John Cassavetes Collection No.1
- Regie:
- John Cassavetes
- Jahr:
- 2006
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
1 Review(s)
08.10.2007 | 13:18John Cassavetes hat sich seine Sporen vor allem als Schauspieler verdient – zumindest ist er als solcher in der heutigen Zeit maßgeblich in Erinnerung geblieben. Vor allem mit seinem Part in “Rosemaries Baby“ wurde er international bekannt, jedoch verdiente er sich auch ein wenig Anerkennung für seine Teilhabe in “Das dreckige Dutzend“.
Indes hatte Cassavetes auf dem Regiestuhl noch einen weitaus größeren Einfluss auf die amerikanische Filmindustrie. Nach einigen Nebenrollen in mehr oder minder spektakulären Produktionen verhalf er dem Independent-Film in den Staaten Ende der Fünfziger auf die Sprünge und gilt bis heute als einer der wichtigsten Mitbegründer dieser Bewegung. In der Rolle des Regisseurs arbeitete Cassavetes in erster Linie daran, sein Publikum mit der Handlung verschmelzen zu lassen. Außergewöhnliche Kameraperspektiven, eigenwillige Charaktere und diffuse Schauplätze gehörten zu den vielen Elementen, mit denen sich die heutige Ikone seinerzeit vom Mainstream absetzte – und dies mit wachsendem Erfolg.
Ein knappes halbes Jahrhundert später werden Cassavetes ambitionierte Werke nun wieder zu neuem Leben erweckt. Eine Kollektion mit drei seiner wichtigsten Streifen macht den Anfang und entführt die Zuschauer in cineastische Randregionen, deren Erkundung zwar ein gewisses Faible für das Ungewöhnliche erfordert, insgesamt aber auch das Potenzial hinter den unvergleichlichen Produktionen enthüllt. In der “John Cassavetes Collection No.1“ kommen mit “Schatten“, “Gesichter“ und “Eine Frau unter Einfluss“ nun die ersten Streifen der Legende zu DVD-Ehren.
Inhalt
“Schatten“
Das ungleiche Geschwister-Trio Ben, Lelia und Hugh schlägt sich eher schlecht als recht durch das harte Leben in Brooklyn. Der völlig dunkelhäutige Hugh versucht sich ständig als Jazz-Sänger, kann aber mangels Talent nur selten genügend Geld mit nach Hause bringen. Bennie hingegen fühlt sich eher einer Bande weißer Herumtreiber zugehörig, unter anderem auch durch seinen blassen Teint bedingt. Er ist ein arbeitsloser Macho, der mit lahmen Sprüchen Frauen aufreißen möchte, dabei aber stetig versagt. Ähnliches erlebt auch seine hellhäutige Schwester Lelia. Sie ist intelligent und dennoch leichtgläubig. Eines Tages lässt sie sich von Toni, einem redseligen Weißen, verführen und verliebt sich ihn. Als sie ihn jedoch ihren Brüdern vorstellt, kommt es zum Eklat: Toni war der Rassenunterschied nicht bewusst, doch für ihn ist er eine entscheidende Hürde – zunächst.
“Gesichter“
Bereits seit einiger Zeit haben sich Richard und Maria Frost voneinander entfremdet. Die Ehe verkommt zum Scherbenhaufen und steht nach einem heftigen Streit vor dem Aus. Für eine Nacht gehen Richard und Maria getrennte Wege: Er lernt das Callgirl Jeannie kennen und treibt mit ihr seine Spielchen, während sie sich von Chet, einem großspurigen Frauenheld, zu einem Techtelmechtel hinreißen lässt. Am nächsten Morgen treffen sich die beiden wieder – und haben sich einiges zu sagen.
“Eine Frau unter Einfluss“
Nick und Mabel kämpfen beide mit ihrer angeknacksten Psyche. Im Beisein ihrer drei Kinder durchlaufen sie ständig aggressive Konfrontationen, weil beide ihrer familieninternen Rolle nicht gerecht werden können. Nick schuftet bei einem Bauunternehmen tagein, tagaus - Mabel hingegen ist mit der Erziehung der drei Kinder betraut, allerdings hoffnungslos überfordert. Ihr Nervenkostüm ist mittlerweile derart geschädigt, dass ihr Verhalten immer stärker von merkwürdigen Trieben und Bewegungen gezeichnet wird – bis die Situation endgültig eskaliert.
