Merry Christmas
- Regie:
- Carion, Christian
- Jahr:
- 2006
- Genre:
- Drama
- Land:
- Deutschland
1 Review(s)
14.02.2007 | 12:51Weihnachten 2005 - eine alles in allem besinnliche, familiäre Zeit, ein Moment der Menschlichkeit, ein erklärendes Gefühl von Liebe und Zuneigung. Für manche Menschen ein Fest der Vergebung und des Einsehens.
Story
Weihnachten 1914 - Erster Weltkrieg an der stark umkämpften Westfront. Nach dem Attentat von Sarajewo am 28 Juni 1914 explodiert das politische Pulverfass in Europa und reißt den Kontinent in einen schrecklichen Krieg. Deutschland sieht für sich einen schnellen Sieg gegen Frankreich, um den Osten beherrschen zu können. Nicht nur in Deutschland wird der Krieg mit einem schier unglaublichen Selbstbewusstsein begrüßt. Propaganda, Hass und Vorurteile beherrschen jedes Land, jede Generation und selbst jede soziale Stellung. Egal ob adligen Geschlechts oder einfacher Herkunft - jeder denkt nur an einen schnellen Sieg. Junge Abiturienten sehen sich im Herbst auf der Universität wieder, so denken sie jedenfalls. Sie irren sich - 40 Prozent von ihnen sterben auf den Schlachtfeldern Europas.
Deutsche, Schotten, Franzosen liegen sich, teilweise nur 100 Meter voneinander entfernt, in Schützengräben gegenüber. Eingebuddelt im kalten, nassen Lehmboden - der allgegenwärtige Tod lauert überall. Hunger und Ungeziefer, die Gewissheit, nur um wenige Meter Heimatland oder Feindesland kämpfen zu müssen, lässt jegliche Kriegsbegeisterung sehr schnell sterben. Hunderttausende von den jungen Männern sind bereits gestorben und sie wissen im Stellungskrieg nicht mal wofür.
Christian Carion liefert in dieser Szenerie die Annährung der feindlichen Truppen - Franzosen, Schotten und Deutsche verwandeln das Niemandsland zwischen den Schützengräben in einen leisen, nachdenklichen, menschlichen Ort, an dem der Krieg pausiert.
Der Berliner Tenor Nikolaus Sprink (Benno Führmann) und die dänische Sopranistin Anna Sörensen (Diana Krüger) werden durch den Kriegsausbruch getrennt. Nikolaus wird wie alle anderen Männer des Deutschen Reiches eingezogen und dient unter dem jüdischen Leutnant Horstmayer (Daniel Brühl), der seine Soldaten diszipliniert und streng führt - nicht ohne Gefühl, aber doch mit aller Konsequenz, wenn diese auch oftmals falsch erscheint.
Auf der anderen Seite liegt das französische Heer und Leutnant Audebert (Guillaume Canet). Noch zwei Minuten bis zum nächsten Angriff ... Ein Zittern der Hände verrät die Angst des jungen Offiziers und werdenden Vaters, ein letzter Blick auf die Fotografie, auf die verfassten Tagebucheinträge des allgegenwärtigen Wahnsinns. Seine Männer sind genauso ängstlich wie er selbst, es wird sich bekreuzigt, die Blicke der Soldaten zeugen von Angst. Leutnant Audebert redet zu seinen Männern, spricht ihnen Mut zu, will sie beruhigen. Der Angriff beginnt, und es endet wie bei jedem Angriff - wenige überleben, die, die sterben, sind noch viel zu jung dafür! Der Tod ist nicht wählerisch.
Bei den Briten und Schotten sieht es ähnlich aus. Die gleichen angsterfüllten, nüchternen Blicke. Der Geistliche Pater Palmer (Gary Lewis) kümmert sich rührend um die Verletzten, um die sterbenden Soldaten. Viele kennt er, denn die meisten kommen aus seiner Stadt. Er wollte den jungen Männern nahe sein, viele kennt er persönlich, sah sie wahrscheinlich aufwachsen und sonntags friedlich das "Vater Unser" beten. Der schottische Leutnant Gordon (Alex Ferns) wirkt besorgt um seine Männer, als sein Vorgesetzter ihn wissen lässt, dass keine Ablösung mit frischen Truppen in den nächsten Tagen kommen wird.
Die deutsche Generalität lässt den Soldaten Weihnachtsbäume mit Kerzen an die Front liefern. Ein Konzertabend mit den beiden Künstlern ist geplant und die Liebenden Nikolaus und Anna sehen sich für wenige Stunden fernab der Front wieder. Nikolaus erklärt seiner "Frau", dass er wieder zurück an die Front zu seinen im Dreck liegenden Kameraden will. Sie wird ihn trotz aller Unvernunft begleiten. Für die fern der Heimat kämpfenden Männer singt der Tenor Nikolaus Sprink "Stille Nacht" und gibt diesen ein Gefühl der Wärme und Liebe wieder.
Aus den schottischen Schützengräbern erklingen die Melodien von Dudelsäcken, und das Singen der Männer ebbt nicht ab. Daraufhin klettert der Berliner Tenor Nikolaus aus den Schützengraben und nähert sich zwischen den Fronten den feindlichen Soldaten. Es geschieht ein Wunder, zwischen den jungen Männern verschiedener Nationen wird ein Waffenstillstand vereinbart - "We not shoot, you not shoot". Die drei führenden Offiziere treffen sich im Niemandsland und gehen zusammen den ersten Schritt, der nicht der letzte sein wird in den nächsten Stunden. Soldaten tauschen mit ihren Feinden, die sie noch vor wenigen Stunden töten wollten, Geschichten aus. Es werden Fotos gezeigt, Getränke und Speisen getauscht. Aus ehemaligen Feinden werden in der "Heiligen Nacht" für einen kurzen Moment der Menschlichkeit so etwas wie Freunde. Bei Karten- und Fußballspielen verbrüdern sich die Soldaten und vergessen, dass sie wahrscheinlich in wenigen Tagen wieder aufeinander schießen.
Auch zwischen den Offizieren, die sich anfänglich mit Vorsicht begegnen, wächst ein Mitgefühl, eine Art kleiner Frieden. Briefe werden getauscht, um sie auf schnellerem Wege über die feindlichen Linien befördern zu können. Man vereinbart für den nächsten Tag, die im "Niemandsland" liegenden Toten zu bestatten, eine letzte Ehre, eine letzte Anerkennung. Doch dieser Frieden bleibt nicht von Dauer. Briefe unterlaufen der staatlichen Zensur und auf Befehl der Heeresleitungen stehen sich die befreundeten Feinde auf einmal wieder gegenüber - nicht ohne Zweifel und nicht ohne Konsequenzen für die Offiziere und Mannschaften ...
Kritik
Merry Christmas ist ein beeindruckender Film, in dem der Zuschauer mitfühlen muss. Ein Weihnachtsfilm, der berührt, der Menschlichkeit, Ethik und Moralvorstellungen bildlich darstellt, ohne zwischen Weihnachtsmarktständen und Glühwein kitschig zu wirken. Als der Abspann des Films lief, stand keiner der Zuschauer auf, ein bedrückendes, ehrfurchtsvolles Schweigen war aussagekräftig genug. Auch ich bin beeindruckt sitzen geblieben und lauschte der recht schönen Musik und den vorbeihuschenden Bleistiftzeichnungen, die Personen und Situationen nachstellten.
Wer hier einen blutigen Kriegsfilm erwartet, wird enttäuscht sein. Hier herrschen 115 Minuten Gefühle und Dialoge, anstatt der Brutalität und des Schreckens eines Krieges. Die Dialoge werden im Film passend in der jeweiligen Sprache geführt, natürlich mit Untertiteln. Genau das gab den Film etwas Besonderes - durch die großartigen Schauspieler wurden die Gespräche zwischen Freund und Feind sehr real und tiefgründig dargestellt.
Besonders gefallen hat mir der Schauspieler Gary Lewis, der den geistlichen Pater Palmer charakterisiert. Alleine seine Mimik und seine Sprache sind grandios, beeindruckend. Im Film wird z.B. von Pater Palmer eine Messe gehalten und zwar für alle Soldaten, nicht nur für die Schotten. So sitzen in der Andacht Franzosen zwischen Deutschen und lauschen den heiligen Worten und später dem Gesang von Anna Sörensen. Ein Augenblick der Rührung und mit einer der schönsten Szenen des Films.
Ebenfalls beachtenswert ist die Entwicklung des Leutnant Horstmayer - gespielt von Daniel Brühl, den viele aus "Good Bye Lenin" kennen. Anfangs habe ich gedacht, dass dieser der Schwachpunkt sein würde, doch weit gefehlt - sein Charakter baut sich am stärksten aus.
Einzig und alleine die Rollen von Benno Führmann und Diane Krüger sind überspitzt dargestellt und überzeugen nicht. Das Singen der beiden Figuren wirkt leider oft kitschig und sie bildeten keine Schlüsselszenen für die Handlung.
In Merry Christmas - und das ist ganz sicher die Stärke des Films - gibt es keine üble "Schwarz-Weiß"- und "Gut-Böse"-Darstellung. Keine Feinddarstellung lässt den Zuschauer Partei für die eine oder andere Seite ergreifen, keine Schuldfrage wird gestellt.
Der Schwachpunkt des Filmes ist vielleicht der Versuch, alles bis ins kleinste Detail zu zeigen. Auch gibt es keine Überraschungen für den Kinogänger, alles läuft darauf hinaus, dass die befeindeten Soldaten sich annähern und trotz aller Vorsicht und Vorurteile keine Kampfhandlungen stattfinden. Einzig und alleine eine kleine Nebengeschichte bringt offene Fragen: Ein junger schottischer Soldat verliert im Gefecht seinen Bruder und muss diesen sterbend zurücklassen. Sein Hass, seine Verzweiflung lässt den Zuschauer ahnen, in welchem Konflikt sich dieser junge Mensch befindet ... Mehr werde ich zu diesem Handlungsstrang nicht erzählen.
Erschreckend fand ich bei diesem Film, wie ein englischer Bischof versucht, Pater Palmer auf den 'wahren und einzigen Weg Gottes' zu bringen und ihn zurück befiehlt, drohend auf ihn einredet und verurteilt. Die hasserfüllte Messe des Bischofs ist eine erschreckende Szene und lässt die englische Kirche in keinem guten Lichte dastehen. Ihr werdet mir sicherlich recht geben, wenn ihr am Ende des Filmes diese Situation seht.
Die Filmmusik ist beeindruckend, der Gesang zwar nicht mein Genre, aber reinhören möchte ich hier schon. Es gibt auch sehr schöne instrumentale Stücke, und ich gebe es zu, es ist mal etwas anderes!
Den 15 Millionen Opfern nach Ende des Ersten Weltkrieges im Jahre 1918, den kämpfenden Soldaten - egal welcher Nation - wird mit diesem filmischen Werk ein Denkmal gesetzt. In den Geschichtsbüchern ist dieses Ereignis nicht weiter würdigenswert erwähnt worden. Jetzt, Jahrzehnte später und nach verschiedenen Darstellungen von Kriegen, rücken die europäischen Kulturen enger aneinander, es gibt zwar noch einige internationale Konflikte und Vorurteile, aber die nächsten Generationen werden dies hoffentlich aufarbeiten können. Dafür sind unsere Urgroßväter gestorben.
Ein sehenswerter und zu empfehlender Film. "Merry Christmas" ist mehr als eines der üblichen Plädoyers gegen den Krieg und das Grauen an den Fronten, mehr als ein Liebesfilm - vielleicht eine emotionsgeladene Chronik und ein leichter Hoffnungsschimmer in einer oftmals dunklen Welt. Kino der großen Gefühle, weit über den Tag hinaus ... Was kann es Schöneres zum Weihnachtsfest geben?
Nachtrag: Filmmusik
Gestern habe ich mir die Filmmusik zu "Merry Christmas" gekauft. Teils gibt es hier wunderschöne instrumentale Stücke des französischen Komponisten Philippe Rombi und zugleich singen die Sopranistin Natalie Dessay und der Tenor Rolando Villazon. Fabelhaft diese insgesamt auch etwas ungewohnte Kompositionen!
Für Philippe Rombi, so schreibt dieser, war diese Filmmusik ein einzigartiges Erlebnis, ein menschliches Abenteuer voller Gefühle und wunderbarer Begegnungen. Die Hymne des "fraternisès", des Hauptthemas des Films, symbolisiert diese außergewöhnliche Verbrüderung und den Frieden, aber auch das Heimweh und die Hoffnung für alle Soldaten - egal welcher Nation und welchem Glaubens. I`m dreaming of home.
Die hervorragende Leistung des Londoner Symphony Orchester und der Klang des Geigers Carmine Lauri haben viel zu diesem Meisterwerk beigetragen. Besonders zu erwähnen sei auch der Chor der jungen Mädchen der Scala, diese bringen eine besondere Farbe voller Unschuld, Charme und Sanftheit für die Zeit einer unvergesslichen Weihnachtsnacht.
- Redakteur:
- Michael Sterzik