Eyes Wide Shut
- Regie:
- Stanley Kubrick
- Jahr:
- 1999
- Genre:
- Drama
- Land:
- Großbritannien
- Originaltitel:
- Eyes Wide Shut
1 Review(s)
25.12.2004 | 07:15Hat der "gute Doktor" Bill Harford durch sein unerlaubtes Erscheinen auf einer geheimen Sexorgie der oberen Zehntausend von New York City das Ableben einer jungen Frau verursacht? Die Gewissensschuld zwingt ihn, den Fall aufzuklären. Dabei gerät seine Fassade als wohlanständiger Ehemann und Vater in größte Gefahr - und zerbricht.
Filminfos
Originaltitel: Eyes Wide Shut (GB, 1999), DVD: 23.08.2001 (ASIN B00005ML1O)
FSK: ab 16
Länge: 153 Min.
Regisseur: Stanley Kubrick
Drehbuch: Stanley Kubrick, Frederic Raphael
Musik: Jocelyn Pook; Schostakowitsch, Ligeti, Chris Isaak, Frank Sinatra ("Strangers in the Night")
Darsteller: Tom Cruise, Nicole Kidman, Sydney Pollack, Leelee Sobieski, Sky Dumont, Marie Richardson (Marion Nathanson), Rade Sherbedgia (Milich), Todd Field (Nick Nightingale) u.a.
Handlung
In der Exposition besuchen der New Yorker Arzt William Harford (Cruise) und seine Frau Alice (Kidman), eine pleite gegangene Kunsthändlerin, eine mondäne Weihnachts-Party, die der Anwalt Victor Ziegler (Pollack) und seine Frau Ilona geben. Sowohl Alice als auch Bill werden in Versuchung geführt: Bill von zwei hübschen Models, Alice von einem ungarischen Grafen (Dumont).
Ein Notruf in das Badezimmer von Ziegler bewahrt Bill vor dem Schlimmsten: Die Prostituierte Amanda "Mandy" Curran (Julienne Davis) hat eine Überdosis Drogen genommen und droht nun abzunippeln. Das wäre ihrem Kunden Ziegler sichtlich unangenehm. Bills Eingreifen rettet Mandy, Ziegler und den Abend. Natürlich schweigt der Arzt darüber.
Unterdessen entzieht sich Alice geschickt den schlüpfrigen Avancen ihres Charmeurs und macht mit Bill den Abflug. Wahrscheinlich aber denkt sie noch lange an die Worte des Ungarn: "Man ist nur verheiratet, um einander etwas vorzumachen."
Am nächsten Tag geht Bill wieder in die Praxis, wo er unter anderem junge Frauen untersucht. Er muss stets die Fassade des "guten Doktors" aufrechterhalten, den keine fleischliche Versuchung anfechten kann. Wo immer er seinen Arztausweis zeigt, öffnen sich Türen und Herzen, besonders die von Frauen.
In ihrer weitläufigen Wohnung am Central Park West (die mit Gemälden von Christiane Kubrick vollgehängt ist, also gut aufpassen!) bringen Bill und Alice ihre Tochter Helena, die sich auf Weihnachten freut, zu Bett, bevor sie sich selbst darauf vorbereiten, miteinander zu schlafen. Alice hat zum Zwecke der Entspannung einen Joint gedreht und ist schon fröhlich am Kiffen, als Bill ebenfalls erscheint, um einen tiefen Zug zu nehmen.
In ihrem gemeinsamen Versuch, die Versuchungen der Party zu verarbeiten, sagt Bill leider drei falsche Sätze. Er hält seine Gattin für treu und unfähig zu einem Seitensprung. Im Grunde gesteht er keiner Frau zu, sexuelle Wünsche zu haben, was doch recht naiv ist. Als Reaktion darauf bricht Alice wütend, dann lachend zusammen und erzählt dem leicht befremdeten Bill, dass sie in ihrer Fantasie die Ehe mit einem feschen Marineoffizier gebrochen habe. Was Bill besonders schockt, ist ihr Geständnis, dass sie bereit gewesen wäre, in dieser Fantasie ihre Zukunft mit ihm und Helena aufzugeben, nur um eine Nacht der Lust mit dem Offizier zu haben. Fortan verfolgt diese Sexszene die Vorstellungskraft Bills, wobei er deren Fortgang stückweise bis zum Höhepunkt imaginiert.
