THE DOORS (of the 21st Century) - Bonn

23.07.2004 | 06:03

17.07.2004, Museumsmeile

Wie hört sich eigentlich Zeit an?

Eine Sekunde ist zu kurz für eine Melodie. Ein unwirklicher Moment in dem irgendetwas erklingt, man es aber nicht wirklich erfassen kann. Eine Minute ist da schon anders. Eine Minute bietet Platz für ein gewisses Maß an Symphonie und Arrangement. Bei einer Stunde leidet schon die Aufmerksamkeit, wenn der Klang nicht in einer gewissen Spannung variiert. Ein Tag ist da schon krasser, bei dem man nur einen gewissen Gesamteindruck zurückbehält, eine Ansammlung von Klängen, Eindrücken, Melodien. Schlimmer noch Wochen, Monate... oder Jahre.

In Bonn bekam man jetzt Möglichkeit, sich 30 Jahre anzuhören. 30 ganze Jahre. 33, um genau zu sein. 33 Jahre aufgestaute Gefühle, Verehrung und Hingabe für eine Band, die die moderne Rockmusik maßgebend beeinflusst und mitgestaltet hat.

THE DOORS haben sich noch einmal aufgerafft, um der Welt ihre Musik darzubieten. Ja, genau die DOORS, die in den 60ern mit der Verschmelzung von Jazz, Blues und Rock'n'Roll Geschichte schrieben. Eine jener Bands, die die Ursuppe kreierten aus dem bis heute eine Vielzahl an verschiedenen Stilen erwachsen ist, vom Punk bis zum HardRock, von Alternative bis Metal.
Mit Jim Morrison an der Spitze, der mit seinen abgrundtiefen Sinn für Poesie die Hörer in seinen Bann schlug, und mit Musikern die dieses lyrische Potential mit den passenden stimmungsvollen Soundstrukturen umwebten, war diese Band so etwas wie das nachdenkliche und ruhige Pendant zu den wilden Rocktruppen der 60er.
Nachdem die Band von 1965 an schnell Karriere machte, und Fans überall auf der Welt die Band frenetisch feierten wo immer sie auch auftrat, findet der Aufstieg mit dem mysteriösen Tod des Sängers am 3. Juli 1971 ein jähes Ende.

Mitten in den Aufnahmearbeiten zur "L.A. Woman" Scheibe stand die Band plötzlich vor dem Nichts. Trotz mehrerer Versuche an die alten Erfolge anzuknüpfen verschwindet die Band immer mehr in der Bedeutungslosigkeit, der Musik fehlt mit der eindringlichen und verträumten Stimme Morrisons das Zugpferd, um die Musik zu dem werden zu lassen was sie ist: ein atmosphärischer Tanz um die Worte des Sängers. 1978 löst die Band sich schließlich auf.

Vor 2 Jahren trafen die verbliebenen Mitglieder der Band, Keyboarder (oder eher damaliger Orgelspieler) Ray Manzarek und Gitarrist Robby Krieger den THE CULT Sänger Ian Astbury, und kommen wegen seiner stimmlichen Ähnlichkeit zu Jim Morrison auf die Idee, die Songs, die sie noch nie live gespielt hatten, zusammen mit ihm auf die Bühne zu bringen. Der Welt noch einmal die Musik der DOORS live zu präsentieren.
Dass es kein Pappenstiel ist, eine Rockikone wie THE DOORS eben mal wiederzubeleben und auf Tour zu gehen bewiesen die Schwierigkeiten, die schon vor der Verkündung des Revivals aufkamen: die Familie des verstorbenen Rockpoeten war komplett gegen eine solche Idee, und versuchte zusammen mit John Densmore, der damals das Schlagzeug bearbeitete, die halbe Reunion per Gericht zu verhinden. Vergeblich, wie man heute weiss, jedoch zwang man Ray Manzarek und Robby Krieger dazu, ihren Namen in "THE DOORS OF THE 21ST CENTURY" abzuändern, und nicht unter dem alten Namen auf Tour zu gehen.

Nachdem man nun ausgiebig Amerika, Japan und Europa besuchte, war nach mehr als 30 Jahre nach dem letzten Deutschlandgig der Band wieder ein Besuch hierzulande geplant. Auf dem eindrucksvollen Museumsplatz der Museumsmeile in Bonn sollte die Rückkehr stattfinden, mit knapp 4000 Leuten komplett ausverkauft, aber nicht vollgestopft wie man es von anderen Konzertlocations gewöhnt ist, bot das große Zelt mit den einschließenden Museumsbauten einen imposanten Anblick.Die Bühne bestand eigentlich nur aus einem großen Alu-Klotz, den man halb unter das Zelt geschoben hatte, und in den man ein Loch für die Bühne geschnitten hatte.

Schon gute 2 Stunden vor Beginn des Konzerts füllte sich der Platz mit Menschen jedweder Coleur und Alter. Vom langhaarigen Zeitzeugen der Morrison-Phase bis zum 68er Proteststudenten im Nadelstreifenanzug, vom Punk zur Hausfrau, vom Alternativefreak zum Raver war so ziemlich jeder da. Als einziger Gesamteindruck wäre nur "bunt" zulässig.
Verköstigt wurde man übrigens auf sehr Konzert-unübliche Art und Weise. Nebst einem Otto-Normal-Pavillion mit den Grundnahrungsmitteln Bier, Wasser und Coke gab es noch eine Cocktailbar, und das Museumscafé hatte auch extra geöffnet.
Der zeitraubende Soundcheck fiel beinahe völlig flach, da THE DOORS OF THE 21ST CENTURY die einzige Band waren, die an dem Abend auftreten würde, verständlicherweise: jede Vorband würde die wartenden Fans nur nerven (wenn man 30 Jahre wartet können die letzten Minuten sehr, sehr aufreibend wirken).

Um beinahe Punkt halb Acht war es dann soweit, das musikalische Geplänkel aus den Boxen verstummte, und für einige Sekunden herrschte Stille.
"Ladies and Gentlemen now live from California: The Doors", die Ansage des Bandmangers war das Intro zum größten Knall aller Zeiten.

Als die Bandmitglieder die Bühne nacheinander betraten, wurden augenblicklich die 30 Jahre Wartezeit laut. Ein Ohrenbetäubendes Getöse ging vom Publikum aus, welches jeden anderen Laut erstickte (ich habe 30.000 Leute auf einmal schreien hören, aber gegen diese 4.000 THE DOORS Fans hörte sich das wie das Piepsen von Mäusen an).
THE DOORS OF THE 21ST CENTURY spannten die Menge nicht lange auf die Folter, schon begann der treibende Rhythmus des "Roadhouse Blues", und die tosende Menge sorgte erst einmal dafür, dass man Ian Astbury nicht zu hören bekam, weil sie alle die Texte, die sie fast nur vom Band kannten, selber in die Welt herausschreien wollten.
Das Konzert entpuppte sich schon in den ersten Sekunden als perfektes Wechselspiel zwischen Band und Publikum. Die Band pumpte ihren Beat durch den Äther, die Menge nahm ihn begierig auf und quittierte es mit einer überwältigen Massendarbietung der Worte Jim Morrisons.
Mit "Break On Through" entließ die Band das Publikum aus seiner Schockstarre und ließ es in wilder Extase umhertanzen. Dabei offenbarte sich das Problem für viele Fans: von der Musik quasi zum Bewegen gezwungen konnten sie gleichzeitig ihre Augen nicht von der Band lassen. So bestand der Mob aus einem Haufen rotierender Körper mit starren Köpfen, die Hände über den Kopf erhoben und lauthals mitsingend.
Erst nachdem das etwas ruhigere "When The Music Is Over" angestimmt wurde entspannte sich die überkochende Menge, und man konzentrierte sich auf die Performance der Band. Jetzt, nachdem man Ian Astbury endlich hören konnte, stellte sich auch dar warum der Mensch die Wahl von Krieger und Manzarek war: er hörte sich mit seiner vollen und dunklen Stimme mit dem dunklen und verträumten Gesangsstil her beinahe genauso wie das Original an. Mit seiner sicheren Bewegung auf der Bühne mimte Astbury den Vollblutrockstar, und schlug das Publikum sofort in seinen Bann.

Die Performance der Band war einmalig, immer wieder wurde zwischen und in den Songs gejammt, ein Solo in die Länge gezogen oder einfach eins angebaut, Manzarek und Krieger spielten sich die Bälle so perfekt zu, dass es einem die Sprache verschlug. Schnell wurde klar wer die Stars des Abends waren. Die Ur-Doors badeten im Beifall wie Fische im Wasser und genossen es sichtlich so bejubelt zu werden (zumindest konnte man es Manzarek ansehen wie sehr es ihm Spass machte über das Keyboard zu surfen, Robbie Krieger schien selber etwas von den Publikumsreaktionen überwältigt).

