09.03.2018 | 17:34
Rising from ruins...aber sowas von!
Letztens hatte ich einen recht seltsamen Traum: jemand stellte mir eine Zeitmaschine neben mein Bett, mit deren Hilfe ich das Jahr 2018 verlassen und in irgendein Jahr (kann mich nicht mehr genau erinnern) Anfang bis Mitte der Neunziger reisen durfte. JUDAS PRIEST nehmen gerade mit Rob Halford den Nachfolger ihres ruhmreichen "Painkiller"-Albums auf, der Name Tim Owens taucht höchstens mal auf, wenn von der famosen Band WINTER'S BANE die Rede ist, und wirklich jeder freut sich einen Ast, etwas Neues aus dem Hause PRIEST zu hören.
Irgendwann wurde ich aber dann recht unsanft aus besagtem Traum geweckt. Wir schreiben das Jahr 2018, von WINTER'S BANE redet kein Schwein mehr, dafür werden die zwei von Owens eingesungenen PRIEST-Alben von 99,8% der Metalgemeinde verbal in die Tonne gekloppt, und auf ein neues Album der alten Herren aus England freuen sich nur noch einige unverbesserliche, denen besagte Alben bzw. deren Nachfolger mit dem zurückgekehrten Rob Halford noch nicht bescheiden genug waren. Obwohl, gerade "Demolition" war eigentlich ein richtig geiles Album, passte aber eben (genau wie auch der Vorgänger) nicht zu dem Bandnamen. Und Meinungen, die "Painkiller" schwach oder gar beschissen finden (soll es tatsächlich geben), kann ich eh nicht teilen. Jedenfalls - um den Faden mal wieder aufzugreifen - haben die Priester mit "Firepower" ein neues Album am Start, und ich muss wohl niemandem erzählen, dass meine Skepsis nicht gerade unterhalb der Grasnabe weilt, als ich den ersten Soundfile anklicke...
...und dann ein Riff, ein hoher Schrei, und die Skepsis macht einem dicken Grinsen bis über beide Ohren Platz. Der eröffnende Titeltrack versetzt den Rezensenten gleich nochmal in die oben beschriebene Zeitmaschine und lässt die letzten knapp 27 Jahre in Vergessenheit geraten. Ich veralbere euch nicht, wenn ich behaupte, dass gerade dieser eine Song all das in sich vereint, was JUDAS PRIEST einmal ausgemacht hat: Brachialität, gepaart mit geilen Riffs und einer großartigen Stimme des Metalgottes. Und nebenbei fällt gleich der richtig geile Sound auf, den Andy Sneap zusammen mit Tom Allom aufs Band gezimmert hat. Nicht so steril und leblos wie in der Vergangenheit öfter mal, trotzdem mit genug Punch.
Mit dem folgenden 'Lightning Strike' gibts dann sogleich den zweiten Hit, der mich jedes Mal wieder aus dem Sitz reißt und auch auf "Painkiller" eine gute Figur gemacht hätte, bevor es mit 'Evil Never Dies' etwas grooviger wird. Manch einer dürfte bei der Behauptung schlucken, aber meiner Meinung nach ist der Song gar nicht so weit von Halfords FIGHT-Werk entfernt. Dies ist aber ausdrücklich nicht negativ gemeint, fügt sich das Teil doch trotz einer etwas moderneren Gangart perfekt ein und geht nach ein paar Durchläufen als nächster Hit durch.
Getoppt wird das Dreigestirn dann von Song Nummer 4 ('Never The Heroes'), der irgendwie ein SAXON-Feeling versprüht und ein absoluter Überhit (von denen tatsächlich mehrere enthalten sind) darstellt. Im rockigen Midtempo angesiedelt mit einem Monsterhook im Refrain versehen...einfach ein Song, den nur ein Toter jemals wieder aus den Gehörgängen bekommen dürfte.
Eigentlich sollte man nun so langsam denken, die Band hätte ihr Pulver komplett verschossen, der Refrain des folgenden 'Necromancer' fällt dann auch in der Tat etwas ab. Dennoch haben wir es hier mit einem wahren Nackenbrecher zu tun, der nicht nur durch das typische Riffing den Geist von "Painkiller" atmet. 'Children Of The Sun' fällt dagegen eher gemäßigter aus, reißt den Hörer mit seiner Melodie mit und killt mich immer wieder im Break gegen Ende, bei dem Halfords Gesang sich bedrohlich aufbaut und in einem einfach unfassbar geilen Scream endet.
Und dann, nach einem kurzen Instrumental kommt er, der absolute Übertrack, das übergroße Monument der Scheibe: 'Rising From Ruins' ist nicht nur ein absolut programmatischer Titel, sondern für mich einer der grandiosesten Songs, die die Priester je erschaffen haben. Schon bei den ersten Akkorden und dem einsetzenden Solo kniet man vor dem Lautsprecher und hat sich spätestens nach dem ersten Refrain die Knie wundgeschürft. Nach dem Leadgitarrenpart vor dem letzten Refrain sind dann endgültig alle Dämme gebrochen.