Persönlicher Eindruck
Bevor ich in die eigentliche Kritik einsteige, möchte ich zunächst einmal anmerken, dass mich die drei Streifen in dieser Box recht lange zum Nachdenken angeregt haben. Zwar werden keine wirklich krassen Inhalte thematisiert – wenngleich “Eine Frau unter Einfluss“ schon recht extrem dargestellt wird –, doch irgendwie ist diese beklemmende Atmosphäre, die sich, gewollt oder nicht, durch alle enthaltenen Produktionen zieht, derart prägend, dass man sich ihr auch im Nachhinein nicht entziehen kann. Jener Fakt hat auch die Meinungsbildung zu dieser recht ungewöhnlichen Box erschwert. Wenn sich nämlich eines ganz klar herausgestellt hat, dann dass Cassavetes’ visuelle Experimente permanent auf der Schwelle zwischen Genie und Wahnsinn wandeln – und dass rechtfertigt schlussendlich sowohl positive als auch negative Resümees.
Die Kollektion beginnt zunächst recht unspektakulär mit “Schatten“ aka “Shadows“, in dem das Thema Rassismus aus der direkten Perspektive der Betroffenen heraus betrachtet wird. Im Mittelpunkt stehen drei farbige Geschwister, die sich jedoch durch ihren unterschiedlich kräftigen Teint stark voneinander unterscheiden. Zentraler Punkt ist dabei die Liebschaft zwischen Lelia und Toni, die alleine daran zerbricht, dass sich der vermeintliche Liebhaber in der Herkunft seiner neuen Freundin getäuscht hat. Erst ein direktes Aufeinandertreffen mit ihrem wesentlich dunkleren Bruder bringt ihm die Realität nahe, die für ihn jedoch allzu erschreckend ist. Unterdessen werden auch die Einzelschicksale des Trios näher beleuchtet, dies jedoch völlig losgelöst bzw. wie Cassavetes am Ende des Films selber festlegt: improvisiert. Laut Aussage des Regisseurs ging es in diesem Streifen vornehmlich darum, die Großstadtstimmung im Jahr 1959 einzufangen. Insofern erscheint der vorgeschobene Rassenkonflikt auch nur als logischer Aufhänger, um den herum der Regisseur eine tatsächlich improvisierte Handlung gestrickt hat.
Interessant ist diesbezüglich das Erscheinungsbild der markanten Protagonisten, das von den jeweiligen Darstellern auch sehr individuell geformt wird. Die Mimik, die Dialoge, die Kontraste – all dies wirkt im Rahmen der Improvisation dennoch sehr stimmig und hält die Geschichte zusammen. Auch die Dynamik, die von den ungewöhnlich geschnittenen Bildern ausgeht, macht “Schatten“ zu einem wagemutigen Experiment, das mitunter dazu beigetragen hat, den zeitgenössischen, einst modernen Film zu revolutionieren. Dazu bedurfte es letztendlich keiner spannenden oder gar bewegenden Storyline, sondern lediglich einer derartig verknüpften Aneinanderreihung unterschiedlichster Ereignisse. Trotz einiger kleiner Makel also ein durchaus sehenswertes Regiedebüt.
“Gesichter“ ist hingegen leider aus anderem Holz geschnitzt. Zwar ragt auch diese 1968 eingespielte Produktion insofern aus dem Standard heraus, als dass die Kameraführung weitere Fortschritte brachte, doch was die Handlung sowie die Charakterisierung der Hauptdarsteller betrifft, ist der Streifen eher lahm. Erneut setzte Cassavetes hier auf die Kraft seiner ausdrucksstarken Schauspieler, die ihren Auftrag aber nur mäßig erfüllen. Hinzu kommt die ständige Hektik, die sich beinahe über die gesamten 120 Minuten spannt und in Kombination mit den selbstironischen Dialogen und dem schiefen Grinsen des Richard-Darstellers John Marley mit wachsender Dauer zur Vollbelastung des eigenen Nervenkostüms avanciert. Darüber hinaus hat sich der Regisseur hinter einer recht gewöhnlichen Story versteckt, die sich anmaßt, dramatisch und komisch zugleich zu sein. Im Gegensatz zur allgemeinen Theorie ziehen sich diese Kontraste aber sicherlich nicht an, worunter die Handlung einerseits leidet und weshalb sie in dieser Form auch nicht mit dem gewünschten Effekt funktioniert. Keine Frage: Dies ist der mit Abstand schwächste Teil der Box.
Zum großen Finale ruft Cassavetes dann jedoch mit Pauken und Trompeten. Mit Gena Rowland, die bereits in “Gesichter“ mit von der Partie war, und dem damals aufstrebenden Peter Falk bekam der zu diesem Zeitpunkt bereits als Kultfigur gefeierte Regisseur zwei der wohl am meisten ambitionierten und charismatischen Schauspieler vor die Linse, die nicht nur dessen Intention vollends begriffen hatten, sondern auch imstande waren, sie unheimlich lebendig umzusetzen. Vor allem Rowland in der Rolle des psychischen Vollwracks Mabel glänzt pausenlos und setzt sich insbesondere in den hysterischen Szenen kurzzeitig ein Denkmal. Falk indes spielt den rational denkenden Arbeiter vollends überzeugend. Auch sein Nervenzusammenbruch ist intelligent umgesetzt, wenngleich auch ein ganzes Stück subtiler. Statt eines nervlichen Dauerausbruchs setzt sein Verstand immer nur episodisch aus, was sich in aggressiven Beschimpfungen, Handgreiflichkeiten gegenüber Nachbarn und den eigenen Kindern und zuletzt in pädagogischen Maßnahmen äußert, die kaum mehr vertretbar sind. Die Szene, in der er selbst seine sechsjährige Tochter mit Bier abfüllt, ist prägnant für einen schwermütigen, nicht leicht verdaulichen Film, der von großen Bildern und großartigen Schauspielern lebt. 15 Jahre nach seinem Regiedebüt hat Cassavetes hier sein Meisterstück abgedreht.
Aufarbeitung
So durchwachsen die Eindrücke der Filme, so unterschiedlich sind letztendlich auch die Resultate der Digitalisierung. Man sollte jedenfalls keine gehobenen Ansprüche an die audiovisuelle Nachbearbeitung stellen, was angesichts der teils beschädigten Originalbänder jedoch auch klar begründet ist. “Schatten“ zum Beispiel ist aus mehreren Versionen zusammen geschnitten worden und rein technisch gesehen ein ziemliches Fiasko. Bildrauschen, deutliche Beschädigungen und auch ein sehr sonorer Sound machen die DVD-Fassung alles andere als konsumentenfreundlich, jedoch hat man angeblich das Beste herausgeholt, was die Originale hergaben.
Bei “Gesichter“ wird’s sogar noch ein wenig schlimmer. Das Bild ist extrem körnig, Kontraste indes kaum ersichtlich. Der Film ist übrigens nur im englischen Originalton vorhanden, weil keine Synchronisation existiert. Jedoch ist auch hier der Sound arg dünn, sodass man sich über die guten Untertitel freut. Aber dies sollte man sicher nicht als gängigen Standard betrachten – auch nicht für einen Film aus den Sechzigern!
“Eine Frau unter Einfluss“ ist schließlich die Blaupause einer leicht verrauschten Independent-Produktion der Siebziger. Auch hier sind Verschmutzungen zu verzeichnen, die jedoch durch den ausnahmsweise anständigen Klang kompensiert werden können. Dass die digitale Aufarbeitung allerdings hätte besser sein können, steht außer Frage!
In Sachen Bonusmaterial muss der interessierte Fan leider komplett Verzicht üben. Als Dreingabe muss man sich mit dem informativen Booklet begnügen. Dafür punktet die “John Cassavetes Collection No.1“ aber mit einer sehr schönen, kartonierten Verpackung, in der alle drei Filme separat in einem Digipak eingeschoben sind.
Fazit
Wie bereits eingangs angedeutet, fällt es schwer, ein treffendes Fazit zu dieser Box zu benennen. Man ist einfach hin und her gerissen von den sehr wechselhaften Eindrücken der drei Episoden und erlebt sowohl Schwachpunkte (“Gesichter“) als auch Meisterwerke (“Eine Frau unter Einfluss“). Doch gerade wegen des letzten Streifens in dieser Box sollte man mit der Anschaffung liebäugeln. Gena Rowlands und Peter Falk im hysterischen Duett sind ein Genuss, den man derart lebendig inszeniert wohl kaum ein zweites Mal zu sehen bekommt. Davon abgesehen hat das differenzierte Trio aber auch historischen Wert, gerade im Bezug auf die Einflussnahme des damals noch jungen Regisseurs Cassavetes auf die heutige Independent-Landschaft. Zumindest die Ideen und die Motivation, Bilder sich innerhalb eines grob vorgegebenen Konzepts verselbständigen zu lassen, waren seinerzeit innovativ und gewissermaßen revolutionär. Diese Perspektive mag sich aus heutiger Sicht zwar wieder verschoben haben, doch man kann selbst bei einem mäßigen Beitrag wie “Gesichter“ nicht leugnen, dass er auf ganz eigene Art interessant ist - ebenso wie diese seltsame, schön aufgemachte Box, mit der ich mich rückblickend sehr gerne beschäftigt habe.
- Redakteur:
- Björn Backes