MAYHEM - Daemon
Auch im Soundcheck: Soundcheck 10/2019
Mehr über Mayhem
- Genre:
- Black Metal
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Century Media / Sony
- Release:
- 25.10.2019
- The Dying False King
- Agenda Ignis
- Bad Blood
- Malum
- Falsified And Hated
- Aeon Daemonium
- Worthless Abominations Destroyed
- Daemon Spawn
- Of Worms And Ruins
- Invoke The Oath
- Everlasting Dying Flame (Digipak Bonus)
- Black Glass Communion (Digipak Bonus)
Perfekte Synthese aus norwegischer Black-Metal-Tradition und technischer Brillanz progressiver Künstler.
Wenn die norwegischen Szeneväter MAYHEM ein neues schwarzes Eisen geschmiedet und unters Volk gebracht haben, dann sorgt dies zumeist für Aufruhr in der Black-Metal-Szene. Zum Guten wie zum Bösen, denn es weckt einerseits immer die Dauernörgler, die an der Band seit dem Ableben von Euronymous und Dead kein gutes Haar lassen wollen; andererseits haben es Hellhammer, Necrobutcher und Co., seitdem sie dereinst mit "Wolf's Lair Abyss" wie Phoenix der Asche entstiegen waren, auch immer wieder geschafft, sich neu zu erfinden, durch ihren musikalischen und kompositorischen Fortschritt Grundfesten einzureißen, die Anhänger zu fordern, aber auch mal richtig vor den Kopf zu stoßen, doch all dies stets mit wachsendem instrumentalem und kompositorischem Anspruch und Können. Nicht nur, wer seinen Black Metal straight, simpel und eingängig bevorzugt, blieb bisweilen auf der Strecke, sondern auch so mancher Purist und Fan der ersten, zweiten oder dritten Stunde.
Während mich die Kompromisslosigkeit der Norweger stets packen konnte, so ist es doch eine Tatsache, dass genresprengende progressive Anflüge wie auf "Grand Declaration Of War" oder sperrige, widerborstige und schroffe Songstrukturen wie bei "Ordo Ad Chao" in der Vergangenheit trotz aller musikalischer Klasse immer wieder dazu geeignet waren, mehr Fans am Wegesrand zurück zu lassen als neu zu rekrutieren. Die Band selbst schien das nie zu stören, doch war seit dem Comeback jedes zweite Album auch wieder etwas konservativer ausgerichtet, ohne sich direkt an alte Zeiten und reaktionäre Fankreise anzubiedern. Nun steht mit "Daemon" das sechste Studioalbum lauernd an der Höllenpforte, bricht sich Bahn in die Welt der Menschen, und wir Sterbliche sind gespannt, was die Mächte der Finsternis dieses Mal zu entfesseln vermögen.
Bereits der erste Streifzug des Dämons durch das heimische Wohnzimmer hat eine erschlagende Wirkung. Als erstes dringt direkt der unglaublich wuchtige und brachiale, dabei aber bis ins letzte Detail ausgewogene und transparente Sound ins Ohr. Diese Zeile ist nicht einfach so dahin geschrieben, sondern die Produktion von "Daemon" ist wirklich ein Meisterwerk von Tore Gunnar Stjerna im Necromorbus Studio und Thomas Plec Johansson beim Mastering. Die beiden Herren haben MAYHEMs Sechstling einen Klang gezaubert, der wirklich jeden gespielten Ton, auch von Bass und Schlagzeug, kristallklar hervor treten lässt, ohne dabei auch nur einen Hauch von der Aggressivität, Brutalität und Durchschlagskraft der schneidenden Gitarren von Teloch und Ghul wegzunehmen. Und es ist ihnen zudem das Kunststück gelungen, ein in diesem extremen Musikstil ungewöhnliches Maß an Dynamik zu erzielen, das auch ganz leise Töne kennt. Gab es zwar schon seit Langem kaum ernsthafte Zweifel daran, dass es sich bei den Herren MAYHEM um instrumetale Ausnahmekönner handelt, so liefert "Daemon" nun auch dem letzten Querulanten den Beweis, denn wer dieses Album aufmerksam hört, der wird schon beim ersten Durchlauf gerade bei Necrobutchers Bassspiel und Hellhammers Drumming so vieles hören, was im extremen Metal sonst gerne Mal im dröhnenden Gesamtsound untergeht. Nicht so auf "Daemon", denn hier ist es wirklich ein spannendes Erlebnis, auf die nächste Generalpause zu warten, und auf die einsetzende Stille, die Necrobutcher dann mit einigen markerschütternden Single-Notes auf dem Bass zertrümmert, als gäbe es kein Morgen. Wenn einem durchaus eher gebremst euphorischen und vor allem gerne die Containance wahrenden Musikhörer bei der Erstlauschung spontan mehrfach der Ausruf entfährt: "Was für ein geiler Drecksack!", dann mag das darauf hindeuten, dass jener sich nimmer im Griff hat und seine Pillen braucht, oder vielleicht auch darauf, dass die Band hier wirklich etwas tut, was so unerhört ist, dass einem einfach die angemessene Artikulationsweise dazu abgeht.
