DISSECTION - Reinkaos
Mehr über Dissection
- Genre:
- Death/Black Metal
- Label:
- Black Horizon Music/
- Release:
- 30.04.2006
- Nexion 218
- Beyond The Horizon
- Starless Aeon
- Black Dragon
- Dark Mother Divine
- Xeper-I-Set
- Chaosophia
- God Of Forbidden Light
- Reinkaos
- Internal Fire
- Maha Kali
Chaos ist laut. Hammerlaut. Mit "Reinkaos - A Sonic Invocation To The Endless Dark Aeon" ist das neue DISSECTION-Album überschrieben - das erste Album nach dem ausführlich diskutierten Knastaufenthalt wegen Mordbeteiligung von Bandgründer Jon Nördveidt, die erste Scheibe nach dem Jahrhundertwerk "Storm Of The Light's Bane" aus dem Jahr 1995. Die Messlatte liegt dementsprechend hoch, die Erwartungshaltung der (noch) verbliebenen Fans scheint außerordentlich groß: Haben es DISSECTION geschafft, nach der kontrovers aufgenommenen "Maha Kali"-Single aus dem vergangenen Jahr, doch noch einmal ein Wunder wie in alten Zeiten zu erschaffen? Zum Teil. Ja, weil sie es gewagt haben, ihren Sound neu auszurichten und keine seelenlose Kopie eines sowieso nicht mehr zu schlagenden Albums produziert haben. Nein, weil ihre neue Art von melodischem Death Metal zwar ohne Ende drückt und beeindruckend finster klingt, aber rein musikalisch keine bahnbrechende neue Entwicklung aufzeigt. Will heißen: Früher waren DISSECTION noch absolute Innovatoren an der Speerspitze des Death- und Black Metals. Heute spielen sie mit "Reinkaos" auch noch in der ersten Liga - allerdings ohne dass dieses Album einen "Legendenstatus" erreichen könnte. Genial hört es sich trotzdem an.
Schon das akustische Intro 'Nexion 218' gibt den Weg vor, klingen doch die leisen Gitarren zu Beginn wie noch zu seligen "Storm Of The Light's Bane"-Zeiten, doch dann werden die sanft-bedrohlichen Töne von militärischen Schlagzeugwirbeln und tonnenschweren Riffs im mittleren Geschwindigkeitsbereich abgelöst. Nach der fiesen Eingangsbeschwörung "Zazas Zazas Nastanada Zasas" wirbeln DISSECTION mit 'Beyond The Horizon' los. Schon hier wird klar - außer in ihren Texten haben die Schweden nichts mehr mit Black Metal am Hut. Vielmehr spielen sie nun eine hochdynamische Variante melodischen Death Metals. Allenthalben werden sie deswegen mit IN FLAMES verglichen - was nur insofern richtig ist, dass DISSECTION schlicht die packenderen Melodien bieten. Und die bessere Hand für abwechslungsreiche Songs haben. Und mit Jon Nördveidt einen giftig brüllenden Sänger, der seine Stimme so rau und teuflisch wie nie klingen lässt. Ein Track wie etwa das mit einem genialen Video versehene 'Starless Aeon' ist schlicht berückend grausam in seiner Härte, seinem Variantenreichtum, seiner gnadenlosen Wucht nach vorn.
Auch textlich hat sich Bandleader Nördveidt einiges "einfallen" lassen: In jedem Stück wird einer anderen Form des Bösen gehuldigt, satanische Ritualsprüche wie beispielsweise "Ishet Zenunim Taninsam Ama Lilith, Liftoach Kliffot" aus dem grandiosen 'Dark Mother Divine' finden sich in jedem der elf Songs - wobei diese Zahl auch bewusst gewählt scheint, wie die abschließende Textzeile "Eleven Shall Bring The End" in 'Beyond The Horizon' vermuten lässt. Laut dem wunderbar gestalteten Booklet sind solche Ideen und Formeln aus dem Buch 'Liber Azerate' und von den Lehren des Misanthropic Luciferian Order (MLO) übernommen - was für durchschnittliche Menschen lächerlich klingen mag. Doch betreiben DISSECTION und insbesondere Jon Nördveidt diese finstere Lebeneinstellung mit bedingungsloser Hingabe. So sagt die Philosophie des von der Band propagierten antikosmischen Satanismus, dass sich der Mensch über das All und seine Ordnungsvorstellungen selbst hinwegsetzen soll. Satan existiert in dieser Vorstellung durchaus, jedoch nicht im mittelalterlichen-körperlichen Verständnis sondern in Form von elf kliffotischen Kräften: Naamah, Lilith, Samael, Baal, Belfegor, Asmodeus, Astaroth, Rofocale, Beelzebuth und Satan sowie Moloch. Um diese Kräfte herum bauen sich Rituale auf... das Ziel ist Chaos. Die Einheit dieser Kräfte wird "Azerate" genannt, die alles vereinende Strömung der "Current 218". Dieses Konzept der Transzendenz des Kosmos und der Anerkennung des Schöpfers als Feind regt nach Vorstellung von DISSECTION zu unendlicher Kreativität an, dass Überwinden kosmischer Grenzen erfordere besondere Kräfte und mache jeden, der es versucht und verwirklicht, überlegen gegenüber jenen, welche sich nicht aus ihren natürlichen Formen lösen können oder wollen. Eine durchaus elitäre Sicht auf die Welt, aber definitiv kein streng rechtsextremes Denken, wie es oft der Band unterstellt wird. Kritisieren lässt sich daran jedoch, dass solche Ideen nahe bei sozialdarwinistischen Vorstellungen liegen, dass Stärkere "natürlicherweise" gegen Schwächere gewinnen müssen. Jedoch: Bei DISSECTION kommt die Vorstellung der eigenen Überlegenheit durch die eigene Kreativität, nicht durch einen "rassischen" Vorteil - das ist der Unterschied, den die vielen Kritiker der Band gern übersehen. Dennoch: "Menschenverachtend" und "demokratiefeindlich" lässt sich natürlich solch ein Blick auf die Welt durchaus schimpfen - die Homepage der MLO und ihre dort propagierten Wert geben allen Anlass dazu - doch ist dies sehr verbreitet im Black Metal. Misanthropischer Hass auf alles, nicht bezogen auf bestimmte "Rassen" oder "Gruppen" wie im Rechtsextremismus üblich.
Und gerade mit Hilfe dieser natürlich diskussionswürdigen Ideenwelt scheint Nördveidt in den langen Jahren seines Gefängnisaufenthalts seine Kreativität erhalten zu haben. Die meisten Riffs der Stücke auf "Reinkaos", so steht es auch im Booklet der CD, wurden noch im Knast geschrieben und sie verstehen es meisterhaft, diese düstere Lebensphase in dunkle Musik zu packen. Songs wie 'Xeper-I-Set' sind nämlich nicht nur echte Metal-Kracher, sondern besitzen in der Tat noch immer die unvergleichlich sinistre Atmosphäre, die DISSECTION immer schon ausgezeichnet hat. Auch das viel gescholtene 'Maha Kali' findet sich auf "Reinkaos" wieder - allerdings deutlich besser produziert und dynamischer ausgestaltet als noch auf der Single; die Entwicklung des Songs hatte sich schon auf der viel umjubelten Tour bemerkbar gemacht. Nun ist er einen würdigen Stampfer zum Ausklang, böse und eindringlich schreit sich Nördveidt die kehlige Stimme aus dem Hals. Weitere Highlights sind das mit einem völlig grandiosen Drive versehene 'Black Dragon' oder das hypnotisierend schicke 'Reinkaos'-Instrumental - im Prinzip ist jedes der Stücke auf "Reinkaos" die vertonten Anbetung der Dunkelheit. Der Dunkelheit, welche für DISSECTION das Licht Lucifers ist.
So bleibt ein würdiges und rundum überzeugendes Comeback, das sich ganz bewusst nicht mit den alten Glanztaten vergleichen will. Wie auch? Erfolg hat die Band hoffentlich trotzdem mit diesem neuen Kurs. Dafür gründeten Nördveidt und Co. ihr eigenes Label Black Horizon Music - um nicht mehr von normalen Plattenlabeln abhängig zu sein, frei zu bleiben. Das neue Album haben sie zudem bei mp3.com als Stream online gestellt - eine mutige Aktion, die das Selbstverständnis von DISSECTION anno 2006 dokumentiert. Hier will eine Band für ihre Fans da sein und für sie Metal mit satanischer Philosophie spielen und leben. Das ist die beste Nachricht des neuen DISSECTION-Albums - auch wenn die von der Band propagierte Ideologie durchaus fragwürdig ist und auch von ihren Fans kritisch hinterfragt werden muss.
Anspieltipps: Alles - ein Album in einem Stück...
- Redakteur:
- Henri Kramer