Kurz nachdem die letzten Töne von "When The Music Is Over" ausklangen, und die Band gerade "Love Me Two Times" anstimmen wollte, geschah etwas, was ich in einem Film als überzogen und kitschig einstufen würde, mir in der Realität aber den Atem verschlug. Auf dem vorher noch abendroten Himmel zogen sich plötzlich dicke Wolken zusammen, welche ohne Umschweife hemmungslos ihre nasse Fracht auf das Konzertgelände abwarfen. Durch das riesige Zelt vor dem peitschenden Regen geschützt warf Ray Manzarek seiner Band nur einen kurzen Blick zu, um mit den Worten "Well, this is a song for mother Nature, for the ancient spirits within all of us, and as you can see, they are with us tonight!"
Und unter dem Getöse des kleinen Sturms drängten sich die Zuschauer vor die Bühne, die Band gab ihr andächtiges "Riders On The Storm" zum Besten, und traf die Stimmung der großen Welt, und den 4.000 Fans im Besonderen, mit einem verspielten und eindringlichen Soundgeplänkel und dem leisen Säuseln des Sängers, nicht wenigen standen vor Ergriffenheit die Tränen in den Augen. Als sich die Wände des Museums, welche das Konzertgelände dicht umschlossen, grell weiss färbten als ein Blitz die Dunkelheit des Himmels durchbrach, und ein tiefes Donnern die beinahe andächtige Stimmung zerriss, erwachten die Zuschauer wie aus einer Trance, und der Jubel brandete über Musik und dem Sturm, die Stimmung kannte keine Grenzen. Menschen lagen sich heulend in den Armen, konnten vor Begeisterung die Arme nicht mehr herunternehmen oder waren einfach nur von dem Eindruck dieses Moments geschockt.

Die Band schwenkte daraufhin in ein rockendes "Love Me Two Times" ein, um die Partystimmung wieder hervorzuheben, die Menge nahm den Faden dankbar auf, und bald befand sich der Mob wieder in Bewegung (dieses Mal intensiver als vorher, was wohl an den süßlichen Rauchschwaden lag die zu "Riders On The Storm" unter dem Zelt kursierten).
Die Setlist ließ keine Wünsche übrig, es wurde ein Best-Of zelebriert, das der Menge Adrenalin als Massenware verkaufte. Von "Moonlight Drive" über den "Alabama Song" zu "People Are Strange" zelebrierte die Band ihre Musik in ungeahnter Frische und Intensität, das Konzert geriet als quasi Wiederbelebung der Siebziger, die dieses Mal Kinder aller Generationen erfasste. Zwischendurch schien die Musik zwar etwas anstrengend, da Manzarek und Krieger es nicht lassen konnten die Songs immer wieder zu strecken und mit Improvisationen zu verfeinern, aber die Menge fraß jeden Ton hungrig in sich hinein. Nach knapp 2 Stunden änderte sich die Stimmung in Band und Publikum: Als hätten sich Band und Menge an die Wiederkehr gewöhnt, wurde es jetzt locker und lässig. Das Zusammenspiel zwischen Band und Fans war zwar immernoch genauso intensiv wie vorher, jedoch wurde jetzt einfach nur gezockt. Astbury verschwand in den Instrumentalparts zwar immer öfter hinter der Bühne, und schien von der frenetischen Anbetung für die Soli der Ur-Doors etwas genervt, machte jedoch immernoch eine gute Figur bei der Darbietung der Morrison'schen Lyrik.

Mit "Peace Frog" wurde es politisch. Unter begeisterm Beifall tat Ray Manzarek energisch seine Meinung zum "State Of The States" kund: "Well, we Americans are also just humans, we make mistakes, we regret that. But we are going to kick this asshole out!!". Mit solchen Kundgebungen punktet man auf dem alten Kontinent auf ganzer Linie, und die Stimmung näherte sich einer ihrer vielen Höhepunkte (da die Stimmung eh die ganze Zeit zwischen traumwandlerischen Eifer und schockierter Begeisterung schwankte war sowas wie ein Höhepunkt schon nah am Massenherzinfarkt).

