RELOAD Festival - Sulingen

25.09.2022 | 22:00

18.08.2022,

Was für ein Wochenende!

Der zweite Festivaltag startet mit einem etwas dickeren Schädel, aber nicht minder schön durch wunderbarstes Sommerwetter, einem ausgiebigen Frühstück und einer für Festivalverhältnisse doch erfrischenden Dusche. Und nachdem der Reload-Ohrwurm 'Wir sagen Dankeschön…' von DIE FLIPPERS auch an diesem Vormittag fleißig genossen wird und das erste Dosenbier den hartnäckigen Kater in ein schnurrendes Kätzchen verwandelt, geht es mit einer prächtigen Vorfreude zum Festivalgelände.

Den musikalischen Tag eröffnet eine frische, irische Folk-Brise in Form von TEARS FOR BEERS auf der Plazastage und danach geben sich die Jungs von CYPECORE auf der EMP-Mainstage die Ehre. Durch die Absage von OUR HOLLOW OUR HOME gibt es für beide Bands leicht geänderte Spielzeiten, was der Stimmung allerdings keinen Abbruch tut. Im Gegenteil, denn schon früh macht der melodische Death Metal der Mannheimer von CYPECORE viel Freude. Trotz des wirklich herrlichen Sonnenscheins verdunkelt sich der Himmel durch DARKEST HOUR und eine ordentliche Metalcore-Duftnote aus den Staaten. Der Start in den Tag hätte schwungvoller kaum beginnen können.

Nun kommt es zum ersten faustdicken Highlight. Weshalb EXODUS solch einen bescheidenen Platz im Billing bekommen hat, fragen sich viele Thrash-Wütige zur gemütlichsten Mittagszeit. Doch sei's drum, denn die Bay-Area-Veteranen legen ein mehr als amtliches Trommelfeuer auf, lassen die Korken knallen und Gary Holt und Co. sind in spielfreudigster Stimmung. Zudem tut es mir in der Seele gut, Drummer Tom nach seiner Krebserkrankung wieder an der Schießbude zu sehen. Brecher wie 'Blacklist', 'Bonded By Blood' und vor allem 'Strike Of The Beast' sorgen letztendlich sogar dafür, dass meine schüchterne Persönlichkeit nach über zwölf Jahren wieder in einem Moshpit landet. Danke EXODUS für diese Vollbedienung.

Mit LIFE OF AGONY folgt eine ordentliche Portion Alternative Metal, der gut ins Ohr geht und für viele wippende Köpfe sorgt, ehe CALIBAN wieder in die deftigere Kerbe schlägt. Die Freunde von HEAVEN SHALL BURN eröffnen mit einem druckvollen Sound und jeder Menge Spaß in den Backen das Feuer, ehe der folgende Act speziell die Humor-Fraktion vor die Bühne lockt. Die Jungs von DIE KASSIERER sind gern gesehene Gäste auf dem Reload-Festival und so sorgen auch auf der Hauptbühne Schenkelklopfer wie 'Quantenphysik' und 'Blumenkohl am Pillemann' sowie das lautstark mitgesungene 'Das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist' für allerlei Grinsebäckchen im Pit. Zum (Un)mut aller lässt Front-KASSIERER Wolfgang seine Kleidung an, nur um passend zur Gleichberechtigung beim 'Mach die Titten frei, ich will wichsen'-Song eine dritte Zeile namens 'Hol' den Pimmel raus, ich will lutschen!' hinzuzufügen. Richtig, auch das Thema nehmen die Protagonisten aus dem Pott sehr ernst.

Doch wesentlich ernstere Töne unter der schönsten Nachmittagssonne kommen von DARK TRANQUILLITY. Und welchen Glanzauftritt die Melo-Deather ablegen, gespickt mit einer tollen Songauswahl, einem glasklaren Sound und einer Atmosphäre, die fesselnd und euphorisch zugleich ist! Leider ist nach knapp 40 Minuten auch dieses lichterloh brennende Spektakel vorbei und es wird Zeit, die Schmusedecken und Feuerzeuge herauszuholen. CANNIBAL CORPSE entert die Bühne. Allein für Corpsegrinders' Shirt "Respect The Neck" lohnt sich der Dampfwalzenauftritt der Todesmetaller allemale. Die Nacken werden gekreist, George brüllt und keift sich die Seele aus dem nackenfokussierten Leibe und mit 'Death Walking Terror', 'I Cum Blood' und dem anschließenden 'Hammer Smashed Face'-Dauerbrenner kennen die Amis mit dem dicht zusammenstehenden Publikum keine Gnade.

