GODOJ, THOMAS - Mundwerk
Mehr über Godoj, Thomas
- Genre:
- Rock
- ∅-Note:
- 7.50
- Label:
- Tomzilla/Soulfood
- Release:
- 23.09.2016
- Hallo Zeit
- Lebendig
- Neonlicht
- Glück
- Das wilde Herz
- Rätsel
- Mensch sein
- Sechster Sinn
- Du bist dabei
- Frequenzen
- Mundwerk
- Vorhang auf
Ein (zu?) gutherziges Album des besten deutschen Rockers.
Dass ich ein Fan von THOMAS GODOJ bin, wird hier vermutlich keinen mehr überraschen. Seine letzten beiden Alben "V" und "V’Stärker Aus" waren exzellent und mittlerweile sind mir auch viele Lieder von davor ans Herz gewachsen. So habe ich dann auch ohne große Zweifel an der Crowdfunding-Aktion für das aktuelle "Mundwerk" teilgenommen, und durfte in diesem Rahmen mit einer Schar anderer musikverrückter Fans ein einmaliges Wohnzimmer-Konzert in einem feinen kleinen Club am Ufer des Ammersees erleben.
"Mundwerk" lag zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Wochen auf dem Schreibtisch und dieses Konzert hätte eigentlich den zwiespältigen ersten Eindruck ins Positive wenden sollen. Nun liegen zwischen diesem Event und dem Jetzt auch schon wieder Monate, eine Zeit, in der "Mundwerk" sicherlich mehrere Dutzend mal lief. Das Resultat?
Nun, die erste Erkenntnis ist, dass "Mundwerk" absolut großartig produziert ist. Ich habe selten so einen vollen, warmen, klaren, transparenten und zugleich voluminösen Klang gehört, und die lebendige Art und Weise, wie der Gesang aufgenommen ist, ist mal wieder das Maß aller Dinge. Hier steht die Höchstnote.
Die zweite Erkenntnis ist, dass "Mundwerk" textlich wie musikalisch einen deutlich positiveren Ton anschlägt als "V", das in erster Linie ein Befreiungs-Album war. "V" war bisweilen sogar trotzig wild, was mich beim Erstkontakt massiv überraschte, und es thematisierte größtenteils Thomas' Abnabelung vom kommerziellen Musikgeschäft. Damals schrieb ich, dass mich jetzt sehr interessieren würde, was Thomas jenseits dessen so bewegt, und "V’Stärker Aus" war eine beeindruckende musikalische Antwort, ein ganz besonderes Akustik-Album, das die Höchstnote einforderte. Auf "Mundwerk" gibt es nun musikalisch aber auch textlich Neues. Thomas geht es gut wie schon lange nicht mehr. Schon die Songtitel sagen es: 'Lebendig'. 'Glück'. 'Mensch sein'. Thomas möchte Gefühle und Werte wie Menschlichkeit, Freundschaft und (Nächsten-)Liebe weiter geben. Das ist ein edles Ansinnen, gerade in diesen Zeiten des Verfalls zwischenmenschlichen Miteinanders. Und wer den Künstler ein wenig kennt, weiß, wie wichtig ihm diese Botschaften sind. Darüber hinaus geht es auch immer wieder darum, die Dinge der Welt positiv zu sehen, und dabei auf die innere Stimme zu hören, beispielsweise wenn es gilt, Entscheidungen zu treffen, oder aber den Tod eines Freundes zu verarbeiten.
Nun ist es leider so, dass einige dieser positiven Songs bei mir immer und immer wieder durchs Ohr rutschen. Da helfen auch die beste Stimme und der beste Klang nichts, aber wenn für Thomas die Sonne aufgeht ('Lebendig') schau ich immer wieder lieber auf die Uhr (ohne Stunden?), auch das federleichte 'Glück' ist vielleicht schön für ihn, aber leider nicht mehr als "ganz nett" für mich und mein Ohr. Nein, dieses locker-flockige in Thomas' Musik liegt mir einfach nicht. Und hätte ich 'Mensch sein' als allerersten Song von THOMAS GODOJ gehört, wären wohl all meine vorherigen Vorurteile (seichter Casting-Star mit schnulzigen Lyrics) bestehen geblieben. Und ich muss neuerdings dabei immer an "Lindenstraße" denken, was die Sache nun nicht gerade besser macht. Deutsches Fernsehen ist einfach... ach lassen wir das.
Nun aber zur dritten und wichtigsten Erkenntnis: "Mundwerk" kann mich mit einigen Songs am Ende einer langen, intensiven Hörzeit doch noch erreichen. Der Titelsong ist ganz fein und beschreibt mit schönen Worten das, was Thomas als Künstler ausmacht. Dazu gehört auch musikalische Offenheit, die sich bei der Einflechtung eines coolen Sprechgesang-Parts (gesungen von SAID Hoodrich) zeigt. Mutig und gut, mehr davon! 'Das wilde Herz' und 'Sechster Sinn' sind auch schöne Songs und erinnern mich nicht zum ersten Mal gerade bei der Gitarrenarbeit ein wenig an U2.
Aber Godoj ist immer dann am stärksten, wenn er es so richtig rocken lässt. An Kracher wie 'Ein Tag im Leben eines Anderen', 'Niemandsland' (beide vom bockstarken "So Gewollt"-Album) oder 'Beste Entscheidung' (von "V") kommt diesmal zwar kein Song so ganz ran, aber zwei Songs, die dieses Hard-Rock-Attribut verdienen, reihen sich dann doch ein. Zum einen der flotte Opener 'Hallo Zeit', bei dem man richtig fühlt, wie eben jene immer schneller durch die Finger rieselt, und dann mein großer Favorit 'Rätsel': Hier zeigt sich Godoj endlich auch mal etwas bissiger, was mir deutlich mehr zusagt als solch allzu gutherzige Zeilen wie "ich trag dich in mir jeden Tag" (auch wenns gut gemeint ist und den Verlust eines geliebten Menschen thematisiert) oder wie "das Glück fliegt von dir zu mir" (lieber Thomas, letzteres ist nun wirklich furchtbar, brrr). Vielleicht bin ich dafür aber auch nicht romantisch genug.
Bei aller Kritik ist mir aber dennoch wichtig, zu betonen, dass THOMAS GODOJ für mich auch mit diesem Album noch ein Glanzlicht des deutschsprachigen Rocks darstellt. Er hat nämlich wie schon früher durchweg hochwertige Musik aufgenommen, die in allen Lebenslagen funktionieren kann und damit Langzeitwert garantiert. Daran ändert sich auch nichts, wenn ich sage, dass für mich hier die katalytische Menge Wut und Leid fehlt, die oft ein gutes Album zu einem Top-Album macht. Darauf hoffe ich (musikalisch versteht sich, nicht persönlich) eben wieder für das siebte Album und versuche weiter, Thomas' freundlichen Liedern ebenso freundlich entgegen zu treten. Und vielleicht gibt es mal eine Lebensphase, in der sie doch noch zünden.
- Note:
- 7.50
- Redakteur:
- Thomas Becker