ROCKHARZ Festival - Ballenstedt

16.07.2023 | 14:52

05.07.2023, Flugplatz

30 Jahre "Rockharz"-Festival - wenn das kein Grund zum Feiern ist! Vier Tage lang durften wir bei Gluthitze auf dem Flughafen in Ballenstedt abrocken. Heiß war dabei nicht nur die Sommerluft, sondern vor allem die Bands.

Der erste Festivaltag ist vorüber. Wir können es kaum fassen, dass noch drei vor uns liegen. Das sind wir gar nicht gewohnt und fürchten uns auch ein bisschen, ob wir nicht mehr so ganz taufrischen Helden den Strapazen gewachsen sein werden. Damit wir überhaupt eine Chance haben zu bestehen, kommen wir am Donnerstag erst gegen 15:30 Uhr aufs Festivalgelände. Dort läuft gerade die Show von UNZUCHT an. Trotz der Hitze in Mütze und langärmelige Jacke gepackt, gelingt es Sänger Daniel Schulz, voller Energie über die Bühne zu wirbeln. Der Sound der Dark Rocker, die ich bisher noch nicht live gesehen habe, gefällt mir gut. Und das, obwohl ich bei Gothic-Bands mit elektronischem Klangteppich und deutschen Texten immer ein wenig an Schlager denken muss. Hier stört das nicht. UNZUCHT lädt zum Mittanzen ein und verhindert mit den rhythmischen Beats, dass wir in der Glutsonne des Nachmittags erschlaffen.

Wir sind also genau in der richtigen Verfassung, um die erste Band des Tages zu sehen, an die wir große Erwartungen haben: TRIBULATION. Die schwedischen Death Metaller präsentieren ihre morbiden Finsterklänge in der gewohnten Weise. Man hält sich nicht lange mit Ansagen auf, sondern nutzt die Zeit für Musik. Atmosphärisch wäre es der Band natürlich viel gerechter geworden, wenn ihr ein Slot in den Abendstunden zugewiesen worden wäre. Die düstere, asketische Gitarrenmusik ohne viele Schnörkel kommt im Dunkeln einfach viel besser zur Geltung. Nun müssen wir uns damit begnügen, die vier Musiker, die ihre Gesichter weiß angemalt und die Augen schwarz umrandet haben, lediglich im Dunst des grün-roten Lichts zu beobachten, in das sie zuweilen gehüllt sind. Vor der Bühne ist noch reichlich Platz, aber die Festivalbesucher, die erschienen sind, lassen sich faszinieren. Ich warte auf meinen Lieblingssong 'Nightbound' und werde nicht enttäuscht. Herr K. aus M. stellt fest, dass wir bis in die hinteren Reihen im Publikum die Räucherstäbchen riechen können, die die Band am Bühnenrand abbrennt. Wir sind umnebelt, nicht nur von Hitze und Rauchschwaden, sondern auch vom wunderbar puristischen Sound des finsteren Quartetts.

Nach Verklingen der letzten Death-Metal-Töne ist Zeit für einen der zahlreichen Eiskaffees. Im Hintergrund treten die alten Hasen von FIDDLER'S GREEN auf, die, so beobachte ich, auch 2023 die Menge tanz- und hopswütiger Metaller noch immer mit ihren Folkklängen begeistern können. Im weiteren Verlauf des frühen Abends vernehmen wir aus der Ferne MR. HURLEY & DIE PULVERAFFEN. Um Kräfte für den zumindest nach unserer Auffassung nächsten Höhepunkt zu sammeln, sitzen wir im Biergarten und chillen. Außerdem treffe ich den POWERMETAL.de-Kollegen Stefan Rosenthal, der schon sein halbes Leben zum "Rockharz"-Festival kommt und in diesem Jahr Party und Musik einfach mal privat genießen möchte. Und dann kommen DIE APOKALYPTISCHEN REITER: Herr K. aus M., bitte übernehmen Sie!

[Erika Becker]

Unmittelbar vor dem REITER-Auftritt auf dem "Rockharz" sorgt ein Line-up-Beben für Schnappatmung bei der Metal-Gemeinde. Die Band kündigt den abrupten Ausstieg des etatmäßigen Gitarristen Ady bzw. den absehbaren Wechsel hinter der Schießbude an. Als Beruhigungspille wird gleichzeitig versichert, dass dies nicht das Ende der Band DIE APOKALYPTISCHEN REITER sei, sondern man mit neuem Personal weitermachen werde. Man hat also noch nicht fertig. Nun denne! Im Vorfeld des "Rockharz"-Gigs sollten die Fans ein paar Setlist-Wünsche äußern und wenn man die Facebook-Posts repräsentativ nimmt, dann war 'Die Sonne scheint' der unumstrittene Favorit. Zu Beginn scheint aber die Sonne lediglich recht kräftig vom Himmel. Nicht weiter tragisch, denn mit 'Die Boten', 'Auf und nieder', 'Der Adler', 'Es wird schlimmer' und 'Friede sei mit dir' gibt es einen Aufguss vom Allerfeinsten. Es ist, als hätte Fuchs mir in die Hand versprochen, meine persönliche Lieblings-Setlist rauf und runter zu spielen. Und offensichtlich hat er während der langen Pandemie-Auszeit auch nichts von seinem flummiartigen Bewegungsdrang auf der Bühne eingebüßt. Die 45 Minuten vergehen wie im Flug und irgendwann scheint uns allen dann tatsächlich die Sonne aus dem Arsch. Die Meute tobt und reckt tausendfach die Fäuste gen Himmel. Mit der 'Reitermania' wird dann zum Ende noch einmal der absolute Ekstase-Knopf gedrückt. So kann's mit den APOKALYPTISCHEN REITERN bitte weitergehen.

