VIRGIN BLACK - Elegant... And Dying
Mehr über Virgin Black
- Genre:
- Doom Metal / Gothic / Avantgarde
- Label:
- Massacre Records
- Release:
- 28.07.2003
- Adorned In Ashes
- Velvet Tongue
- And The Kiss Of God’s Mouth (Part 1)
- And The Kiss Of God’s Mouth (Part 2)
- Renaissance
- The Everlasting
- Cult Of Crucifixion
- Beloved
- Our Wings Are Burning
Vor kurzem beschrieb Wino, "legendärer" Sänger der Doom Metal-Gruppe ST. VITUS, in einem Interview diesen Stil als "depressiven introvertierten Rock, der nach der Seele sucht". Das trifft vollends auf die Musik von VIRGIN BLACK zu, die mit "Elegant... And Dying" ihr zweites Full-Length-Album ins Rennen schicken – wobei der Begriff "Rock" doch ein wenig relativiert werden muss aufgrund der dominanten Dark Wave- und Neoklassik-Einflüsse. Aber verwurzelt sind VIRGIN BLACK ganz deutlich im Doom Metal. Dieser ist das Gerüst, der die verschiedenartigen Elemente in der Musik zusammenhält.
Das "Suchen nach der Seele" benötigt natürlich einiges an Zeit und so verwundert es nicht, wenn man überwiegend Stücklängen von sieben bis neun Minuten vorfindet, bei 'The Everlasting' gar eine Spielzeit von über siebzehn Minuten. VIRGIN BLACK kommen aus Australien, ein Ort, der für die Erzeugung solcher Klänge besonders günstig zu sein scheint. Gerade die dortige Musikszene beheimatet einige Musiker, die sich von der kargen Landschaft zu einer schwer definierbaren psychedelischen und finsteren Klangkunst inspirieren lassen – man denke etwa an die Gruppe HIERONYMOS BOSCH. Ein unbeschriebenes Blatt stellen VIRGIN BLACK allerdings nicht dar: ihr Vorgängeralbum "Sombre Romantic" wurde in den einschlägigen Gazetten wie Rock Hard oder Orkus mit begeisterten Kritiken bedacht. Diesen Achtungserfolg werden sie mit der neuen CD ausbauen können.
Auf "Elegant... And Dying" lastet eine beklemmende, drückende Stimmung, die nur selten durchbrochen wird. In erster Linie verwirklichen Rowan London (Gesang, Klavier) und Samantha Escarbe (Lead Gitarre, Cello) in der Musik ihre klanglichen Visionen und bilden ihre emotionalen Zustände ab. Sänger Rowan London pendelt mit seiner Stimme irgendwo zwischen einer fast jammernden, schmerzerfüllten Tonlage, opernhaften Höhen und tiefem Grabgesang. Die mächtigen, schleppenden Riffs werden immer wieder durchbrochen von langem Phasen der Ruhe, die von Pianotönen und melancholischen Gitarrenmelodien getragen werden. Neben dem Klavier sorgen ein Cello und entsprechende Keyboardklänge für ein klassizistisches Flair. Das Schlagwerk ist nackt, ja fast steril produziert – was bei mir zeitweise Assoziationen an Wave-Gruppen von Anfang der Achtziger hervorruft (JOY DIVISION, THE CURE - 'A Forest'), die ebenfalls eine graue Nebelstimmung dadurch erzeugten.
Die Musik von VIRGIN BLACK läßt sich kaum mit anderen Gruppen vergleichen. Sicher – hier und da erinnert ein Gitarrenriff an die letzten TYPE O NEGATIVE-Scheiben, MY DYING BRIDE (seit sie ihre Death Metal-Wurzeln zurückgeschraubt haben) operieren häufig auch in dieser Stimmungslage, das sakral-opernhafte Element findet sich in verwandter Form auf den Werken von SAVIOUR MACHINE. Aber all diese Vergleiche gehen am Klang der Musik vorbei, genauso wie der Begriff "Gothic Metal", der zu stark mit THEATRE OF TRAGEDY, CREMATORY u.ä. verbunden ist. VIRGIN BLACK sind doch um einiges avantgardistischer und anspruchsvoller. In die komplex aufgebauten Stücke muß man sich konzentriert einhören, um die ganze Schönheit zu entdecken.