Jetzt wisst ihr, dass das Album einen wahnsinnig guten Sound hat, wenn man denn an Black Metal nicht zwanghaft die Forderung nach einem klirrenden Rumpelsound stellen möchte, doch noch nichts über die stilistische Ausrichtung und die kompositorischen Qualitäten des frisch geschlüpften Dämons, daher gehen wir nun ein wenig auf die Songs ein, die kurz und knapp, aber treffend mit "all killer, no filler" umschrieben wären. Etwas ausführlicher gesprochen, wird das Album von dem kurzen 'The Dying False King' rasend eröffnet, wobei Attila sowohl Gift und Galle speit als auch nach den Breaks in langsamere Gefilde mit dräuendem Knurren die Dunkelheit beschwört. Hellhammers Drums gemahnen bisweilen an Peitschenschläge und seine ganze Stärke spielt der Song aus, wenn in einer Phase der fast völligen Stille ein Instrument alleine seine fiese Geisel über den Rücken des Hörers zieht bis das Inferno in einem Gongschlag auf den Punkt endet. Selten ist bei einem Black-Metal-Song in 3:46 Minuten musikalisch so viel passiert, ohne dass der Song deshalb verzettelt wirken würde.
Wo 'Agenda Ignis' einerseits noch schneller, an anderen Stellen aber auch mystischer, gedrosselter und hintergründiger agiert, und vor allem durch Hellhammers ungewöhnliche Perkussionsparts glänzt, da gibt es bei 'Bad Blood' den kompletten Riff-Overkill und abartig vertrackte Blasts, die eben nicht nur schnell sind, sondern in besonderem Maße kreativ. Von Necrobutcher will ich erst gar nicht anfangen. Beim schleppenden 'Malum' geht es doomiger, gruftiger zur Sache, von Stimmung und Ausdruck in Attilas Stimme bis hin zu den Anlehnungen an gregorianische Gotik her sehr nahe an Stücken wie 'Pagan Fears' oder dem Titelstück der "De Mysteriis Dom. Sathanas". Bei 'Falsified And Hated' brettert die Doppelklampfenfraktion in einem so herrlichen Gewitter los, wie dereinst EMPEROR in der klassischen Phase, bevor die Band lässig einen "Full Stop" fährt und Attila vor Necrobutchers fiesem Bass aus der Gruft grollen lässt, bevor das Inferno wieder losbricht, allerdings konterkariert von einigen ambienten Versatzstücken, die auch BURZUM auf "Filosofem" ganz gut zu Gesicht gestanden hätten. Sodann geht das in seiner ausladenden Fassung knapp fünfzigminütige Album mit 'Aeon Daemonicum' in die Halbzeit, einer schleppenden, unheilvollen Lavawalze, die einige bärenstarke, thrashige, rifflastige Ausbrüche aus dem Ärmel schüttelt und Hellhammer Raum für seine geliebte marschierende Rhythmik mit Military-Snare-Feeling und einige aberwitzige Fills lässt.
Auch die zweite Hälfte des Albums wird wieder rasend und infernalisch von 'Worthless Abominations Destroyed' eröffnet, welches schon als Vorabsingle für erste vorsichtige Euphorie in der Zielgruppe gesorgt hatte, und im Albumkontext nochmals aufgewertet wird, spielt es doch auf "Daemon" eine ähnliche Rolle wie seinerzeit 'From The Dark Past'. Ein gänzlich anderer Charakter prägt das finstere, perkussive, zähe 'Daemon Spawn', das sich wie ein nachvollziehbarer, songorientierter, doomiger Nachfahre der "Ordo Ad Chao" anfühlt, bevor 'Of Worms And Ruins' nochmals herrliches Black-Metal-Gitarrengewitter für uns parat hält und das epische 'Invoke The Oath' den regulären Teil des Albums mit wuchtigen Paukenparts, militaristischen Snare-Wirbeln und Attilas entrückt beschwörendem Gesang beschließt. Die Käufer des Digibooks erhalten mit dem total traditionellen Stück 'Everlasting Dying Flame' und dem für MAYHEM-Verhältnisse recht rockigen 'Black Glass Communion' noch doppelten Nachschlag, und so sehr man über Sinn und Unsinn solcher Bonuspakete geteilter Meinung sein und sich über die dahinter steckende kommerzielle Strategie ärgern mag, muss ich sagen, dass die Songs sich in Sachen Stimmung von den übrigen Tracks zwar schon ein wenig abheben, aber beide sehr gelungen sind, so dass man den Kauf des Digibooks durchaus in Betracht ziehen sollte.
Unter dem Strich ist MAYHEM mit "Daemon" ein Kunststück gelungen, das ich mir in dieser Weise noch nicht einmal hätte erträumen können. Die Band hat mit ihrem sechsten kompletten Album eine aus meiner Sicht schlicht perfekte Synthese geschaffen aus völlig klassischem norwegischem Black Metal, seiner Ausstrahlung, seiner Attitüde, seinen musikalischen Grundzutaten einerseits, und der jahrezehntelangen Erfahrung und Musikalität progressiver, nach kreativer Entwicklung und technischem Fortschritt strebender Künstler andererseits. Diese Verbindung der kreativen Triebfedern war ansatzweise auch in allen früheren Werken der Band schon vorhanden, doch nie zuvor gingen sie so sehr Hand in Hand, nie zuvor hat MAYHEM die eigenen Wurzeln so schlüssig und so stimmig mit dem eigenen revolutionären Anspruch verbunden, ohne dabei Teile der Basis zumindest bedingt vorsätzlich zu überfordern. So sehr sich Nercobutcher, Attila, Hellhammer und ihre Gitarrenfraktion auch handwerklich und musikalisch von "De Mysteriis Dom. Sathanas" entfernt haben mögen, und so wenig sie dies auf "Daemon" verleugnen, so waren sie in Sachen Feeling und Kompositionsweise seit 1994 doch nie wieder so nahe an diesem genreprägenden Standardwerk dran. Für mich ist "Daemon" damit die ultimative Antwort, die eine altgediente Band sich selbst, ihren Fans und vor allem all jenen geben konnte, welche die großen Alten längst abgeschrieben haben und ihr schwarzmetallisches Heil überall sonst suchen als bei jenen Altvorderen.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle