HELLOWEEN - Helloween
Auch im Soundcheck: Soundcheck 06/2021
Mehr über Helloween
- Genre:
- Melodic Power/Speed Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Nuclear Blast Tonträger-Produktions- und Vertriebs GmbH
- Release:
- 18.06.2021
- Out For The Glory
- Fear Of The Fallen
- Best Time
- Mass Pollution
- Angels
- Rise Without Chains
- Indestructible
- Robot King
- Cyanide
- Down In The Dumps
- Orbit
- Skyfall
Ich bin wieder 14!
In diesem Alter hatte ich damals, in der sich in den 80er Jahren noch in voller Blüte befindlichen Schallplattenabteilung des Kaufhauses Steingass in Heidenheim an der Brenz, das Album "Keeper Of The Seven Keys, Part 1" käuflich erworben, nachdem ich meiner Mutter zuvor beim samstäglichen Einkauf das Geld für eine Schallplatte aus den Rippen geleiert hatte. Das Album wurde natürlich nach dem zuverlässigsten Kriterium überhaupt ausgesucht: nach der mir am besten gefallenden Hülle. "Cover" sagte zumindest ich damals noch nicht dazu.
Nachdem mir am 21. Mai 2021 des Nachmittags nach dem letzten Unterrichtstag vor den Pfingstferien bewusst geworden war, dass ich gerade das neue HELLOWEEN-Album auf mein Handy geladen hatte, ließ ich noch kurz den Kaffeeautomaten röcheln und verkroch mich dann so schnell wie möglich mit einer Tasse Kaffee in der Hand in meinen Metal-Schuppen. Hier stieg nun der Puls des inzwischen wieder 14 Jahre alten Timo, und zwischen Postern von unter vielen anderen, FIFTH ANGEL, BRAINSTORM und natürlich HELLOWEEN fummelte ich mit tatsächlich leicht zittrigen Fingern auf meinem Handy die Bluetoothverbindung zur Anlage zurecht. 1987 war es die Nadel des Plattenspielers. Endlich fing die Musik an…:
Zunächst erfasste mich Verwunderung: Spielte da SLAYER aus einem Paralleluniversum den Anfang von "South Of Heaven", der deshalb ähnlich, aber dennoch ganz anders klang? Nichtsdestotrotz: Nach etwa 2 Minuten von 'Out For The Glory' schossen mir die Tränen in die Augen! Daran trug neben der wundervollen Oldschoool-HELLOWEEN-Uptempo-Nummer wohl hauptsächlich Michael Kiske Schuld. Der darf die HELLOWEEN-Fans gleich zu Beginn des Albums mit einer herrlich lässigen Signature-Melodie von Weiki begrüßen. Und mal ganz ehrlich: Das wollte jeder so, das hat jeder so erwartet. Und es ist unbedingt gut, genauso wie es ist! Heul! Bereits beim vierten Durchlauf ertappte ich mich hierbei übrigens beim unkontrollierten Bangen. Nein, es lag ganz bestimmt nicht nur am Feierabend Bier!
Andi Deris legt mit einer wunderbaren, ebenfalls recht flotten Eigenkomposition nach, die mit einer sehr entspannten Gesangslinie überzeugen kann. 'Fear Of The Fallen' muss sich in keiner Weise hinter dem Opener verstecken, auch wenn es eher klangliche Facetten der Deris-Ära in den Vordergrund rückt.
Das Album wurde von der Band als eine Galavorstellung, eine musikalische Werkschau mit vielen Selbstzitaten aus den vergangenen 35 Jahren konzipiert, ohne sich dabei zu wiederholen oder gar mit plakativem Anachronismus zu langweilen. Vielmehr werden die Stärken aus allen Phasen der Band zu neuen, packenden HELLOWEEN-Songs verquickt. So ist 'Best Time' beispielsweise eine dezent poppige Gute-Laune-Nummer geworden, die mit schicken Keyboard-Einsprengseln versehen werden konnte, während 'Mass Pollution' an knurrigen deutschen Hardrock der 80er Jahre denken lässt und somit trotz HELLOWEEN-Melodie ein eher untypischer Song für die Jungs geworden ist.
'Angels' setzt Michael Kiske gefühlvoll und dennoch wuchtig mit HELLOWEEN-typischer Verspieltheit in Szene, doch auch Andi Deris stößt im Verlauf des Songs stimmlich noch hinzu. Man kann dem Lied mit leicht balladesken Anteilen durchaus eine gewisse Radio-Tauglichkeit attestieren, die eventuell über die üblich verdächtigen Sender hinausgeht.
Ein poppiger Anfang trügt: 'Rise Without Chains' startet als straight-hartes, aber dennoch sehr melodiöses Speed-Schrapnell durch, bei dem beide Sänger immer wieder glänzen können und dürfen. 'Indestructible' hingegen war mir bereits als B-Seite von der 'Skyfall'-Single bekannt. Eine flotte metallische Nummer, von Markus Großkopf erdacht, die einen vor allem mit ihrer sogartigen Bridge inklusive prächtigem Refrain in ihren Bann zieht und erneut von beiden Haupt-Sängern geschallert wird.
Nun kommt wieder einer meiner drei Favoriten der mir vorher noch nicht bekannten Songs. Michael Weikath lässt den 'Robot-King' auf uns los! Und der macht keine Gefangenen! Alleine schon das von vermutlich Kai Hansen ins Mikro geröchelte CELTIC FROST-Gedenk "Uh", dass mehr wie ein böses "Hualp" durch die Boxen rotzt, macht klar: Hier wird kein Menschlein geschont! Und während ich das schreibe und den Song höre, werden pünktlich zum ersten Deris/Kiske-Scream schon wieder meine Augen nass! Ja, dieses Album nimmt keine Rücksicht auf die Emotionen der HELLOWEEN-Fans. Und nach grandiosen, sich in immer zwingenderer Musik verlierenden Steigerungen tritt die Band im hinteren Drittel auf die Bremse und fällt aus speedmetallischer Virtuosität in einen HELLOWEEN nicht ganz unbekannten MICHAEL-BUBLE-Swinging-Vibe, um danach wieder die schwindelerregende Fahrt aufzunehmen! Freut euch auf einen fabelhaft großartigen, alles umballernden Speed Metal-Kracher der alten Schule, der aber mit modernen Soundfarben und diesen unglaublich geilen Stimmen veredelt wurde! Hier ist jedes Riff ein Nackenbrecher, jeder Hook verleitet zum Mitgrölen: ein Lied zum Ausflippen!
'Cyanide' zeigt sich wiederum als ein sehr powermetallisch daherstapfendes typisches Deris-Lied mit wunderbar schlotziger Gesangsmelodie, das nach dem König der Roboter schon fast einen Stilbruch darstellt, aber von mir als gute Abwechslung auf diesem, ich darf das hier bereits sagen, bockstarken Album wahrgenommen wird.
Eine Klanglandschaft wie aus einem John-Carpenter-Film kündigt verwegen Großartiges an: Und tatsächlich, Eagle in the dumps, ähem, 'Down In The Dumps' ist wieder so ein Geniestreich aus einem Paralleluniversum. Alte Fans hören sofort, was ich meine: Meisterhaft, wie HELLOWEEN hier Neues schafft und dabei rotzfrech auf Altes verweist! Ein ultra-hartes Riff trifft auf bekannte, aber dennoch ganz andere Melodien. Dabei geben Michi Kiske und Andi Deris alles! Es ist immer und immer wieder eine wahre Freude diesem Ausnahme-Metal-Duo das Gehör zu schenken. Nebenbei trifft Kiske höchste Töne, von denen andere singende Zeitgenossen gar nicht wissen, dass es sie gibt! Göttlich! 'Down In The Dumps' ist übrigens mein mir bisher unbekannter Höhepunkt des Albums Numero drei!
'Orbit' ist das seither noch nicht veröffentlichte PINK FLOYD-artige Intro zum das Werk abschließenden 'Skyfall', das unbedingt, so muss ich feststellen, zur nachfolgenden, mir bereits als Vorab-Veröffentlichung bekannten Großtat aus Kai Hansens Feder passt! Das zwölfminütige 'Skyfall' wird inzwischen sogar von Fans der ersten Stunde zuweilen als einer der besten HELLOWEEN-Songs aller Zeiten (!), jemals (!!), überhaupt (!!!), gehandelt! Hierzu muss ich nicht mehr viel schreiben, nur eine kurze Bemerkung aus eigener Erfahrung für die, die es wirklich bis zur Album-Veröffentlichung ausgehalten haben: Legt euch einen Familienpack Taschentücher bereit! Dies hier ist ein Wahnsinnsritt!
Noch ein paar abschließende Worte:
Meine drei Anspieltipps für Kenner von 'Skyfall' sind: 'Out For The Glory', 'Robot King' und 'Down In The Dumps'. Wer 'Skyfall' noch nicht kennt, darf auch da reinhören. Aber eigentlich kann man das Album auch einfach gleich kaufen. Das spart Zeit, die man vor der Anlage verbringen kann.
HELLOWEEN ist die auf ihre Bandsituation und Bandgeschichte umgemünzte fünfundsechzigminütige Quadratur des Kreises gelungen! Die Herren schaffen es über die gesamte Spielzeit des Albums, den Hörer auch noch nach dem zigsten Durchlauf abzuholen, gefangenzunehmen und auf eine Reise durch alle Songarten, Stilmerkmale, musikalischen Kniffe, Trademarks, liebgewonnene Klangatmosphären und ganz gewiss nicht zuletzt alle drei Stimmfarben von HELLOWEEN in den letzten 35 Jahren mitzunehmen. Das, was auf der, mittlerweile schon als legendäre Tour geltenden, PUMPKINS UNITED-Weltreise funktionierte, hat tatsächlich auf wundersame Weise auch im Studio geklappt und konnte von Charlie Bauerfeind und Dennis Ward grandios wohlklingend für die Ewigkeit festgehalten werden!
Um den Kreis zur Einleitung zu schließen, sei zu guter Letzt in der musikalischen Findungsphase befindlichen Teenagern empfohlen: Wenn euch das großartige, von Eliran Kantor aus Berlin gemalte Cover gefällt, könnt ihr bedenkenlos zuschlagen. Ich tat das 1987 aus eben diesem Grund und lag, wie viele andere Musikfans, bis heute nicht falsch damit!
Mensch, die Punkte noch! Soll ich wirklich? Ach ja, komm, lass einen raushauen:
Ein quadratischer Kreis verdient nichts anderes als…
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Timo Reiser