Vaya Con Tioz - Klettwitz

06.07.2005 | 21:03

17.06.2005, Eurospeedway

Die ONKELZ rocken zum letzten Mal vor 100.000 Leuten.

Samstag, 18. Juni
Ich kann mir wahrlich besseres vorstellen, als von Fascho-Mucke geweckt zu werden! Einige ganz Altkluge werden jetzt wieder anmerken, das gehöre auf einer ONKELZ-Veranstaltung doch dazu – nein, tut es nicht, aber auch hier gibt es ein paar Vollidioten. Das Bescheuerte ist, dass die Deppen, aus deren Richtung der braune Dreck schallt, als nächstes 'Julimond' spielen oder wie das heißt. Etwas verwundert und noch verstrahlt von der vorigen Nacht torkel ich zu unseren Nachbarn, welche die Szenerie kommentieren: "Einen breitgefächerten Musikgeschmack haben die ja: Alles von LANDSER bis XAVIER NAIDOO." Mittelalter-Rock dudelte zwischendurch auch noch. Kopfschütteln...
Dann ist erst mal in der Sonne aalen angesagt. Mit Frühstück von der als "Super-Markt" betitelten Bude, wo's auch in schwarzen Dosen "BOB" gibt – "Böhse Onkelz Bier". Es ist kurz nach zwölf, während Thomas im Zelt noch bis vier pennt. "Der müsste bei der Hitze doch langsam durchgebraten sein." - "Soll ich mal nach ihm gucken?" - "O ja, bring mir mal einen knusprigen Schenkel mit." - "Hm, lecker, Schweden-Braten." - "Am besten noch mit Bier bepinseln, dann wird er knuspriger." Hätte ich doch bloß meine Klappe gehalten! Nach sieben Stunden in der Sonne bin ich nämlich derjenige, dessen Beine gut knusprig gebraten sind. Später noch mit Doc Martens zum Konzert und das ganze ergibt dank der Reibung Verbrennungen ersten Grades.
Zu müde, sich aufzuraffen, verpassen wir an diesem Nachmittag einfach alles auf der Bühne: Angefangen bei PRO PAIN mit ihrem 'Terpentin'-Cover; über J.B.O., die dafür aus den Boxen meines Autos dröhnen. Nach dem Ende der ONKELZ werd ich mir die rosa Spaßrocker sicher öfter zu Gemüte führen. Auch IN EXTREMO müssen dran glauben. An dieser Stelle noch mal Respekt gerade für die Mittelalterrocker und J.B.O., dass sie nicht wie andere Bands trotz Zusage den Schwanz eingezogen haben und tatsächlich mit den ONKELZ die Bühne geteilt haben ("Gruß" an TURBONEGRO, MISFITS und MARKY RAMONE, dem in den USA mit Auftrittsverbot gedroht wurde; ersteren hatten zugemüllte Gästebücher). Während die alten Haudegen ROSE TATTOO die Hauptbühne rocken, wächst unsere Truppe immer weiter an. Aus allen Richtungen stoßen Zeltnachbarn hinzu, einer lallt im Vorbeigehen was vom 3:0 der Deutschen Nationalelf gegen Tunesien. (Für die Übertragung des Fußball-Confed-Cups wurde extra eine Leinwand auf dem Gelände aufgebaut.) Wohl noch angeregt vom "Kamera, Leinwand, Möpse raus"-Spielchen vom Vorabend, fordern unsere Nachbarn vorbeigehende Frauen lautstark zum Ausziehen auf. Und: Einige kommen der Aufforderung sogar nach. Und wenn nicht, folgt sogleich ein lautstarkes "Mc Fly, du feige Sau!" Als dann schließlich noch die finnischen Black-Thrashies CHILDREN OF BODOM die Bühne beackern, macht sich das dreckige Dutzend endlich auf den Weg zum Festivalgelände.

BÖHSE ONKELZ
In einer größeren Gruppe hat man irgendwie nicht so den Bock, sich bis nach vorn durchzukämpfen und dabei alle zu verlieren. Also bleiben wir am zweiten Abend kurz vorm hintersten Wellenbrecher stehen. Einen Bierstand im Nacken und eine Leinwand vor der Nase ist das auch gar keine schlechte Position. Außerdem wird einem hier hinten aus einem ganz anderen Blickwinkel klar, wie gigantisch dieses Festival ist. Auf der Leinwand läuft wieder das "Titten raus"-Spektakel, und nachdem an vorigen Abend zwei knutschende Mädels eingeblendet wurde, sind diesmal auch zwei Typen dran. Dann kommt ein filmähnliches Intro aus den Boxen, die ONKELZ betreten letztmals eine Bühne und machen gleich klar: 'Hier sind die Onkelz'! Ein letztes Mal noch. Am zweiten Abend sind die Songs der zweiten zwölf Jahre Tioz-Historie angesagt, und so schieben die vier gleich 'Dunkler Ort' nach. Gonzo trägt wieder den Strohhut, aber diesmal wenigstens ein schwarzes Hemd. Kevin trägt eine offene Jacke, die seine Wampe recht unvorteilhaft herausgucken lässt. ;-) Währenddessen schaut Stephan bei den ersten Songs etwas trübe aus der Wäsche, kommt dann aber in Schwung und genießt den allerletzten Gig.
Auf der Leinwand vor uns fällt die große Distanz zur Bühne (immer noch gut 500 Meter) übrigens in einer anderen Hinsicht auf: Bis bei uns die Songansagen akustisch angekommen sind, hat Stephan den Mund auf dem Bildschirm längst wieder geschlossen. Das irritiert auch etwas bei der stets leicht versetzten Übertragung der Songs. Bei 'Fahrt zur Hölle' klingt's dann auch seltsam: In den kurzen Pausen während der Anfangsriffs, die aus den Boxen vor uns kommen, hört man ein Dröhnen von ganz vorn – wohl die Riffs in Echtzeit. Keine Ahnung, warum dank der Boxen an den jeweiligen Leinwänden keine Zeitgleichheit hergestellt werden kann. Der guten Stimmung tut's, wie schon so oft, keinen Abbruch, und selbst hier hinten bilden sich bei 'Terpentin' kleine Moshpits. Den anschließenden Chorus der Hunderttausend dürfte dann umgekehrt recht zeitversetzt bei der Bühne angekommen.
Von 'Entfache dieses Feuer' vom weißen Album (1993) bis 'Onkelz vs. Jesus' von "Adios" (2004) wird so ziemlich alles präsentiert, was je live gespielt wurde. Angeblich sogar 'Das Messer und die Wunde', aber da war ich wohl am Bierstand. Dort kommt das Personal endgültig nicht mehr mit dem Bestellten nach, selbst die Bierfässer fangen schon an zu streiken. Währenddessen weht von der Bühne 'Für immer' und 'Koma – Eine Nacht die niemals endet' herüber. "Hoffentlich ist die Depri-Phase bald vorbei", stöhnt einer unserer "Mc Fly"-Truppe. Thematisch nicht ganz mit dem anschließenden 'Narben', aber wenigstens wird's wieder rockiger. Auch an diesem Abend kann ich mich angesichts der gewaltigen Fülle an Songs nicht mehr an den letzten vom regulären Set erinnern. Aber für den ersten Song der Zugabe reicht's noch: 'Feuer'! Noch einmal den Refrain von 'Auf gute Freunde' mitsingen – und dann die Gewissheit, dass es der vorletzte Song war.
Bangen im ganzen Publikum. Schweren Herzens tritt Stephan seinen letzten Gang zum Mikro an. Bedankt sich für das große Werk, an dem die Fans ihren Anteil hatten. Der Kloß in seinem Hals wird immer größer. Hunderttausend können ihre Tränen kaum halten. Ich hätte Gummistiefel mitnehmen sollen. Da stehen Schränke von Kerlen, zwei Meter groß, und heulen wie die Schlosshunde. Thomas lehnt schon an meiner Schulter, da packt es auch mich: Von der ersten bis zur letzten Reihe schallt es "Auf die Knie! Auf die Knie!" - 130.000 Menschen knien vor den ONKELZ nieder! Stephan, grad mitten im Satz, verschlägt es die Sprache. Mit hängendem Kopf muss er erst mal seinem Mikro den Rücken kehren. Kevin lehnt mit ebenfalls hängendem Kopf am Bühnenrand, reckt nur einmal kurz die Faust in die Luft, als die Kamera ihn auf die Leinwände wirft. Gonzo starrt wie paralysiert auf die niederkniende Menge. Dann packt er das Mikrophon und macht seine erste Ansage seit zig Jahren. "Die ONKELZ sind nicht tot" ruft er, "sie werden in euren Herzen weiterleben!" Stephan hat sich gefangen, holt Thomas Hess auf die Bühne und lässt das Publikum für den Keyboarder Stephan Weiler Applaus geben. Er will auch der ganzen Crew danken, doch verschlägt es ihm wieder die Sprache: "Wir danken euch! Wir danken euch!" schallt es über den Lausitzring. Aber es hilft alles nichts, Stephan muss die allerletzte Ansage seiner ONKELZ-Karriere machen: 'Ihr hättet es wissen müssen'. Die Menge liegt sich weinend in den Armen. Anschließend zieht es die ONKELZ ein letztes Mal zum Händeabklatschen in den Fotograben. Nur Kevin verlässt nach ein paar Worten mit Thomas Hess sofort die Bühne. Stephan kann indes gar nicht genug Hände schütteln. Nicht mit einem Lächeln wie sonst, sondern mit einem leeren Blick. Manche wollen ihn gar nicht loslassen, einmal gucken von Stephan nur noch die Füße aus der ersten Reihe.
Zum Abschluss kommt noch ein gigantisches Feuerwerk aus dem Dach der Tribüne geballert. Die Menge lässt trotzdem die Köpfe hängen. Selbst unsere Zeltnachbarn, die vorher noch lauthals über die "Heulsusen" herzogen, haben knallrote Augen. "Die haben mich mein halbes Leben begleitet", stöhnt Michael mit gedrückter Stimme, "die können doch nicht einfach aufhören!" Noch einmal geht's durch das große Ausgangs-Gedränge nach draußen, durch den Tunnel, in dem die Onkelz-Chöre immer besonders gut geschallt haben. Auf den Straßen bilden sich schon lange Autoschlangen, die darauf warten, nach dem Vorbeimarsch der Massen endlich den Heimweg antreten zu können. Der steht uns noch am nächsten Morgen bevor, und bei Hunderttausend bilden sich natürlich extrem lange Schlangen. Stoßstange an Stoßstange stehen die ONKELZ-Fans ebenso an einer Autobahn-Tankstelle, an der auch der ONKELZ-Dragster einen Zwischenstop einlegt. Natürlich wird das getunte Geschoss sofort von allen Fans umringt. "Und, was macht ihr jetzt ohne ONKELZ?" fragt der Dragster-Besitzer. Also ich für meinen Teil hab auf der Rückfahrt erst mal viel J.B.O. gehört. Und ansonsten bleibt die eingangs beschriebene Erinnerung: An den Fick des Jahrhunderts nach einer jahrelangen Beziehung.

Stephan, Kenvin, Gonzo, Pe: Legenden sterben nie! Vaya con tioz! Respekt. Mach's gut Alder. Alder, mach's gut!

Redakteur:
Carsten Praeg

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