Unser täglich Brot
- Regie:
- Nikolaus Geyrhalter
- Jahr:
- 2005
- Genre:
- Dokumentarfilm
- Land:
- Deutschland / Österreich
1 Review(s)
31.08.2007 | 06:54Hintergrund
Nikolaus Geyrhalter, 1972 in Wien geboren, ist Regisseur, Produzent und Kameramann. Abseits der breiten Masse der Filmemacher hat sich Geyrhalter auf Dokumentarfilme spezialisiert. Seine bereits 1994 gegründete Produktionsfirma 'Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion' vermarktet in erster Linie Fernseh- und Kinodokumentarfilme.
Geyrhalter sorgte bereits 1999 mit "Pripyat" für Aufsehen. Seine Doku über die Stadt hinter 'Chernobyl' gewann mehrere Preise und ebnete ihm dem Weg für weitere, aufsehenerregende Projekte. Seine vierstündige Doku "Elsewhere" über das Leben und die Lebensumstände der Menschen in 12 verschiedenen (und entlegenen) Ländern der Welt war nur die logische Konsequenz seines Schaffens. Mit "Unser täglich Brot" erscheint endlich das mehrfach preisgekrönte neue Werk Geyrhalters - diesmal widmet er sich der Lebensmittelindustrie.
Handlung
Woher kommt der Apfel, den ich gerade esse, und unter welchen Umständen ist er gereift? Wie sieht das Leben und die Arbeit auf Obstfarmen und -plantagen aus? Und wie wurde aus der Kuh mein Rumpsteak? All diese Fragen beantwortet "Unser täglich Brot" offen, ehrlich und schonungslos.
Kritik
Die wenigsten werden die oben genannten Fragen eindeutig beantworten können. Die Entfremdung zwischen unserer lebenswichtigen Nahrung und ihrer Produktion ist aufgrund der fortschreitenden Technisierung so groß wie nie zuvor. Wo früher Jäger und Sammler durch die Gegend schweiften und gezwungenermaßen den direkten Kontakt mit der Nahrung suchten, pilgern heute bequeme, zivilisierte und urbanisierte Menschen in Supermärkte und zu Lebensmitteldiscountern. Äpfel und Gurken wachsen in Paletten, Fleisch kommt aus der Vakuumverpackung. Das Wo und das Wie sind unwichtig - Geiz ist geil und gut ist, was günstig ist. Und wer Gewissensbisse hat, kauft Bio ...
Was diese Haltung bewirkt, wissen die Wenigsten. Genau hier setzt Nikolaus Geyrhalter mit seiner mehrfach preisgekrönten Dokumentation "Unser täglich Brot" an. Unkommentiert und schonungslos hält er mit der Kamera drauf und zeigt das Treiben hinter der Obstpalette und der Vakuumverpackung auf.
Der Einstieg ist dabei perfekt gewählt. Ein einzelner Mann säubert eine sterile Halle mit einem Hochdruckreiniger - was für eine Produktionsstätte er da reinigt und wo das stattfindet, ist unbedeutend (genauso wie Zahlen und erläuternde Worte). Die Bilder sprechen für sich und überlassen jedwede Wertung beim Zuschauer.
Dass diese nicht besonders romantisch ausfällt, dürfte jedem klar sein. Küken-Sortiermaschinen, die frisch geschlüpfte Küken über Förderbänder und mittels Hochdruck in Kisten und Hallen verteilen, Schweine, die künstlich befruchtet und später in ein Gestell gezwängt werden, um ihren Wurf unablässig mit Muttermilch zu versorgen, Ferkel, die in futuristische Apparate gesteckt werden, um gewogen, gemessen und ihres Schwänzchens entledigt zu werden, oder die vollautomatische Lachs-entgräte-und-aushölmaschine sprechen eine eindeutige Sprache. Respekt vor dem Leben scheint non-existent. Die Tiere sind eine Ware, ein Gut, das es zu verarbeiten gilt. Die Illusion der glücklichen Kuh zerplatzt in einem Schwall aus Blut und Magensaft. Beim Anblick dieser Szenen dürfte vielen das Steak im Hals stecken bleiben!
