TANZT - München

21.11.2017 | 19:01

18.11.2017, Backstage

Tanzt, ihr Narren!

Das "TANZT!"-Festival im Münchener Backstage hat sich gemausert: Einst im kleinen Rosenheimer Ambiente ein Geheimtipp mit unentdeckten, lokalen Künstlern der mittelalterlich-folkloristischen Szene, kann das Festival 2017 zu seiner elften Ausgabe mit einer guten Mischung aus Publikumsmagneten, aufstrebenden Bands und exotischen Gruppierungen aufwarten. Und das, ohne den Anspruch an sich selbst zu verlieren: Lokalen Helden des Genres eine Bühne zu bieten, die der ein oder andere auch in diesem Jahr wieder ordentlich zum Beben gebracht hatten.

Den Start in den Nachmittag macht mit THE PRIVATEER eine Gruppe, welche schon vor dem Auftritt mit stürmischen Gegenwind zu kämpfen hatte. Denn wie Geigerin Clara dem Publikum mitteilt, ist der gesangliche Kapitän der Freiburger an Skorbut erkrankt. Gastsänger Kolai (INNER SANCTUM) weiß jedoch mit genauso viel Charisma und Druck in den Growls zu überzeugen, Titeln wie 'Monolith' verleiht er ebenso einen eigenen, härteren Touch wie den Titeln der aktuellen Scheibe "The Goldsteen Lay". THE PRIVATEER zeigt sich trotz Personalnot an diesem Tag überzeugend düster und souverän, nicht nur optisch begeistern die vier Herren an Saiten sowie an den Drums mit jeder Menge Spielfreude und Elan. Virtuos und rasant klingt das, was THE PRIVATEER bereits eine Stunde nach Einlass aufs Parkett legen. Das Backstage gleicht schon nach dem Opener der tosenden See, so aufgeputscht sind die Besucher des "TANZT!" nach der vierzigminütigen Performance von THE PRIVATEER.

Die darauffolgende Band hat sich kreative Unterstützung mitgebracht: So sorgt die Aktion des Fanclubs von FUCHSTEUFELSWILD nicht nur vor der Bühne erst für Verwirrung und dann für Belustigung. Das "wilde Rudel" bringt leuchtende Luftballons kurz vor dem Auftritt der Mediaval Folk Band in den Umlauf. Und doch strahlen die Musiker eigentlich schon für sich hell genug: Beinahe losgelöst spielen die Füchse zum Tanze auf, sonst Superlative eher meidend, halte ich diese Show für eine der besten Konzerte, das FUCHSTEUFELSWILD gegeben hat. Egal ob 'Weltenmeer' oder der wohl magischte Moment der Show, 'Hüter des Waldes', zu dem das Publikum nur noch aus einem Meer an schwenkenden Armen zu bestehen scheint. Die Regensburger halten die Besucher mit ihrer Show in Atem und lösen die Fesseln erst wieder in einem beinahe zärtlichen Ausklang mit dem 'Hafen der Seele'. Ein durch und durch dichtes Programm, vierzig Minuten Spielzeit in einem Wimperschlag vergangen.

Der Exoten-Bonus geht in diesem Jahr an THE NINE TREASURES, die den langen weiten Weg aus China angetreten haben, um in München ihre Show dem neugierigen Publikum darzubieten. Denn eine Blitz-Umfrage unter den Gästen des "TANZT!" zeigt deutlich: Das mongolische Quintett ist nur wenigen bekannt. NINE TREASURES macht schon nach wenigen Tönen deutlich, wie breit sich der Begriff 'Folk Metal', als welchen sich die Band deklariert, auffassen lässt. Eine Morin Khuur anstelle des Dudelsacks, die Balalaika anstelle der Drehleier - stilistisch schmiegt sich NINE TREASURES eng an die chinesischen Tonleitern der asiatischen Folklore an. Nach einem kurzen Gewöhnungsmoment beginnen jedoch auch die ersten Besucher sich zu den eher untypischen Klängen aus Fernost zu bewegen: Die fünf Musiker selbst schaffen es jedoch nicht wirklich, den Funken überspringen zu lassen - etwas statisch und brav erinnern die Jungs mehr an Schuljungen als an ernstzunehmende Rockmusiker.

Weiter geht es in dem illustren Reigen mit DALRIADA. Die Ungarn sorgen mit ihrer Symbiose aus der traditionellen Volksmusik ihres Landes und tiefem, brachialen Folk Metal für ein rasantes und überraschendes Opening: So betreten die Musiker nach und nach zur Polka-Musik die Bühne, Sängerin Laura dreht sich dazu im Kreise. Ein idyllisches Bild, bis plötzlich die Gitarren lospreschen und Andras zu seinen gutturalen Growls ansetzt. Die Show kann beginnen, denn DALRIADA lässt sich am besten als ein wilder Ritt durch Folk und epischem Melodic Death Metal beschreiben - virtuose Gitarrensoli, Headbanging auf und vor der Bühne und ein Frontgespann, das im Stile von Bands wie LEAVES EYES oder AEVARIUM perfekt harmoniert. Den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus - auch dafür steht das "Tanzt!"-Festival, welches mit DALRIADA wieder einmal bewiesen hat, dass die Folk-Szene auch abseits von Skandinavien und dem mitteleuropäischen Raum floriert und farbenprächtige Blüten treibt.

Die "frühe" Platzierung von TANZWUT im Line-Up des Tages löst leichtes Unverständnis bei der Autorin aus, schließlich gehören der Teufel und seine Gespielen wie der Headliner zur Créme de la Créme der Mittelalterszene. Dementsprechend groß ist die Freude auf den Auftritt der Berliner, dementsprechend hoch sind die Erwartungen. Und die weiß TANZWUT schon mit der schaurig-schönen UV-Show mit den Krampus-ähnlichen Masken zu 'Schreib es mit Blut' auf ganzer Linie zu erfüllen. Von der gleichnamigen Scheibe stammen einige Songs des Abends, etwa auch der Mittelalter-Tanz-Song Nummer Eins: 'Wenn ich tot bin', der in makabrer Art und Weise jede Menge gute Laune im Publikum verbreitetet. Garniert wird das Set mit Schätzen aus der Truhe mit den Band-Klassikern wie 'Freitag, der 13.' oder dem Rausschmeißer von TANZWUT. Selten wird der Gemeinschaftsgeist derart schön beschworen wie mit 'Brüder im Geiste' - Euphorie pur auf und vor der Bühne des Backstage in München.

Alle Jahre wieder grüßen auch die heimlichen Herren des "TANZT!": Wie im vergangenen Jahr spielt VROUDENSPIL auch im November 2017 auf dem Münchener-Indoor-Festival als Headliner auf. Doch für etwas Abwechslung haben die Freibeuter im Vergleich zum vergangenen Jahr gesorgt. So ist es für mich die erste Show mit dem neuen Sänger Don Santo, der Ratz von der Planke abgelöst hat. Der Live-Qualität von VROUDENSPIL hat der Besetzungswechsel jedoch keinerlei Abbruch getan. Das Publikum tobt zu Songs wie 'In der Halle des Dattelschnapskönigs' so frenetisch wie auch bei den bisherigen Auftritten der Truppe, der Spaß und der Feierfaktor von VROUDENSPIL macht den Gig mit Nummern wie 'Püppchen' zur ausgelassensten Party des Festivals und hinterlässt so manchen Tänzer im mittlerweile beinahe überlaufenen Backstage atemlos zurück. Ich ziehe meinen Hut vor den Vroudenspilern, einen derart glatten Wechsel ohne jegliche Verluste an Charakter und Stil erlebt man nur selten. Umso erfreulicher, dass er der charismatischen Band so brilliant geglückt ist.

Die große neunzigminütige Headliner-Show des "TANZT!"-Festivals geht in diesem Jahr an die Spielleute von SALTATIO MORTIS. Zu dem Intro des Songs 'Früher war alles besser' betreten die Musiker die Bühne. Gestern haben sie noch in Heidelberg die Halle02 zum Kochen gebracht, jetzt wirken Alea, Lasterbalk, Falk und Co. taufrisch und im wahrsten Sinne des Wortes zum Spielen aufgelegt. Dazu hat SALTATIO MORTIS ein Festival-Set mit einem umfassenden Abriss der besten Songs im Gepäck. Darunter befinden sich neben Stimmungskrachern wie 'Wo sind die Clowns?' auch tiefgehende Live-Stücke wie 'Koma' oder 'Prometheus'. Geendet wird, wie üblich, mit dem 'Spielmannsschwur'. Auch in München verfehlt der stolze Titel seine Wirkung nicht: Das Publikum singt euphorisch mit, einige Zuschauer wischen sich verstohlen Tränen aus den Augen und die Autorin hat Gänsehaut. Ein emotionales Finale, welches das "TANZT!" 2017 gebührend beschließt und die Zuschauer mit einem wärmenden Gefühl von Seligkeit in die inzwischen bitterkalte November-Nacht entlässt.

Redakteur:
Leoni Dowidat

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