HELHEIM - Rignir
Auch im Soundcheck: Soundcheck 04/2019
Mehr über Helheim
- Genre:
- Black Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Dark Essence (Soulfood)
- Release:
- 26.04.2019
- Rignir
- Kaldr
- Hagl
- Snjóva
- Ísuð
- Vindarblástr
- Stormviðri
- Vetrarmegin
Songs, die ätherische Reinheit ebenso atmen wie wuchtige, unbezähmbare Urgewalt; Klarheit wie Grimmigkeit.
Bergens HELHEIM, seit siebenundzwanzig Jahren im heidnischen Dienste, ist eine der kreativsten und verlässlichsten Größen des norwegischen Metals, und sie hebt dieser Tage ihr zehntes vollständiges Studioalbum "Rignir" aus der Taufe. Oder sollten wir sagen, aus der Traufe, denn das Werk widmet sich zuvorderst dem Regen, der die Heimatstadt der Norweger gerne mal ausgiebig heimsucht, und anderen subpolaren Wetterphänomenen. Dazu passt bereits das spirituell effektive Artwork, mit welchem Tom H'grimnir Korsvold dieses Motto so schlicht wie effektiv und packend in Szene gesetzt hat; und dazu passt das unglaublich erdige, natürliche und doch massige Klangbild des Albums, das seinesgleichen sucht. Hier haben Bjørnar Erevik Nilsen und Herbrand Larsen im Conclave & Earshot Studio wirklich ganze Arbeit geleistet.
Widmen wir uns sogleich den Songs, dann reißt schon das eröffnende Titelstück den Hörer mit, wie man es erwarten und sich erhoffen durfte. Allerdings geht die Band hierbei keineswegs ausgetretene Pfade, sondern sie präsentiert sich so kreativ und mutig, gleich zum Einstieg ein unheimlich entspanntes und zurückgelehntes Stück zu präsentieren. 'Rignir' hat durchaus seine postrockige Dimension, und es ist durchgehend mit klarer Stimme gesungen. Die Reise durch die Wettereskapaden Westnorwegens beginnt also mit einem sanften spätsommerlichen oder herbstlichen Regen, der allerdings bereits langsam ein klammes Gefühl hinterlässt. Schon bald wird es kalt, so ahnen wir, und genau dieses Szenario präsentiert 'Kaldr'. Härter, grimmiger, massiver jagt der zweite Song aus den Boxen. Stürmischer Wind peitscht uns den Regen nun ins Gesicht; V'gandr und H'grimnir mischen nun ihr schwarzmetallisches Gesangsspektrum mit voluminösen dunklen Chören und einem Hauch der Melodik eines nicht ganz unbekannten Albums namens "Fallen", doch dabei stilistisch stets tief im HELHEIM-Kosmos verankert.
Die Differenziertheit der Produktion lässt das Werk irrsinnig dynamisch erscheinen, jede Facette eines jeden Instrumentes atmet und strahlt. Selbst wenn die Riffs der beiden Rhythmusgitarren mit aller Urgewalt über den Hörer herein brechen, kann Noralfs Solo noch Akzente setzen, V'gandrs Bass noch die Seele zum Beben bringen und Hrymrs Schlagzeug den Boden zittern lassen. Alles liegt bei aller Dramatik und Wucht sehr klar und transparent vor dem Hörer und gibt ihm die Möglichkeit sich in Details ebenso zu vertiefen, wie sich von der Atmosphäre und den Klanglandschaften tragen zu lassen. 'Hagl' ist hierfür ein großartiges Beispiel, das die dynamische Bandbreite der Produktion voll ausnutzt, von der hintergründigen Einleitung mit gesprochenem Rezitativ vor pumpendem Bass, reduzierter Perkussion und einzelnen Glanzlichtern der Leadgitarre, bis hin zu den intensiven, sich dramatisch steigernden Ausbrüchen der Dynamik, die jedoch zu keiner Zeit in chaotisches Lärmen verfallen.
Auf Regen, Kälte und Hagel folgen Schnee und Eis. Es wird kälter, es wird weißer, es wird klarer. Das Konzept ist glanzvoll umgesetzt und arrangiert. Beim dramatischen, marschierenden 'Snjóva' spürt der eingeweihte Hörer sowohl im metallischen Hauptriff als auch in den epischen, choralen Gesangsarrangements und den singenden Gitarrenleads und in Noralfs tollem Solo die altbekannte Liebe der Musiker zu BATHORY, die allerdings einmal mehr so gut verpackt wird, dass man niemals auf die Idee kommen würde, der Band eine zu große Nähe an den Einflussgeber vorzuhalten. HELHEIM verarbeitet den großen Einfluss zu einem ganz eigenen epischen Stil, welcher in diesem Song perfekt umgesetzt, wodurch sich das Stück in die Tradition von Bandhighlights wie 'Åsgards Fall' stellt. Wer HELHEIM nun schon am Ende der Fahnenstange wähnt, der sieht sich getäuscht, denn 'Isuð' setzt dem bisherigen Verlauf des Albums noch eins drauf, wenn nach einem feinen gezupften Akustikintro ein besonders brachiales Break einsetzt und einem noch epischeren, besonders intensiv und leidenschaftlich gesungenen Part Bahn bricht. Auch hier ist der Einfluss des großen Quorthon sehr präsent, doch auch hier ist die Handschrift HELHEIMs so unverkennbar, dass der Rezensent nur den Hut ziehen kann: Wie die Band hier im Mittelstück einen völlig trippigen Space-Part mit herrlichen rhythmischen Spielereien des Drummers Hrymr und einem komplett entrückten Gitarrenlead Noralfs zelebriert, der von beiden Sängern gekonnt flankiert wird, das ist schon die ganz große Komponistenschule, die sich in einem dynamisch rockenden Finale fortsetzt.
Mit dem Fortgang des Album lässt sich auch die Schwärmerei fortschreiben, denn auch das sturmgepeitschte 'Vindarblástr' besticht mit beweglichem, dynamischen Gitarrenspiel, das hier teilweise etwas flotter lospreschen kann, und ganz besonders leidenschaftlichem Gesang. Mancher alte Fan der Band mag hier bemängeln, dass HELHEIM über weite Strecken heute den grimmigen Gesang der alten Zeit zu Gunsten klaren Duettgesangs vernachlässige, doch hört es euch doch bitte an: Wer eine solche Gesangsleistung mit so viel Hingabe und so viel stimmlichem Charakter abliefert, der kann das Keifen und Kreischen auch mal ein wenig in den Hintergrund rücken lassen. 'Stormviðri' ist danach eine melodisch leicht folkige, sehr erhabene Ode an Heimdall, die gewiss werden lässt, dass die Wetterbeschreibungen der Band hier auch ihre mythologische Dimension haben, denn der meteorologische Jahreskreis ist auch Sinnbild für Werden und Weichen, Leben und Sterben, Schöpfung und Ragnarök. So ist 'Stormviðri' bei aller Epik und Erhabenheit auch bitterer und grimmiger. Der harsche Gesangsanteil nimmt zu, die Atmosphäre wird nochmals kälter und hoffnungsloser, bis die Erzählung und das musikalische Oeuvre in 'Vetrarmegin' kulminieren, im Fimbulwinter, karg und erfroren. Der kehlige Gesang dominiert nun, wenn auch noch flankiert von heißereren, erfrierenden Chören im Refrain, die sich nach einem in der ferne glimmenden Licht sehnen: "Kilden til seier, kimer i lyset, tiden vil lege det tyngste av år." - "The source to victory, chimes in the light, time will heal the heaviest of years."
Ja, Leute, was soll ich sagen? Ob jeder von euch die stilistische Entwicklung der Band nachvollziehen mag oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. Aus meiner Sicht ist sich die Band jedoch trotz aller stilistischer und musikalischer Entwicklung, die hier ganz offensichtlich immer stattgefunden hat, im Kern immer treu geblieben, und sie ist an ihren eigenen Ambitionen gewachsen, ohne ihre Fans vor den Kopf zu stoßen. Mit 'Rignir' legen Bergens Fineste einfach einmal mehr ein Werk vor, bei dem alles zu 100% stimmig ist, was die Band tut. Das Wetterkonzept, das Artwork, die Songs, die ätherische Reinheit ebenso atmen wie wuchtige, unbezähmbare Urgewalt; Klarheit wie Grimmigkeit. Ein Gefühl des Ausgeliefertseins an die Urkraft. Du hörst einzelne Regentropfen ebenso wie einen massiven Regenguss, der zu einem reißenden Strom wird, und dabei findet all dies in den Dimensionen Natur, Spiritualität, visuelle Kunst, Musik und Lyrik statt. Besser kann man ein solches Konzept nicht umsetzen, daher bleibt hier nur die Höchstnote.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle