WHITECHAPEL - Mark Of The Blade
Mehr über Whitechapel
- Genre:
- Death Metal / Deathcore
- ∅-Note:
- 7.50
- Label:
- Metal Blade
- Release:
- 24.06.2016
- The Void
- Mark Of The Blade
- Elitist Ones
- Bring Me Home
- Tremors
- A Killing Industry
- Tormented
- Brotherhood
- Dwell In The Shadows
- Venomous
- Decennium
Ebenso unerwartete wie gelungene Neubesinnung.
Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Kontakt mit WHITECHAPEL, als das Sextett aus Knoxville, Tennessee 2010 in Frankfurt für AS I LAY DYING eröffnete. Eher teilnahmslos nahm ich das betont böswillige High-Speed-Death-Gedresche zur Kenntnis, fragte mich, wozu eine Band denn drei Gitarristen bräuchte, und sah mir belustigt an, wie Fronter Phil Bozeman mit beschwörerischer Mimik mehr oder weniger bewegungslos seine Hasstiraden ins Publikum brüllte. Seither nahm ich die Band nie wirklich ernst und fühlte mich durch die zumeist mittelmäßigen Albumrezensionen meiner Kollegen in meinem Urteil bestätigt. Und nun feiern die Amis ihr zehnjähriges Bandbestehen und legen mit "Mark Of The Blade" ihr sechstes Album vor, bei dem es sich, wie die Band schreibt, um eine Hommage an die treue Anhängerschaft und musikalisch den mutigsten Schritt weg von der "ermüdenden 260bpm Blast-Sache" handelt.
Und, was soll ich sagen - sie haben nicht übertrieben. "Mark Of The Blade" ist tatsächlich weit weg von den blutig-rohen Wurzeln ihrer Anfangstage, langsamer, tiefschürfender, persönlicher als alles, was von den sechs Rohlingen bisher zu hören war. Es handelt sich unverkennbar um WHITECHAPEL, denn das gleichförmige Malträtieren der tiefsten Saiten ihrer mehrfach gedroppten Instrumente sowie das bekanntermaßen etwas eindimensionale, misanthropische Gebrüll Bozemans als Trademarks sind natürlich erhalten geblieben. Aber eine Ballade mit Klargesang, bei der Phil den Verlust seines Vaters aufarbeitet? Mehrere Songs im HATEBREEDschen Midtempo-Downbeat, bei fast vollständigem Verzicht auf besagtes Death-Metal-Geblaste? Dynamische, abwechslungsreiche Nummern, bei denen die Gitarristen absolut songdienliche Soli abliefern? Das sind in der Tat ungekannte Facetten im WHITECHAPEL-Sound, die sich aber hervorragend in das dystopische Gebolze der Amis einfügen. Mir stellt sich die Frage, wieso es nicht schon früher zu dieser Neuorientierung gekommen ist. Aber besser spät, als nie.
Man muss die Band auch weiterhin nicht mögen, kann ihre Musik nach wie vor stumpf und ermüdend finden, sollte allerdings auch zugeben, dass sich etwas getan hat bei WHITECHAPEL, und zwar eindeutig im positiven Sinn. Nicht zufällig spricht die Band im sehr ausführlichen Promoschreiben davon, dass es keinen Sinn macht, immer nur angepisst und voller Hass auf die Welt zu blicken - trotz allem, was man hassen kann und muss, gebe es doch immer Dinge, auf die man sich freuen könne und die Hoffnung machten. Wer nun Angst hat, dass WHITECHAPEL an Biss und Aggressivität verloren hat, kann gelassen bleiben: Es geht gibt auf "Mark Of The Blade" immer noch genug gepflegtes Auf-die-Fresse-Material. 'A Killing Industry' mit der ganzen Bandbreite zwischen doomiger Schwere und brutalstem Hochgeschwindigkeitsgedresche könnte sich zu einem echten Live-Smasher entwickeln, 'Dwell In The Shadows' schließt mit mörderischen Double-Bass-Attacken und vernichtenden Genickbrecher-Grooves nahtlos an alte Schand- respektive Glanztaten an - doch zugleich erweitert die Truppe ihren Sound konsequent: Ein SLAYERsches Intro-Riff bei 'The Void', grooviger Hardcore Metal beim Titeltrack, coriger Groove Metal bei 'Tremors', das gänzlich überraschende, geradezu intime 'Bring Me Home', bei dem Phil eine sehr überzeugende Klargesangsleistung abliefert, oder der melodische Abschluss 'Decennium' - WHITECHAPEL hat eine mutige Neuorientierung vorgenommen, ohne die alten Wurzeln gänzlich zu kappen.
Wer WHITECHAPEL bislang nicht ernst- oder wahrgenommen hat, sollte der Band mit "Mark Of The Blade" nochmal eine Chance geben. Das Album bietet eine feine Bandbreite zwischen unmenschlicher Härte und zutiefst menschlicher Zerbrechlichkeit, dazwischen jede Menge Freude an schweren Grooves, ausgelassener Zerstörungswut und herrlich metallischem Gebolze. Es wird Die-hard-Fans geben, die dem halben Dutzend die Abkehr von seiner bisherigen Ich-hasse-alles-und-jeden-Attitüde übel nehmen werden - dafür dürften mit "Mark Of Blade" jede Menge neue Anhänger auf das Schlachtschiff aus Tennessee aufspringen. Ich für meinen Teil beginne die Band wahrscheinlich jetzt zum ersten Mal wirklich ernst zu nehmen.
Anspieltipps: The Void, A Killing Industry, Decennium
- Note:
- 7.50
- Redakteur:
- Timon Krause