Lilja 4-ever
- Regie:
- Lukas Moodysson
- Jahr:
- 2002
- Genre:
- Drama
- Land:
- Dänemark/Schweden
- Originaltitel:
- Lilja 4-ever
1 Review(s)
10.08.2004 | 09:08"Nun liebe Kinder gebt fein acht
ich bin die Stimme aus dem Kissen
ich hab euch etwas mitgebracht
ein heller Schein am Firmament
Mein Herz brennt"
Untermalt von den Klängen von Rammsteins "Mein Herz brennt" sehen wir eine junge Frau verirrt durch Strassen und über Plätze rennen. Sie ist deutlich geschwächt, ihr von blutigen Wunden gezeichnetes Gesicht ist aufgequollen. Doch es ist kein Verfolger zu sehen. Kein Mensch, vor dem sie auf der Flucht sein könnte. Auf einer Autobahnbrücke stoppt die kurzhaarige, blonde Frau und bereitet sich auf den tödlichen Sprung in die Tiefe vor. Schnitt...
Die Geschichte von "Lilja 4-ever" beginnt drei Monate vor der ergreifenden Anfangsszene in einer heruntergewirtschaften Kleinstadt irgendwo in der ehemaligen Sowjetunion. Armut und halbzerfallene Gebäude dominieren das Bild. Voller Enthusiasmus erzählt die hübsche, junge Lilja ihren Freunden davon, dass sie zusammen mit ihrer Mutter und deren Lebensgefährten in die USA ziehen wird. Raus aus dieser trostlosen Stadt, hinein in ein besseres Leben. Doch es kommt anders: Liljas Mutter fährt mit ihrem Lebensgefährten alleine in die Staaten, mit dem Versprechen, ihrer Tochter monatlich Geld zu schicken und sie schnellstmöglich nachkommen zu lassen.
Weder das versprochene Geld, noch irgendeine Nachricht ihrer Mutter erreicht die 16-jährige in der kommenden Zeit. Lilja schmeisst die Schule und verbringt die Tage meist mit dem kleinen Volodya, einem Jungen, der von seinem Vater rausgeschmissen wurde und der nun auf der Strasse lebt. Als ihr Geld und all ihre Vorräte zuneige gehen, beschliesst sie, dem Rat einer Freundin folgend, sich in der nächstgrösseren Stadt einen Freier zu suchen. Sie wird in einer Disco schnell fündig und begibt sich mit ihm in dessen Wohnung. In der folgenden Zeit sieht sich Lilja immer häufiger gezwungen, den Gang in die Prostitution anzutreten, um ihr Überleben und nebenbei das von Volodya zu sichern. Bis sie eines Tages Andrei kennenlernt: Ein charmanter, gutaussehender Mann, der ihr die große Welt zeigt: Spielhallen, McDonalds und sein Versprechen, sie mit in seine Heimatstadt nach Schweden zu nehmen und ihr dort einen Job zu besorgen.
Lilja nimmt dieses Angebot nur allzu gerne an, auch wenn sie dadurch Volodya, ihren einzigen Freund zurücklassen muss. Die Freude über ihr neues Leben, das von nun an beginnen würde, hält nur kurz: Andrei schickt Lilja alleine nach Schweden, weil er angeblich noch seine schwerkranke Großmutter besuchen muss. In Schweden nimmt sie Witek in Empfang, ihr künftiger Zuhälter, der sie in einer Wohnung gefangen hält...
"Lilja 4-ever" ist ein Film, der den Zuschauer nicht subtil bewegt und nachdenklich stimmt, sondern ihn viel eher mit hinunter in die Tiefe reisst. Die 100 Minuten Spielzeit sind wie ein großer Sog inszeniert, der zwar kurzfristig den Anschein erweckt, dass man wieder aus ihm herauskommt, sich jedoch immer enger zusammenzieht und den Hals des Zuschauers zu erdrücken scheint. Es ist der Realismus, mit dem Regisseur Lukas Moodysson sich an diese Thematik wagt, der das beklemmende Gefühl nur bestärkt und dem Film nicht selten dokumentarischen Charakter verleiht. Die ständige Gewissheit, dass Liljas Weg vorbestimmt ist, nimmt einem dabei endgültig die letzte Hoffnung.
"Lilja 4-ever" lässt aber vor allem den Gefühlen und Gedanken der Hauptdarstellerin einen großen Platz, zeigt und zelebriert die kurzen Momente der Freude, die hin und wieder aufleuchten. Keine leichte Unterhaltung und definitiv kein Film, der einen so schnell wieder loslässt. Den erhobenen Zeigefinger hat sich Lukas Moodysson dabei dankenswerterweise gespart, diese realitätsnahen Aufnahmen sind bedrückend genug, als dass man sie künstlich verschlimmern müsste.
Die Darsteller, allen voran Oksana Akinshina als Lilja und Artyom Bogucharsky als ihr kleiner Weggefährte Volodya, sind hervorragend besetzt. Die deutsche Synchronisation ist der einzige Kritikpunkt, den ich hier ansprechen kann: Bei den meisten Nebendarstellern wirken deren deutsche Stimmen nur allzu oft mit nicht viel Sorgfalt ausgewählt und emotionslos dargeboten. Hier empfiehlt sich ganz klar das Original mit deutschen Untertiteln.
Sunfilm veröffentlichen den mit zahlreichen Filmpreisen ausgestatteten "Lilja 4-ever" in einer Special Edition auf 2 DVDs. Die erste der DVDs enthält den Hauptfilm, wahlweise in deutscher Sprache oder der originalen Mischung aus russisch, schwedisch und englisch. Auf der zweiten DVD befinden sich neben einer Fotogalerie zwei TV-Spots zum Thema Menschenhandel, sowie ein 90-minütiges, sehr interessantes Interview mit Regisseur Lukas Moodysson, der über Filmkunst im allgemeinen und "Lilja 4-ever" im speziellen spricht.
Die letzten Worte sollen an dieser Stelle auch Lukas Moodysson gehören:
"Lilja 4-ever ist ein Film über das Verlangen, woanders zu sein, alles zurückzulassen, darüber, allein zurückgelassen zu werden, über reiche Leute, die glauben, dass man alles kaufen kann, über arme Leute, die dazu gezwungen sind, ihren ganzen Besitz zu verkaufen (außer ihrem Herzen), über Dinge, die weit entfernt passieren und über Dinge, die auf der Strasse, in der wir leben, passieren..."
- Redakteur:
- Christian Debes