Bully - Diese Kids schockten Amerika
- Regie:
- Larry Clark
- Jahr:
- 2001
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- Bully
2 Review(s)
31.01.2005 | 07:55Man sollte sich nicht vom Titel dieses Films verwirren lassen. Wo man hierzulande damit einen der erfolgreichsten Komiker deutscher Filmgeschichte assoziiert, bedeutet "Bully" in der englischen Sprache schlicht "Tyrann". Und passender hätte Larry Clark seinen Film nicht betiteln können.
Bobby ist ein Tyrann, wie er im Buche steht. Er schikaniert seinen besten Freund Marti, wo es nur geht. Selbst als Marti eine Freundin findet, behält Bobby die Kontrolle über ihn. Als er Martis Freundin vergewaltigt, fasst dieser den verhängnisvollen Entschluss, Bobby zu töten. Getrieben von den Worten seiner Freundin wird die Tat für ihn immer realer. Und unter seinen Freunden findet er viele Verbündete, die alle noch eine Rechnung mit Bobby offen haben.
Was Larry Clark hier versucht, ist definitiv Neuland für ihn. Er verfilmt eine wahre Begebenheit. Die tragische Geschichte um den Mord an Bobby Kent, der 1993 in Florida für Aufsehen und Bestürzung sorgte. Diese Tatsache ist für den Regisseur gleichermaßen eine Basis wie eine selbst geschaufelte Grube. Einerseits verteidigt sie, warum der Handlungsverlauf so ist wie er ist. Sie gibt sogar eine Daseinsberechtigung, denn eigentlich spricht nichts dagegen, dieses Geschehnis und die Umstände, die dazu führten, zu verfilmen. Andererseits stellt die Realität eine unerreichbare Messlatte dar, auf die immer wieder verwiesen werden kann. Quasi ein Weg mit zwei Abgründen, sei es nun, dass man die Geschichte zu langweilig erzählt, oder dass man sie zu sehr dramatisiert, beides wirkt sich absolut negativ aus.
Letztlich trifft einfach alles auf "Bully" zu. Er hat seine Daseinsberechtigung, er scheitert an jeder Hürde, und ist letztlich doch teilweise genial.
Die Handschrift von Larry Clark.
Niemand braucht etwas dagegen zu haben, dass es diesen Film gibt, doch die Umsetzung ist des wahren Geschehens nicht würdig. Clark ist mittlerweile nicht mehr berühmt für seine schockierenden Filme, er ist gefürchtet. Und so sticht nur allzu sehr die unnötig provozierende Handschrift des Regisseurs hervor, an jeder Ecke, in der einer der zahlreichen Hauptdarsteller den Mund aufmacht. So beginnt der Film mit den Worten "Ja, du sollst meinen Megaschwanz lutschen", geht weiter mit Mädchen, die sich am Telefon mit "Schlampe" begrüßen und endet mit "Halt dein Scheißmaul!".
Auch wenn einem die Interviews mit den Hauptdarstellern (allen voran Brad Renfro) mehr auf den Keks gehen als alles andere, weil man sich nach einer Weile wirklich fragt, wie die auch nur einen zusammenhängenden Satz vor laufender Kamera hinbekommen haben, wo sie doch im realen Leben nur herumstottern, kommen bei Hauptdarsteller Brad Renfro doch ein paar wirklich interessante Aussagen zustande, die überraschenderweise stark kritisierend wirken. Was er anprangert, sind die zahlreichen Sexszenen, die völlig unnötig sind. Das erinnert alles viel zu sehr an "Kids". Schon damals war die Schlussszene überflüssig. Niemand will in einem solchen Film ("Bully") "anderen beim Ficken zuzusehen", sagt Renfro, und er hat Recht.
Bei der zentralen Rolle des Films wurde der "größte" Besetzungsfehler gemacht.
Wenn Clark so sehr auf Realismus gesetzt hat, wie er im Bonusmaterial der DVD behauptet, so ist ihm in jedem Fall in Sachen Besetzung zu seinem Film einer Fehler unterlaufen!
So wie es auch Renfro bemerkt, ist der tatsächliche Bobby weitaus größer und stärker als Marti gewesen. Renfro empfindet das nicht unbedingt als Nachteil, weil dadurch angeblich die psychische Macht die Bobby ausübt besser in den Vordergrund rückt. Aber er liegt falsch. Zwar ist die geistige Überlegenheit sehr gut herausgearbeitet, hätte Larry Clark jedoch einen großen Schauspieler eingesetzt, so wäre es dem Zuschauer weitaus schlüssiger, warum Marti nicht einfach von ihm ablassen konnte. Dennoch spielt sich Nick Stahl den Arsch wund und überzeugt (so gut er es eben kann mit seiner Körpergröße) in allen Belangen. Ich hatte erst kürzlich einen Bericht über den Bobby-Kent-Mord gesehen, bei der unter anderem auch Bilder von Bobby und Marti gezeigt wurden. Danach wirkte es sehr viel verständlicher, wieso es zu dieser Tat kommen konnte. Sehr viel besser als in Clarks Version.
Zu viel Dramatik.
So gut die Todesszene von Bobby eingefasst wurde, so übertrieben wirkt, dass Clark seine beiden Gegenspieler Marti und Bobby im Verlauf des Films beide an den jeweiligen elterlichen Esstisch setzt und die unterschiedlichen Situationen, in denen sich die beiden befinden, gegeneinander ausspielt. Dass Marti seinen Vater anbettelt dass die Familie wegzieht, erscheint noch logisch, aber dass Bobbys Vater seinem Sohn dies anbietet, ist einfach zu konstruiert.
Clark fängt die Empfindungen vor, während und nach dem Mord sehr gut ein.
"Bully" ist und bleibt, vor allem wenn man ihn zum ersten Mal sieht, ein Film, der Angst macht. Besonders, weil man bereits weiß, dass Bobby Kent am Ende sterben wird. Unerträglich wird der Weg der Jugendlichen bis zum kaltblütigen Mord für den Zuschauer. Clark erzeugt genau den Eindruck, den auch der an der Tat beteiligte Derek Dzvirko bestätigte: dass die Jugendlichen sich in diese Tat hineingedacht haben, ohne sie zu realisieren - bis sie Wirklichkeit wurde.
Doch das allein rettet nicht diesen Film. Es sind einmal mehr die Schauspieler, die sich selbst übertreffen. Was Larry Clark bei der Rolle des Bobby Kent falsch gemacht hat, macht er bei allen anderen richtig, als er wie einst bei "Kids" vorwiegend unbekannte Schauspieler einsetzte. So wie Rachel Miner, die in ihrer Rolle aufgeht und eventuell sogar am authentischsten wirkt. Mal ganz davon abgesehen, dass sie mit vollem Körpereinsatz spielen muss. Ein Glücksgriff ist auch Daniel Franzese, der die Rolle des Derek Dzvirko sehr gut ausfüllt. Clark zieht sogar noch ein weiteres Ass aus dem Ärmel. Leo Fritzpatrick spielt hervorragend den Gangführer, der als Einziger zumindest ansatzweise die Kontrolle über die gesamte Tötungsaktion behält. Die Rolle, die er in diesem Film einnimmt, scheint ihm noch weitaus besser zu stehen als die in "Kids", wenngleich das gesamte Profil seiner Person wahrscheinlich frei erfunden ist.
Last but not least: Nick Stahl! Auch wenn er einfach der Falsche für seine Rolle war, so macht er doch scheinbar mehr daraus, als jeder andere es hätte tun können. Er mimt wie kein Zweiter das größte Arschloch der Neuzeit. Würde es kein muskelbepacktes Vorbild geben, so wäre er perfekt für die Rolle gewesen.
Es ist wahrlich unmöglich, keine Meinung zu einem Larry-Clark-Film zu haben. Der Film ist kontrovers. Letztlich entscheidet der Zuschauer über die Qualität des Films, indem er die Gewichtung auf Stärken und Schwächen selbst verteilt. Ohne Zweifel begibt sich dieser Film, wie auch schon damals "Kids", in eine Randzone. Das allein macht ihn schon sehenswert. Doch sollte man sich der Fehler, die dem Regisseur unterlaufen, stets bewusst sein. Sicher gibt es nur wenige, die dieses Geschehnis so krass hätten darstellen können wie Larry Clark, aber sicherlich viele, die es besser hätten machen können.
- Redakteur:
- Michael Langlotz
Life sucks! Marty ist ein Loser. Seit Jahren wird er von seinem besten Freund Bobby schikaniert. Der liebt es geradezu, seine Mitmenschen zu quälen und vor allem Marty muss regelmäßig daran glauben. Schwulen-Pornos drehen, strippen für Geld, schmerzhafte Demütigungen - immer ist Marty der Dumme. Als er Lisa kennen und lieben lernt, werden sie und ihre beste Freundin Ali von Bobby sogar vergewaltigt. Lisa sieht nur noch einen Ausweg: Bobby muss sterben! Mit Hilfe einer stets zugedröhnten Clique und einem angeheuerten Auftragskiller wird der Plan dilettantisch in die Tat umgesetzt.