TestamentZwischenzeitlich ein leckeres Eis oder ein mit 8€ leider viel zu überteuerter Fleischspieß? Kein Problem, die Stände im Festivalgelände machen Schlemmen und Headbangen zugleich ohne Weiteres möglich. Und trotzdem wünsche ich mir für die kommenden Jahre die einen oder anderen Schattenspender, brennt doch in stundenlanger Hitze die Sonne unermüdlich auf die Rübe. Darum gibt es bei RAISED FIST eine kleine Pause, trotz der der Hardcore Punk der Schweden sehr gut beim Publikum anzukommen scheint und ohnehin fabelhaft zum Billing passt.

Doch nun werden für das finale Band-Trio an diesem Abend sämtliche Kräfte nochmals mobilisiert, kündigt sich mit TESTAMENT doch eine wahrhafte Legende an. Und nun mit Schlagzeug-Gott Dave Lombardo in den eigenen Reihen scheinen die Bay-Area-Thrasher noch mehr Blut geleckt zu haben: Sound und Lichtshow lösen eine meterdicke Gänsehaut aus, Chuck Billy ist sensationell bei Stimme und weiß auch seine Brüll-Manöver passend ins Publikum zu zielen. Evergreens wie 'The New Order', 'Practice What You Preach' und 'Into The Pit' sorgen für Jubel in den dichten Reihen vor der Bühne, ein beinah schon legendärer Auftritt, der mich an meine erste Live-Begegnung mit meinen einstigen Helden auf dem Earthshaker Festival 2006 erinnert. Seitdem ist vieles bei TESTAMENT passiert, doch die Souveränität, die immense Spielfreude vom Saitentrio Peterson/Skolnick/DiGiorgio sowie eine atemberaubende Atmosphäre werfen mich wieder ins Hier und Jetzt, nach Sulingen, vor die Bühne des Reload-Festivals, auf dem TESTAMENT auf ganzer Linie brilliert und uns mit 'Alone In The Dark' in den vermeintlichen Feierabend entlässt. Puh.

As I Lay DyingBei AS I LAY DYING lasse ich den Die-Hard-Fans doch lieber den Vortritt und lasse mich vom Auftritt der Amis auch von der Seite positiv überraschen. Ein abermals kraftvoller Sound, der stimmgewaltige Tim Lambesis und eine recht ausgewogene und auf die Stärken der Jungs zugeschnittene Setliste ('Redefined', 'Shaped By Fire', 'My Own Grave' gefallen enorm) imponieren und auch wenn die Lichtshow nicht derart atmosphärisch ist wie bei TESTAMENT zuvor, ist die Laune der Fans, die sich vor der Bühne dicht drängen, doch prächtig. Mit AS I LAY DYING haben die Veranstalter einen wirklich würdigen Co-Headliner an Land gezogen, der als Anheizer für den heutigen Hauptact kaum passender hätte ausfallen können.

HEAVEN SHALL BURN ist live eine Über-Macht. Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt und dank eines mörderisch guten Sounds, einer Lichtshow, die passend zu 'Voice Of The Voiceless' und 'Combat' das Knistern in der Luft nicht besser hätte untermalen können sowie einer Mannschaft, die sich und das Publikum von Minute zu Minute mehr anstachelt und animiert, kann man vor Staunen und anschließend vor Erschöpfung nur den Hut ziehen.

Heaven Shall BurnHEAVEN SHALL BURN zieht zu sehr später Stunde nochmals sämtliche Register. Bei 'Counterweight', 'Behind A Wall Of Silence' und 'Endzeit' kennt die Band kein Erbarmen mit dem Publikum.

Die Spielbälle werden hin und hergeworfen, die Stimmung ist am Zenit und während ich mich allmählich doch zurückziehe und einen der raren Sitzplätze suche, folgen mit 'Numbing The Pain' und 'Hunters Will Be Hunted' die letzten Brecher eines durch und durch fantastischen Auftritts.

Nur wenige Augenblicke später sorgen erneut wunderbare Thrash-Töne der alten Schule für sehr viel Wohlwollen. HEATHEN hat auf dem Rock Hard Festival schon abgeräumt und macht nun auch auf einer für diese Band viel zu kleinen Bühne eine überaus geschmackvolle Figur. So herrscht gerade wie auch schon bei den vorangegangenen Auftritten auf der Plazastage ein ordentlicher Klang und eine - und hier kommt wiederum die kleine Bühne zur Geltung - recht familiäre Stimmung zwischen HEATHEN und Dutzenden noch Feiernden. Allmählich setzt die Müdigkeit ein, doch wohin man schaut, blickt man in glückliche und zufriedene Gesichter.

Doch wie auf Knopfdruck sind einige Energiereserven wieder da, denn zumindest für eine Stunde gibt es einige AC/DC-, IRON MAIDEN- und METALLICA-Hits im Party-Zelt zu genießen. So kann jeder Abend ausklingen, mir gefällt es sehr gut und um halb drei ist dann zumindest für diesen Tag doch wirklich Schicht im Schacht.

Hier gehts zum Samstag...

Redakteur:
Marcel Rapp

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