Bills naive Annahme über das weibliche Begehren wird Lügen gestraft, als er direkt nach Alices Beichte zur Tochter eines Patienten gerufen wird. Marie Nathanson (Marie Richardson) gesteht ihm ihre Liebe und küsst ihn - sie möchte lieber in Bills Nähe als Mätresse leben als mit ihrem Freund Carl (Thomas Gibson) irgendwo in Chicago zu versauern, wenn auch als Ehefrau.
Marions Angebot verstört ihn derart, dass er kein Taxi nimmt, sondern durch den Dschungel der Großstadt spaziert. Dort gabelt ihn Domino (Vinessa Shaw) auf, eine Nutte mit goldenem Herzen. Bevor es zum Sex kommt, ruft ihn Alice auf dem Handy an. In einer Jazz-Bar trifft er Nick Nightingale wieder. Der Pianist ist ein früherer Studienkollege Bills. Zufällig erfährt Bill das Passwort für den Zugang zu einer geheimen Sexorgie der oberen Zehntausend New Yorks.
Im 3. Akt erkennt Bill seine Chance und nimmt sie sofort wahr. Nachdem er sich in einer grotesken Farce bei einem Kostümverleiher (Sobieski & Co.) ein entsprechendes Outfit besorgt hat, lässt er sich nicht gerade statusgerecht im Taxi zum Schloss im Wald fahren.
Er erhält mit dem Kennwort sogar Zutritt und schaut sich um. Die Orgie befindet sich bereits im fortgeschrittenen Stadium, und in etlichen Ecken, auf einigen Tischen wird bereits fröhlich gevögelt, während die Gäste gelangweilt zuschauen. Ein Gefühl, in Gefahr zu sein, kommt bei Bill erst auf, als eine junge unbekleidete Schönheit ihn eindringlich warnt: Er solle sofort verschwinden, bevor es zu spät sei. Bill (und der Zuschauer) fragt sich natürlich, wie ihn die Frau erkannt hat. Es ist Amanda Curran, und sie versucht, ihren Lebensretter vor dem Schlimmsten zu bewahren.
Zu spät! Bill fliegt auf, wird vor den Zeremonienmeister (Kubricks Assistent Leon Vitali) zitiert und soll sich ausziehen, um seine Strafe zu empfangen, die zweifellos sehr hart ausfallen dürfte. Bill, dessen Gesicht als einziges entblößt ist, ist daher sehr froh, als jene Warnerin sich bereit erklärt, sich für ihn zu opfern. Es ist natürlich Mandy Curran. Und wer weiß, wie ihr Schicksal aussehen wird, hat sie doch gestanden, sie bange um ihr Leben und seines. Als Bill nach draußen geführt wird und nach Hause zurückkehrt, macht er sich Sorgen um sie.
Im 4. Akt treiben seine Sorgen Bill zu Nachforschungen, obwohl man ihn davor gewarnt hat. Nick Nightingale wurde verprügelt und ist verschwunden. Domino, die nette Nutte, die ihn im Greenwich Village beinahe gevögelt hätte, stellt sich als HIV-positiv heraus. Er kauft eine Zeitung, deren Schlagzeile "Lucky to be alive" lautet; deutlicher kann man es nicht sagen. Amanda Curran, so liest er in dieser Zeitung, ist mit einer Überdosis ins Krankenhaus eingeliefert worden. Als er sie im Hospital sehen will, erfährt er von ihrem Ableben. Hat Bill sie auf dem Gewissen, indem er sie den dunklen Orgienveranstaltern überließ?
Klarheit bringt erst ein langes Gespräch mit Ziegler, der bei der Orgie anwesend war und Bill zu sich bittet. Er redet Bill ein, dass er keinesfalls schuld an Amanda Currans Tod sei. Die ganze Sache im Schloss sei vielmehr eine Charade, eine Farce gewesen, um Bill einzuschüchtern, damit er die Klappe hält. Mit Recht fragt Bill, was das für eine Farce sei, bei der dann später jemand draufgeht.
