VENOM - Sons Of Satan: Rare And Unreleased
Mehr über Venom
- Genre:
- Heavy Metal / Black Metal
- Label:
- BMG / Sanctuary
- Release:
- 28.08.2020
- Angel Dust (1979)
- Buried Alive (1979)
- Raise The Dead (1979)
- Red Light Fever (1979)
- Venom (1979)
- Sons Of Satan (10/1980)
- In League With Satan (10/1980)
- Angel Dust (10/1980)
- Live Like An Angel, Die Like A Devil (10/1980)
- Schizo (10/1980)
- Venom (10/1980)
- Angel Dust (4/1980)
- Raise The Dead (4/1980)
- Red Light Fever (4/1980)
- At War With Satan (2/1983)
Ein wahnsinnig spannender Blick in den Proberaum als noch Clive Archer bei VENOM sang.
Für die venominösen Archäologen in unseren Reihen fand sich schon in der luxuriösen Historienkiste aus dem vergangenen Jahr ein seinerzeit exklusives Doppelvinyl mit den obskuren Demoaufnahmen aus der grauen Frühzeit der Band. Mit der Exklusivität der Boxbeigabe ist es nun vorbei, denn BMG hat erkannt, dass vielleicht auch Leute Interesse an der Demo-Compilation haben könnten, die sich die Box nicht leisten wollten oder konnten, und so gibt es "Sons Of Satan: Rare And Unreleased" nun auch als separat erhältliches Doppelvinyl und als CD-Digipak, beide mit weitgehend anderweitig nicht offiziell erhältlichen Aufnahmen aus den Jahren 1979 bis 1983 und einer sehr stattlichen Spielzeit von über siebzig Minuten.
Reden wir über die frühesten Zeiten der Truppe aus Newcastle Upon Tyne, dann müssen wir auch über Clive Archer reden, über den ersten Sänger der Band: Eine hoch gewachsene, hagere, bleiche Gestalt mit starkem Hang zur Theatralik im Cooper'schen Sinne, zu Corpsepaint, zu scharfen Hiebwaffen und zum Kunstblut, die sich den Bühnennamen "Jesus Christ" gegeben hatte und so neben den höllischen Dämonen und orkischen Titanen Mantas, Abaddon und Cronos die Rolle einer sarkastisch finsteren Lichtgestalt zu spielen schien. Wenig ist der Allgemeinheit über diese Phase der Band bekannt, und mit Ausnahme dreier schon öfters auf Compilations verbratener Demotracks, dürften die zwölf übrigen Songs auf "Sons Of Satan" auch die wenigsten von uns zuvor gehört haben.
Daher gehen wir nun in medias res: Den Anfang der Compilation machen die "Church Hall Rehearsals 1979", fünf räudige, rumpelige und scheppernde, durch die Kirchenakustik komplett verhallte Proberaumaufnahmen, die am 24.11.1979 in der Westgate Road Church Hall in Newcastles West End live in einem Take eingespielt und tatsächlich mit einem Kassettenrekorder aufgenommen worden sind. Zu hören sind darauf Mantas, Cronos, Abaddon und eben Jesus Chist am Mikro, wie sie sich durch die späteren Klassiker 'Angel Dust', 'Buried Alive', 'Raise The Dead' und 'Red Light Fever', sowie die niemals auf ein Album gelangte Bandhymne 'Venom' pflügen. Klangästheten, Musiklehrer und Kritikaster jeglicher Couleur werden ob des Gehörten demonstrativ naserümpfend die Frage aufwerfen, ob man denn wirklich jeden frühen Furz vermeintlicher Kultkapellen auf Tonträger bannen muss, doch der Legionär wird ihnen ein selbstbewusstes "Freilich muss man!" entgegen schleudern. Warum? Weil es einfach verdammt lässig ist, in eine Zeitmaschine zu steigen und bei einem der ersten Rehearsals einer der einflussreichsten Metalbands überhaupt dabei sein zu können. So hat der Hörer beim Lauschen der wilden Weisen und beim Lesen der umfangreichen Linernotes wirklich das Gefühl, Zeitzeuge zu werden und auch viel über VENOM und die alten Hits zu lernen. Man hört ein bisschen was vom Proberaum-Geblödel, die improvisierten Ansagen, als wäre man bei einem der ersten Gigs am Start, und eben Embyonalversionen von Songs, die man seit Jahrzehnten kennt und liebt. Man kann sich über Unbeholfenheiten amüsieren, man kann sich an Momenten erfreuen, die irgendwie anders, aber auf coole Weise anders sind, und vieles mehr. Gerade der Doppelschlag aus 'Buried Alive' und 'Raise The Dead', wie er bis heute gerne live gespielt wird, ist hier besonders spannend, denn Clive Archers Interpretation ist auffällig anders, aber schon damals sehr intensiv.
