MOTHER TONGUE - Ghost Note
Mehr über Mother Tongue
- Genre:
- Alternative Rock
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Nois-O-Lution / Indigo
- Release:
- 23.06.2003
- Dark Side Baby
- Coming Home
- Alien
- The Void
- That Man
- The Storm
- Missing
- Helicopter Moon
- Sad Song
- In The Night Time
Nur ein Jahr nach dem Comeback schon das nächste Album veröffentlichen: Kann das gutgehen? Ja, es kann!<br />
Mit ihrem Debutalbum "Mother Tongue" von 1994 lieferte die gleichnamige Band ein Rockalbum der besonderen Art ab: Mehr Soul als ein Straßenprediger, mehr Funk als ein Crackhaus, mehr Blues als East St. Louis, und das alles unauflöslich ineinander verwachsen, zusammengehalten von sehnigem Rock und der Leidenschaft in David Goulds eindringlicher Stimme. Der Nachfolger "Streetlight" erschien erst acht Jahre später, und es kommt einem kleinen Wunder gleich, dass es der Band gelang, sich nicht nur gegen widrige Umstände zu behaupten, ohne endgültig auseinanderzubrechen, sondern darüberhinaus noch an die Stilistik und die Intensität des ersten Albums anknüpfen zu können. Wenn auch etwas aggressiver, was wohl den Erfahrungen in der Zwischenzeit geschuldet war. Fanbasis, Leidenschaft, Talent und vermutlich viel, viel Schweiß während und nach einer erfolgreichen Tour ermöglichten es, dass schon 2003 das nächste Album folgte: "Ghost Note".
Im Mittel klingt dieses Werk härter, getriebener, verdichteter. Doch was ist mit der beschwörenden Magie der ersten beiden Alben? Sie ist noch da, im Kern, doch man muss jetzt genauer hinhören, aufmerksamer, geduldiger. Denn "Ghost Note" klingt deutlich aggressiver, stachliger, verstellter als noch das Debüt, und kommt dabei doch direkter auf den Punkt als so manches Stück auf "Streetlight". Es rockt fast ohne zu rollen. Doch bei aller jetzt noch stärker ausgeprägten Drahtigkeit haben die Musiker von MOTHER TONGUE eines nichts verlernt, und das ist das geschmeidige Überleiten zwischen verschiedenen Passagen ihrer Stücke. Da gibt es kein mechanisch stumpfes Zusammenstückeln von Refrain und Strophe, da gibt es keine zwischengeflickten Fließbandsoli, denn das alles atmet, pulsiert, windet sich, hält die Luft an, bricht mit der anschwellenden Wucht anschwellender Gefühle aus, kann doch nicht aus seiner Haut, ist durch und durch organisch, und auch hinter der neu erwachsenen raueren Schale zutiefst menschlich.
'Dark Side Baby' packt den Hörer sofort bei den Hörnern, schüttelt ihn durch, rhythmisiert zwingend, schlägt kurz und gezielt zu, heftig, angespannt, adrenalingeladen. Doch hinter der scheinbar kurzatmigen Art und Weise, wie hier LED ZEPPELIN-artige Riffs herausgekeucht werden, verbirgt sich ein bluesiges Herz, das sich mittels dieser Attacken zu schützen versucht. Auch 'Coming Home' zeichnet sich durch einen fiebrigen, laut pochenden Grundrhythmus aus. Der Song gleicht einem Dauerlauf, bei einsetzendem Endspurt gen Stallgeruch, stress- und glücksbedingter Hormonausschüttung, verkörpert von wild psychedelisierendem Saxophonspiel. Die erste Ballade, 'Alien', bietet erstmals Raum zum durchatmen, und doch bleibt die Stimmung bedrückt, die verhärtete Anspannung der vorangegangenen Stück erhalten, sitzen Blues und Funk noch tief in den Knochen. "I don't expect for you / to understand the secrets I hold to / All that I can say / Is that I am an alien trying to find his way / I'm crashing / I'm ranting without a word / Ooooooooooooh / I don't know who I am / I am an alien." Der Verdacht liegt nahe, dass MOTHER TONGUE der neuen Chance misstraute, die sich der Band mit "Streetlight" geboten hatte, und nun versuchte, möglichst knapp auf den Punkt zu bringen, was sie uns mitzuteilen hatte. "Ghost Note" klingt momentaner, akuter, dringlicher als "Streetlight" oder "Mother Tongue". Man scheint sich bewusst gewesen zu sein, dass überall ein Abgrund lauern kann, und hat womöglich aus diesem Bewusstsein heraus seine Songs geschrieben. Selbst schönste Melodielinien sind somit von einem spannungsgeladenen Grundgefühl überzogen, und ein Titel wie 'The Void' bringt das nur noch verdichteter auf den Punkt. Ausufernder, aber wieder wie gehetzt, zelebriert die Band ihren Lebenshunger im hendrixianisch inspirierten 'That Man', wo aber auch ein ANIMALiScher Einfluss mitzuschwingen scheint. Etwas trügerische Ruhe und immerhin Zeit zum Durchatmen bringt der mystisch anmutende Sechseinhalbminüter 'The Storm', bei dem die MOTHER TONGUE mit der ihr eigenen Intensität das weite Feld zwischen THE DOORS, dem bereits erwähnten JIMI sowie SLY & THE FAMILY STONE beackert: Beschwörend, elektrisch aufgeladen, rhythmisiert. Und noch dazu passenderweise in der Mitte des Albums platziert.
Wie sich danach die Stimmung löst, das romantisierende 'Missing' ganz unverkrampft und von akustisch begleiteter Gitarre die Sonne aufgehen lässt, das ist schon eine Erwähnung wert. So gelöst und harmonisch klang MOTHER TONGUE selten. Am ehesten wäre dem noch 'Venus Beach' vom Debüt vergleichbar. 'Helicopter Moon' bringt dann wieder den klassischen MOTHER TONGUE-Sound, wie man ihn so ähnlich bereits von Stücken wie 'Damage' oder 'CRMBL' her kennt, allerdings wieder in schnörkelloser, magerer, direkt punktender "Ghost Note"-Manier dargeboten. Ja, die Band hat es geschafft, alte Tradmarks mit neuer Energie zu füllen, ihren Stil weiter gen Rock zu verlagern, ohne damit die Wurzeln zu kappen, den "real" klingenden und unerbittlich hart dreinschlagenden 'Sad Song' neben das fast schon auf magische Weise hymnisch/zerstörerische 'In The Night Time' zu stellen, und beides auf seine Weise gut und zueinander passend klingen zu lassen. Das alles lässt nur einen Schluss zu: MOTHER TONGUE lives!
Anspieltipps: Dark Side Baby, Alien, The Storm, Helicopter Moon, In The Night Time.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Eike Schmitz