HEAVEN SHALL BURN - Wanderer
Auch im Soundcheck: Soundcheck 09/2016
Mehr über Heaven Shall Burn
- Genre:
- Death Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Century Media
- Release:
- 16.09.2016
- The Loss Of Fury
- Bring The War Home
- Passage Of The Crane
- They Shall Not Pass
- Downshifter
- Prey To God
- My Heart My Compass
- Save Me
- Corium
- Extermination Order
- A River Of Crimson
- The Cry Of Mankind
In steter Bewegung. Immer weiter. Immer weiter.
Es erscheint beinahe zu offensichtlich, "Wanderer" aus der Perspektive eines Reisenden zu beschreiben. Jemandem, der sich aufgemacht hat, etwas zu finden, ohne genauer zu wissen, was denn eigentlich. Jemandem, der jedoch tief in sich die Überzeugung trägt, dass es etwas zu finden gibt. Jemandem, der auf seinem Weg Hindernisse überwinden und Herausforderungen meistern muss, der den Pfad verlässt, eine neue Richtung einschlägt, nur um auch diese nach einiger Zeit wieder in Frage zu stellen. Und jemandem, der ankommt, wann und wo auch immer – am Ende hat aber genau dieses Ziel seine Richtigkeit. Ja, es erscheint zu offensichtlich zu sein, diesen Ansatz für das neue HEAVEN SHALL BURN-Album zu wählen. Doch ich komme bei all diesen Bildern, die sich vor meinem geistigen Auge abspielen, einfach nicht drumherum.
Der Aufbruch, der erste Morgen, der Fokus auf das große Vorhaben: 'The Loss Of Fury' leitet mit seiner schwarzmetallischen Atmosphäre als langsamer Stampfer in ein Album ein, das ich als großer Fan der Band so nicht erwartet hätte. "Wanderer". Der Name ist Programm.
Adrenalin pumpt, die Lust ist groß, der Wille stark, die Energiespeicher voll: Folgt man dem Titel, so wollen die fünf Thüringer den Krieg tatsächlich nach Hause holen. 'Bring The War Home' ist einer der aggressivsten Songs der Platte, stilistisch nah an dem besten bis dato mit Elektroelementen geschmückten Song HEAVEN SHALL BURNs: 'Combat'. Man nehme eine Prise der flotteren Tracks jüngerer Zeit hinzu und heraus kommt der vielleicht stärkste Track des Albums gleich an vorderster Stelle. Die Band hatte schon immer ein Händchen für gute Eröffnungen.
Die Muskeln sind aufgewärmt, die ersten Schritte getan, Leichtigkeit darüber, dass man endlich dabei ist und im Moment leben kann, macht sich breit: Wer schwedischen Melodic Death mag, der wird in 'Passage Of The Crane' sein Glück finden. Wunderbare Gitarrenarbeit, welche diesen Song zu einem weniger harten, jedoch umso runderen werden lassen. Sehr schick.
Die ersten Aufstiege stehen an und ganz so einfach, wie es von unten aus dem Tal aussah, ist die Angelegenheit dann doch nicht: Der "Deaf To Our Prayers"-Einschlag in 'They Shall Not Pass' ist nicht diskutierbar. Diese spezielle Art von Druck, den nur das 2006-Werk ausstrahlt, wird auf "Wanderer" fein mit einzelnen melodischen Tönen umgarnt; die Gitarrenfraktion Dietz/Weichert steht hier für die Reduktion auf das Wesentliche.
Der Gipfel ist nicht mehr fern, doch die Nebelwolke, in die man eingedrungen ist, verhindert einen klaren Blick auf das, was noch ansteht: 'Downshifter' ist mit Sicherheit einer der spannendsten Songs auf der Scheibe, die Marcus Bischoff einmal mehr leidenschaftlich in Grund und Boden brüllt. Das liegt weniger daran, dass es ebenfalls eine gelungene Kombination aus Krach, Atmosphäre und Melodie gibt, sondern vielmehr an der introvertierten Ausstrahlung des Tracks. Zu dem man sich trotzdem zerlegen kann. Faszinierend.