"Dilettantisch" ist genau das Stichwort. Wie auch schon bei "Kids", für das ebenfalls Regisseur Larry Clark verantwortlich zeichnete, hat dieser Film einen ganz eigenen - man könnte es mit einigem guten Willen wohl so nennen - "Charme". Wie auch schon bei "Kids" sind die Dialoge extremst flach und beruhen im Wesentlichen auf der relativ willkürlichen Kombination von F-, S- und anderen Schimpfwörtern, hirnlosem, drogengeschwängertem Gebrabbel und niveaulosem Austausch über Geschlechtsverkehr. Wie auch schon bei "Kids" sind die Hauptfiguren des Films dermaßen unsympathisch, dass man vergebens auf das Einsetzen eines Sympathie- oder gar Mitgefühls wartet.
Die Intention des Films ist relativ schnell zusammengefasst. Larry Clark erzählt eine authentische Geschichte nach und versucht, die Motivation für den Mord zu erläutern. Experiment gelungen? Bedingt. Nick Stahl, der vom darstellerischen her eine durchaus solide Leistung abliefert, verkörpert die Hassfigur Bobby Kent so überzeugend, dass durchaus nachvollziehbar wird, warum Marty (Brad Renfro), Ali (Bijou Phillips) und Lisa (Rachel Miner) eine derartige Abneigung entwickeln. Andererseits aber setzt Clark - wie auch beim mehrfach genannten "Kids" - sehr, sehr stark auf den provokativen Charakter der Hauptfiguren. So lässt er auch die Frage unbeantwortet, wie eine Ansammlung derart hirnloser Gestalten überhaupt in der Lage gewesen sein kann, einen Mord zu planen und auszuführen. Im Gegensatz dazu gelingt es Clark aber recht gut, eine Erklärung dafür zu liefern, dass und wer der Verräter war, der die Gruppe an den Staatsanwalt verkauft hat, um selbst eine Strafmilderung zu erreichen.
Wie bereits angedeutet, finden sich einige durchaus talentierte Jungmimen in der Riege der hier auflaufenden Schauspieler. Einen Lichtblick stellt aber im wesentlichen nur Rachel Miner dar, der der Charakter der Lisa förmlich auf den Leib geschrieben zu sein scheint. Ein wenig ernüchternd wirkt auch die Begegnung mit Brad Renfro, der gerade in den Interviews aus dem Bonusmaterial der DVD noch immer den Eindruck macht, als wäre auch ihm die Rolle des stumpfsinnigen Versagers Brad maßgeschneidert worden - böse Zungen würden vielleicht sagen, es könnte sogar umgekehrt sein. Wie der liebenswerte kleine Junge aus "Mississippi - Fluss der Hoffnung" (The Cure) bzw. "Der Klient" (The Client) zu diesem Zombie werden konnte, hat etwas Beängstigendes. Ansonsten lässt sich der Film als "weitestgehend belanglos" abtun. An die Problematik hätte man weniger vulgär und obszön herangehen können, als Regisseur Clark das getan hat. Dass er das eben nicht tat, macht den Film für eine bestenfalls sehr eingegrenzte Zielgruppe interessant, keinesfalls aber für ein breites oder gar anspruchsvolles Publikum. Wer "Kids" als gute Unterhaltung empfand, der dürfte auch bei diesem Film gut aufgehoben sein. Die Frage muss allerdings gestattet sein, ob dem Film dann überhaupt Erfolg beschieden sein kann, denn vom Niveau des Films ausgehend hat das Zielpublikum ein Alter von etwa 14 oder 15, dem aber ein Mindestalter von 16 Jahren gegenüber steht.
Die DVD ist immerhin recht nett ausgestattet. Der Film ist in deutscher und englischer Tonspur zu finden, jeweils in DD 5.1 sowie in Dolby Surround (deutsch) bzw. Dolby Stereo 2.0 (englisch). An Extras finden sich die Bio- und Filmografien der Darsteller und des Regisseurs sowie Interviews mit eben jenen und dazu ein Blick hinter die Kulissen.
Eine durchaus interessante Story und unzweifelhaft talentierte Darsteller können diesen Film aufgrund der misslungenen Inszenierung nicht retten.
- Redakteur:
- Sebastian Hirschmann