ELUVEITIE - Evocation I - The Arcane Dominion
Mehr über Eluveitie
- Genre:
- Folk
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Nuclear Blast
- Release:
- 10.04.2009
- Sacrapos - At First Glance
- Brictom
- A Girls Oath
- The Arcane Dominion
- Within The Grove
- The Cauldron Of Renacence
- Nata
- Omnos
- Carnutian Forest
- Dessumiis Luge
- Gobanno
- Voveso In Mori
- Memento
- Ne Regv Na
- Sacrapos - The Disparaging Last Gaze
"New Wave Of Folk Metal" ohne Metal und dennoch ein neuer Meilenstein der Bandgeschichte.
Die Spannung und das Warten haben ein Ende, nun ist das neueste Werk der keltisch-gallischen Spielleute veröffentlicht: ELUVEITIE, die schweizer Export-Pagan-Formation numero uno, verlassen ihre wohlbekannten und vorerst mehr als erfolgreich beschrittenen metallischen Pfade für zwei vollständige Alben, um sich rein akustisch zu betätigen. Das erste Werk dieses Experiments liegt nun in meinen Händen und ist auf den verheißungsvollen Namen "Evocation I - The Arcane Dominion" getauft. Gänzlich ohne verzerrte Gitarren dreht die Vorzeigeband der New Wave Of Folk Metal den Metalcore-Elementen im gewohnten Sound den mit blauen Linien tätowierten Rücken zu und wendet sich voller Neugierde und entspannter Offenheit dem Folk und der Mittelalterklabauterei zu.
Grimmig blickt der gehörnte Herr – nein, ausnahmsweise kein Teufelchen – dem Hörer von der Platte entgegen und verheißt einem in recht eindeutiger Mimik: "Du wirst nun ein Reich voller Mythen und längst vergessener Geheimnisse betreten. Entledige dich deiner Erwartungen und öffne dich für eine neue Erfahrung, lass mich die Grenzen deines musikalischen Horizonts niederreißen. Bist du bereit, so beginne deine Reise!" 'Sacrapos – At First Glance' eröffnet das Reigen mit einer getragenen, exotischen Melodie, unterlegt von einem tiefen Raunen. Nachdem uns eine sonore Männerstimme auf das folgende Klangexperiment eingestimmt hat, folgt mit 'Brictom' eine fröhliche und in seiner Leichtigkeit erbauliche gallische Weise, angereichert mit der ersten Überraschung: Nicht Chrigel übernimmt den Hauptteil des Gesangs, sondern vielmehr Anna Murphy und Meri Tadic. Die beiden Damen haben auch schon auf den Vorgängerwerken von ELUVEITIE für beeindruckende Abwechslung gesorgt. Am ehesten zu vergleichen ist der Gesang vielleicht mit 'Slanias Song' vom 2008er Album "Slania". Chrigel ist zwar an verschiedenen Stellen des Albums hier mal mit stimmungsvoll gekrächzten Beschwörungsformeln und dort mit gegrowlten Flüchen zu hören, spielt aber deutlich die zweite Geige. Dieses Arrangement erstreckt sich über die gesamte Platte und lässt den beiden Damen zum einen den Raum, sich zum ersten Mal voll in ihrem Talent und in ihrer stimmlichen Variation entfalten zu können, und erzeugt zum anderen eine warme, geradezu samtig-weiche Atmosphäre.
Das Album ist voller längerer und kürzerer Passagen folkiger Melodien und lässt sich durch die Bandbreite der heraufbeschworenen Stile und Stilbrüche nur schwierig einordnen. Manchmal klingen Gruppen wie GARMANA und ähnliche Folk-Konsorten an, mal wird es mittelalterlicher mit Zitaten von CORVUS CORAX, mal entführen uns ELUVEITIE in die phantastischen Welten von OMNIA oder QNTAL. Doch genau darin liegt die Stärke dieses Albums. In sich geschlossen harmonierend, wird das Akustikkonzept der Platte voll und umfassend entwickelt, bedient sich aber nicht allzu offensichtlich an Vorbildern oder biedert sich gar an bekannte Genrevertreter an. Vielmehr ist es das ELUVEITIE-Konzept, das konsequent in eine folkig-geheimnisvolle Richtung weiterentwickelt wurde und mit den ersten Tönen das einzigartige Gefühl der den Schweizern eigenen Authentizität heraufbeschwört. Wie in unserem Interview mit Chrigel nachzulesen, haben sich die Beteiligten Musiker in den letzten Jahren nicht nur mit größtem Engagement dem Meistern ihrer Instrumente gewidmet, sondern sind auch im Songwriting gereift. Und so passiert es, dass auch Songs ohne die hundertmal durchgekauten Mittelalterrockklischees unwillkürlich zum abgehen einladen, wie es das spontane und explosive 'The Cauldron Of Renascence' in all seiner Kürze weismacht. In solchen Momenten greift die volle Instrumentierung und beschwört ein derartig intensives Klangpanoptikum herauf, dass man sich beinahe überrollt fühlt und der Mund ob dieser vielfältigen Harmonien offen steht.