Heimgekehrt, erwartet ihn jedoch ein Schock höchsten Grades: Bills Maske, die er bei der Orgie trug, liegt auf dem Kissen neben der schlafenden Alice wie ein Traumliebhaber. Er hatte die Maske schon vermisst. Bill bricht zusammen und gesteht der ahnungslosen Alice alles in einer tränenreichen Beichte, die ihrer früheren ein Gegengewicht entgegensetzt. Endlich ist die Fassade, die der "gute Doktor" aufrecht erhalten wollte, in sich zusammengefallen. Die Maske ist fort.
Kann es nach der tränenreichen Nacht für die beiden noch eine Zukunft als Ehepaar geben?
Mein Eindruck: der Film
Dieser Film wird für immer mit Stanley Kubricks Tod am 7. März 1999 verbunden sein, der nur wenige Tage nach der ersten semi-öffentlichen Vorführung eintrat und alle Mitarbeiter überraschte (vgl. die Interviews in den Extras) - schließlich hatten sie drei Jahre mit dem Meister gelebt und gearbeitet.
Es sollten noch vier Monate vergehen, bis der Film in die Kinos der Welt kam - und prompt gründlich missverstanden wurde. Es war nur noch ein kleiner Schritt, ihn zu Pornografie zu erklären, und tatsächlich wurde in den prüden USA nur eine zensierte Fassung gezeigt. Es gab nur wenige Kritiker wie Roger Ebert von der Chicago Sun-Times und Richard Schickel von "Time", die "Eyes Wide Shut" für ein Meisterwerk halten. (Entsprechende Artikel sind im Web zu finden, daher verzichte ich aufs Zitieren.)
Erzählzeit vs. erzählte Zeit
Das Erste, was einem in den Sinn kommt, ist die immense Länge an Erzählzeit, die für ein Minimum an erzählter Zeit aufgewendet wird: über zweieinhalb Stunden sind nötig, um zwei bis drei Tage im Leben eines Ehepaars zu erzählen. Solange sich der Zuschauer nicht auf diese genaue, gemächliche Erzählweise einlässt, wird es nicht gelingen, ins Herz des Films vorzudringen. Man bleibt sozusagen in den Vororten stecken, abgewiesen von seiner formalen Strenge und der Unverblümtheit, mit der selbst intimste Details gezeigt und zur Sprache gebracht werden. Das letzte Wort hat Alice. Es lautet "ficken".
Ein 'murder mystery'?
Hat Bills nächtliche Odyssee in Gefilde, die sonst seinen Träumen vorbehalten sind, den unbescholtenen Arzt und Familienernährer in einen gespenstischen Mordfall verwickelt? Das ist eine der spannenden Fragen, die der Film verfolgt. Allenthalben begegnet Bill die fleischliche Versuchung, sei es eine HIV-infizierte Prostituierte, seien es edle Models, sei es die Tochter des Kostümverleihers (Sobieski). Doch Versuchung und Maske liegen in diesem Film so nahe beieinander, dass es dem Wanderer schwer fällt, Wahrheit von Täuschung zu unterscheiden. Er ist umso mehr erschüttert, als er ihm seine Frau gerade gestanden hat, zumindest in Fantasien Ehebruch begangen zu haben. Hat er dann nicht das gleiche Recht dazu?
Traum-Odyssee ins Unbekannte
Der Film basiert auf Arthur Schnitzlers "Traumnovelle" und wurde vom provokativen Autor Frederic Raphael zu einem Drehbuch verarbeitet. So uneindeutig wie Bills Erlebnisse ist auch die Aussage des Regisseurs: Ist "Eyes Wide Shut" nun ein Traum oder Realität? Die Frage ist unerheblich. Denn jeder Film ist die Vorspiegelung einer Geschichte, die erst der Zuschauer zu einem Erlebnis zusammensetzt, das für ihn relevant ist oder nicht. Dieses Erlebnis hat die Qualität eines Traums, und viele dieser Träume vergessen wir wieder.
Doch "Eyes Wide Shut" geht einen Schritt weiter. Der Film ist sich bewusst, dass Filme Traum-Maschinen sind und zeigt daher selbst einen Traum. Diese Selbstreflexion konfrontiert den Zuschauer mit seinen Erwartungen - geheimen, unterdrückten, vielleicht verbotenen Erwartungen. Die geltenden Marktgesetze haben die Filmkategorien wie etwa Erotik, Porno oder Fantasy fein säuberlich in Schubladen gesteckt und für bestimmte Altersstufen verfügbar gemacht - oder nicht. Doch "Eyes Wide Shut" ignoriert diese Gesetze und zeigt dem verblüfften Zuschauer, was er sich insgeheim gewünscht hat: Sexfantasien, gefährliche Straßen, nackte begehrende Frauen, ein Ordensritual mit Entblößung - diese Traumlandschaft kann sowohl befriedigen als auch schwer verunsichern.
Genau das Gleiche passiert Bill Harford und seiner Frau. Wir sollten vorsichtig sein, was wir träumen, rät "Doktor" Alice. Ihre eigenen Fantasien haben den Stein ins Rollen gebracht, die Eifersucht trieb ihren Mann dazu, einen als Orgie ritualisierten Traum zu erleben und dabei sich selbst und andere (A. Curran) in Gefahr zu bringen. Bill könnte jetzt HIV-infiziert sein. Er ist es Gottseidank nicht, so dass Frau und Tochter weiterhin eine sorgenfreie Zukunft offen steht: eine schöne Ehe bzw. Kindheit. Doch dies alles scheint mit einem Mal gefährdet.
Ein Plädoyer für Konservativismus?
Wie sehr wir auf unsere Grenzen angewiesen sind, um existieren zu können und andere nicht zu gefährden, wird sichtbar. Ist also "Eyes Wide Shut" ein Plädoyer für konservatives Leben und Handeln? Nicht unbedingt. Denn ohne die psychosexuelle Odyssee durch die Nacht wäre Bill immer noch der naive Spießer, als der er am Anfang erscheint, wenn er seiner Frau jene blödsinnige und falsche Frage stellt. Grenzerkundung dient der Erfahrung. Diese bringt die Ehe von Bill und Alice weiter. Und wer weiß, welche geheimen Wünsche sie sich nun erfüllen können, die sie früher für sich behielten? Und es ist zu hoffen, dass sich auch "Eyes Wide Shut" als eine solche segensreiche Grenzerkundung für den Zuschauer erweist.
Womit Bill seine Erfahrung sammelt, ist das sexuelle Begehren der Frauen: Fast alle Frauen, die er im Film trifft, wollen ihn haben oder bieten sich ihm für Geld an. Er muss erst noch lernen, damit zurechtzukommen und findet sich schon bereit, mit Marion etwas anzufangen. Doch dann nehmen die Dinge eine eindeutig finstere Wendung. Seine Erlebnisse machen in der Beichte natürlich Alice eifersüchtig, doch sie hat sie sich selbst zuzuschreiben, da sie ja zuerst Bill eifersüchtig gemacht hatte, als sie ihm die Fantasie mit dem Marineoffizier erzählte. Nun stehen sie vor einem Scherbenhaufen und sind froh, aufgewacht zu sein. "Für immer?", fragt Bill. Für immer ist eine lange Zeit ...
Formalitäten
Wie Steven Spielberg in seinem Interview (s. u.) sagt, hat Kubrick versucht, "to change the form" - des Genres, der Filmkunst an sich, der Bilder, des Erzählens. Daher ist keiner der Kubrick-Filme im gleichen Genre oder der gleichen Zeit angesiedelt. Und stetig wurde das, was formal möglich war, bis an seine Grenzen getrieben. Gilt das auch für "Eyes Wide Shut"?
Elegante Fahraufnahmen, ein im englischen Studio nachgebautes Greenwich Village, verhaltenes Tempo, satte (kodierte) Farben und allenthalben verstörende Bilder: In Zieglers Zimmer beginnt es mit der halbtoten Amanda Curran und hört nicht mehr auf, bis zum letzten Bild im Spielzeugladen, als Alice inmitten all der Unschuld ringsum "ficken" sagt. Von A bis Z ist der Film eine Kampfansage an eingefahrene Moralvorstellungen und - siehe oben - geheime Erwartungen. Die handwerkliche Seite ist, wie Spielberg konzediert, "impeccable": makellos.
The human factor
Doch ich habe ein echtes Problem mit Tom Cruise. Damit stehe ich sicher nicht alleine. Sein Image als Draufgänger und Aktionsmensch widerspricht seiner Rolle als nachdenklicher, vorsichtiger Arzt, der nur einmal ausbricht und auf Entdeckungsreise geht. Wahrscheinlich war dies in Kubricks Sinne, Cruise gegen sein Image zu besetzen. Und es musste ein Ehepaar sein, das sich gut versteht, denn sonst hätten die intensiven Szenen, die dem Film zu drei Jahren Drehzeit verhalfen, das Paar zermürbt. (In ihren Interviews sprechen Cruise & Kidman darüber.) Dennoch bleiben Zweifel an Cruises Darstellung, besonders in der vorletzten Szene, als er theatralisch in Tränen ausbricht. An Kidman gibt es hingegen nichts auszusetzen, und der Rest der Schauspieler ist lange nicht so wichtig.
Gab es jemals einen Kubrick-Film - also nicht gerade "Spartacus" -, der einfach zu goutieren gewesen wäre? Wohl nicht. Denn jedes Mal versuchte der Meister, die Grenzen auszuweiten und somit den Zuschauer vor den Kopf zu stoßen. Man kann einen Kubrick-Film nicht verstehen, wenn man voreingenommen ist. Und deshalb muss ich wohl auch Cruise als Bill Harford - meinen Stellvertreter im Film? - hinnehmen. Dennoch ist ein außerordentlich hohes Maß an Mitgefühl für Bill & Alice zu spüren. Wie schon am Schluss von "Wege zum Ruhm" erweist sich Kubrick als leidenschaftlicher Humanist.
Die Musik
Oh, Mann, dieses Ligeti-Klavierstück! Ursprünglich wollte der ungarische Komponist damit "Stalin einen Dolch ins Herz treiben", wie er in der Doku der Sammler-Box sagt. Doch das insistierende Klavier - ein Halbton-Intervall von F auf Fis - hämmert auch auf den Nerven des Zuschauers herum. Man sehnt sich nach Erlösung von der Anspannung, die dieses kurze Motiv erzeugt.
Zum Glück folgt sowohl die entspannende Erlösung als auch die Gewissheit, dass das Ligeti-Motiv nur in ganz bestimmten Szenen auftaucht: beispielsweise dann, wenn sich Bill Harford vor dem Zeremonienmeister entblößen muss. Das Motiv "sticht" deswegen so heraus, weil der Rest der eingesetzten Musik so schmeichelnd und unterhaltsam daherkommt. Einzige Ausnahme: Der wunderschöne Boogie "Baby did a bad bad thing" von Chris Isaak.
Das Motiv jedoch signalisiert höchste Gefahr, Zweifel und Unsicherheit. Spätestens nach dem zweiten Hören fragt sich der Zuschauer: Au weia, standhalten oder flüchten? Ich kann nur zum Standhalten raten. Es lohnt sich.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 4:3 (Vollformat des Original-Kameranegativs)
Tonformate: DD 5.1
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D, Englisch, SWE, NOR, DAN, FIN, Isländisch
Für Hörgeschädigte: D
Extras:
- Interview mit Tom Cruise (8:20 Min.)
- Interview mit Nicole Kidman (17:45)
- Interview mit Steven Spielberg (7:20)
- 2 TV-Spots: Eifersucht; Combo
- Bio- und Filmografien zu Cruise, Kidman, Pollack und Kubrick. Erwähnung von Todd Field (Nick Nightingale) und Marie Richardson (als Marion).
Mein Eindruck: die DVD
Der Sound wurde remastered zum Format Dolby Digital 5.1 und erklingt damit in geeigneten Anlagen in bester Qualität. Das Bild verstört Puristen zunächst dadurch, dass es nicht im Widescreen-Format angeboten wird, sondern - wie alle drei letzten Filme Kubricks - nur im Vollformat 4:3 (1,33:1). Das war jedoch offenbar die erklärte Absicht des Regisseurs. Ich konnte keine Fehler feststellen, doch mehrmals einen leicht verzerrenden Effekt der eingesetzten Linsen, als ob man eine Szene durch eine Fisheye-Linse betrachte.
Mageres Bonusmaterial
Neben der Besetzungsliste für Darsteller und Stab finden sich unter dem Bonusmaterial zwei TV-Spots sowie drei Interviews. Dies sind keine Interviews, die schon in der biografischen Kubrick-Doku "A life in pictures" zu sehen waren. Sie wurden alle nach dem Filmstart im Juli 1999 geführt.
Im Interview erzählt Tom Cruise unter den bohrenden Fragen des Journalisten, wie er seinerzeit Kubrick besuchte und kennen lernte, wie er mit ihm arbeitete (und litt), wie er in Zeitnot geriet und wie er schließlich kaum glauben konnte, dass sein Freund Stanley tot war. An einem Punkt fehlen ihm die Worte.
Dies ergeht Nicole Kidman noch viel schlimmer, sie beginnt nämlich zudem, in Tränen auszubrechen, obwohl sie die Contenance behält. Der britische Journalist fragt sie, ob sie vielleicht ein Taschentuch benötige. Hinsichtlich der problematischen Schlüsselszenen in "Eyes Wide Shut" und Kubricks als Künstler sind Kidmans Ausführungen außerordentlich erhellend. Es war sie, die ständig nach der Logik in Alices Argumenten suchte. Doch Kubrick beschwichtigte sie, denn wie könne man von einer völlig bekifften Alice irgendwelche rationalen Argumente erwarten? Recht hat er.
Steven Spielberg ...
... gibt grundsätzlich keine Audiokommentare zu seinen Filmen, und selbst Interviews sieht man recht selten. Daher ist dieses Interview von sieben Minuten Länge sehr willkommen. Er ist ja als Regisseur von "A.I." einer der Erben Kubricks geworden. Er hatte ihn 1980 am Set von "Shining" kennengelernt. Er wollte den Set für "Jäger des verlorenen Schatzes" nutzen, doch dieser brannte ab. Also musste er nach Frankreich ausweichen. Kubrick (S.K.) fragte ihn nach seiner Meinung von "Shining", das Spielberg nicht mochte, und von Nicholson, den Spielberg übertrieben fand. S.K. wandte ein, dass man auch James Cagney unterschätzt habe.
Zur nicht geringen Verblüffung ist es auch Spielberg, der S.K. gegen den Vorwurf in Schutz nimmt, er sei ein kalter, analytischer Regisseur. Spielberg erzähl, wie er einmal den Schluss - und nur diesen! - von "Wege zum Ruhm" im privaten Kreis vorgeführt habe, um diesen Vorwurf zu entkräften: Alle Anwesenden brachen in Tränen aus. Inzwischen hat Spielberg auch "Shining" etwa 25-mal gesehen, wie er sagt: "Es ist einer meiner Lieblingsfilme. Es ist unmöglich, einen Kubrick-Film vor dem Ende anzuhalten oder gar auszuschalten. Man muss sie öfters sehen, um sie zu mögen."
Unterm Strich
Alle noch wach? Wie jeder Kubrick-Film ist auch dieser eine Erfahrung, auf die man sich einlassen muss. Man kann es niemandem vorwerfen, wenn er oder sie Schiss davor hat. Ich genieße den Film immer wieder, nicht nur wegen der wundervoll fotografierten Bilder, sondern auch wegen der kuriosen, spannenden und zuweilen witzigen menschlichen Begegnungen.
So manche Sequenz ist pure Komödie, so etwa beim Kostümverleiher Milich oder der schwule Rezeptionist in Nicks Hotel (Alan Cumming). Manche Darstellung ist großartig, so etwa Marie Richardsons Mienenspiel, das zwischen der Maske der trauernden Tochter und der dahinter hervorbrechenden Liebenden schwankt. Einfach umwerfend.
Die Silberscheibe bietet nicht das übliche Bonusmaterial aus Making-of, entfallenen Szenen und Trailershow, sondern bietet in den drei Interviews geradezu intime Einblicke in das Arbeiten und Handwerk eines der größten Regisseure des letzten Jahrhunderts.
Hinweis:
Wer einen Blick hinter die Kulissen der Drehbuchentstehung werfen will, der lese das spannende Buch "Eyes Wide Open" von F. Raphael. Es ist bei Ullstein erschienen.
- Redakteur:
- Michael Matzer