier nicht aus. Mittels verschiedenster Filter werden die unterschiedlichsten Bilder produziert: Mal Comic, mal Sin City – ein optischer Leckerbissen sondergleichen. Aber auch die Musik kommt nicht zu kurz, denn mit 'Ashtray Heart' und 'Battle For The Sun' bleibt man zunächst beim aktuellen Album. Das visuelle Geschehen rund um die Bühne ist einzigartig. Dagegen regiert auf der Bühne nur König Molko. Sein langjähriger Kollege Stefan Olsdal wird jeden Tag dünner und länger und bewegt sich wie Falschgeld. Also doch wieder alle Augen auf den charismatischen Fronter mit der außergewöhnlichen Stimme richten. Haben wir nicht einen vergessen? Genau, Neu-Drummer Steven Forrest sorgt auch live für frischen Wind und mag mit seinen Tattoos irgendwie nicht so recht ins Bild passen – und genau das ist gut so, um einen Kontrast zum erhabenen Molko zu generieren.

Genau dieser oftmals arrogant wirkende Molko hat heute einen geilen Tag. Seine Stimme kommt hervorragend zur Geltung. Seine Körpersprache wirkt voller Energie und sein Lächeln bringt die ersten Reihen zum Schmelzen. In Kombination mit der traumhaften Bilder- und Videoshow kann man hier von einem perfekten Konzert sprechen. Neue und alte Hits werden leidenschaftlich vorgetragen und von einem gigantischen Menschenmeer aufgenommen und mitgesungen. "Vielen Dank" flüstert Molko, dessen Verlegenheit nach 'Speak In Tongues' endgültig zu den Akten gelegt wird und er den Mittelpunkt der Welt verkündet: "Right Here, Right Now – In Motherfucking Leipzig!". Jubel! Und wo viele Bands sich genötigt sehen, nur alte Hits zu spielen und sich beim Publikum für die neuen Songs fast schon entschuldigen zu müssen, triumphieren PLACEBO gerade bei den aktuellen Songs von "Battle For The Sun". Ob es 'Breathe Underwater' oder 'The Never-Ending Why' (oh mein Gott – das hat verdammt noch mal gerockt wie die Hölle)  ist, die neuen Tracks sind großes Rock-Kino, bei dem man fast schon den Kopf kreisen könnte. Da geht ein 'Every You Every Me' fast schon unter.

Nach 'Because I Want You' schnappt sich Herr Molko erneut das Mikro und verkündet, dass nach Rock'n'Roll nun Rock'n'Schwul folgt. Ah ja. Kollege Stefan setzt sich an das Piano, Molko schwingt sich die Akustikgitarre um die Hüften und los geht der romantische Ritt mit '20 Years'. Auf Rock'n'Schwul folgt mit 'Julien' Dance Rock'n'Roll – interessant. Doch dann darf es wieder etwas lauter zugehen und Drummer Steven seine Schießbude malträtieren. Nach 'Devil In The Detail', 'Meds' und 'Song To Say Goodbye' bedankt sich Molko mit "Vielen Dank Leipzig – Tschüssi", schnappt sich seine Band (plus die Live-Gastmusiker) und verschwindet hinter die Bühne.  Das hier noch nicht Schluss ist, verdeutlicht eine halbnackte Frau auf den Leinwänden, welche vor allem die Männer auf ihren Plätzen hält. Da haben die Bierstände eben Pech gehabt. Nach minutenlangem Applaus kehren das Trio und die restlichen Musiker zurück und fahren weiter auf der Spur der perfekten Inszenierung. Mit 'Special K' und dem obligatorischen "ba dum ba ba ba da ba da" dürfen die Leipziger Fans auch selbst aktiv werden, bevor Molko mit 'The Bitter End' wieder alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wer dachte, dass nun aber endgültig Feierabend sei, der sieht sich erneut getäuscht.

Denn nach einem kurzen Good Bye flackern die Lampen der großen Bühne verdächtig. Okay – da kommt also noch mehr. Ja wunderbar. Das Dach der Arena fliegt fast weg als sich die Band erneut auf die Bühne traut. Das nenn ich einen Sound! Im Sin City-Style vergnügt sich die Leinwand bei 'Trigger Happy'. Nebenbei ticken die Uhren und verkünden so für alle sichtbar das baldige Ende der Menschheit (und der Show). "Put your hands in the air, and wave them like you give a fuck" schreit Molko sich seine Wut aus dem kleinen Leib. Kleiner Mann ganz groß, fällt mir dazu  nur rein.

Nach 'Taste In Men' und nahezu zwei Stunden perfekter Unterhaltung ist dann aber endgültig Schluss. Die insgesamt sechs beteiligten Musiker verneigen sich vor der riesigen Menge, welche die letzten Sekunden noch einmal tief in sich einsaugt. Dann geht das Licht an und die Realität hat uns wieder. Was bleibt zurück? Peitscht mich aus und schimpft mich Pimp – aber das war großes Kino, das mich weit mehr unterhalten hat als so manch hochgelobter Metal-Act. Ich ziehe meinen Hut! Chapeau!

Setlist PLACEBO:
01.    For What It’s Worth
02.    Ashtray Heart
03.    Battle For The Sun
04.    Soulmates
05.    Speak In Tongues
06.    Cops
07.    Every You Every Me
08.    Special Needs
09.    Breathe Underwater
10.    Because I Want You
11.    20 Years
12.    Julien
13.    The Never-Ending Why
14.    Blind
15.    Devil In The Detail
16.    Meds
17.    Song To Say Goodbye
- - - -
18.    Bright Lights
19.    Special K
20.    The Bitter End
- - - -
21.   Trigger Happy
22.   Infra-Red
23.   Taste In Men

Redakteur:
Enrico Ahlig

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