Als die Band daraufhin die Bühne verließ brach die Hölle los. Ein Pfeif und Jubelkonzert ohne Gleichen erscholl zwischen den Mauern des Museums (die Messlatte für den größten Beifall aller Zeiten wurde hier um ein weiteres unerreichbar nach oben gelegt), und holte die Band nach dem Motto "Ihr wart dreissig Jahre weg, ihr habt noch was gutzumachen!" wieder auf die Bühne.
Dann kam die schicksalsträchtige Frage von Manzarek, was die Fans wohl hören wollten.
Merke: frage niemals nach 30 Jahren Abwesenheit deine Fans, was sie denn hören wollen.
Das Getöse das daraufhin erscholl, in der die Fans wahrscheinlich die THE DOORS Diskografie rauf und runter schrien, ließ eine genaue Identifizierung der Wünsche nicht zu, und so nahmen THE DOORS OF THE 21ST CENTURY der Menge die Entscheidung einfach ab.
Ab dem Moment avancierte es zum Rockkonzert. Bei "L.A. Woman" verrenkte sich Manzarek immer mehr, um in den unmöglichsten Posen sein Keyboard zu bearbeiten, Krieger tat sich mit dem Bassisten zusammen um so agil wie möglich (wie es der alternde Herr vermochte) durch die Gegend zu laufen und das Publikum anzustacheln. Ian Astbury geriet hierbei völlig zur Nebensache. Die Leute hörten seine Stimme, und konnte vor Verzückung ihre Augen nicht von den Original-Doors nehmen.
Immer wieder kam es zu lockeren Intermezzos zwischen der Band und dem Publikum, so gröhlte Astbury den Zuschauern "Oleeee, Oleeee Oleeee Deutschlaaaaaaand, Deutschlaaaaaaand" zu, um danach ein tosendes "Oleeeeee, Oleeeee, Oleeeee, The Doooooooooors, The Doooooors" zu kassieren.
Nach dem mitreissenden "Touch Me" zockte Robby Krieger noch den einzigen Song des Abends, der aus der Post-Morrison-Ära stammte. Mit "The Mosquito" stach dann der Spass am Spiel ins Ohr, Manzarek konnte sich vor Lachen kaum auf sein Keyboard konzentrieren und Robby "Guitarkrieger" ("It's our single spot of german") nuschelte den spanischen Text ins Mikro und rief bei nicht wenigen Frauen sofort die Beurteilung "süß" hervor.

Als die Band daraufhin wieder hinter der Bühne verschwand, um dieses Mal nicht so schnell wieder aufzutauchen wurde es richtig laut (also, richtig richtig laut)... Beinahe jeder klemmte sich zwei Finger zwischen die Lippen um die Band wieder auf die Bühne zu holen, und als der Manager der Band nach vorne kam und die Menge mit "Do you really wanna more?" über den Zenit der menschlichen Begeisterung pustete kam die Band wieder auf die Bühne (die deutsche Sprache gibt keinen Superlativ her, der den Beifall gebührend beschreiben könnte) um direkt ein krachendes "Light My Fire" loszulassen. Wäre menschliche Begeisterung gefährlich, so wäre hier genug Stoff vorhanden um den Planeten in eine andere Galaxie zu befördern. Noch in diesem Song gab die Band ihr bestes, angesteckt von der Stimmung des Publikums, und rockte den Song mit soviel Energie in den Äther hinaus, die jeder jüngeren Band die Schamesröte ins Gesicht treiben würde. Die letzten Minuten des Konzerts wurden gefeiert als wären es die letzten der Welt. Tanzende Menschen überall, mitgesungene Textpassagen, das ständige hin und her zwischen Band und Fans brannte sich unvergesslich in jede Erinnerung.

Nach mehr als zwei einhalb Stunden verabschiedete sich die Band mit mehreren Verbeugungen von der extatischen Menge, und verließ tief zufrieden, und von den Publikumsreaktionen überwältigt die Bühne. Das Volk ließ natürlich nicht locker, und der Applaus war wahrscheinlich noch bis nach Köln zu hören. Erst als die Roadies damit begannen, alles abzubauen verzogen sich die Fans in Richtung U-Bahn, die meißten mit einem fassungslosen Grinsen im Gesicht und glücklich über alle Maßen.

Ein einmaliges Konzert. Dass Zeit keinen Einfluss auf gute Musik hat wurde hier mal wieder eindrucksvoll bewiesen, THE DOORS OF THE 21ST CENTURY lieferten den Generationen, die in der Hochphase der Band zu jung, oder noch garnicht geboren, waren einen unglaublichen Beweis für die Intensität ihrer Musik, und den Zeitzeugen einen Beweis dafür dass nichts wirklich endlich ist.

Wie also hört sich Zeit an?

Unglaublich gut.


Setlist:
Roadhouse Blues
Break on Through
When The Music's Over
Riders On The Storm
Love Me Two Times
Unknown Soldier
Moonlight Drive (Louie Louie)
Wild Child
Alabama Song
Back Door Man
Five To One
Spanish Caravan
People Are Strange
Take It As It Comes
Not To Touch The Earth
Peace Frog
L.A. Woman
Touch Me
The Mosquito
Light My Fire

Redakteur:
Michael Kulueke

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