NEUROSIS - Souls At Zero (Re-Release)
Mehr über Neurosis
- Genre:
- Depri-Crust-Core
- Label:
- Cargo Records
- Release:
- 01.09.2003
- To Crawl Under One's Skin
- Souls At Zero
- Zero
- Flight
- The Web
- Sterile Vision
- A Chronology For Survival
- Stripped
- Takeahnase
- Empty
- Souls (Demo)
- Zero (Demo)
- Cleans III (Live in London)
Erinnert sich jemand an 1992? Es war wohl das Jahr, in dem allen Menschen bewusst wurde, dass sich die Welt weiterdreht - kurz nach dem Epochenjahr 1989 hatten tumbe Historiker in den USA schon vom "Ende der Geschichte" gesprochen. Und dann 1992: Hochkochende Gewalt gegenüber Ausländern in Ostdeutschland, schwere Rassenunruhen in Los Angeles, erschreckende Bürgerkriege in Somalia, im Kaukasus und im ehemaligen Jugoslawien. Dazwischen platzte sie herein: Die dritte Scheibe von NEUROSIS nach "Pain Of Mind" und "The Word Of Law" unter dem programmatischen Titel "Souls At Zero".
Die fünf Jungs präsentieren sich hier noch deutlich dynamischer als auf ihren späteren Werken. Schon der druckvolle Opener 'To Crawl Under One's Skin' schießt eine breite und massive Wand Heaviness auf den ahnungslosen Hörer ab, begräbt ihn unter nervösem Drumming und den verzweifelten Schreien von Gitarrist Steve von Till und seines ebenso genialen Partner Scott Kelly. Immer wieder verstehen es NEUROSIS aber auch schon hier, plötzliche Pausen in ihre Endzeit-Musik zu bauen, diese abwartenden Passagen lassen die noisigen Gewitter nur noch apokalyptischer erscheinen. Die Produktion von "Souls At Zero" ist dazu erdig und tief grabend, der Gitarrensound von NEUROSIS unterscheidet sich von jeder anderen Lebensform mit Klampfe. Hört euch ein Stück wie den fast neunminütigen Titeltrack an: Was für ein alles zermalmender Bass, welch sägende Gitarrenmelodie! Wer diesen Sound auf einem Mini-Player ohne große Boxen abspielt, hat schon verloren... und verpasst gesprochene Mantras, Tribal-Drums, Samples, Violinen, Flöten und selbst Trompeten-Stöße als Wegmarken des totalen akustischen Untergangs.
Wenn ihr nach diesem Mördertrip in eine Welt zwischen brutalem Crust und wunderschön ruhigen Parts immer noch denkt, dass aktuelle Nu-Metal-Bands wie SLIPKNOT in irgendeiner Weise intensiv sind - tja, dann habt ihr schlicht Pech gehabt. Ein Vergleich mit heutigen MTV-Hype-Bands ist dabei weder lästerlich noch unangebracht, schließlich klangen NEUROSIS um 1992 herum noch viel direkter und bösartiger als zu späteren Zeiten, sind energiereiche und vertrackte Moshparts wie bei 'A Chronology For Survival' in vielfacher stürmischer Ausführung auf der Platte zu finden. Nur braucht eine NEUROSIS-Platte eben eine deutlich längere Wirkungszeit als die kunterbunten Leblos-Melodien der heutzutage als "intensive Wut-Musik" angepriesenen Cloning-Bands von den Reißbretten einer geldgierigen Musikindustrie. Bei NEUROSIS bekommt ihr die echte Weltuntergangsstimmung, die echten Depri-Gefühle, dazu ein ehrliches Image und eine Platte, die ihr endlos oft durch eure Anlage jagen könnt.
"Leave me, demons, did I want you?" rufen NEUROSIS in 'The Web'. Da haben die Musiker recht: Eigentlich wollen wir keine Dämonen in unserem Leben. Aber sie sind immer da, egal ob diese kleinen Teufel als verkapptes Alkproblem oder als Angst vor der eigenen Zukunft ankommen. NEUROSIS singen über solche Gefühle, über die Wut auf sich selbst und die Welt und alles. Sie klingen dabei oft auch resigniert, doch stehen immer wieder auf, machen weiter, kämpfen sich löwenhaft nach vorn. Darum ist diese Band einzigartig, wird auch noch in 20 Jahren auf Plattentellern der Welt ihrer Runden drehen. Ob das für belanglose "Intensiv"-Trend-MTV-Wichser gilt, bleibt dabei die große Frage...
Einige Altfans sehen "Souls At Zero" immer noch als den Höhepunkt der kreativen Phase von NEUROSIS - geben sich doch hier auf besonders eindrucksvolle Weise Crustcore und Psychedelic Rock die Hand und rennen deprimiert in den Untergang. Doch in Wahrheit ist dieses Album auch nicht besser als die anderen Scheiben aus dem Hause NEUROSIS - die Band macht einfach keine schlechte oder unnötige Musik. Diese fünf Musiker haben nur auf jedem ihrer Meisterwerke etwas anderes zu sagen. Und auf "Souls At Zero" sind sie eben noch ziemlich wütend.
Anspieltipps: Wie bei NEUROSIS-Platten üblich - Gesamtkunstwerk... Skippen unmöglich... obwohl 'A Chronological For Survival' und 'Stripped' wohl schon zwei der krassesten NEUROSIS-Songs überhaupt sind...
p.s.: Der 2003 neu aufgelegte Re-Release von "Souls At Zero" enthält auf seinen 76 Minuten Spielzeit noch die Demoversionen von 'Souls' und 'Zero', außerdem ein verdammt geniales Live-Tribal-Erlebnis von 'Cleanse III' in London.
- Redakteur:
- Henri Kramer