'Flame Thrower' (mit dessen Refrain ich erst mal warm werden musste) geht dann einfach mal ganz weit zurück in die Vergangenheit und lässt Erinnerungen an "British Steel" wach werden. Geiler Vers, einfache aber effektive Bridge und dieses vollkommen geile Break, bevor die Gitarre zum Solo ansetzt... perfekter Song in allerbester JUDAS PRIEST-Tradition. Mit 'Spectre' folgt darauf ein midtempolastiger Song, der es bestens versteht, die traditionelle Seite mit der moderneren Phase zu einer Einheit verschmelzen zu lassen. Dazu servieren die Herren einen fast neoklassischen Gitarrenpart, garniert mit einem coolen Solo.
Und weiter gehts mit den Hits: wir haben schließlich noch 'Traitors Gate', das ebenfalls in der Lage ist, einige Köpfe vom Hals zu reißen. Und dazu ist der Song noch ein echter Livegarant, hat er den Mitsingpart doch gleich mit an Bord. Und mit 'No Surrender' folgt dann Hymne Nummer 5 und lässt den Rezensenten komplett fertig zurück.
Zum Ende hin hat sich dann aber tatsächlich ein kleiner Stinker auf die Platte geschlichen (was bei 13 Songs aber durchaus verschmerzbar ist). Auch wenn 'Lonewolf' alles andere als wirklich schlecht ist, so klingt der Song dann aber doch eher verzichtbar, kann mit seinem modernen Flair auch so gar nicht gegen den Rest anstinken und wirkt irgendwie ziemlich fehl am Platze. Dafür entschädigt dann der balladeske Rauschmeißer 'Sea Of Red', der ruhig beginnt und sich immer dramatischer aufbaut und einen Stinkersong wie 'Loch Ness' (von "Angel Of Retribution") mal eben im Vorbeigehen zur Seite schleudert.
Normalerweise bin ich nicht der Typ, der jeden Song analysiert, hier aber halte ich diese Vorgehensweise ausnahmsweise mal für angebracht. Neben den Songs müssen aber auch noch andere Dinge analysiert werden. Man nehme als erstes mal Rob Halfords Gesang, der hier dermaßen frisch, unverbraucht und einfach nur toll klingt. Anders als in der "jüngeren" Vergangenheit singt er wieder in einer eher mittleren Tonlage und benutzt die hohen Vocals eher als Background oder in einzelnen Passagen, so dass sie noch um einiges wirkungsvoller erscheinen. Auf instrumentaler Seite bin ich mir sehr sicher, dass der "junge" Herr Faulkner den alten Herren einen ziemlichen Arschtritt verpasst hat, denn auch gerade die Instrumentalfraktion (besonders die Gitarren) brennt ein Feuerwerk nach dem anderen ab, die Gitarrensoli und Leadparts sind effektiv in Szene gesetzt und unterstreichen die perfekt auf den Punkt komponierten und von jeglichem Ballast befreiten Songs zu jeder Zeit.
Ganz ehrlich, hätte mir vor ein paar Jahren mal jemand erzählt, dass ich einen solchen Text zu einer JUDAS PRIEST-Platte verfassen würde, und dass mich die Herren jemals wieder so euphorisieren würden, hätte ich denjenigen angesichts dieser Blasphemie wohl ausgleacht. Aber, und wahrscheinlich werden mich dafür manche auslachen, "Firepower" ist tatsächlich der legitime Nachfolger von "Painkiller" und muss in Zukunft ebenfalls als Klassiker betrachtet werden. Sicher werden einige darüber meckern, dass ein Andy Sneap die Platte produziert hat, und man muss auch sagen, dass hier nichts danach klingt, als wäre es in den Achzigern aufgenommen worden. Neben einem zeitgemäßen Sound gibt es in den Songs immer mal wieder etwas modernere Elemente, die auch mal an die "Jugulator"/"Demolition"-Phase erinnern, glücklicherweise aber nur von der Art und nicht von den Songs her. Und den Vergleich mit FIGHT bei 'Evil Never Dies' habe ich ja bereits erwähnt. Aber statt in die eine oder andere Richtung zu gehen, ist es JUDAS PRIEST gelungen, alle ihre Phasen in ein Album zu packen, ohne dass irgendein Element deplatziert wirkt. Im Gegenteil, alles fügt sich perfekt zusammen.
Als Fazit bleibt daher nur eines zu sagen: ein 13-Song-Album, das in sieben Überhymnen, fünf absolut grandiosen Songs (wenn auch einer einen etwas schwächeren Refrain besitzt) und einen einzigen etwas schwächeren aufgeteilt ist, verdient nicht weniger als die Höchstpunktzahl. The priest is back? You bet!
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Michael Meyer