Doch wie erwähnt bleibt die Band keinesfalls bei tanzbaren Melodien stehen, sondern eröffnet dem Hörer in ruhigen Momenten die gesamte Wunderlichkeit der traumhaft-vergessenen und mehrere tausend Jahre alten Welt der gallisch-keltischen Mythen. So erzählen uns getragene Geigen und bedächtig gespielte Flöten von Dingen, die gleichzeitig fremd und doch selbstverständlich sind, gleichsam wie in Bernstein eingefasste Versprechen unserer Vorfahren. In 'Carnutian Forest' bricht das frühe Sonnenlicht im Morgentau und wirft seine Strahlen an die Wände des heimischen Wohnzimmers, 'Nata' lässt die eigentümlichen und schweren Gerüche und Geräusche eines Druiden- oder Schamanenrituals direkt vor dem geistigen Auge entstehen und man wird geradezu gezwungen, im Takt des Gesang mitzuwippen, allein, um die Beschwörung nicht zu unterbrechen. Gerne ist man bereit, sich von einer hübsch bemalten Keltin durch das heimische Dorf führen zu lassen und ergreift voller Neugierde die entgegengestreckte Hand, während sie von ihren Erlebnissen in 'Ne Regv Na' erzählt. Auch dramatische Momente erwarten einen auf diesem Album: In 'Dessumiis Luge' steigert sich die Erzählung immer weiter und mündet in ein Gänsehaut-erregendes Finale voller Kraft und hoffentlich lebensbejahender Freude.
Fünf Gastmusiker runden die Sache ab und binden sich wunderbar in das Album ein. Chrigel erwähnte in unserem Interview, dass er den befreundeten Musikern sehr viel Freiraum gelassen hat, und so entfaltet sich das Können der eingeladenen Folker auf fesselnde Art. Ich wage es nicht, ein Instrument aus dieser faszinierenden Klangwelt herauszuheben, ergänzen sich die gespielten Noten doch zu einem derart schlüssigen Ganzen, dass eine spezielle Exklusion fatal wäre – und der Sache überhaupt nicht gerecht würde. Da das ganze Album in Eigenregie abgemischt wurde, hören wir hier den ungefilterten ELUVEITIE-Sound, genau so, wie es sich die Musiker im Vorfeld vorgestellt hatten. Ich denke darin liegt ein weiterer wichtiger Punkt, warum dieses Album so authentisch und direkt aus den Boxen schallt. Nichtsdestotrotz treiben und bollern gerade der Bass und das Schlagzeug deftig und am ehesten "fett produziert" in der Basis des Sounds und stellen auf diese Weise die Brücke zu den Metal-Alben der Band dar. Denn auf diese Art geraten auch die bewusst auf Spiel und Spaß ausgerichteten Songs deutlich rockiger und werden sich in Zukunft mit Sicherheit im Live-Set der Band wiederfinden lassen.
Fazit: Ich kann jedem auch nur halbwegs Folk-Interessierten von Herzen raten, sich diesem Experiment zu öffnen und das häufig geschmähte Wagnis einer nicht-metallischen Klangreise einzugehen. Auf diesem Album vereinen sich die spannenden Ideen und originellen Einfälle eines schweizerisch-gallisch-keltischen Folk-Kreativ-Experiments mit dem gewohnt auf Spaß und Abgehen ausgelegten Songwriting der ELUVEITIE, wie wir sie kennen. In diesem Sinne: Ein Hoch auf die mutige Entscheidung, dieses Akustikalbum zu machen, anstatt auf Nummer sicher zu gehen. Hopp Schwiiz, Hopp ELUVEITIE!
Anspieltipps: Brictom, Omnos, Carnutian Forest, The Arcane Dominion, etc.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Julian Rohrer