Gleich der Opener 'Adorned In Ashes' hebt mit einem sakralen Chor an, begleitet von einem scheppernden Schlagzeug, dann dumpfe paukenartige Rhythmik, unheilvolle Keyboards setzen ein, pathetischer, sehnsuchtsvoller Gesang, begleitet von einer trauermarschartigen Melodie, schließlich ein verhaltenes Gitarrenriff – langsam und zäh wie Lava. Doch noch ist es die Ruhe vor dem Sturm: das Klavier nimmt den erwarteten Energieausbruch wieder zurück. Das zweite Stück ('Velvet Tongue') schließt unmittelbar an. Nach dem Gesang, der ein wenig an Ian Curtis von JOY DIVISION erinnert, erhebt sich ein typisches Doom-Riff, wobei die Stimme von Rowan sich jetzt schmerzvoll gegen dessen Gewalt aufzubäumen scheint. Aber alles wird wieder in stille Depression zurückgenommen. Es gibt kein Entrinnen. Der erste Part von 'And The Kiss Of God’s Mouth' beginnt mit einem wunderbar verlorenen Gitarrenspiel, um nach ein paar geflüsterten Worten in das wohl melodischste Riff der ganzen CD überzugehen, welches neben der Trauer noch so etwas wie ferne Hoffnung vermittelt. Aber Klavier und der leise, hohe Gesang machen deutlich – diese Hoffnung liegt wohl nicht in der Außenwelt, sondern nur im Inneren.
Das Herzstück der CD ist sicher 'The Everlasting'. Irgendwie haftet diesem Epos etwas Religiöses an, die Suche nach dem "Ewigen". Die erste Hälfte des Stückes wird vorallem durch Klavier, meditative Klangschwaden und den sehr mystischen Gesang beherrscht – hin und wieder durchbrochen von theatralischen Cello- und Keyboardeinlagen. Schließlich setzt die Gitarre ein, die kraftvoll voranschreitet, zeitweilig begleitet von einem choralartigen Gesang.
Der 'Kult der Kreuzigung' ('Cult Of Cruxifixion') dagegen mutet wie eine Hymne auf die Qual an. Nach einem romantischen Zwischenspiel mit Streichern und Glocken ertönen Schläge, die wohl das Treiben des Nagels ins Fleisch andeuten sollen. Gitarre und Klavier schwelgen in unheilvollem Moll-Tönen – ebenso der Gesang, der nichts Gutes zu verheißen scheint. 'Beloved' beginnt danach mit einer zerbrechlich anmutenden Stimme um in Black Metal-artigem Gekreische zu enden.
Die Musik von VIRGIN BLACK dürfte Liebhaber ganz unterschiedlicher Musikstile ansprechen.
Wer auf anspruchsvollen Doom und Gothic Metal steht, für den ist diese Scheibe sowieso ein Pflichtkauf. Da VIRGIN BLACK im Grunde finsterer als ein großer Teil des Gothic Rocks sind, müssten zudem gerade besonders extreme "Schwarzwurzeln" hier eine Leib- und Magenband entdecken. Schwerlich läßt sich Musik finden, zu der man besser die eigenen Depressionen und Melancholien feiern könnte. Aufgrund der hohen Komplexität der Stücke sollte sich auch der eine oder andere Prog-Freund angesprochen fühlen. Und natürlich alle, die "nach der Seele suchen".
"Elegant... And Dying" wurde übrigens von Rowan London klar und vollmundig produziert, den Endmix besorgte Andy Horn (u.a. LANFEAR, CAGE, BOB ROCK). Über die Gestaltung des Booklets kann ich leider nichts sagen, da mir nur ein Promoexemplar vorliegt.
Anspieltips: Alles. Sucht Euch am besten zwei bis drei Stücke aus und hört ein paar Minuten länger hinein.
- Redakteur:
- Jörg Scholz