Oben angekommen, nach all der Zeit, endlich, doch das ist nicht das Erwartete – und überhaupt, was macht dieser Fremde hier: Wenn abseits von 'Bring The War Home' ein einzelner Track herausragt, dann ist es 'Prey To God'. Wer hätte gedacht, dass HEAVEN SHALL BURN dazu in der Lage ist, einen unfassbar starken Song zu schreiben, der halb HSB, halb CC ist. CC? Ja, CANNIBAL CORPSE. Und Corpsegrinder aka "Der Nacken" George Fisher ist ebenfalls dabei, um sich mit Mr. Bischoff einen Schreiwettbewerb zu liefern, bei dem es nur Sieger gibt.
Erst der große, existentielle Moment, dann die Leere: 'My Heart Is My Compass' bedeutet Innehalten. Durchatmen. Bereitmachen für alles Weitere.
Die andere Seite, natürlich anders, als man sich das vorgestellt hat, doch weiter, immer weiter: Wenn man den vielleicht typischsten HEAVEN SHALL BURN-Song auf "Wanderer" ausmachen müsste, dann ist es höchstwahrscheinlich 'Save Me'. Das sage ich mich größter Ehrfurcht, denn hier haben wir die beste Einleitung ins Gebretter, das thrashigste Riff, die stärkste Hook, die besten Ride-Passagen, das schlichte, songdienliche Solo. Alles sich nicht zwingend aufdringend, aber manchmal muss man die Großartigkeit der Dinge, die Schönheit des nahezu Gewohnten auch erkennen wollen.
Wenn Leichtigkeit ins Spiel kommt, wenn es bergab geht und die Wolkendecke aufbricht, dann tänzelt und pfeift man, Schwere erscheint absurd: Hört man 'Corium', kommt man schnell zu dem Gedanken, hier könnte auch Johann Hegg drübergrölen und seine Wikinger in die Schlacht schicken. Es hängt weniger mit diesem Umstand zusammen, dennoch ist das die Nummer, die ich auf der gesamten Scheibe für am wenigsten gelungen halte. Die Hymnenhaftigkeit geht in einen Hauch von Beliebigkeit unter, die Aggressionen wirken gleichzeitig eher wie Erinnerungen an wirklich schwierige Momente.
Falsch, hier geht's nicht weiter, verdammt, wohin bloß, schnell da entlang: Der Hektik, die 'Extermination Order' mit sich bringt, kann man sich schwer entziehen. Starke Hook, viel Punch, knackige Spielzeit. Wer braucht schon mehr als vier Minuten?
Was zur Hölle soll das alles, Blick zurück, nein niemals: HEAVEN SHALL BURN hat sich dazu entschlossen, das Album nicht an letzter, sondern an vorletzter Stelle zusammenzufassen. 'A River Of Crimson' ist ein melodisches Tribut an den gesamten bisherigen Weg und die Vergewisserung, dass auch alles, was bis dato passiert ist, nicht vergebens war.
Offenbarung in der Ferne: Eines der schönsten Dinge am Reisen ist, dass man neue Dinge kennenlernt, sich Perspektiven eröffnen, man sich mit dem Fremden auseinandersetzen muss. Das Krachkommando tut dies auf "Wanderer" einmal mehr – und einmal mehr erfolgreich. Unterstützt von SÓLSTAFIRs Aðalbjörn Tryggvason gerät das MY DYING BRIDE-Cover 'The Cry Of Mankind' zum wehmütigen Klagelied auf dem Heimweg.
Was bleibt am Ende dieser Reise? Ganz einfach: Die Reise selbst.
"Wanderer" ist im Vergleich zum (überragenden!) Vorgänger "Veto" eine Platte, die weniger auf das Hitpotenzial der einzelnen Nummern setzt, sondern stattdessen viel mehr als Ganzes zu verstehen und aus meiner Sicht auch zu hören ist. Auf der Suche nach Songs, die man unbedingt im Live-Set haben möchte, wird jeder seine Favoriten finden, aber der Kern dieser Platte ist das Erlebnis in seiner Vollständigkeit. Eine Platte mit einer kompakten Gesamtatmosphäre, einer Stimmung, die HEAVEN SHALL BURN in dieser Art und Weise noch nicht so umfassend und fokussiert destilliert hatte. Spannend, mutig, mit Substanz – kein Erfolg auf Rezept. Der ewige Weg nach vorne: Ich bin beim nächsten Mal sofort wieder dabei.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Oliver Paßgang