[Stefan Karst]

Für große Begeisterung bei den Festivalbesuchern sorgt sodann die oberfränkische Band HÄMATOM, die unter einer Regenbogenflagge auftritt. Sänger Thorsten "Nord" Scharf bescheinigt den Fans, verrückt zu sein – zum Glück – und lobpreist die Band als Familie. Als Höhepunkt der Show kann sicherlich die Crowdsurfing-Tour des Drummers gelten, der von der jubelnden Meute mit seinem gesamten Drumkit über die Köpfe des Publikums getragen wird. Zum Schluss gibt es einen kleinen Vorgeschmack auf das Konzert von SALTATIO MORTIS, denn der Saltatio-Sänger Alea wird auf die Bühne geholt, um gemeinsam das Bier hochleben zu lassen.

Einer der Vorteile des "Rockharz"-Festivals ist, dass zwischen den einzelnen Shows kaum Zeit für eine Verschnaufpause bleibt. Schon nach fünf Minuten geht es auf der jeweils benachbarten Bühne weiter, so dass erst gar keine Langeweile aufkommen kann.

[Erika Becker]

PARADISE LOST muss die herausfordernde Aufgabe wuppen, sich gegen die zuvor und danach auftretende Partymucke zu behaupten und die Leute vor der Bühne für ihren Gothic Metal zu begeistern. Und wenn man weiß, dass Nick Holmes und seine Mannen sich doch eher introvertiert präsentieren, darf man sehr gespannt sein, wie der Auftritt ankommen wird. Zunächst fällt einmal positiv auf, dass die Bandmitglieder ein breites Grinsen im Gesicht haben und man insoweit auf eine Spielfreude im wahrsten Sinne des Wortes hoffen darf. Letzteres war bei Auftritten in der Vergangenheit leider nicht immer der Fall. Hier und heute gibt es aber nichts zu meckern. Eine tolle Setlist mit gleich vier Werken aus der legendären "Icon"- und "Draconian Times"-Zeit sorgen für ein wohliges und zufriedenes Gefühl bei allen anwesenden (Alt-)Metallern, die diese Band besonders aus jenen Tagen lieb gewonnen haben. Der Gothic Metal brät fett aus den Boxen und die Setlist wird mit aktuellen Songs von den starken letzten Alben abgerundet, so dass PARADISE LOST die eingangs gestellte Aufgabe mit Bravour gelöst hat.

[Stefan Karst]

Gegen viertel vor elf nähern wir uns dann endlich dem Höhepunkt des Abends: IN FLAMES. Die schwedischen Melodic-Death-Metaller um Sänger Anders Friden locken offensichtlich den letzten Fan vom Zeltplatz. Wir haben nicht den günstigsten Platz erwischt und blicken aus reichlicher Entfernung von rechts auf die Rock Stage. Das tut der wilden Jagd aber keinen Abbruch. Schon beim Opener 'The Great Deceiver' jubeln die Metalheads los und schnell machen sich auch die ersten Crowdsurfer auf den Weg nach vorne. Anders Friden und seine Jungs sind gut drauf, obwohl der Sänger, wie er uns im Laufe der Show wissen lässt, seine Brille nicht aufhat und meint sich zuweilen orientieren zu müssen, was als nächstes gespielt wird. Tja, wir werden alle älter… Bei den Songs sind es gerade die älteren, die uns entzücken. 'Behind Spaces' und 'Only For The Weak' finden sich zur Begeisterung aller in der Mitte des Programms und natürlich wird gehüpft, was das Zeug hält: Jump! Jump! Jump! Der Sound ist fett und ich fühle mich mal wieder wie im Rausch. 'Cloud Connected' rauscht in den Kopf hinein und wieder heraus. Bei 'Foregone Pt.1' und einer Midtempo-Nummer wie 'The Mirror's Truth' verträgt auch mein Nacken noch ein paar Headbangerrunden. Nach rund 75 Minuten ist Schluss, nicht ohne dass Anders Friden sich wie immer gerührt beim Publikum für die Treue bedankt, die ihm das Leben als Rockmusiker ermöglicht, obwohl sein Lehrer ihm die Fähigkeit zum Musikmachen abgesprochen habe. Derart geehrt verlassen Herr K. aus M. und ich für heute das Festivalgelände und krabbeln durch die dunkle Nacht in unser Erholungscamp im bürgerlichen Hotel.

[Erika Becker]

Hier geht's zum Freitag.

Redakteur:
Erika Becker

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