Doch nicht nur die überaus bedenkliche Fleischgroßproduktion wird gezeigt. Strahlender Sonnenschein, ein Sonnenblumenfeld irgendwo in Europa. Ein Doppeldecker dreht seine Runden und startet einen Anflug auf das Feld. Mit ihm ein dichter Nebel aus Chemikalien - Schnitt. Verdorrte Sonnenblumen, ein riesiger Mähdrescher erntet Sonnenblumenkerne. In einer anderen Szene bahnt sich ein vermummter Mann samt Atemgerät durch ein Treibhaus, den Wagen mit der Chemiekeule vor sich herschiebend - Schnitt. Ein halbnackter Arbeiter bahnt sich eine unbestimmte Zeit später durch eben diese Plantage - reife Gurken landen auf Paletten ...
Es sind eben solche Bilder, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es bedarf keiner Stimme aus dem Off, die dem Zuschauer erklärt, dass es nicht sonderlich gesund ist, leicht bekleidet das vorher gespritzte Gemüse zu ernten. Aber auch das allgemeine Verhalten der Industriemitarbeiter regt zum Nachdenken an. Juxende und lachende Schlachter, die einem Rind beim Ausbluten zuschauen, sind mehr als befremdlich. Die Aufnahmen aus der Werkskantine wirken förmlich grotesk.
Die Lebensmittelindustrie zeigt sich unpersönlich und funktionell, das (noch) lebende Produkt Geflügel/Schwein/Rind/Fisch ist nicht viel mehr als eine Ware, ein Rohstoff wie Öl oder Stahl. Dass die breite Masse nichts über diese Zustände weiß (oder wissen will), wirkt nicht weiter verwunderlich. Das fließbandgerechte Betäuben, Schlachten, Ausholen und Zerteilen verträgt sich nicht mit dem Lebensgefühl des aufgeklärten modernen Menschen. Das Fleisch kommt eben doch aus der Vakuumverpackung!
"Unser täglich Brot" zeigt eindrucksvoll das Wo und Wie der modernen industriellen Nahrungsmittelproduktion. Keine laute Kritik am grillliebenden Fleischesser, kein verzweifelter Aufruf der Vegetarierfraktion. Vielmehr ein Porträt über die Zustände hinter der Fleischtheke, das den Zuschauer zum Umdenken animiert, ohne große Töne zu spucken. Die ausgehenden Fragen werden in den 92 Minuten der Dokumentation lückenlos beantwortet. Eine neue stellt sich jedoch: Müssen wir im Überfluss leben und somit diese Industrie blind unterstützen?
Die DVD
Die Bildqualität ist bei Dokumentationen selten ein ausschlaggebendes Kriterium. Bei "Unser täglich Brot" liegt das Bild in 1.85:1 vor und liefert eine solide Qualität. Die Schärfe ist annehmbar, die Farben sind natürlich. Referenzwerte darf man in keinem Bereich erwarten, was aber auch nicht weiter stört.
Gleiches gilt für den Ton, wobei hier in besonderer Weise eine gewisse Anspruchslosigkeit an den Tag gelegt werden sollte. Da es keinerlei Kommentare gibt (ausgenommen einiger Gespräche unter den Mitarbeitern), werden hier lediglich Umgebungsgeräusche wiedergegeben. Das Ganze wurde in DD 2.0 kodiert und liefert keinen Grund zur Beanstandung.
Die Extras sind leider arg dürftig ausgefallen. Außer dem Trailer und vier Teasern befindet sich nichts auf der DVD. Ein 16-seitiges Booklet liefert zwar einige interessante Hintergrundinformationen, ein Mehr an audiovisuellen Extras wäre aber wünschenswert gewesen. Gerade ein ergänzender Audiokommentar oder ein Fakten-Feature fehlen.
Fazit
"Unser täglich Brot" offenbart schonungslos die Hintergründe der modernen Nahrungsmittelproduktion, verzichtet dabei jedoch darauf, jemanden an den Pranger zu stellen. Ohne jeglichen Kommentar zeigt Nikolaus Geyrhalter die Zustände und Abläufe in den sterilen, lebensfeindlichen Produktionsstätten der mechanisierten Lebensmittelindustrie. Die drastischen Bilder regen zum Nachdenken an, was unweigerlich ein schlechtes Licht auf das eigene Verhalten wirft.
Ein jeder sollte sich 92 Minuten Zeit nehmen und diese Dokumentation sehen, um sein eigenes Tun zu hinterfragen. Die Frage nach Tofu oder Fleisch stellt sich dabei gar nicht; vielmehr geht es um den Überfluss, in dem wir leben. Rechtfertigt dieser Überfluss die gezeigten Zustände?
- Redakteur:
- Martin Przegendza