Navigators, The (Ken-Loach-Box)
- Regie:
- Ken Loach
- Jahr:
- 2001
- Genre:
- Drama
- Land:
- GB/D/Spanien
1 Review(s)
14.04.2006 | 18:39Sozialstudie: viele Infos, wenig Unterhaltung
1995 wird in Großbritannien das staatliche Bahnsystem abgeschafft, die Privatisierung der Eisenbahn erfolgt. Zunächst ändert sich für die erfahrenen Gleisarbeiter (u. a. Steve Huison aus "Ganz oder gar nicht") vom Zugdepot in South Yorkshire wenig - bis zwei konkurrierende Privatfirmen die Region unter sich aufteilen. Plötzlich stehen sich die ehemaligen Kollegen als Rivalen gegenüber. Und wenn es nach ihren neuen Chefs geht, zählen im Business weder Freundschaft noch Sicherheit ...
Kämpferisch wie immer gibt sich Ken Loach in diesem engagierten Arbeiterdrama, das auf dem Drehbuch eines ehemaligen Bahnarbeiters basiert.
Filminfos
OT: The Navigators (GB/D/Spanien 2001)
Kinostart: 10.10.2002
DVD: 15.09.2005
Laufzeit: ca. 96 Min.
FSK: 6
Regie: Ken Loach
Drehbuch: Rob Dawber
Musik: George Fenton ('Oscar'-nominiert für "Ghandi", "Schrei nach Freiheit"; "König der Fischer"; "Gefährliche Liebschaften")
Rollen / Darsteller:
John: Dean Andrews
Mick: Thomas Craig
Paul: Joe Duttine
Jim: Steve Huison ("Ganz oder gar nicht", "Among Ginats – Zwischen Himmel und Erde")
Gerry: Venn Tracy
Handlung
Die British Rail-Gesellschaft wird 1995 aufgelöst und komplett privatisiert. Die 30.000 Eisenbahnarbeiter ahnen noch nicht, was da auf sie zukommt …
Stationiert in einem Depot bei Sheffield, machen sie sich normalerweise in kleinen Trupps von maximal zehn Mann an die Arbeit. Zwei sichern den Trupp gegen anrollende Züge und geben Warnsignale. In den 18 Monaten haben sie keine Menschenverluste zu beklagen gehabt. Nicht so nach der Privatisierung: Nun dürfen sie maximal zwei Tote pro Jahr "produzieren" ...
Als Erstes werden die Gewerkschafter hinausgeworfen und die Vereinbarungen mit ihnen allesamt kassiert. Wer sich im Management nicht fügt, kann gleich seine Kündigung unterschreiben. Wer bislang zusammengearbeitet hat, landet plötzlich aufgrund eines anderen Wohnorts bei der Konkurrenz. Als ein Zug aus den kaum noch gewarteten Schienen springt, schiebt jeder dem anderen die Schuld zu, obwohl sie früher alle Kollegen waren. Als sie den entlassenen Len treffen, erfahren sie, dass der von der Zeitarbeitagentur doppelt so viel pro Stunde bekommt wie sie selbst.
Paul sieht endlich die Chance, wieder besser zu verdienen und kündigt bei Gilchrist Engineering. Seine Frau Lisa hat sich von ihm getrennt und er muss ihr Unterhalt zahlen, was ihn ruiniert. Da er seine Töchter liebt, entscheidet er sich für die Jobs, die die Eisenbahn-Jobagentur zu vergeben hat. Es gibt aber weder Urlaubsgeld noch Krankenversicherung – das war mal. Bald hat er eine eigene Wohnung, aber sie ist sehr bescheiden. Und er muss morgens um fünf aufstehen, um den Forderungen der Auftraggeber gerecht zu werden. Sogar Bauarbeiter tauchen in den Trupps auf, in denen er und Mick zu tun haben.
Mick Williams glaubt, selbst noch bei der Agenturarbeit Sicherheitsvorschriften beachten zu können. Diesen Luxus muss er sich bald abschminken, nachdem sich die Auftraggeber über ihn beschwert haben und er keine Aufträge mehr bekommt. Seine Frau Tracy macht Druck, und er muss klein beigeben. Bei dem nächsten Agenturjob trifft er seine früheren Kollegen wieder, doch von Solidarität kann keine Rede mehr sein.
Als sie bei Einbruch der Nacht immer noch nicht fertig sind, erwischt ein Zug den Kollegen Jim und verletzt ihn schwer. Doch was tun? Sie können nicht zulassen, dass es eine Untersuchung gibt, denn dann würde ihre (notwendige) Missachtung sämtlicher Sicherheitsvorschriften auffliegen. Paul weigert sich aber zunächst auch, Jim die Böschung hochzutransportieren, damit es wie ein Autounfall mit Fahrerflucht aussieht, wenn die Sanis eintreffen und Fragen stellen. Keiner von ihnen ist dafür ausgebildet, Verletzte sachgemäß zu transportieren.
Sie müssen der bitteren Wahrheit ins Gesicht sehen: Entweder sie riskieren es, dass Jim sein Leben verliert, oder sie sind ihren Job los, wenn die Ambulanz kommt. Was werden sie wählen?
Mein Eindruck
Das Drehbuch stammt von Rob Dawber, der selbst 18 Jahre bei British Rail gearbeitet hat. Er erlebte die Privatisierung mit. Ohne Erfolg mahnte er das Management zur Einhaltung von Sicherheitsvorschriften. Seine Erlebnisse im Eisenbahndepot von Sheffield verarbeitete er, um für die Einhaltung der Sicherheit zu plädieren. Aber er zeigt auch, dass die Arbeit für die Job-Agentur jegliche Solidarität zerstört, weil nun alle gegeneinander konkurrieren.
Als Nebeneffekt der euphemistisch propagierten "Veränderung" werden auch Familien in ihren Grundfesten erschüttert oder sogar verhindert, denn die Männer müssen zu unmenschlichen Zeiten arbeiten und dabei sogar ihr Leben riskieren – ohne Krankenversicherung und Urlaubsgeld. An eine sichere Zukunft ist in keiner Weise zu denken. Sie sind lediglich Lohnsklaven – 100 Jahre Gewerkschaftsarbeit gehen den Bach runter.
Technischer Berater beim Film war Peter Trend, der 20 Jahre bei BritRail arbeitete. Er zeigt auf, wie aus einer Kultur der Dienstleistung binnen fünf Jahren eine des Profits wird. Durch die neue Hierarchie gibt es nur einen Ort, wohin jegliche Schuldzuweisung geschoben werden kann: bis ganz unten. Die Wehrlosesten und Ausgebeuteten werden obendrein noch für die Fehler ihrer "Vorgesetzten" verantwortlich gemacht.
Aber es gibt noch ein Opfer der glorreichen "Veränderung": die Benutzer. Beim Zugunglück von Hatfield, bei dem es vier Tote gab, gab es den seltenen Fall, dass sich die private Betreibergesellschaft RailTrack der Vernachlässigung von Gleisarbeiten schuldig bekannte. Obwohl die Gleise schon seit zehn Monaten als defekt markiert waren, wurden sie nicht gewartet.
Die Parlamentsabgeordnete Claire Short (Labour) entschuldigte sich bei den ehemaligen Eisenbahnern. Die Dreißigtausend waren bei der Privatisierung irgendwie vergessen worden, meint Trend in den Hintergrundinformationen. Sonst scheint sich niemand für die soziale Verheerung, die damit einherging, verantwortlich gefühlt zu haben.
In Loachs Filmen treten oft Laiendarsteller auf, doch diesmal ist wenigstens ein bekannter Schauspieler dabei: Steve Huison spielte bereits in "Ganz oder gar nicht" (The full Monty) mit. Er spielt das Unfallopfer Jim, also nur eine Nebenrolle. Von Hauptdarstellern wage ich hier nicht zu sprechen. Durchgehende Handlungsstränge haben nur Mick und Paul zugestanden bekommen. Wie so oft, wird bei Loach das Drama dem sozialen Traktat geopfert. Dieser Film kann vielleicht unterhalten, wenn man als Engländer den Yorkshire- und Eisenbahner-Akzent versteht, als deutschsprachiger Zuschauer bekommt man von der angeblich im Drehbuch enthaltenen Komödie kaum etwas mit. Es gibt eine nette Episode mit Jack, aber das war’s auch schon.
Die DVD
Technische Infos
Audio: Deutsch Dolby Digital 2.0; Englisch Dolby Digital 2.0
Bildformat: 1:1,66
Ländercode: PAL (2)
Sprache: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Extras:
- Trailer
- Hintergrundinformationen
- EPIX-Trailer-Show
Mein Eindruck: die DVD
Dies ist eine Sozialstudie auf Fernsehniveau, von Fernsehsendern wie der ARD bezahlt: Bild und Tonqualität sind darauf abgestellt. Das bedeutet nicht, dass das Bild minderwertig wäre. Es ist eben durchschnittlich, ebenso wie der Sound. Einziges Extra sind die Hintergrundinformationen auf Texttafeln. Sie enthalten diverse Zitate, die ich oben erwähnt habe.
Unterm Strich
Gegenüber einem Loach-Werk wie "Bread & Roses" fällt "The Navigators" an dramaturgischer Kraft stark ab, dafür werden aber sehr viele Fakten und Aspekte der "Veränderung" in die Dialoge gepackt. Das Dokudrama funktioniert als Sozialstudie und Traktat, aber nur stellenweise als Film. Es soll eine Komödie sein, aber das bekommt man nur im Original einigermaßen mit. Betroffen macht lediglich der Schluss. Es lohnt sich, ihn mit dem Anfang zu gleichen: ein Unterschied wie Tag und Nacht. Der Zuschauer soll beurteilen, ob dies eine Veränderung zum Besseren ist. Die Antwort dürfte offensichtlich 'nein' lauten.
Die DVD-Ausstattung soll laut Verleih einer Sammlerausgabe würdig sein. Dies trifft lediglich auf die einheitliche Menüstruktur und die Hintergrundinfos zu, die jede der vier DVDs der Epix-Sammlerbox aufweist.
- Redakteur:
- Michael Matzer