An zweiter Stelle findet sich das "1980 Impulse Studios - £50 Demo Recording", das die Band ebenfalls noch als Quartett am 10.10.1980 eingespielt hat, und diese sechs Stücke sind ohne Witz und ohne doppelten Boden der absolute Bringer. Cronos konnte sich hier durch seine Arbeit bei Neat Records gutes Equipment und ein wenig Studiozeit krallen, und so sind in Wallsend einmalige Versionen der sechs Stücke 'Sons Of Satan', 'In League With Satan', 'Angel Dust', 'Live Like An Angel', 'Schizo' und 'Venom' entstanden, die ohne Weiteres mit jenen Takes mithalten können, die ein Jahr später als Trio aufgenommen, von Cronos eingesungen und schließlich auf "Welcome To Hell" veröffentlicht wurden. Natürlich können und sollen sie das umwerfende Debütalbum weder schmälern noch ersetzen, doch sie sind wirklich rundum bemerkenswert, im Sinne von bemerkenswert gut. Der Sound ist für VENOM-Verhältnisse durchaus differenziert, Cronos zeigt am Bass etliche auffällige Kabinettstückchen, welche ihm viele gar nimmer nicht zugetraut hätten, und Clive Archers etwas höherer und dabei dennoch derbe bellender Gesang und seine recht punkige Attitüde machen einen großen Teil des Reizes dieses Demos aus. Allgemein hat das "£50 Demo" ein für die frühe NWoBHM nicht untypisches Punkflair, es rockt, auch wenn es ein bisschen was von der späteren Finsternis VENOMs vermissen lässt. Dafür blitzen verstärkte MOTÖRHEAD-Wildheit und das eine oder andere HAWKWIND-Gitarreneffekt-Gewaber auf, die dem Ding einen besonderen Stempel aufdrücken. 'In League With Satan' kommt in dieser Version besonders groovend herüber, und 'Live Like An Angel' ist ein echter Brecher.
Bei der nun folgenden "Impulse Studios Demo Session 1980", die am 29.04.1980 stattfand, handelt es sich mit Sicherheit um die bekanntesten Aufnahmen der vorliegenden Compilation, ist sie doch als einzige tatsächlich bereits 1980 als Tape veröffentlicht und späteren Raritäten-Compilations wie 'Skeletons In The Closet' (1993) oder 'In Memorium' (1991) beigefügt worden. So galten diese Aufnahmen von 'Angel Dust', 'Raise The Dead' und 'Red Light Fever' den meisten lange als älteste bekannte Aufnahmen der Band. Bei ihnen kommt der MOTÖRHEAD-Einfluss mit am stärksten zum Tragen, und sie weisen vom hier vertretenen Material am ehesten bereits in Richtung "Welcome To Hell", obwohl sie älter sind als das im vorigen Absatz besprochene "£50 Demo", das zwar zeitlich näher am Debütalbum steht, sich stilistisch jedoch stärker abhebt. Auch diese drei Songs sind jedoch absolut gelungen und eine spannende Ergänzung zum Albummaterial, die jeder VENOM-Fan mal gehört haben sollte.
Für den Schluss hat man uns einen Song aufgehoben, der ein bisschen aus dem Rahmen fällt, weil es sich um eine Aufnahme handelt, die nicht aus der Frühphase der Band stammt, sondern bereits aus der Zeit, als die Band längst einen Deal hatte, Clive Archer über alle Berge war, und das Trio schon auf zwei veröffentlichte Studioalben zurück blicken konnte. Trotzdem ist die 1983er-Demoversion des Bandepos 'At War With Satan' ein echtes Sahnestückchen. Mit seinen knapp vierzehn Minuten Spielzeit ist der Track gut sechs Minuten kürzer als die spätere Albumversion, er ist nicht nur etwas geraffter, sondern er unterscheidet sich an so vielen Stellen merklich von der Albumversion, dass es wirklich unheimlich viel zu entdecken gibt. Dabei ist die Version aber nicht nur kurios, sondern wirklich grandios.
Als Fazit kann nur unter dieser Rezension nur stehen, dass jeder Spötter, der VENOM schon immer als Rumpelkönige verlacht hat, uns Legionäre weiter belächeln darf, und sich selbst von uns mitleidig belächelt fühlen, wenn er mag. Wer dagegen VENOM wirklich liebt, der wird an dieser Zeit- und Entdeckungsreise jedoch viel Spaß haben. Frei nach einem alten Werbespot: Das erste Rehearsal-Tape? £1. Das nächste Demo? £50. Bei den Aufnahmesessions lauschen zu dürfen? Unbezahlbar.
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle